Kapitel 11

Etwas hatte sie geweckt.

Sie war sich nicht sicher, was es war. Es war noch dunkel. Sie lag auf ihrem Bett und horchte gespannt. Dann erkannte sie die Ursache. Es waren flüsternde Stimmen. Sie waren leise, doch eindringlich genug, um ihren unruhigen Schlaf zu stören.

»Nun gut. Es muß geschehen.«

Sie versuchte die Stimme zu erkennen. Nach einigen Augenblicken wurde ihr klar, daß sie Bruder Dia-nach gehörte und daß die Stimmen aus seinem Schlafraum kamen. Die Räume waren nur durch Bretterwände abgeteilt, die den Schall nicht sehr dämpften.

Sie bewegte sich nicht, sondern lauschte aufmerksam auf die andere Stimme. Sie ahnte schon, wer die zweite Person war. Und richtig.

»Gib mir das Pergament, und ich reiche es an ihn weiter.«

Das war Bruder Solins Stimme.

»Ich habe es hier.«

Solin zischte: »Nicht so laut, Junge, sonst weckst du noch unsere anderen Gäste. Das wollen wir doch vermeiden.«

Bruder Dianach stieß ein eigenartiges Lachen aus.

»Der Angelsachse wird nicht wach. Der hat genug Met und Wein intus, daß er eine Woche lang schläft. Horch mal, dann kannst du ihn schnarchen hören wie ein Schwein!«

»Rasch jetzt!« Bruder Solin wurde ungeduldig. »Es ist wichtig, daß ich die Verabredung einhalte.«

»Hier ist das Pergament, Bruder.«

Es trat Stille ein, als prüfe Solin das, was man ihm übergeben hatte.

»Gut. Jetzt schlaf weiter. Morgen früh berichte ich dir. Wenn alles gut geht, fällt Cashel uns zu, bevor der Sommer herum ist.«

Fidelma fuhr mit einem Ruck auf. Es war eine unwillkürliche Reaktion. Glücklicherweise ging sie in Solins Aufbruch unter. Mit klopfendem Herzen saß Fidelma einen Moment da. An den leisen Schritten konnte sie hören, wie Solin auf Zehen an ihrem Schlafraum vorbeischlich. Sie schwang sich aus dem Bett und zog ihre Kutte und ihre lederbesohlten Schuhe an.

Als sie am oberen Ende der Treppe war, hatte Solin bereits das Gästehaus verlassen, aber sie durfte nicht zu schnell hinunterlaufen, um nicht Bruder Dianach zu alarmieren. Es blieb keine Zeit, Eadulf zu wecken, der im Raum gegenüber schlief. So schnell es ging, glitt sie die Treppe hinunter und lief hinaus in die kalte Dunkelheit des frühen Morgens.

Die Nacht war still, so ruhig. Doch der Mond, nicht mehr ganz voll, schien hell mit einem weißen Licht, das den Hof in einen unheimlichen Glanz tauchte. Bruder Solin eilte leise über den Hof. Sie konnte sehen, daß er etwas Weißes zusammengerollt in der Hand trug. Sie mußte im Schatten der Tür des Gästehauses warten, denn das Mondlicht war zu hell, als daß sie sich gleich hinter ihm über den Hof wagen konnte.

Bruder Solin verschwand um die Ecke des Gebäudekomplexes, dem sie und Eadulf wenige Stunden zuvor einen Besuch abgestattet hatten. Erst als er außer Sicht war, ging sie ihm nach. An der Ecke blieb sie stehen und spähte vorsichtig um sich. Vergeblich, denn von Bruder Solin war nichts zu sehen, es gab kein Anzeichen, welchen Weg er eingeschlagen hatte. Im ganzen rath brannten Fackeln und verstärkten das eigenartige flackernde Halblicht auf den Gebäuden. Die stämmige Figur Bruder Solins war nirgends zu entdecken, es gab auch keine Möglichkeit, sich zu verstecken. Der Hauptweg führte direkt zu den Pferdeställen, sie machte ein paar zögernde Schritte in diese Richtung, blieb dann stehen und zuckte die Achseln.

Es hatte keinen Zweck, Solin weiter zu suchen. Er hatte sich verkrochen. Es blieb ihr kaum etwas anderes übrig, als zum Gästehaus zurückzukehren. Was hatte Bruder Solin gemeint? Cashel würde jemandem zufallen, bevor der Sommer herum ist. Das hatte er gesagt. Der Sommer dauerte nur noch einen Monat. Welche Bedrohung gab es und welchen Anteil hatte Solin daran? Daß der Schlüssel zu dem Geheimnis bei Solin lag, das war ihr nun völlig klar. Doch zu welchem Geheimnis?

Plötzlich hörte sie ein Geräusch wie von einem Handgemenge. Sie lauschte angestrengt. Es kam aus der Richtung der Pferdeställe. Leise bewegte sie sich auf den Eingang des Stalls zu. Über der Tür brannte eine Fackel und warf einen zuckenden Lichtkreis.

Hatte sie einen erstickten Schrei gehört, langgezogen wie im Todeskampf? Sie wartete ein paar Augenblicke auf ein weiteres Geräusch.

Plötzlich trat eine Gestalt aus der Stalltür und sah sich vorsichtig um. Sie war von Kopf bis Fuß in einen langen Kapuzenmantel gekleidet und hielt die Kapuze mit einer Hand vor den unteren Teil des Gesichts. Nur Augen und Nase waren sichtbar. Es war eine schlanke Gestalt, das konnte Fidelma erkennen trotz des verhüllenden Mantels. Als die Gestalt den Weg entlangschaute, fiel das Licht der Fackel auf den sichtbaren Teil ihrer Züge - nur für einen Moment und mit tanzenden Schatten, die die genauen Umrisse verbargen. Dennoch hatte Fidelma keinen Zweifel, daß sie die unverwechselbaren dunklen Augen und Gesichtszüge Orlas erblickt hatte.

Die schlanke Gestalt eilte plötzlich fort in die Dunkelheit in Richtung auf das Gebäude, in dem sich Murgals Wohnung und noch andere befanden.

Fidelma blieb unschlüssig stehen. Sollte sie dieser verstohlenen Gestalt folgen und wenn ja, zu welchem Zweck? Sie mußte immer noch Bruder Solin finden. Er wäre sicher der letzte, mit dem sich Orla mitten in der Nacht heimlich verabreden würde, nachdem sie gedroht hatte, ihn umzubringen.

Vielleicht war Bruder Solin woanders hingegangen? Warum sollte die Schwester des Fürsten und Frau seines Tanist nicht die Ställe im rath zu jeder Zeit aufsuchen, die ihr beliebte? Das ging Fidelma nichts an, und doch ... Doch war es klar, daß Orla nicht gesehen werden wollte. Warum? Als Fidelma das Problem erwogen hatte, war die Gestalt in der Dunkelheit verschwunden, und Fidelma stand allein in der Stille der Nacht.

Sie unterdrückte einen Seufzer und wandte sich ab. Wenn das Unwahrscheinliche eingetreten war und So-lin sich mit Orla im Stall getroffen hatte, dann mußte er ihn durch einen anderen Ausgang verlassen haben.

Das Stöhnen war so leise, daß sie einen Moment glaubte, es sei der Nachtwind. Da war es wieder. Es war ein menschlicher Laut, erkannte sie sofort, und er drang aus dem Stall.

Sie wandte sich um, eilte zur Tür und spähte in die Dunkelheit drinnen. Es war ein Keuchen im Todeskampf.

Sie sah nur die schattenhaften Umrisse der Pferde, die sich unruhig bewegten. Sie nahm die Fackel über der Tür aus ihrem Halter, hob sie hoch und betrat vorsichtig den Stall.

Jemand lag am anderen Ende des Stalls ausgestreckt auf dem Rücken, eine Hand auf der Brust, die andere unter dem Kopf.

Ohne Mühe erkannte Fidelma Bruder Solin.

Ein Blick auf das stoßweise aus seiner Brust fließende Blut, das seine Hand vergeblich zu stillen suchte, zeigte ihr, daß Bruder Solin im Sterben lag. Seine Augen waren geschlossen, sein Mund schmerzverzerrt.

»Solin!« sagte sie scharf. »Wer hat das getan?«

Er bewegte den Kopf, doch die Augen vermochte er nicht zu öffnen. Der Mund verzog sich noch mehr.

»Solin, ich bin’s, Fidelma. Wer hat das getan?«

Die Lippen öffneten sich, und Fidelma beugte sich tief hinunter, um den krampfhaft gehenden Atem zu hören.

»Suaviter... suaviter in modo ...«

Der Kopf fiel zurück. Bruder Solin aus Armagh war tot.

Fidelma seufzte und vollendete den Spruch: »forti-ter in re.«

Mit zusammengepreßten Lippen starrte sie auf die Leiche hinab. Was sollte das heißen? »Sanft in der Art«, hatte Solin begonnen, und der Spruch ging weiter: »Hart in der Sache.« Nun, sein Mörder war hart zur Sache gegangen, aber gewiß nicht auf sanfte Art. Orla hatte gesagt, sie würde Solin umbringen, wenn sie ihn noch einmal sähe, und anscheinend hatte sie Wort gehalten.

Da Solin nun nicht mehr zu helfen war, durchsuchte sie rasch seine Leiche. Das Stück Pergament, das Bruder Dianach ihm gegeben und das sie bei ihm gesehen hatte, war nirgends zu finden. Sie hielt die Fak-kel hoch und schaute sich sorgfältig um. Keine Spur von etwas, was auch nur entfernt einem Pergament ähnlich sah. Hatte Orla es mitgenommen? Wenn ja, warum? Und was hatte Orlas Zorn auf Solin mit So-lins Drohung zu tun, daß Cashel fallen werde, bevor der Sommer vergangen wäre?

Fidelma erhob sich langsam, die Fackel in der Hand, und spürte plötzlich einen harten Gegenstand an ihrem Rücken. Eine rauhe Männerstimme zischte: »Keine weitere Bewegung, Lady.«

Sie erkannte Artgals Stimme.

Sie stand still.

»Ich mache keine Bewegung«, versicherte ihm Fidelma. »Was willst du von mir?«

Der Mann lachte schrill auf.

»Du hast einen komischen Sinn für Humor, Lady. Steh still.«

Zu Fidelmas Überraschung rief er plötzlich laut nach seinen Kameraden von der Wache.

»Was hast du vor?« fragte sie, etwas weniger selbstsicher.

»Du kannst dich zu mir umdrehen«, erwiderte Artgal, »aber langsam.«

Fidelma tat es und stand nun dem finsteren Krieger und Grobschmied gegenüber, der das Schwert auf sie gerichtet hielt. In der Ferne hörte sie antwortende Rufe.

»Was hast du vor?« fragte sie erneut.

»Leicht zu sagen.« Artgal lächelte säuerlich. »Was tut man, wenn man eine Mörderin findet, die sich gerade über die Leiche ihres Opfers beugt?«

»Aber ich habe Bruder Solin nicht ...«, protestierte sie, konnte aber nicht weitersprechen, weil Rudgal und ein weiteres Mitglied der Wache hereinpolterten, auf dem Fuße gefolgt von Laisre selbst. Der Fürst hatte sich einen schweren Mantel umgeworfen, als sei er gerade aus dem Bett geholt worden. Artgal nahm respektvoll Haltung an vor seinem Fürsten.

»Was hat das zu bedeuten, Artgal?« forschte Laisre und sah sich im Stall um.

»Ich hatte Nachtwache, Laisre. Ich kam am Stall vorbei und mir fiel auf, daß die Fackel, die gewöhnlich die Tür beleuchtet, fort war. Im Stall war Licht. Ich ging hinein und sah diese Frau .«

Er wies mit dem Kopf auf Fidelma. Laisre mißfiel Artgals Unhöflichkeit, und er unterbrach ihn.

»Du meinst Fidelma von Cashel?«

Artgal ließ sich davon nicht ablenken.

»Ich sah, wie diese Frau sich über die Leiche des christlichen Priesters Solin beugte. Sie hat ihn ermordet.«

»Das stimmt nicht!« protestierte Fidelma, entsetzt über diese Anschuldigung.

Laisre erblickte jetzt die Leiche am Boden. Er stieß einen Ruf der Überraschung aus und beugte sich vor.

»Bei der langen Hand von Lugh«, flüsterte er. »Das ist tatsächlich der christliche Abgesandte aus Armagh!« Er richtete sich auf und starrte Fidelma verblüfft an. »Was hat das zu bedeuten?«

»Ich habe ihn nicht getötet«, erklärte Fidelma.

»Nicht?« höhnte Artgal. »Ich kann die Tat bezeugen. Lügen hilft dir nicht.«

»Du bist ein Lügner«, erwiderte Fidelma. »Hast du etwa gesehen, daß ich ein Messer in diesen armen Mann gestoßen hätte.«

Artgal zuckte zusammen bei ihrer heftigen Zurückweisung.

»Ich kam herein und sah, daß du dich über ihn beugtest. Es war niemand anders hier.«

»Was hast du dazu zu sagen, Fidelma?« fragte Lais-re, der sie verwirrt betrachtete.

»Ich folgte Bruder Solin«, erklärte Fidelma. »Auf dem Weg draußen verlor ich ihn aus den Augen. Ich wollte zurück zum Gästehaus, als ich ein Geräusch aus dem Stall hörte. Eine Gestalt kam heraus und verschwand in der Dunkelheit. Dann hörte ich ein Stöhnen. Ich ging hinein und fand Bruder Solin. Er lag im Sterben. Er flüsterte etwas, was keinen Sinn ergab. Es war lateinisch. Dann hauchte er sein Leben aus. Ich wollte gerade die Wache rufen, als Artgal mir die Spitze seines Schwertes in den Rücken drückte.«

Artgal lachte verächtlich.

»Es war niemand anders hier als du«, wiederholte er.

»Du hast das Wort einer dalaigh an den Gerichten der Brehons für die Wahrheit dessen, was ich sage, ebenso wie das Wort einer Eoghanacht-Prinzessin.«

»Das genügt vielleicht nicht«, erwiderte Artgal, der sich von ihr nicht einschüchtern ließ.

Laisre hob die Hand und gebot Schweigen.

»In diesem Fall, Fidelma von Cashel, hat Artgal recht. Dein Wort genügt nicht. Warum bist du Solin überhaupt gefolgt?«

»Weil . «, Fidelma zögerte, denn sie wollte ihren Verdacht nicht enthüllen. Wenn es eine Verschwörung zum Sturz von Cashel gab, dann wußte sie nicht, wer sonst noch daran beteiligt war. Artgal mißdeutete ihr Zögern als Schuldgeständnis und freute sich über seinen Triumph.

»Weil sie sich über seine Anwesenheit ärgerte«, schaltete er sich ein. »Wir alle haben ihren Zorn in der Ratssitzung gestern erlebt. Es gibt immer Konflikte zwischen diesen Christen. Ich habe gehört, wie sie gesagt hat, Armagh und Imleach seien Rivalen, die beide Macht über unser Leben erstreben. Sie streiten miteinander über das Recht, uns Vorschriften machen zu können. Das ist der tiefere Grund, das könnt ihr mir glauben.«

Jeder wußte von der Gegnerschaft zwischen Solin und Fidelma. Laisre warf ihr einen zweifelnden Blick zu.

»Das ist ein einleuchtendes Motiv.«

»Nein. Der Grund für meinen Verdacht auf Bruder Solin war ganz einfach.« Fidelma hatte blitzschnell nachgedacht. »Er stand mitten in der Nacht auf und verließ das Gästehaus. Warum sollte das jemand in guter Absicht tun? Das weckte meinen Verdacht. Deshalb bin ich ihm gefolgt.« »Du behauptest, du hättest jemanden aus dem Stall kommen sehen?« überlegte Laisre laut. »Ich nehme an, du weißt nicht, wer es war?«

»Natürlich weiß sie das nicht!« rief Artgal.

»Laß sie antworten«, wies ihn Laisre zurecht und schaute Fidelma eindringlich an.

Fidelma war sich uneins, denn sie wollte Orlas Anwesenheit nicht preisgeben, ehe sie selbst mehr herausgefunden hatte, doch ihr war klar, daß sie sich vor Laisre rechtfertigen mußte.

»Ja, ich weiß es«, antwortete sie zu Laisres sichtlicher Überraschung. »Aber ich möchte den Namen nicht nennen, bevor ich nicht die Gelegenheit habe, selbst den Fall zu untersuchen.«

»Untersuchen?« Erstaunt vernahmen sie die Stimme Murgals, der unbemerkt den Stall betreten hatte. »Wenn es eine Untersuchung gibt, dann bist nicht du es, Lady, die sie führt. Ich bin hier der Brehon.«

Laisre sah seinen Druiden an, als wolle er widersprechen, zuckte dann aber die Achseln.

»Murgal hat recht, Fidelma von Cashel. Du stehst unter Mordverdacht. Du kannst nicht mehr als dalaigh handeln. Du mußt jetzt mit uns zusammenarbeiten. Nenne uns den Namen der Person, die du hast aus dem Stall kommen sehen.«

»Wenn du es kannst«, setzte Artgal spöttisch hinzu.

»Ich sah Lady Orla«, sagte Fidelma ruhig.

Laisre zog scharf den Atem ein. Seine Miene zeigte Verblüffung.

»Was ist das für eine Hinterlist?« fragte Artgal zornig. »Sie will die Schuld an ihrer Untat der Schwester unseres Fürsten in die Schuhe schieben! Der Frau unseres Tanist!«

»Ich suche nur die Wahrheit«, antwortete Fidelma fest.

Murgal starrte sie mit offenem Mißtrauen an.

»Bringt uns das der Wahrheit näher, wenn du deinen Gastgeber, den Fürsten von Gleann Geis, damit beleidigst, daß du Lady Orla des Mordes beschuldigst?«

»Ich sagte, ich sah sie aus dem Stall herauskommen ...«

»Ausgerechnet Lady Orla!« fauchte Artgal. »Das ist eine Beschimpfung unseres ganzen Volkes, Laisre!«

Laisres Gesicht wirkte angespannt.

»Wenn du irgendeinen anderen Namen genannt hättest, Fidelma, wäre ich zur Milde geneigt gewesen und hätte dir vielleicht sogar geglaubt.«

Fidelma hob trotzig das Kinn.

»Ich kann nur die Wahrheit sagen. Hole Orla her und laß sie meine Wahrheit leugnen.«

Laisre stand einen Moment unentschlossen da.

»Das ist eine schlimme Geschichte, Fidelma von Cashel. Doch die besprechen wir lieber in meinem Ratssaal. Artgal, geh in die Wohnung von Colla und Orla und bitte meine Schwester um ihr Erscheinen. Mach aber keine Andeutung, was geschehen ist oder weshalb sie gerufen wird.« Abrupt wandte er sich an Murgal. »Du bist mein Brehon. Du kommst mit und berätst uns über das Verfahren und das Urteil.«

Murgal neigte ernst den Kopf. Er winkte Rudgal und den anderen Wachposten heran.

»Einer von euch bleibt hier bei der Leiche und sorgt dafür, daß nichts angerührt wird, bis ich es erlaube. Der andere kommt mit.«

»Wartet!« rief Fidelma, als Rudgal an sie herantrat und sie am Arm faßte.

Laisre war schon in der Tür, drehte sich aber um und schaute Fidelma fragend an.

»Was ist? Willst du deine Aussage ändern?« wollte er wissen.

»Wie kann ich das ändern, was die Wahrheit ist?« erwiderte Fidelma gereizt. »Nein. Wenn ich Solin getötet haben soll in dem Moment, als Artgal den Stall betrat, dann müßte ich ein Messer dazu benutzt haben. Untersuche die Wunde, Murgal. Du bist ein Bre-hon. Woran ist er gestorben?«

Murgal nahm ihr die Fackel aus der Hand, beugte sich über die Leiche und prüfte sie sorgfältig.

»Eine Wunde, ein Einstich in den unteren Brustkorb«, verkündete er.

»Es ist nicht strittig, daß Bruder Solin erstochen worden ist«, erklärte Laisre mit einem raschen Blick zu Artgal, der nach Fidelmas Ausruf ebenfalls stehengeblieben war.

»Artgal sagt, er habe gesehen, wie ich mich über Bruder Solins sterbende Gestalt beugte; er sah, wie ich mich aufrichtete, und glaubte, ich hätte den Mann soeben getötet.«

»Genauso habe ich es gesehen«, bestätigte Artgal.

»Nun gut. Ich verlange, daß man mich nach dem Messer durchsucht.«

»Was?« fragte Murgal stirnrunzelnd.

»Durchsucht mich nach der Waffe, mit der ich Bruder Solin getötet habe. Ich habe mich nicht vom Fleck gerührt, seit Artgal hier auftauchte. Ich hatte auch keine Zeit, die Waffe zu verstecken oder sie wegzuwerfen.«

Laisre zögerte und wechselte einen Blick mit Murgal.

Der finstere Druide erhob sich und reichte Rudgal die Fackel.

»Also dann, mit deiner Erlaubnis, Fidelma von Cashel ...?«

Er trat heran und durchsuchte mit den Händen sachlich ihre Kleidung. Seine Durchsuchung war gründlich, systematisch und nüchtern.

»Sie hat keine Waffe an ihrer Person verborgen«, gab er bekannt.

»Nun seht auf dem Boden neben der Leiche nach«, ordnete Fidelma an. Sie wußte, daß dort kein Messer zu finden war, denn sie hatte sich rasch danach umgesehen, als sie erkannte, auf welche Weise Bruder Solin die Todeswunde zugefügt worden war.

Laisre seufzte tief.

»Wir werden danach suchen, Fidelma. Obgleich du wohl schon weißt, daß wir nichts finden werden.«

»Ich weiß nur, daß ich diesen Mord nicht begangen habe.«

Murgal wandte sich an Rudgals Kameraden, denn Rudgal selbst hatte sich wie ein Wächter unmittelbar hinter Fidelma gestellt.

»Such also danach, und wenn du etwas findest, bringe es zu uns in den Ratssaal. Artgal, du hast deine Anweisungen. Führe Orla in den Saal. Rudgal, du bewachst Fidelma von Cashel.«

Mit Laisre an der Spitze und Murgal dahinter machten sie sich auf den Weg über den Hof. Nur wenige Leute waren durch Artgals Alarmruf geweckt worden und hatten sich im Hof versammelt. Sie flüsterten untereinander. Fidelma sah sich suchend nach Eadulf um, aber er war nicht da. Sie erblickte nur den bleichen Bruder Dianach an der Tür des Gästehauses.

Rudgal neigte sich zu Fidelma und flüsterte ihr entschuldigend zu: »Ich hoffe, wir können dieses Rätsel schnell lösen, Schwester. Aber deine Beschuldigung Orlas schafft viel böses Blut. Sie ist in Gleann Geis sehr beliebt.«

Im Ratssaal klatschte Laisre in die Hände, und ein Diener kam herein, entzündete die Öllampen und stocherte in der Asche des grauen Feuers, bis Funken sprühten und er Holz nachlegen konnte.

Laisre saß in seinem Amtssessel und winkte Murgal neben sich. Fidelma ließ er vor ihnen Platz nehmen. Rudgal stellte sich diskret hinter ihren Stuhl.

»Das ist eine sehr schlimme Geschichte, Fidelma«, murmelte Laisre verlegen. »Dabei wollten wir heute vormittag eine Vereinbarung abschließen.«

»Das ist mir völlig klar.« Fidelmas Ton war kühl.

»Vielleicht ist das kein Zufall? Wir wurden schon einmal an einer solchen Besprechung gehindert.«

Bei diesen Worten sah sie Murgal direkt ins Gesicht. Seine Miene verriet Zorn, als er ihre Anspielung begriff.

»Mein Fürst«, sagte er barsch, »als dein Brehon sollte ich von jetzt an die Untersuchung in diesem Fall führen.«

Mit einer Geste gab Laisre zu verstehen, daß er das Murgal überließ. Der Brehon schenkte Fidelma ein fahles Lächeln.

»Im Augenblick steht es nicht gut um deine Sache, Fidelma. Was hast du zu dem zu sagen, was Artgal als dein Motiv angab?«

»Kein theologischer Streit ist es wert, mit einer Gewalttat entschieden zu werden«, erwiderte Fidelma.

»Dennoch ist es nicht unbekannt, daß es unter den Leuten deines Glaubens gewaltsame Auseinandersetzungen über Dinge gibt, die für die meisten Menschen bedeutungslos sind. Wir wissen zum Beispiel, daß viele Kleriker in diesem Land die Autorität Roms bestreiten, und nun hören wir sogar, daß Imleach sich nicht der Autorität von Armagh beugt. Ihr verehrt doch sicher alle denselben Gott?«

Fidelma lächelte dünn.

»Selbst darüber läßt sich streiten.«

»Bruder Solin war völlig davon überzeugt, daß er den wahren Weg zu eurem Gott vertritt und alle anderen in Unwissenheit leben. Ich nehme an, du hältst deinen Weg ebenfalls für den einzig richtigen?«

Fidelma schüttelte den Kopf.

»So unbescheiden wäre ich nicht, Murgal. Es gibt viele Wege zu demselben Ziel. Absolut sicher sein können wir nur in Dingen, die wir nicht wirklich verstanden haben. Ein als sicher erklärter Weg durchs Leben ist das, was sich die meisten Menschen in dieser unklaren und unsicheren Welt wünschen. Aber Sicherheit ist oft eine Illusion. Wir sind geboren, um zu zweifeln. Wer nichts weiß, bezweifelt auch nichts.«

Murgals Miene drückte sein Erstaunen aus.

»Wenn ich bei dir nicht die Symbole des neuen Glaubens erblicken würde, Fidelma von Cashel, könnte ich schwören, du gehörtest zum alten Glauben. Vielleicht trägst du den falschen Mantel?«

»Mein Glaube ist die beste Rüstung, um durchs Leben zu gehen, aber er ist der schlechteste Mantel.«

Es trat Schweigen ein, währenddessen sie versuchten, die Bedeutung ihrer Worte zu ergründen. Es wurde von Stimmen draußen unterbrochen, und dann riß Artgal die Tür auf. Colla kam herein, einen Mantel umgeworfen, als sei er gerade aus dem Bett aufgestanden. Ihm folgte Orla, schlaftrunken und mit zerzausten Haaren. Fidelma war überrascht von Orlas unordentlicher Erscheinung, sie sah aus, als hätte man sie gerade aus einem tiefen Schlaf geweckt. Sie trug ebenfalls einen Mantel über ihrem Nachthemd.

»Was ist los?« wollte Colla wissen. »Wer verlangt unsere Anwesenheit mitten in der Nacht? Was ist geschehen? Im Hof stehen Leute in Gruppen herum und flüstern.«

Fidelma bemerkte, daß Artgal an der Tür zufrieden grinste.

»Hat Artgal euch nicht berichtet, was sich ereignet hat?« fragte Fidelma mißtrauisch.

Colla schüttelte nachdrücklich den Kopf.

»Er hat uns bloß geweckt und gesagt, Laisre möchte uns sofort im Ratssaal sehen.«

Murgal schaltete sich verärgert ein.

»Ich leite hier die Befragung«, verkündete er, »und zwar kraft meines Amtes als Brehon.« Er wandte sich an Orla. »Orla, warst du innerhalb der letzten Stunde im Pferdestall?«

Orlas verblüffte Miene konnte kaum geheuchelt sein. Fidelma bekam ein flaues Gefühl. Sollte sie sich getäuscht haben? Nein, sie war sich sicher.

»Soll das ein Scherz sein, Murgal? Wenn ja, dann ist es ein schlechter.«

»Ich scherze nicht. Wo hast du die vergangene Stunde verbracht?«

»An demselben Ort, zu dem ich nach dem Fest gestern abend zurückgekehrt bin«, antwortete Orla verwirrt. »Im Bett meines Ehemanns. Wir haben uns nicht gerührt, bis Artgal an unsere Tür klopfte.«

Die Frau des Tanist wirkte sehr überzeugend.

»Und Colla wird das zweifellos bestätigen?« Murgal lächelte grimmig.

»Natürlich tue ich das«, fauchte Colla gereizt. »Wir haben uns in den letzten paar Stunden nicht von der Stelle bewegt. Was soll das hier heißen?«

»Ich kann deinen Ärger verstehen, Colla«, erwider-te Murgal. »Aber es kommt noch schlimmer. Der Kleriker aus Armagh, Solin, ist innerhalb dieser letzten Stunde im Pferdestall erstochen worden.«

Colla stieß einen leisen, erstaunten Pfiff aus, und Orlas Miene schien noch verständnisloser zu werden.

»Aber was hat das mit uns zu tun? Warum fragst du, ob ich im Stall war? Ach so!« Mit großen Augen starrte sie Fidelma an. »Ich hatte zu dir gesagt, ich würde das Schwein umbringen! Jetzt denkst du ... Aber das war doch nur eine Redensart. Ich habe es nicht getan.«

Laisre schaltete sich diplomatisch ein.

»Jemand glaubt, dich dort gesehen zu haben.«

»Nun, das war ich nicht«, entgegnete Orla bestimmt.

»Ich kann das bestätigen«, ergänzte Colla.

Murgal schaute Fidelma an.

»Ich glaube nicht, daß es zu etwas führt, diese Sache weiter zu verfolgen, Fidelma. Was meinst du?«

Fidelma wandte sich jedoch an Orla.

»Du erinnerst dich daran, daß du zu mir sagtest, wenn dir Bruder Solin noch einmal begegnete, würdest du ihn umbringen? Das war gestern nachmittag?«

Orla errötete.

»Ja, aber wie ich schon sagte, ich meinte nicht ...«

»Du sagtest, du würdest ihn umbringen«, wiederholte Fidelma nachdrücklich. »Warum das?«

Orla biß sich auf die Lippen und schaute Colla von unten an.

»Er hat mich beleidigt.«

»Auf welche Art?« beharrte Fidelma.

»Er . Er machte mir einen unsittlichen Antrag.«

Colla fuhr zornig auf bei diesem Geständnis seiner Frau.

»Was? Davon hast du mir nichts gesagt.«

Orla schob das beiseite.

»Mit dem geilen Schwein konnte ich allein fertig werden. Ich hab ihn kräftig geohrfeigt. Als ich sagte, ich würde ihn umbringen, wenn ich ihn noch einmal sehe .«

»Da hast du das nicht ernst gemeint?« unterbrach sie Laisre. »Natürlich, das verstehen wir.« Er blickte Fidelma an. »Tatsache ist, daß nun hinreichend belegt ist, wo sich meine Schwester zur Todeszeit von Bruder Solin aufhielt, unabhängig davon, was für eine Meinung sie von ihm hatte.«

Fidelma öffnete den Mund zu einem Einspruch, gab sich aber mit einem Achselzucken geschlagen.

Die Worte Collas und das anscheinend echte Erstaunen in Orlas Miene hatten sie überzeugt, daß kein noch so langes Befragen etwas an ihrer Geschichte ändern würde. Fidelma dachte pragmatisch. Sie wußte, daß es keinen Zweck hatte, auf einen unbeweglichen Gegenstand einzuhämmern, selbst wenn sie eine unwiderstehliche Kraft auf ihrer Seite hätte, und die hatte sie nicht. Sie allein wußte, daß das, was sie an der Stalltür gesehen hatte, eine Tatsache war.

»Ich verfolge diese Angelegenheit im Augenblick nicht weiter. Orla und ihr Mann können wieder schlafen gehen.«

Colla zögerte. Er blickte Murgal und Laisre forschend an. Als er sprach, lag in seinem Ton eine leichte Herausforderung.

»Was geht hier eigentlich vor? Warum beschuldigt Fidelma von Cashel meine Frau dieser Tat, abgesehen von den unüberlegten Worten, die sie geäußert hat?«

Murgal hob besänftigend die Hand.

»Wir wissen noch nicht sicher, wer Solin getötet hat, Colla. Anscheinend hat Fidelma Orla mit einer anderen Person verwechselt. Am besten geht ihr jetzt zu Bett, und wir sprechen morgen früh weiter darüber.«

Widerstrebend führte Colla seine Frau aus dem Raum.

Artgal stand immer noch mit gekreuzten Armen da und grinste Fidelma selbstzufrieden an.

»Ich hatte von Anfang an recht, was?« höhnte er. »Deine List hat nichts bewirkt.«

Diese Haltung des Kriegers schien Murgal zu ärgern.

»Ich würde an deiner Stelle wieder an deine Aufgaben gehen, Artgal. Du kannst Fidelma von Cashel uns überlassen, und denke daran, sie ist immer noch die Schwester des Königs von Cashel. Was sie auch getan haben mag, sie kann Respekt beanspruchen.«

Artgal knirschte mit den Zähnen bei dieser Zurechtweisung, drehte sich aber um und ging.

Murgal sah Fidelma beunruhigt an.

»Artgal ist in mancher Hinsicht primitiv in dem Maße, daß er wenig Achtung vor allem hat, was ihm nicht schaden kann. Cashel und die Macht des Königs sind für ihn eine zu abstrakte Vorstellung. Er respektiert dich erst, wenn er die Macht zu spüren bekommt, die dein Bruder repräsentiert.«

Fidelma zuckte gleichmütig die Achseln.

»Wenn du Anstand besitzt, unterläßt du es, den toten Löwen am Bart zu zupfen.«

»Ein interessanter Gedanke«, erwiderte Murgal. »Stammt das Epigramm von dir?«

»Von Martial, einem lateinischen Dichter. Aber ich erwarte keinen Respekt für das, was meine Vorfahren oder Verwandten sind, sondern nur für das, was ich selbst bin.«

»Dieses Argument würde Artgal kaum beeindruk-ken«, warf Laisre ein. »Im Augenblick bist du jemand, der unter Mordverdacht steht.«

Fidelma fand, sie hätten genug drum herum geredet.

»In einem bin ich sicher, nämlich daß ich Orla am Stall gesehen habe.«

»Das kann nicht sein«, tadelte Laisre sie, »es sei denn, du beschuldigst sowohl Orla als auch Colla zu lügen.«

»Ich kann nur sagen, was ich gesehen habe«, be-harrte Fidelma.

»Orla ist meine Schwester«, erwiderte Laisre ein wenig unglücklich. »Ich kann dir versichern, daß sie nicht zur Lüge neigt. Colla ist mein Tanist, mein gewählter Nachfolger. Beschuldigst du ihn, zum Schutz seiner Frau zu lügen? Wenn das deine ganze Verteidigung ist, dann solltest du noch einmal gründlich nachdenken.«

»Also habt ihr beide entschieden, daß ich schuldig bin, wie Artgal behauptet?«

Murgals Miene wurde mürrisch.

»Du bist eine dalaigh, Fidelma. Du kennst das Verfahren, das wir nun einhalten müssen. Sag mir, was ich sonst aus dem schlußfolgern soll, was ich gehört habe. Wir haben einen Zeugen, nämlich Artgal. Im Gegenzug hast du die Schwester unseres Fürsten beschuldigt. Ihr Ehemann bezeugt, daß sie nicht dort war, wo sie nach deiner Behauptung gewesen sein soll. Und dein einziges Argument besteht darin, sie und ihren Mann als Lügner zu bezeichnen.«

Laisre war rot geworden. Anscheinend war ihm erst jetzt das Beleidigende an Fidelmas Beschuldigung bewußt geworden. Er konnte den Zorn nicht aus seiner Stimme verbannen.

»Ich muß dich warnen, Fidelma von Cashel. Bei allem Respekt vor deinem Rang, wenn du meine Schwester des Mordes und der Lüge bezichtigst, gehst du zu weit.«

»Ich weiß, was ich gesehen habe«, erwiderte Fidelmastörrisch.

»Fidelma von Cashel, ich bin der Fürst meines Volkes. Wir haben keine gemeinsame Religion, aber ein gemeinsames Recht, ein Recht, das viel älter ist als die Zeit, in der man Patrick dem Briten gestattete, in Laog-haires Rat zu sitzen, es zu studieren und zu überarbeiten. Das Recht leitet mich als Fürsten auf dem Weg, den ich gehen muß. Du kennst diesen Weg so gut wie ich. Der Fall liegt nun ganz in der Hand meines Bre-hons Murgal.«

Laisre stand abrupt auf und verließ den Raum.

Fidelma hatte sich ebenfalls erhoben und trat Murgal gegenüber.

»Ich habe Bruder Solin nicht getötet«, beharrte sie.

»Das mußt du beweisen. Wie das Gesetz es vorschreibt, werden wir hier in neun Tagen von heute an zusammentreten, und dann mußt du dich gegen diese Beschuldigung verteidigen. Inzwischen wirst du in unserer Einzelhaftkammer unter Bewachung stehen.«

»Neun Tage?« Fidelma stockte der Atem vor Entsetzen. »Was kann ich denn tun, wenn ich eingesperrt bin?«

»So schreibt es das Gesetz vor, wie du sehr wohl weißt«, sagte Murgal. »In einem Mordfall kann ich nichts anderes machen.«

Fidelma hatte plötzlich eine eisige Vorahnung.

»Wie kann ich meine Unschuld beweisen, wenn ich mich nicht einmal innerhalb des rath bewegen darf?« fragte sie.

»Du mußt einen Brehon finden, der für dich handeln darf, so wie es jeder andere in deiner Lage auch tun muß. Wegen deines Ranges oder deiner Vorrechte können wir keine Ausnahmen machen.«

»Ein Brehon?« fragte Fidelma spöttisch. »Ich nehme an, in Gleann Geis gibt es Anwälte nicht gerade im Überfluß?«

Murgal zog es vor, nicht darauf zu antworten. Er winkte Rudgal, der hinter ihrem Stuhl stand.

»Bringe Fidelma von Cashel in die Einzelhaftkammer. Behandle sie auf jeden Fall mit Respekt und erfülle ihre Wünsche, was Behaglichkeit anbelangt, und verschaffe ihr Zugang zu allem, was ihr bei ihrer Verteidigung hilfreich sein kann - das heißt, in vernünftigen Grenzen.«

Rudgal trat vor und berührte sie am Ellbogen. Er schaute sie einen Moment mitfühlend an, dann richtete er den Blick auf einen Punkt über ihrem Kopf.

»Komm mit, Schwester Fidelma«, sagte er leise.

Fidelma sah Murgal noch einmal an, doch der strenge Druide hatte sich abgewandt und betrachtete, die Hände auf dem Rücken, eingehend die Flammen in dem eisernen Feuerkorb, der den Raum heizte. Jegliche Bitte würde bei Murgal, dem Brehon von Gleann Geis, auf keinerlei Mitgefühl stoßen.

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