Kapitel 4

Sie waren kaum eine Meile weit durch das Tal geritten, da hörten sie den Hufschlag nahender Pferde. Unmittelbar vor ihnen lag der Eingang in eine Schlucht, die sich zwischen zwei Granitbergen erstreckte und in der der Weg, den sie nehmen wollten, verschwand. Aus dieser Richtung kamen die deutlich vernehmbaren Geräusche der Reiter.

Eadulf litt noch unter dem Entsetzen des Anblicks von vorhin und sah sich sofort nach einer Deckung um. Es gab keine.

Fidelma parierte ihr Pferd und wartete, locker im Sattel sitzend, auf das Erscheinen der Reiter. Sie befahl ihm kurz, sich genauso zu verhalten.

Gleich darauf stürmte eine Schar von ungefähr zwanzig Kriegern aus der Schlucht heraus auf die Ebene gerade vor ihnen. Ihre Anführerin, eine schlanke Gestalt, erblickte sie sofort und preschte ohne Zögern an der Spitze der Kolonne in scharfem Tempo dicht an sie heran. Dann parierten alle wie auf ein unsichtbares Zeichen hin ihre Pferde, und die kamen, schnaubend und einige ärgerlich wiehernd, in einer Wolke von Staub zum Stehen.

Fidelma musterte die Reiterin mit zusammengekniffenen Augen. Es war eine schmächtig gebaute Frau von etwa dreißig Jahren. Dunkles, fast schwarzes Haar fiel ihr in dichten Locken auf die Schultern, von einem schmalen geflochtenen Silberreif um die Stirn gehalten. Sie trug einen Mantel, eine lange Scheide mit einem gut gearbeiteten Schwert und an der rechten Seite einen reich verzierten Dolch. Ihr Gesicht war leicht gerundet, fast herzförmig und nicht unschön. Der Mund war voll und rot, der Teint blaß, die Augen waren dunkel. Sie blitzten herausfordernd.

»Fremde!« Ihre Stimme war rauh und paßte nicht zu ihrer Erscheinung. »Und noch dazu Christen. Das sehe ich an eurer Kleidung. Ich sage euch, ihr seid in diesem Lande nicht willkommen!«

Fidelmas Mund wurde schmal bei dieser unhöflichen Begrüßung.

»Der König dieses Landes wäre nicht erfreut, wenn er hörte, ich wäre hier nicht willkommen«, erwiderte sie sanft.

Nur Eadulf spürte den unterdrückten Zorn in ihrem ruhigen Ton.

Die dunkelhaarige Frau zog leicht die Brauen zusammen.

»Das glaube ich nicht, Frau des Gottes Christus. Du sprichst mit seiner Schwester.«

Fidelma machte ein spöttisch zweifelndes Gesicht.

»Du behauptest, du wärst die Schwester des Königs dieses Landes?« fragte sie ungläubig.

»Ich bin Orla, die Schwester von Laisre, der über dieses Land herrscht.«

»Ach so.« Fidelma begriff, daß die Frau den Titel König anders interpretiert hatte. »Ich spreche nicht von Laisre, dem Fürsten von Gleann Geis; ich spreche vom König von Cashel, vor dem Laisre niederknien muß.«

»Cashel ist weit von hier«, gab die Frau verärgert zurück.

»Aber Cashel reicht weit, und es übt Gerechtigkeit bis in alle Enden des Königreichs.«

Fidelma sprach mit einer ruhigen Festigkeit, die Orla stutzig machte. Sie war es anscheinend nicht gewohnt, daß ihr jemand mit Zuversicht und auf gleicher Rangstufe entgegentrat.

»Wer bist du, Frau, daß du so unbesorgt in Laisres Land reitest?« Ihre dunklen Augen funkelten Eadulf böse an, der gelassen im Sattel saß. »Und wer bist du, daß du es wagst, einen fremden Geistlichen in dieses Land zu bringen?«

Ein stämmiger Krieger schob sein Pferd aus der Kolonne nach vorn. Er war ein häßlicher Kerl mit einem buschigen schwarzen Bart und der Narbe einer alten Wunde über einem Auge.

»Lady, du brauchst diese Leute, die die weibische Kleidung ihrer fremden Religion tragen, nicht weiter zu fragen. Sie sollen verschwinden, oder ich mache ihnen Beine.«

Orla warf dem Krieger einen zornigen Blick zu.

»Wenn ich deinen Rat brauche, Artgal, dann frage ich dich danach.« Nach dieser Abfuhr wandte sie sich wieder Fidelma zu. Ihre feindselige Miene hatte sich nicht verändert. »Sprich, Frau, und erkläre mir, wer es wagt, die Schwester des Fürsten von Gleann Geis über die Pflichten ihres Bruders zu belehren.«

»Ich bin Fidelma ... Fidelma von Cashel.«

Absichtlich oder zufällig machte Fidelma eine Bewegung im Sattel, durch die die in den Falten ihres Gewandes verborgene Goldene Kette herausglitt und im Sonnenlicht glitzerte. Orlas dunkle Augen weiteten sich, als sie sie erkannte.

»Fidelma von Cashel?« wiederholte Orla zögernd. »Fidelma, die Schwester von Colgü, dem König von Muman?«

Fidelma gab keine Antwort, in der Annahme, daß Orla sie ohnehin wüßte.

»Dein Bruder Laisre erwartet mich als Abgesandte von Cashel«, fuhr sie fort, als sei ihr die Reaktion auf ihre Worte gleichgültig. Sie langte in ihre Satteltasche und nahm den weißen Stab mit dem goldenen Hirsch darauf heraus, das Zeichen ihrer Gesandtschaft vom König von Cashel.

Es trat eine Pause ein, in der Orla ihn wie gebannt anstarrte.

»Nimmst du den weißen Stab an oder wählst du das Schwert?« fragte Fidelma mit dem Anflug eines Lächelns. Abgesandte, die in ein feindliches Land kamen, wiesen entweder den Stab oder das Schwert vor als symbolische Verkündigung von Frieden oder Krieg.

»Mein Bruder erwartet einen Vertreter aus Cashel«, gab Orla langsam zu und blickte vom Stab auf und Fidelma unsicher ins Gesicht. In ihrem Ton schwang widerwilliger Respekt mit. »Aber es sollte ein Vertreter sein, der die Vollmacht besäße, mit Laisre über kirchliche Fragen zu verhandeln. Jemand mit der Vollmacht .«

Fidelma unterdrückte einen Seufzer der Ungeduld.

»Ich bin Anwältin bei den Gerichten der Brehons und besitze den Grad eines anruth. Ich bin der Vertreter, den er erwartet, und ich spreche für meinen Bruder Colgü, seinen König.«

Orla vermochte ihre Überraschung nicht zu verbergen. Der Grad eines anruth war der zweithöchste, den die kirchlichen und weltlichen Hochschulen Irlands zu vergeben hatten. Fidelma konnte mit Königen verkehren, sogar mit dem Großkönig, von kleinen Fürsten ganz zu schweigen.

Die Dunkelhaarige schluckte schwer und war spürbar beeindruckt, doch ihre Miene blieb hart und unfreundlich.

»Im Namen von Laisre von Gleann Geis heiße ich dich willkommen, techtaire.« Eadulf brauchte einen Augenblick, um das alte Wort für Gesandter zu verstehen. Orla fuhr fort: »Doch dir als einer Vertreterin der neuen Religion von Christus sage ich, du bist hier nicht willkommen. Der Fremde, den du mitbringst, ist es auch nicht.«

Fidelma beugte sich vor und fragte klar und deutlich: »Soll das eine Drohung sein? Sind die geheiligten Gesetze der Gastfreundschaft im Lande Laisres abgeschafft? Nimmst du das Schwert anstatt dieses Zeichens hier?«

Sie erhob den weißen Stab und hielt ihn Orla fast kampfbereit entgegen. Die Sonne glänzte hell auf der goldenen Figur des Hirsches.

Orlas Wangen röteten sich, und sie hob trotzig das Kinn.

»Ich bedrohe dein Leben nicht. Nicht einmal sein Leben.« Sie wies mit einer Kopfbewegung auf Eadulf. »Dir wird nichts geschehen und dem Fremden auch nicht, solange er unter deinem Schutz steht. Wir sind keine Barbaren hier in Gleann Geis. Gesandte gelten nach dem Gesetz als geheiligt und unantastbar und werden mit äußerstem Respekt behandelt, auch wenn sie unsere bittersten Feinde sind.«

Eadulf machte eine unsichere Bewegung, denn hinter ihren Worten lauerte eine tödliche Drohung.

»Das ist gut zu wissen, Orla«, antwortete Fidelma ruhig, entspannte sich und steckte den Stab wieder in ihre Satteltasche. »Ich habe nämlich gesehen, was mit Leuten geschieht, denen solcher Schutz vor dem Tod nicht gewährt wird.«

Eadulf sank der Kiefer herab, und Angst überfiel ihn. Wenn Orla und ihre Krieger am Tod der jungen Männer da hinten im Tal schuld waren, dann brachte Fidelma mit dem Eingeständnis, daß sie davon wußten, ihr Leben in beträchtliche Gefahr. Er hatte gedacht, sie würde vorsichtiger mit diesem grauenvollen Fund umgehen. Da vernahm er plötzlich das ferne Krächzen der Vögel und schaute sich furchtsam um. Es war offenkundig, daß im fernen Teil des Tals, in dem die Leichen lagen, sich etwas Ungewöhnliches abspielte, und die Krieger von Orlas Leibwache mußten die Aasfresser ohnehin schon erkannt haben.

Doch Orla schaute Fidelma etwas verblüfft an. Sie hatte die kreisende Wolke ferner Raben anscheinend noch nicht bemerkt.

»Ich weiß nicht, was du damit meinst.«

Fidelma deutete mit dem Arm lässig über das Tal.

»Siehst du dort die schwarzen Todesvögel? Sie fressen an Leichen.«

»Leichen?« Orla fuhr auf und erblickte die Vögel wohl zum erstenmal.

»Dreiunddreißig junge Männer, die den Dreifachen Tod gestorben sind.«

Orla biß plötzlich die Zähne zusammen; sie war bleich und zwang sich, Fidelma anzuschauen. Sie brauchte einen Moment, um eine Antwort zu finden.

»Soll das ein Scherz sein?« fragte sie kühl.

»Ich scherze nicht.«

Orla wandte sich an den schwarzbärtigen Krieger, den sie vorher wegen seiner Einmischung getadelt hatte.

»Artgal, nimm die Hälfte unserer Männer und sieh nach, was diese üble Versammlung zu bedeuten hat.«

Artgals finstere Miene verriet sein Mißtrauen.

»Es könnte eine Hinterlist der Christen sein, Lady.«

Die Augen der Frau blitzten zornig auf.

»Tu, was ich dir sage!« Die Worte trafen wie ein Peitschenhieb.

Ohne ein weiteres Wort winkte Artgal einem Teil der Krieger, ihm zu folgen, und ritt los in die Richtung der kreisenden und niederstoßenden Vögel.

»Den Dreifachen Tod, behauptest du?« fragte die Frau fast flüsternd, als sie fort waren. »Bist du sicher, daß das die Todesart war, Fidelma von Cashel?«

»Ich bin sicher. Und Artgal wird bei seiner Rückkehr bestätigen, was ich gesagt habe.«

»Die Schuld dafür kann man nicht den Leuten Lais-res geben«, verwahrte sich die Frau. Ihr Gesicht zeigte einen merkwürdigen Ausdruck, als kämpfe sie mit der Furcht. »Wir wissen nichts von dieser Sache.«

»Wie kannst du so sicher sein und für alle Leute Laisres sprechen?« fragte Fidelma harmlos.

»Da bin ich sicher. Ich spreche nicht nur für meinen Bruder, sondern auch als Ehefrau seines Tanist, seines erwählten Nachfolgers, Colla. Du kannst dich auf mein Wort verlassen.«

»Eine schlimme Tat ist in diesem Tal begangen worden, Orla. Mein Eid verpflichtet mich dazu, festzustellen, welche Ursache sie hatte und wer daran die Schuld trägt. Das werde ich auch tun.«

»Aber die Antwort darauf wirst du nicht in Gleann Geis finden«, erwiderte Orla mürrisch.

»Doch nach Gleann Geis müssen wir jetzt«, erklärte Fidelma mit Bestimmtheit. »Je eher wir dorthin kommen, desto besser. Also werden mein Gefährte und ich dich hier verlassen, während du auf die Rückkehr deiner Männer wartest, und weiterreiten.« Sie sah Eadulf an und gab ihm ein knappes Zeichen, ihr zu folgen, dann trieb sie ohne ein weiteres Wort ihr Pferd an und ritt an Orla und den restlichen Kriegern vorbei. Eadulf schloß sich ihr fast ohne Zögern an. Die Krieger starrten verblüfft Orla an, die aber nichts tat, um die beiden zu hindern.

Zuversichtlich ritt Fidelma im Schritt in die Schlucht hinein, in der der Boden steinig wurde. Er wurde vom Bett eines Flusses gebildet, der vor langer Zeit ausgetrocknet sein mußte, vielleicht vor Jahrhunderten. Die Schlucht wand sich hin und her zwischen steilen, über dreißig Meter hohen Granitwänden, die beinahe alles Licht nahmen. Sie gerieten sogleich in ein Halbdunkel. An ihrem Anfang war die Schlucht etwa zehn Meter breit, dann verengte sie sich so, daß zwei Pferde gerade noch nebeneinander Platz fanden.

Erst nachdem sie ein ganzes Stück zurückgelegt hatten, brach Eadulf das Schweigen.

»Meinst du .?« setzte er an, hielt aber sofort inne, als das Echo seiner Stimme von den Wänden der engen Schlucht zurückschallte. Dann sprach er leise weiter, doch selbst dieses Flüstern hörte sich noch wie ein Grabesecho an. »Meinst du, daß diese Orla und ihre Krieger die jungen Männer getötet haben?«

Fidelma zuckte die Achseln, antwortete jedoch nicht. Ihre Miene blieb starr und ernst.

»Die Überraschung in Orlas Gesicht wirkte echt«, fuhr Eadulf hartnäckig fort.

»Trotzdem, wäre ich nicht die, die ich bin, hätten wir unsere Reise wohl kaum fortgesetzt. Orla und ihre Krieger haben für Leute unseres Glaubens wenig übrig.«

Eadulf erschauerte, hob die Hand, um sich zu bekreuzigen, und ließ sie wieder sinken. Eine Handlung aus Gewohnheit verlor ihre Bedeutung.

»Ich wußte nicht, daß in diesem Land noch solche heidnischen Gebiete existieren. Hier gibt es viel Anlaß zur Furcht.«

»Furcht ist selbstzerstörerisch, Eadulf. Und du solltest nicht jemanden fürchten, nur weil er deinen Glauben nicht teilt«, tadelte ihn Fidelma.

»Wenn sie bereit sind, das Schwert gegen die zu gebrauchen, deren Glaube nicht der ihrige ist, dann sind sie doch zu fürchten«, entgegnete Eadulf beinahe heftig. »Wir haben da hinten im Tal zweifellos ein bizarres rituelles Opfer gesehen, das diese Heiden dargebracht haben. Ich fürchte für unsere Sicherheit.«

»Furcht ist nicht nötig, Vorsicht allerdings schon. Weißt du noch, was Äschylos sagte? Übermäßige Furcht macht die Menschen unfähig zu handeln. Also befreie dich von aller Furcht und sei wachsam und vorsichtig, auf diese Weise werden wir die Wahrheit entdecken.«

Eadulf schnaufte abfällig.

»Vielleicht bietet die Furcht auch Schutz«, wandte er ein, »denn die Furcht macht uns vorsichtig.«

»Die Furcht bewirkt niemals etwas Vernünftiges. Ich zitiere dir einen Ausspruch von Publilius Syrus: Was wir befürchten, tritt viel schneller ein, als was wir erhoffen. Wenn du dich hier fürchtest, erzeugt deine Furcht das Unnennbare, was du fürchtest. Du hast nichts zu fürchten als die Furcht selbst. Hier gibt es nichts zu fürchten als die bösen Taten von Männern und Frauen, und wir haben uns früher schon bösen Männern und Frauen entgegengestellt und sind siegreich geblieben. So wollen wir es auch jetzt halten.«

Sie brach ab und neigte den Kopf zur Seite.

Sie vernahmen das Geräusch eines Pferdes, das sich hinter ihnen schnell durch die Schlucht bewegte.

»Sie kommen uns nach«, zischte Eadulf und drehte sich im Sattel um. Doch die Schlucht wand sich so stark hin und her, daß man einen Reiter erst sehen konnte, wenn er dicht heran war.

Fidelma schüttelte den Kopf.

»Sie? Da siehst du, wie Furcht das Urteilsvermögen trübt. Es ist nur ein Pferd, das uns nachkommt, und das gehört zweifellos Orla.«

Eadulf hatte gerade den Mund zur Antwort geöffnet, als die Dunkelhaarige plötzlich um eine Felsecke bog, sie erblickte und ihr Pferd parierte.

»Ich konnte euch nicht ohne ein schickliches Geleit nach Gleann Geis reiten lassen. Ich habe es meinen Männern überlassen, dieses ...« Sie zögerte und machte eine Handbewegung, die den schrecklichen Kreis der Leichen hinter ihnen beschreiben sollte. »Artgal wird über alles berichten, was er findet und was zur Aufklärung dieses Massakers beitragen kann. Ich begleite euch zum rath meines Bruders.«

Fidelma neigte dankend den Kopf.

»Wir wissen deine Höflichkeit zu schätzen, Orla.«

Die Dunkelhaarige lenkte ihr Pferd an die Spitze, und sie ritten im Schritt weiter.

Fidelma begann eine Unterhaltung.

»Habe ich richtig verstanden, daß du nicht der Meinung deines Bruders Laisre bist, daß der Glaube in diesem Land anerkannt werden sollte?«

Orla lächelte säuerlich.

»Mein Bruder hat sich damit abgefunden, daß das Wort eures Glaubens in den fünf Königreichen stark geworden ist. Es gibt kaum noch ein Kleinkönigreich oder einen Fürsten, der die Botschaft dieses fremden Gottes in Zweifel zieht. Laisre ist unser Fürst, aber wir sind vielleicht nicht alle mit seiner Haltung einverstanden.«

Eadulf wollte etwas sagen, ging aber zu einem Hüsteln über, als er Fidelmas warnenden Blick auffing.

»Ach ja? Ihr meint also, Christus sei ein fremder Gott und nicht der eine Gott der ganzen Welt?« erkundigte sich Fidelma verwundert.

»Wir haben seit dem Anfang aller Zeiten unsere eigenen Götter gehabt, die uns geholfen haben. Warum sollen wir sie jetzt aufgeben, zumal für einen Gott, der in dieses Land kam auf den Zungen der Römer und römischer Sklaven, die uns im Krieg nie besiegen konnten, aber uns jetzt mit ihrem Gott erobern?«

»Das ist eine eigenwillige Art, die Dinge zu betrachten«, meinte Fidelma. »Doch ihr vergeßt, daß unsere Leute zwar einen Gott aus dem Osten als den universalen Gott angenommen haben, daß wir ihn aber auf unsere Art verehren, nicht in der Art, die uns Rom vorschreibt.«

Orla verzog spöttisch den Mund.

»Das ist nicht das, was ich höre. Es gibt zwar welche eures Glaubens, die, wie du richtig sagst, die Befehle aus Rom nicht befolgen, aber viele andere tun es doch. Wie Ultan von Armagh zum Beispiel, der behauptet, er besitze die geistliche Oberhoheit in allen fünf Königreichen. Er schickt seine Vertreter in alle Ecken des Landes und fordert Gehorsam.«

Fidelmas Stirnrunzeln verschwand so schnell, daß es kaum bemerkt wurde.

»Sind solche Abgesandten Ultans auch zu euch gekommen?«

»Ja«, gestand Orla freimütig. »Von Ultan, der sich Comarb, Nachfolger Patricks nennt, der damals den Glauben an Christus in dieses Land brachte. Ultan behauptet auch, daß alle Abgaben des neuen Glaubens ihm zustehen.«

Fidelma fühlte sich gedrängt, darauf hinzuweisen, daß die Chronisten von Imleach Patricks Anspruch, er habe als erster den Glauben nach Eireann und insbesondere nach Muman gebracht, bezweifelten. War Muman nicht von dem heiligen Ailbe, dem Sohn von Olcnais, bekehrt worden, der im Hause eines Königs diente? Hatte Ailbe nicht Patrick unterstützt und ermutigt? Hatten nicht Patrick und Ailbe gemeinsam Oengus Mac Nad Froich, den König von Cashel, zum Glauben bekehrt? Und Patrick hatte zugestimmt, daß die Königsstadt Cashel der Sitz von Ailbes Kirche in

Muman werden sollte. All das lag ihr auf der Zunge, doch sie schwieg. Man konnte viel erfahren, indem man nichts sagte.

»Ich habe nichts für euren Glauben übrig und auch nicht für die, die ihn vertreten«, erklärte Orla offen. »Euer Patrick hat die Menschen durch Furcht bekehrt.«

»Wie das?« fragte Fidelma betont ruhig.

Orla schob das Kinn vor, um ihre Worte zu unterstreichen.

»Wir mögen in einem entlegenen Winkel der Welt leben, aber wir haben Barden und Chronisten, die aufgezeichnet haben, wie euer Glaube verbreitet wurde. Wir wissen, daß Patrick nach Tara ging und den Druiden Luchet Mael auf einem Scheiterhaufen verbrennen ließ, und als der Großkönig Laoghaire dagegen protestierte, verursachte Patrick noch den Tod anderer, die sich weigerten, den neuen Glauben anzunehmen. Selbst dem Großkönig Laoghaire wurde gesagt, er werde auf der Stelle sterben, wenn er sich nicht zum neuen Glauben bekenne. Hat nicht Laoghaire seine Ratgeber zusammengerufen und ihnen erklärt: >Es ist besser für mich, zu glauben statt zu sterben.< Ist das die richtige Art, Menschen zu einem Glauben zu führen?«

»Falls das, was du sagst, der Wahrheit entspricht, dann ist es nicht die richtige Art«, stimmte ihr Fidelmazu, wobei sie das »falls« leicht betonte.

»Lügen denn Männer deines Glaubens, Fidelma von Cashel?« höhnte die Frau. »Ultan von Armagh schickte meinem Bruder als Geschenk ein Buch, eine Lebensbeschreibung Patricks, geschrieben von einem, der ihn kannte, mit Namen Muirchü, und darin sind diese Wahrheiten enthalten. Nicht nur das, sondern es heißt darin auch, daß Patrick zu der Burg Miliucc von Slemish reiste, wo er gewohnt hatte, bevor er davonlief nach Gallien und sich dem neuen Glauben zuwandte. Als der Fürst der Burg hörte, daß Patrick sich näherte, geriet er in solche Furcht vor ihm, daß er seine Wertsachen und seine Familie, seine Frau und seine Kinder, nahm, sich mit ihnen in seinem rath einschloß und ihn in Brand setzte. Wie konnte ein Mensch bei einem anderen solche Furcht auslösen, daß er seinem Leben ein so schreckliches Ende setzte? Leugnest du, daß es so verzeichnet steht?«

Fidelma seufzte leise.

»Ich weiß, daß es so verzeichnet steht«, gab sie zu.

»Und wie es niedergeschrieben ist, so ist es geschehen?«

»Wir haben gelernt, den Worten von Muirchü zu trauen, doch es war die Entscheidung des Fürsten, lieber sein Leben zu beenden als zu glauben und dem ewigen Gott zu dienen.«

»Nach den alten Gesetzen haben wir gelernt, daß das, was wir glauben, allein eine Sache unseres Gewissens ist. Wir können wählen, was wir glauben wollen, solange wir nicht andere dadurch schädigen. Euer Patrick bekehrte die fünf Königreiche durch eine einfache Wahl: Glaube oder stirb von meiner Hand.«

»Von der Hand Gottes!« fauchte Eadulf, der nicht länger schweigen konnte.

Erstaunt drehte sich Orla im Sattel um.

»Nanu? Der Fremde spricht unsere Sprache. Ich dachte schon, du würdest sie nicht beherrschen oder du wärst stumm. Aus welchem Land kommst du denn?«

»Ich bin Eadulf von Seaxmund’s Ham im Lande des Südvolks.«

»Und wo ist das?«

»Es ist eins der angelsächsischen Königreiche«, erklärte Fidelma.

»Ach so. Von den Angelsachsen habe ich schon gehört. Du sprichst unsere Sprache aber gut.«

»Ich habe mehrere Jahre in diesem Lande studiert.«

»Bruder Eadulf steht unter dem Schutz der Gastfreundschaft meines Bruders Colgü von Cashel«, warf Fidelma ein. »Er ist Gesandter des Erzbischofs von Canterbury im Lande der Angelsachsen.«

»Aha. Und der gute Bruder bezweifelt, daß ich Mu-irchüs Lebensbeschreibung von Patrick richtig verstehe?«

»Manche Dinge darf man nicht so wörtlich nehmen«, meinte sich Eadulf verteidigen zu müssen.

»Dann ist das Buch also nicht wahr?«

Fidelma stöhnte leise, während Eadulf vor Zorn errötete.

»Es ist wahr, aber .«

»Wie kann es denn wahr und doch nicht wörtlich zu nehmen sein?« fragte Orla mit eisigem Lächeln. »Dann muß hier wohl Zauberei im Spiel sein?«

»Manche Dinge sind symbolisch zu verstehen, sie vermitteln Auffassungen in Form einer Legende.«

»Also wurde keiner der Leute, die Patrick umgebracht haben soll, tatsächlich getötet?«

»Das meine ich nicht ...«

Fidelma unterbrach sie.

»Wir kommen ans Ende der Schlucht«, verkündete sie erleichtert, als sie ein breites Tal vor ihnen erblickte. »Ist das Gleann Geis?«

»Es ist das Verbotene Tal«, bestätigte Orla, wandte sich von Eadulf ab und schaute zu der Felskante über ihnen empor. Plötzlich stieß sie einen schrillen Pfiff wie einen Vogelruf aus. Sofort antwortete darauf ein tieferer Pfiff. Hoch über ihnen tauchte die Gestalt eines Wachpostens auf und sah zu ihnen hinunter. Da wurde es Fidelma klar, daß der Zugang zu Gleann Geis gut gesichert war, denn niemand konnte hinein oder heraus ohne Erlaubnis derer, die diesen engen Paß kontrollierten.

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