Kapitel 5

Gleann Geis bot einen prachtvollen Anblick. Den Talboden bildete eine Ebene, die von einem mittelgroßen, behäbigen Fluß durchzogen wurde. Er entwickelte sich offensichtlich am anderen Ende aus einem wilden Bergbach, der über unglaubliche Höhen in Wasserfällen herabstürzte. Dann nahm er seinen Lauf zu einer anderen Felsspalte, die der ausgetrockneten Schlucht ähnelte, durch die sie hereingekommen waren. Durch eine Lücke in der Granitwand verließ er das Tal. Den Talboden bedeckten weithin Kornfelder, sich gelb färbende Vierecke mit Hafer und Weizen, und dazwischen Weideland, auf dem sich die Rinderherden braun, weiß und schwarz von dem grünen Teppich abhoben. Zwischen ihnen waren kleine weiße Herden von Schafen und Ziegen auszumachen.

Eadulf erkannte sofort, daß vor ihnen ein fruchtbares Tal lag, reich an Weideland und Äckern. Es war von einer natürlichen Befestigung umgeben. Die Berge ringsum erhoben sich zu ihrer erhabenen, unüber-steigbaren Höhe, die das Tal vor den Winden schützte. Er konnte Gebäude erspähen, die sich an die Flanken der Berge zu klammern schienen. Die meisten waren anscheinend auf kleinen Terrassen erbaut. Die gleichen blaugrauen Granitblöcke, die die Mauern der Gebäude bildeten, waren auch zur Anlage der Terrassen verwendet worden.

Man brauchte sich nicht zu fragen, welches unter den vielen Gebäuden im Tal der rath von Laisre war. Am oberen Ende des Tals standen in vornehmer Abgeschiedenheit auf einem einzigen runden Berg die Mauern eines großen rath oder einer Burg, die sich den Konturen des Berges anpaßten. Eadulf war sich nicht sicher, ob der Berg - oder besser gesagt der Hügel, denn nach seiner Schätzung ragte er weniger als dreißig Meter über den Talboden auf - eine natürliche Erhebung war oder nicht. Eadulf wußte, daß manche der Erhöhungen, auf denen solche Burgen erbaut wurden, von Menschen geschaffen worden waren, und er fragte sich, welch ein unglaublicher Aufwand an Zeit und Arbeit in früheren Zeiten dafür erforderlich war. Diese Burg war zu weit entfernt, als daß er Einzelheiten erkennen konnte, doch er wußte, daß ihre Mauern mindestens sechs Meter hoch sein mußten.

Ja, dieses Tal bot ein eindrucksvolles Bild, doch trotz seiner Weite und Länge wurde Eadulf von einer überwältigenden Klaustrophobie gepackt, als er zu den Bergen ringsum aufblickte. Er hatte das Gefühl, eingeschlossen, eingesperrt zu sein. Er schaute Fidelmaan und sah, daß auch sie die atemberaubende Landschaft eingehend betrachtet hatte. Ihre Miene zeigte denselben Respekt.

Orla hatte ihre Gesichter bei dieser Umschau mit einem leicht spöttischen Lächeln der Befriedigung beobachtet.

»Jetzt werdet ihr verstehen, warum dies das Verbotene Tal heißt«, bemerkte sie.

Fidelma sah sie ernst an.

»Unzugänglich - ja«, antwortete sie, »doch weshalb verboten?«

»Die Barden unseres Volkes singen von der Vorzeit. Es soll in jenen Tagen gewesen sein, als Oillil Olum als Richter in Cashel herrschte und wir außerhalb dieses Bereichs wohnten. Wir lebten im Schatten eines mächtigen Lords der Fomorii, der mit seiner Habgier und seiner Wollust unser Land und unser Volk verheerte. Schließlich beschloß unser Fürst, mit unserem Volk aus dem Machtbereich des Tyrannen der Fomorii fortzuziehen und sich ein neues Land als Wohnsitz zu suchen. So kamen wir schließlich hierher. Wie ihr seht, fanden wir hier einen natürlichen Schutz vor unseren Feinden. Es gibt nur einen Weg hinein in dieses Tal und denselben Weg hinaus .«

»Außer den Fluß«, warf Eadulf ein.

Die Frau lachte.

»Nur wenn du ein Lachs bist, kannst du auf diesem Weg in das Tal gelangen. Der Fluß bricht durch den Felsen und stürzt über viele Schnellen und Wasserfälle. Da kommt kein Boot hinauf oder hinunter. Nein, dies ist eine natürliche Festung, und es darf nur hinein, wen wir einladen. Für die, die wir nicht in Freundschaft begrüßen wollen, bleibt es das Verbotene Tal. Ein paar tüchtige Krieger können die Schlucht sperren, wie ihr gesehen habt.«

»Ich habe auch gesehen, daß ihr sehr viele Krieger besitzt, ungewöhnlich viele für so einen kleinen Clan«, meinte Fidelma.

Orla wies das zurück.

»Es sind keine Berufskrieger, wie ihr sie in Cashel habt. Dafür ist unser Clan zu klein. Jeder unserer Krieger hat noch andere Aufgaben zu erfüllen. Artgal zum Beispiel ist Schmied und hat außerdem einen kleinen Bauernhof. Jeder Mann tut abwechselnd Dienst, um unsere Sicherheit vor möglichen Feinden zu gewährleisten. Doch meist sind wir von der Hand der Natur geschützt.«

»Ein abgeschiedenes Dasein.« Eadulf seufzte. »Wie viele Menschen leben hier unter Laisres Herrschaft?«

»Fünfhundert«, gestand Orla.

»Wenn ihr hier schon seit Generationen lebt, muß das nicht euer Wachstum als Volk begrenzen?«

Orla versuchte vergeblich, Eadulfs umständlich umschriebene Frage zu verstehen.

»Was mein Bruder in Christo meint«, schaltete sich Fidelma ein, die wußte, worauf er hinauswollte, »bezieht sich auf den Inzest.«

Orla sah überrascht drein.

»Aber Inzest ist durch das Gesetz verboten.«

»Doch in einer kleinen Gemeinschaft, die seit Jahren in diesem abgeschlossenen Tal wohnt ...«, erklärte Eadulf.

Jetzt begriff Orla und schaute ihn mißbilligend an.

»Das Cdin Ldnamna legt fest, daß es nur neun Arten von Heiraten geben darf, und daran halten wir uns. Wir sind nicht so primitiv, wie du uns hinstellst, Angelsachse. Unsere Barden führen sorgfältige Geschlechtsregister, und wir bedienen uns eines Heiratsvermittlers, der für uns auf Reisen geht.«

»Wer spricht Recht bei euch?« fragte Fidelma interessiert.

»Murgal, der Druide meines Bruders. Er ist unser Brehon und zugleich unser geistlicher Ratgeber. Sein Ruf hat nicht seinesgleichen in diesem Teil des Landes. Ihr werdet ihn bald kennenlernen, denn er wird für Laisre die Verhandlung führen. Doch wir verlieren Zeit, laßt uns weiterreiten zum rath meines Bruders.«

Fidelma sah die Frau verstohlen an. Sie empfand Achtung vor Orlas festem Sinn und ihrer natürlichen Autorität, wenn sie auch mit ihren Auffassungen nicht übereinstimmte.

Ihr Weg führte von der Schlucht leicht abwärts auf ein Feld mit verstreuten Felsbrocken zu. In ihrer Mitte erhob sich am Wege eine mächtige gemeißelte männliche Figur in fast dreifacher Lebensgröße. Sie saß mit gekreuzten Beinen da, ein Bein etwas unter den Körper gezogen. Auf dem Kopf trug sie ein ausladendes Geweih, um den Hals den Goldreif eines Helden. Die Arme waren so weit erhoben, daß die Hände sich in Schulterhöhe befanden. Die linke Hand hielt einen zweiten Reif, die rechte Hand hatte eine lange Schlange dicht hinter dem Kopf erfaßt.

Eadulf fielen beinahe die Augen aus dem Kopf, als er das große heidnische Idol erblickte.

»Soli Deo gloria!« keuchte er. »Was ist denn das?«

Fidelma blieb ungerührt.

»Das ist Lugh Lamhfada - Lugh mit der Langen Hand -, der in alten Zeiten verehrt wurde .«

»Und hier weiter verehrt wird«, ergänzte Orla finster.

»Eine böse Erscheinung«, brummte Eadulf.

»Keineswegs«, erwiderte Orla scharf. »Er ist der Gott des Lichts und der Gelehrsamkeit, berühmt für sein glänzendes Antlitz, der Gott aller Künste und Handwerke, der Vater des Helden Cüchulainn von der sterblichen Frau Dechtire. Ihn feiern wir beim Fest Lughnasadh, das im nächsten Monat abgehalten wird, wenn wir die Ernte einbringen.«

Eadulf bekreuzigte sich rasch, als sie die unbewegliche Steinfigur passierten, deren graue steinerne Augen sie gleichmütig anstarrten.

Sie ritten schweigend das Tal entlang auf den rath zu. Eadulf fand seinen ersten Eindruck bestätigt, daß es eine reiche Enklave war. Die Berge schützten das Tal vor den Winden, fingen aber zugleich die Regenwolken ab, die es fruchtbar machten. Hier und da hatten die schweren Regenfälle über die Jahrtausende hinweg kleine sumpfige Flächen gebildet, doch im ganzen war es ein ertragreiches Land für Obstbäume wie für Ackerbau. Schafe, Ziegen und Rinder grasten an den Hängen.

Ab und zu starrten Leute sie an, an denen sie vorüberkamen; manche begrüßten Orla mit einer Vertraulichkeit, die sie erwiderte. Fidelma hatte den Eindruck, daß hier trotz der Verschiedenheit in der Religion ein zufriedenes und selbstgenügsames Volk lebte. Das verblüffte sie, denn es paßte nicht zu dem schrecklichen Bild, das sich ihren Augen draußen vor diesem Tal dargeboten hatte.

Als sie sich den grauen Granitmauern des rath näherten, sah Fidelma, daß es sich nicht um eine zur Zierde errichtete Burg handelte. Trotz des natürlichen Schutzes des Tals waren ihre Mauern und Zinnen in einer Weise aufgeführt, daß selbst im Falle eines Einbruchs einer feindlichen Macht in das Tal die Burg noch von wenigen Kriegern gegen ein ganzes Heer verteidigt werden konnte. Sie war von Kennern der Kriegskunst erbaut worden. Wieder stellte sich Fidelmadie Frage, warum so ein kleiner Clan solche Verteidigungsanlagen brauchte, wenn das Tal schon von Natur aus geschützt war.

In den alten Zeiten, als Stamm gegen Stamm um das beste Land und um die Vergrößerung seines Reichtums kämpfte, waren solche Festungen natürlich in den fünf Königreichen weit verbreitet. Cashel selbst war errichtet worden, um die Eoghanacht vor ihren neidischen Nachbarn zu schützen, und ebenso die anderen Hauptburgen wie Tara, Navan, Ailech, Crua-chan und Ailenn. Diese Burg besaß zwar bei weitem nicht die Größe der anderen, doch es war eine starke und gut konstruierte Festung mit mehreren zwei- und sogar dreistöckigen Gebäuden. Auch ein mächtiger Wachturm war zu erkennen.

Sie bemerkte mehrere Wachposten, die von den Mauern des rath herab ihre Annäherung beobachteten. Auch neugierige Männer und Frauen drängten sich dort. Zwei Krieger standen am offenen Tor der Burg. Es hatte schwere Eichenholzflügel, mit Eisen verstärkt und mit eisernen, gut geölten Angeln, und obwohl es weit offen stand, diente es augenscheinlich nicht nur zur Zierde. Über dem Torweg wehte ein Banner aus blauer Seide im Wind. Eine Hand mit erhobenem Schwert war darauf gestickt, das Wappen der Fürsten von Gleann Geis.

Ein hochgewachsener blonder Krieger am Tor hob die Hand zu respektvollem Gruß.

»Du kommst ohne deine Begleiter zurück, Orla, doch mit zwei Fremden. Ist etwas nicht in Ordnung?«

»Ich bringe die Gesandten aus Cashel zu meinem Bruder, Rudgal. Artgal und die anderen werden bald folgen. Es gab . Es gab etwas, was sie untersuchen müssen.«

Der blonde Krieger musterte erst Fidelma und dann Eadulf mit mißtrauischen Blicken, trat jedoch höflich beiseite, als Orla sie durchs Tor auf einen weiten gepflasterten Hof führte, den eine große Gebäudegruppe umgab. Es war der übliche Hof, in dessen Mitte eine große Eiche stand. Eadulf verstand inzwischen so viel von den Traditionen, daß er wußte, daß dies der crann betha oder Baum des Lebens, das Totem des Clans war. Er war das Symbol für das moralische und materielle Wohlergehen des Volkes. Wenn es Streit gab zwischen zwei Clans, konnte einem Clan nichts Schlimmeres widerfahren, als daß der andere Clan in sein Gebiet einfiel und seinen heiligen Baum fällte oder niederbrannte. Nach einer solchen Tat war der eine Clan demoralisiert, und der andere konnte sich des Sieges über ihn rühmen.

Zwei Knaben liefen herbei, als Orla vom Pferd glitt.

»Die Stallburschen kümmern sich um eure Pferde«, erklärte Orla, als Fidelma und Eadulf ihrem Beispiel folgten und abstiegen. Die Jungen nahmen ihnen die Zügel ab, während sie ihre Satteltaschen abschnallten.

»Ich nehme an, ihr wollt euch nach eurer anstrengenden Reise erfrischen, bevor ihr euch mit meinem Bruder und den anderen trefft?« fuhr die Frau des Ta-nist fort. »Ich zeige euch unser Gästehaus. Wenn ihr gebadet und gegessen habt, wird euch mein Bruder Laisre sicherlich in der Ratshalle begrüßen wollen.«

Fidelma gab zu verstehen, daß ihnen dies sehr recht sei. Ein oder zwei Leute, die den Hof überquerten, grüßten Orla und betrachteten Fidelma und Eadulf mit unverhohlenem Interesse. Orla machte sich nicht die Mühe, sie vorzustellen. Ein junges Mädchen kam angerannt.

»Warum kommst du so früh zurück, Mutter?« wollte sie wissen. »Wer sind diese Fremden?«

Fidelma war die Ähnlichkeit zwischen Orla und dem Mädchen sofort aufgefallen. Das Mädchen war kaum über vierzehn. Der Stil ihrer Kleidung und des Schmucks verriet, daß sie über das Alter der Wahl hinaus war und somit als Erwachsene galt. Sie hatte das dunkle, volle, lockige Haar ihrer Mutter und ihre funkelnden Augen. Sie war hübsch und sich ihrer Reize voll bewußt, denn sie zeigte eine kokette, selbstbewußte Haltung.

Orla begrüßte ihre Tochter mit zerstreuter Zurückhaltung.

»Wer sind diese Christen, Mutter?« beharrte das Mädchen, das sie anscheinend an ihrer Kleidung erkannt hatte. »Sind sie Gefangene?«

Orla runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf.

»Sie sind Gesandte aus Cashel, Esnad, Gäste deines Onkels. Nun mach dich fort, du kannst sie später begrüßen.«

Esnad betrachtete Eadulf mit einem offen prüfenden Blick.

»Der da ist zwar ein Fremder, aber dafür ist er ganz ansehnlich«, verkündete sie mit koketter Miene.

Fidelma versuchte ihre Belustigung zu verbergen, während Eadulf heftig errötete.

»Esnad!« fauchte ihre Mutter verärgert. »Jetzt aber fort mit dir!«

Das Mädchen wandte sich um, lächelte Eadulf über die Schulter zu und ging, sich aufreizend in den Hüften wiegend, langsam über den Hof davon. Orla seufzte erbittert auf.

»Deine Tochter ist im Alter der Wahl?« fragte Fidelma.

Orla nickte.

»Es ist schwer, einen Mann für sie zu finden. Ich fürchte, sie hat da ihre eigenen Vorstellungen. Sie kann einem schon auf den Geist gehen.«

Orla führte sie zu einem großen zweistöckigen Gebäude, das an eine der Außenmauern des rath stieß. Sie öffnete die Tür und trat beiseite.

»Ich schicke euch die Verwalterin des Gästehauses, und wenn ihr euch erfrischt habt, wird sie euch zu Laisres Ratshalle bringen.«

Sie verneigte sich knapp vor Fidelma und überließ die beiden sich selbst.

In der Sicherheit des Hauptraums des Gästehauses, in dem offensichtlich die Speisen der Gäste zubereitet und von ihnen eingenommen wurden, warf Fidelma ihre Satteltaschen auf den Tisch, sank auf den nächsten Stuhl und stieß einen tiefen Seufzer der Erschöpfung aus.

»Ich habe zuviel Zeit im Sattel verbracht, Eadulf«, meinte sie. »Ich habe vergessen, wie man sich auf einem Stuhl ausruht.«

Eadulf sah sich in ihrer Unterkunft um. Es war ein freundlich geschmückter Raum, in dem bereits ein Feuer brannte, über dem ein Kochkessel dampfte und angenehme Gerüche verbreitete.

»Wenigstens werden Laisres Gäste anscheinend gut versorgt«, murmelte er. Der Raum erstreckte sich über die ganze Länge des Gebäudes, und an jeder Seite standen ein langer Tisch und ein paar bequeme Holzstühle. Das war offensichtlich der Speisebereich. Am hinteren Ende, nahe dem Feuer, hingen alle Utensilien fürs Kochen. Vier Türen führten zu anderen Räumen in diesem unteren Stockwerk. Eadulf legte seine Satteltaschen ab, ging zu jeder Tür und warf einen kurzen Blick in den Raum dahinter.

»Zwei Badezimmer«, verkündete er. Er öffnete die anderen Türen, knurrte angewidert und bekreuzigte sich. »Diese hier sind fialtech.« Das irische Wort ging ihm glatt von der Zunge, denn »Schleierhaus« war ein volkstümlicher Ausdruck für einen Abort und von der römischen Auffassung abgeleitet. Viele Mönche und Nonnen glaubten, der Teufel wohne darin, und es war üblich geworden, sich zu bekreuzigen, bevor man hineinging.

Eine Holztreppe führte ins obere Stockwerk. Hier gab es vier kleine Zimmer wie Zellen, stellte Eadulf fest. Er schaute nacheinander in jede hinein und sah, daß die hölzernen Bettgestelle schon mit Strohmatratzen, Wolldecken und Leinentüchern belegt waren. Gleich darauf kam er wieder herunter zu Fidelma, die sich noch in ihrem Sessel ausstreckte.

»Es gibt anscheinend zwei weitere Gäste«, bemerkte er. »Reiche Gäste, nach dem Gepäck in ihren Zimmern zu urteilen. Einer davon ist offenbar ein Geistlicher.«

Fidelma blickte überrascht auf.

»Ich wußte nicht, daß noch jemand an dem Treffen teilnehmen sollte. Wer könnte das sein?«

»Vielleicht hat Bischof Segdae noch jemanden geschickt, der ihn und die Abtei vertreten soll?« vermutete Eadulf.

»Kaum, denn er hat zugestimmt, daß Colgü mich entsendet. Nein, aus Imleach kann kein Geistlicher hier sein.«

Eadulf zuckte die Achseln.

»Hat Orla nicht gesagt, Ultan von Armagh hätte ihnen einen Gesandten geschickt? Nun, wir werden bald erfahren, wer der Geistliche und sein Begleiter sind. Wir ...«

Hier wurde er unterbrochen, denn die Tür des Hauses flog auf, und eine füllige ältere Frau kam geschäftig herein. Sie lächelte strahlend und lief mit raschen Schritten, die Hände vor sich gefaltet. Sie knickste rasch vor Fidelma und dann auch vor Eadulf. Ihre Augen blinzelten aus tiefen Fleischfalten hervor. Ihr Leib schien beinahe kugelförmig.

»Bist du die Verwalterin des Gästehauses?« fragte Eadulf beeindruckt, denn ihre Gegenwart schien den ganzen Raum zu füllen.

»Das bin ich, Fremder. Ich heiße euch willkommen. Sagt mir, was ich für euch tun kann?«

»Ein Bad«, verlangte Fidelma sofort. »Und dann ...«

»Etwas zu essen«, warf Eadulf ein, für den Fall, daß sie seine bevorzugte Bestellung vergaß.

Die Fleischringe erbebten.

»Ein Bad sollst du haben, Lady, und zwar sogleich. Da wir bereits Gäste haben, ist das Wasser schon heiß. Und das Essen ist auch vorbereitet.«

Fidelma erhob sich und drückte ihre Befriedigung aus.

»Dann kannst du für mich ein Bad richten ... Wie ist dein Name?«

Die Verwalterin knickste wieder.

»Ich heiße Cruinn, Lady.«

Fidelma bemühte sich krampfhaft, eine ernste Miene zu bewahren, denn der Name bezeichnete jemanden, der rund war, und paßte ausgezeichnet zu der kugeligen Figur der Verwalterin. Die Frau lächelte und merkte anscheinend nichts von Fidelmas Ringen um Fassung.

»Sag mal, Cruinn«, schaltete sich Eadulf ein, der die Frau ablenken wollte für den Fall, daß Fidelma ihren inneren Kampf verlor, »wer wohnt denn außer uns noch im Gästehaus?«

Die Dicke wandte sich ihm zu.

»Ach, auch jemand, der an euren Gott glaubt. Ein Edelmann aus dem Norden, glaube ich.«

»Ein Edelmann aus dem Norden?« fragte Fidelma, die plötzlich ernst geworden war.

»Nun, er ist reich gekleidet und trägt viel schönen Schmuck.«

»Weißt du, wie er heißt?«

»Nein, das weiß ich nicht. Aber der andere, sein Begleiter, der wird Bruder Dianach genannt und ist wohl sein Diener.«

»Sie sind aus dem Norden, sagst du?« wiederholte Fidelma, wie um sicherzugehen.

»Aus dem weit entfernten Königreich Ulaidh, habe ich gehört.«

»Wenn das Ultans Abgesandter ist, dann frage ich mich, was Armagh sucht in diesem .« Fast hätte Fidelma»gottverlassenen Land« gesagt, aber da die Leute hier nicht an Gott glaubten, war das wohl nicht die richtige Beschreibung. Orla hatte erwähnt, daß Ultan von Armagh dem Fürsten Laisre Geschenke geschickt hatte. Geschenke von Armagh. Aber das ergab keinen Sinn. Warum sollte Armagh einem heidnischen Fürsten Geschenke machen, dessen Herrschaftsbereich nicht in seine Zuständigkeit fiel und in dem die Menschen nicht einmal dem Glauben anhingen? Die füllige Verwalterin unterbrach ihr Grübeln.

»Ich habe keine Ahnung, wer sie sind oder was sie hier wollen. Ich weiß nur, daß Gäste kommen und gehen und ich meine Arbeit damit habe. Besser wäre es, wenn sie da blieben, wohin sie gehörten, statt herumzureisen.« Cruinn seufzte tief, ein merkwürdig keuchendes Geräusch, bei dem ihre Figur gefährlich ins Wackeln geriet. »Na, es steht mir nicht zu, mich zu beklagen, aber das ist meine Meinung. Komm, Lady, ich bereite dir zuerst das Bad.«

»Ich warte hier«, erbot sich Eadulf, »und vielleicht kann ich mich mit etwas Met erfrischen, solange ich warte?«

»Den findest du in dem Fäßchen dort«, antwortete Cruinn und wies über die Schulter zurück, während sie Fidelma zu einem der Badezimmer brachte. »Aber das zweite Bad ist auch schon fertig, wenn du jetzt baden willst.«

Eadulf fing Fidelmas Blick auf und biß sich auf die Lippen.

»In dem Fall spart es Zeit, wenn ich auch gleich bade.« Widerwillig gab er nach.

Als Angelsachse fand er die Badesitten der Leute von Eireann etwas übertrieben. Sie wuschen sich zweimal am Tag, wobei die zweite Wäsche aus einem Vollbad bestand. Jedes Gasthaus besaß ein oder mehrere Badezimmer, jeweils mit einer großen Wanne oder Tonne, für die es mehrere Namen gab, die aber meist dabach genannt wurden. Nach dem Bad pflegte man sich mit süß duftenden Kräutersäften einzureiben.

Dieses abendliche Vollbad, das fothrucud hieß, reichte den Leuten von Eireann aber offenbar nicht, denn sie wuschen sich außerdem morgens unmittelbar nach dem Aufstehen das Gesicht und die Hände. Beim Baden wie beim Waschen bedienten sie sich eines Täfelchens einer wohlriechenden fettigen Substanz, die sie sleic oder Seife nannten, mit einem Leinentuch auftrugen und zu Schaum rieben. Zu gewissen Zeiten nahmen sie sogar rituelle Dampfbäder in kleinen Steinhütten, die Tigh ’n alluis oder »Schwitzhäuser« hießen. Darin wurden große Feuer entzündet, bis der Raum so heiß war wie ein Ofen, dann traten die Badenden ein und blieben darin, bis sie schwitzten, worauf sie herauskamen und sich sofort in einen kalten Bach stürzten. Dieses Verfahren mißbilligte Eadulf heftig. So etwas konnte doch nur in ein frühes Grab führen. Sein eigenes Volk war nicht so versessen aufs Baden.

Die oberen Klassen der Angelsachsen badeten einmal in der Woche, wobei Schwimmen in einem Fluß oder See als hinreichende Reinigung galt. Eadulf war weder körperlich, in seinen Manieren oder in seiner Kleidung schmutzig, doch die Badegewohnheiten in Eireann hielt er für überzogen.

Eine Stunde später, sie beendeten gerade ihre Mahlzeit, da öffnete sich die Tür des Gästehauses und ein breitgesichtiger Mann trat ein. Er war unverkennbar ein Geistlicher. Er trug die Tonsur des heiligen Petrus, doch nicht die einfachen Kutte der meisten Mönche, sondern er war in elegante Seide und besticktes Leinen gekleidet und mit einem edelsteinbesetzten Kruzifix geschmückt, wie es Fidelma und Eadulf nicht mehr gesehen hatten, seit sie zusammen in Rom waren. Fidelmabetrachtete ihn mißbilligend. Sein Reichtum widersprach völlig der Lehre Christi.

Die Augen des Mannes waren dunkel und wachsam. Sie besaßen die merkwürdige Eigenschaft, starr zu blicken, ohne zu blinzeln, wie die Augen eines Tieres, das seine Beute beobachtet. Sie erschienen klein in dem breiten Gesicht. Der Mann war nicht groß, eher untersetzt als dick, obgleich das fleischige Gesicht dazu verleitete, ihn für beleibt zu halten, bis man seine muskulösen Schultern und kräftigen Arme bemerkte.

»Ich bin Bruder Solin«, verkündete er wichtig, »Sekretär des Erzbischofs Ultan von Armagh.« Seine Sprechweise bei dieser Vorstellung bestätigte, daß er aus dem Königreich der Ui Neill von Ulaidh kam. Etwas an ihm ließ Fidelma sofort einen Widerwillen gegen ihn fassen. Vielleicht war es die Art, in der er sie beinahe abschätzend anstarrte und die keinen Zweifel daran ließ, daß er sie als Frau beurteilte und nicht als Person. »Orla hat mich von eurer Ankunft unterrichtet. Du bist Schwester Fidelma, und du mußt der fremde Geistliche sein.«

»Du bist weit entfernt von Armagh, Solin.« Fidelmaerhob sich, ungern zwar, doch die Höflichkeit gebot es in Anbetracht der Stellung des Geistlichen aus dem Norden.

»So wie du von Cashel«, erwiderte der untersetzte Mann ungerührt, trat zu ihnen und setzte sich.

»Cashel ist der Königssitz dieses Reiches, Solin«, entgegnete Fidelma kühl.

»Armagh ist der Königssitz des Glaubens für alle fünf Königreiche«, wehrte der Mann lässig ab.

»Das ist durchaus umstritten«, gab Fidelma zurück. »Der Bischof von Imleach erkennt solchen Vorrang keineswegs an.«

»Nun, das ist eine so heikle Frage, daß wir sie der Zukunft überlassen sollten.« Solin schob das Thema wie gelangweilt beiseite.

Fidelma ließ sich nicht ablenken. Sie beschloß, direkt zu werden.

»Wozu hält sich der Sekretär Ultans von Armagh in diesem kleinen Winkel des Königreichs meines Bruders auf?«

Solin goß sich einen Becher Met aus dem Krug auf dem Tisch ein.

»Verbietet Cashel sein Land wandernden Geistlichen?«

»Das ist keine Antwort«, konterte Fidelma. »Ich meine, du fällst wohl kaum in die Kategorie eines pe-regrinatorpro Christo.«

Ein zorniges Funkeln trat in Solins Augen.

»Schwester, ich glaube, du vergißt dich. Als Sekretär Ultans ...«, protestierte er.

»Du hast mir gegenüber keinen Anspruch auf einen höheren Rang. Ich bin hier als Gesandte meines Bruders, des Königs von Cashel. Wozu bist du hier?«

Einen Moment wich das Blut aus Solins Gesicht, aber er bezwang seine Wut über diese direkte Frage. Er gewann die Fassung zurück und lächelte dünn.

»Ultan von Armagh entsendet mich in die entfernten Winkel der fünf Königreiche, um zu erfahren, wie es mit dem Glauben vorangeht. Er hat mir Geschenke mitgegeben, die ich verteilen soll .«

Plötzlich öffnete sich die Tür.

Es war Orla. Sie trat mit verärgerter Miene ein.

»Was soll das heißen?« fauchte sie. »Man läßt meinen Bruder warten. Ist das die Höflichkeit, die Cashel seinen Fürsten erweist?«

Solin erhob sich mit schmierigem Lächeln.

»Ich war gerade dabei, die gute Schwester zu überreden, mich in die Ratshalle des Fürsten zu begleiten«, erklärte er kriecherisch. »Sie schien mehr interessiert an den Gründen für meinen Aufenthalt in Gleann Geis.«

Fidelma öffnete den Mund, um diese Lüge zu widerlegen, schloß ihn jedoch wieder. Sie wandte sich zu Orla um und begegnete ihrem Zorn mit steinerner Miene.

»Ich bin bereit. Geh uns voran.«

Orla stutzte einen Moment vor Fidelmas hochmütigem Ausdruck, denn sie war es nicht gewohnt, ihre Autorität in Frage gestellt zu sehen. Dann führte sie sie ohne ein weiteres Wort aus dem Gästehaus. Eadulf und Solin folgten ihnen.

Laisres Gemächer befanden sich im größten Gebäude des rath. Man betrat das zentral gelegene dreistöckige Gebäude durch eine große Tür und gelangte in eine weite Empfangshalle, von der Gänge nach rechts und links und eine Steintreppe zu den oberen Stockwerken abgingen. Eine hohe Tür im Inneren führte in einen großen, verräucherten Raum mit hoher Decke. Dort waren mehrere Personen versammelt. Teppiche schmückten die Wände, und Hängelampen spendeten Licht, außerdem ging vom Kamin in der Mitte, in dem Scheite brannten, ein hell glühender Schein aus. Der Kamin war auch die Ursache für die rauchige Luft.

Zwei Jagdhunde lagen ausgestreckt vor diesem Kamin. An einer Seite stand ein großer geschnitzter Eichensessel. Um ihn drängten sich mehrere Männer und Frauen, der engere Kreis des Fürsten. Zwei Krieger bewachten die Tür, ein dritter stand direkt hinter dem Amtssessel. In ihm erkannte Fidelma den Schwarzbärtigen namens Artgal, der Orla begleitet hatte, als sie ihr zuerst begegneten.

Es bedurfte keiner Vorstellung, um Laisre, den Fürsten von Gleann Geis, zu erkennen, selbst wenn er sich nicht in dem großen Eichensessel geräkelt hätte. Die wirklich erstaunliche Ähnlichkeit mit seiner Schwester Orla verriet ihn sofort. Er besaß denselben Gesichtsschnitt, dieselben dunklen Augen und die gleiche Ausdrucksweise. Hätte er nicht einen langen dünnen Schnurrbart getragen, hätte Fidelma gemeint, sie glichen sich wie ein Ei dem anderen. Bei näherem Hinsehen wurde ihr klar, daß sie Zwillinge sein mußten. Er war schlank und gutaussehend und wußte es vermutlich auch. Er entsprach in keiner Weise dem Bild, das sich Fidelma in Cashel von einem heidnischen Fürsten gemacht hatte, Sie hatte sich einen wilden, ungezügelten Mann vorgestellt. Laisre mochte Heide sein, doch er besaß Haltung, untadelige Manieren und vollendete Höflichkeit.

Als Orla sie in den Raum führte, erhob sich Laisre aus seinem Amtssessel und kam Fidelma entgegen, um sie entsprechend ihrem Rang, den er wohl von Orla erfahren hatte, zu begrüßen. Er streckte ihr die Hand entgegen.

»Du bist sehr willkommen an diesem Ort, Fidelma von Cashel. Ich hoffe, dein Bruder, der König, ist wohlauf?«

»Das ist er, dank der Gnade Gottes«, antwortete Fidelma automatisch.

Von einem der Männer im Raum kam ein unterdrückter Ausruf. Fidelma richtete einen forschenden Blick auf die Gruppe.

Laisre lächelte entschuldigend. In seinen Augen blitzte der Schalk.

»Manch einer hier könnte fragen, dank der Gnade welchen Gottes?«

Fidelmas Augen fanden den Mann, von dem der Laut gekommen war. Er war hochgewachsen und schmal, mit eisengrauem Haar und auffallend bunter, goldbestickter Kleidung. Er trug eine goldene Amtskette um den Hals. Ihrem Blick begegnete er mit unverhohlener Feindseligkeit. Sein Gesicht wirkte beinahe vogelartig, spitz mit einem hervorstehenden Adamsapfel, der sich heftig bewegte, wenn er schluckte, was er beständig tat. Seine tiefliegenden schwarzen Augen, starr wie die einer Schlange, verhüllten starke Empfindungen.

»Murgal hat das Recht, seine Meinung kundzutun«, bemerkte sie kühl und wandte sich wieder Laisre zu.

Fidelma merkte, daß der dünne Mann überrascht aufgefahren war. Selbst Laisre staunte, daß sie Murgal entdeckt hatte.

»Kennst du Murgal?« fragte der Fürst zögernd, ohne die einfache Logik zu erraten, mit der sie ihn herausgefunden hatte.

Fidelma unterdrückte ein selbstzufriedenes Lächeln über die Wirkung, die sie erzielt hatte.

»Sicher kennt doch jeder den Ruf Murgals als den eines Mannes von Grundsätzen und Gelehrsamkeit -und von Schicklichkeit«, erwiderte sie ernsthaft, um einen möglichst großen Vorteil zu gewinnen, bevor sie in die Verhandlung mit Laisre eintrat. Es war immer gut, den Gegner gleich zu Anfang in eine ungünstige Position zu manövrieren. Sie hatte lediglich Schlüsse gezogen. Orla hatte mit Murgal, dem Druiden und Brehon ihres Bruders, geprahlt. Fidelma hatte vorher noch nie von Murgal gehört. Aber wer sonst sollte so dicht neben dem Fürsten stehen und eine solche Amtskette tragen? Es war ein reiner Bluff, und er war ihr gelungen. Der Kenntnisreichtum der Gesandten aus Cashel würde sich nun aus dem Ratssaal von Gleann Geis herumsprechen.

Murgal hatte den Mund zusammengekniffen. Seine Augen verschleierten sich, als schätze er ihre Fähigkeiten als seine Gegenspielerin ab.

Die Bedeutung dieses Vorgeplänkels entging allen außer Fidelma und Murgal.

»Tritt vor, Murgal, und begrüße die Abgesandte und Schwester von Colgü von Cashel«, befahl Laisre.

Der hochgewachsene Mann kam herbei und verneigte sich leicht vor Fidelma.

»Auch ich habe von Fidelma gehört, der Tochter von Failbe Fland von Cashel«, begrüßte er sie mit einer merkwürdig keuchenden hohen Stimme, als leide er an Asthma. »Dein Ruf eilt dir voraus. Die Ui Fid-gente haben ein gutes Gedächtnis und schreiben ihre Niederlage im vorigen Winter dir zu.«

Lag in seinen Worten eine versteckte Drohung?

»Die Niederlage der Ui Fidgente, als sie versuchten, den rechtmäßigen König von Cashel zu stürzen, wurde von ihrer eigenen Eitelkeit und Habgier verursacht«, erwiderte Fidelma ruhig. »Dafür sind sie zu Recht bestraft worden. Doch als eine getreue Dienerin von Cashel freut es mich, wenn jeder, der Verrat an Cashel plant, entlarvt wird, und ich bin sicher, daß es Laisre als einen treuen Diener von Cashel ebenso freut.«

Murgal blinzelte langsam, seine Lider senkten sich, als wäre er müde und müßte die Augen schließen. Er begriff jetzt, daß er eine Gegnerin mit Geist und Scharfsinn vor sich hatte, die er mit Geschick und Vorsicht behandeln mußte.

»Deine Grundsätze sind zu bewundern - die Gewißheit, einer gerechten Sache gegen eine ungerechte zu dienen, ist doch sicherlich ein Trost?« antwortete er.

Fidelma setzte zu einer Entgegnung an, doch Laisre nahm lächelnd ihren Arm, wandte sie von Murgal weg und sagte: »Nun, an Grundsätzen ist nichts verkehrt, obgleich es oft leichter ist, für Grundsätze zu kämpfen, als sie zu befolgen. Komm, Fidelma, ich möchte dir meinen Tanist vorstellen, Colla, den Gatten meiner Schwester Orla.«

Der Mann neben Orla trat einen Schritt vor und neigte grüßend den Kopf. Der Tanist war der erwählte Nachfolger bei jedem Stamm und in jedem Königreich. Colla war ebenso alt wie Laisre, doch gut einen Kopf größer als der Fürst. Es gab kaum Zweifel, daß er ein Mann der Tat war. Er hatte den Körperbau eines Kriegers. Seine Haut war von der Sonne gebräunt und stand im Gegensatz zu seinem feuerroten Haar und seinen hellblauen Augen. Er war nicht schön, doch hatte er eine feine männliche Anziehungskraft, die Fidelma nicht entging. Vielleicht war es seine Haltung, eine innere Stärke oder das stille Lächeln in seinem Gesicht, was den Eindruck von Unbeschwertheit und Umgänglichkeit hervorrief, doch die stählerne Härte seines Charakters dem geübten Blick nicht verbergen konnte. Er trug die Tracht eines Kriegers und sein Schwert griffbereit.

»Ich freue mich, daß du gut hier angekommen bist, Fidelma«, grüßte er sie mit einer tiefen, dröhnenden Stimme, die Fidelma leicht zusammenfahren ließ. »Meine Frau, Orla, hat mir von dem schrecklichen Anblick berichtet, den ihr im jenseitigen Tal angetroffen habt, und ich kann dir nur versichern, daß ich alles in meiner Macht Stehende tun werde, um die Schuldigen zu finden und der Gerechtigkeit zuzuführen. Der Grund für dieses sinnlose Morden muß aufgedeckt werden, denn es gereicht unserem Volk nicht zur Ehre.«

Fidelma sah ihn einen Moment ernst an und fragte dann harmlos: »Warum sagst du, es sei ein sinnloses Morden gewesen?«

»Ich verstehe nicht, was du meinst«, erwiderte der Tanist überrascht.

»Wenn du den Grund dafür nicht kennst, warum sagst du, es sei ein sinnloses Morden gewesen?« erklärte sie ihre Frage.

Nach einer verlegenen Pause zuckte Colla die Achseln.

»Das war nur so dahergeredet ...«

Er wurde von Gelächter unterbrochen. Laisre war außer sich vor Vergnügen.

»Du hast einen scharfen Verstand, Fidelma. Unsere Verhandlung wird interessant werden. Aber im Ernst, als Orla und Artgal die Sache berichteten, waren wir alle ratlos. Die Ui Fidgente haben Ruhe gegeben, seit das Heer deines Bruders sie voriges Jahr am Berg Äine schlug. Bis dahin waren sie die einzigen, die in feindlicher Absicht in dieses Land einfielen. Manche der Stämme jenseits dieses Tals verloren dadurch Teile ihrer Herden. Doch warum jene Fremden töten und noch dazu auf die Art? Woher kamen sie? Bisher scheint niemand eine Antwort auf diese verwirrenden Fragen zu kennen.«

Fidelma war plötzlich interessiert.

»Sind wir sicher, daß es sich um Fremde handelt?«

Laisre hatte keinen Zweifel.

»Artgal hat sich das Gesicht jeder Leiche angesehen. Wir sind keine so große Gemeinschaft, daß dreißig unserer jungen Männer verschwinden könnten, ohne daß wir es wüßten. Er hat keinen erkannt.«

»Dreiunddreißig, genau gesagt«, antwortete Fidelmaund wandte sich bewußt Murgal zu. »Dreiunddreißig Leichen. Dreiunddreißig ist eine eigenartige Zahl. Dreiunddreißig in einem Sonnenkreis abgelegt. Jeder auf dreierlei Art getötet - der Dreifache Tod.«

Eisiges Schweigen herrschte in der Ratshalle; es war so still, daß man das leise Schnarchen eines der Jagdhunde durch das Knistern des Feuers hindurch hören konnte. Niemand antwortete. Alle verstanden, was sie damit sagen wollte. Denen, die der alten Art der Götterverehrung anhingen, bedeutete diese Symbolik viel. Schließlich trat Murgal zornig einen Schritt vor.

»Sprich weiter, Gesandte von Cashel. Ich meine, es steckt eine Anklage hinter deinen Worten.«

Laisre schaute seinen Brehon verlegen an.

»Ich habe keine Anklage gehört, Murgal«, wies er ihn zurecht. Dann wandte er sich an Fidelma und fuhr höflich fort: »Die Vorstellung, daß wir, die wir bei der alten Religion bleiben, Menschen opfern, wie es dem Vernehmen nach einige eurer Geistlichen predigen, ist Unsinn. Selbst in den alten Sagen über die Verehrung des Idols Cromm waren es die Druiden, die sich gegen den König Tigernmas gestellt haben sollen, der diese Verehrung eingeführt hatte, und sie waren es auch, die seinen Sturz herbeiführten und diesem üblen Kult ein Ende bereiteten.«

»Dennoch«, beharrte Fidelma, »muß ich auf den Symbolgehalt dieser Tötungen hinweisen. Er fordert unweigerlich Fragen heraus, die beantwortet werden müssen.«

Orla hatte sich neben ihren Gatten gestellt, jetzt schnaufte sie verächtlich.

»Ich habe Fidelma von Cashel bereits erklärt, daß sie die Verantwortung für diese Morde nicht Gleann Geis anlasten kann.«

»Ich habe nicht behauptet, daß die Verantwortung Gleann Geis trifft. Aber irgendwo liegt sie. Ich bitte um die Erlaubnis, mich für ein paar Tage von den Beratungen zurückzuziehen und unverzüglich mit der Untersuchung zu beginnen, bevor Wind und Regen die Spuren verwischen.«

Es war offensichtlich, daß Laisre von diesem Vorschlag nicht erbaut war. Doch es war Colla, der an seiner Stelle das Wort nahm.

»Es gibt sicherlich zwischen Gleann Geis und Cashel viel zu besprechen«, schaltete er sich ein, an Laisre gewandt. »Diese Verhandlungen sind wichtig. Es ist keine Zeit zu verlieren. Aus diesem Grunde möchte ich einen Vorschlag machen, mein Fürst. Gib mir die Erlaubnis, mit einem halben Dutzend Krieger auszureiten und an Stelle von Fidelma von Cashel die Untersuchung vorzunehmen. Während sie den Auftrag erfüllt, der sie nach Gleann Geis geführt hat, stelle ich fest, was über diese Morde in Erfahrung zu bringen ist, und kehre zurück und berichte ihr.«

Laisre nahm diesen Vorschlag mit Erleichterung auf.

»Eine ausgezeichnete Idee. Wir sind einverstanden.«

Fidelma wollte schon ihre Unzufriedenheit kundtun und darauf hinweisen, daß sie als ausgebildete dalaigh erfahrener in solchen Dingen war als Laisres Tanist, doch der Fürst fuhr fort: »Ja, mach dich bereit, Colla. Nimm Artgal mit und so viele Männer, wie du für nötig hältst. Du brauchst erst morgen bei Tagesbeginn aufzubrechen. Heute abend feiern wir unser Fest zum Willkommen der Gesandten aus Cashel, wie wir es geplant hatten.« Lächelnd wandte er sich an Fidelma. »Ein löbliches Vorgehen, meinst du nicht auch, Fidelma von Cashel?«

Fidelma wollte noch weiter widersprechen, doch Murgal unterbrach sie im Ton der Befriedigung.

»Ich bin sicher, daß Colla feststellen wird, daß Gleann Geis keine Schuld trifft.«

Fidelma sah ihn verärgert an.

»Ich bin auch sicher, daß euer Tanist zu diesem Ergebnis gelangt.«

Murgal erwiderte ihren Blick und verstand, was sie damit andeutete. Er überlegte anscheinend einen Moment, ob er ihre Worte übelnehmen sollte, doch sie wandte sich ab und verbarg ihren Groll darüber, daß sie so von ihrem Ziel abgebracht worden war.

Eadulf war etwas besorgt und fragte sich, ob Fidelmadas Thema noch weiter verfolgen würde. Es war unschwer zu erkennen, daß sie auf keinen Fall die Erlaubnis des Fürsten von Gleann Geis erhalten würde, die Verhandlungen zu vertagen und eine Untersuchung der Morde durchzuführen. Eadulf war es nur recht, daß Fidelma das anscheinend auch einsah, denn schließlich neigte sie zum Zeichen ihres Einverständnisses den Kopf.

»Nun gut, Laisre«, sagte sie, »ich nehme den Vorschlag an. Bei meiner Rückkehr nach Cashel werde ich meinem Bruder einen ausführlichen Bericht über diese Angelegenheit zu erstatten haben, deswegen interessiert mich alles, was Colla feststellen kann, auch das, was ihm unwesentlich erscheinen mag.«

»Dann werde ich mit meinen Männern bei Tagesanbruch aufbrechen, Fidelma von Cashel«, versicherte ihr der Tanist.

Laisre strahlte vor Zufriedenheit.

»Ausgezeichnet. Jetzt wollen wir uns anderen Dingen zuwenden. Ich habe meine Pflichten als Gastgeber versäumt. Hat man dir Solin vorgestellt, den Sekretär Ultans von Armagh, einen führenden Geistlichen deines Glaubens?«

Fidelma machte sich nicht die Mühe, sich zu Bruder Solin umzudrehen. Aus dem Augenwinkel hatte sie gesehen, daß Solin bei Eadulf stand und ihm etwas ins Ohr flüsterte. Eadulf schien es unbehaglich zu sein, denn er hatte sich ein oder zwei Schritte abseits gestellt.

»Ich habe Bruder Solin bereits kennengelernt«, antwortete sie in einem Ton, der keine Freude an dieser Bekanntschaft verriet.

»Und Bruder Dianach, meinen Schreiber?« erkundigte sich Solin vortretend. »Ich glaube, ihn kennst du noch nicht?«

Es lag etwas Hochtrabendes in der Art, in der er es sagte, als wolle er darauf hinweisen, er sei ein so wichtiger Mann, daß er einen Schreiber brauche. Fidelma wandte sich um und musterte den schmächtigen, etwas weichlichen jungen Mann, den Solin nun nach vorn schob. Er war kaum zwanzig, hatte ein blasses, fleckiges Gesicht und eine schlecht geschnittene Tonsur nach römischer Art. Der junge Mann war aufgeregt, und seine dunklen Augen wichen ihrem Blick aus, wodurch er verschlagen wirkte. Der linkische Bursche tat ihr leid.

»Salve, Bruder Dianach«, begrüßte sie ihn nach römischer Weise und versuchte, ihm seine Unsicherheit zu nehmen.

»Pax tecum«, stotterte er als Antwort.

Fidelma wandte sich wieder Laisre zu.

»Ich möchte auch die Gelegenheit benutzen und Bruder Eadulf vorstellen, den Gesandten des Erzbischofs Theodor von Canterbury im Lande Kent.«

Eadulf trat einen Schritt vor und neigte leicht den Kopf, erst vor dem Fürsten und dann vor der Versammlung im allgemeinen.

»Du bist willkommen an diesem Ort, Eadulf von Canterbury«, begrüßte ihn Laisre, der einige Schwierigkeiten mit der Aussprache der fremden Namen hatte. »Zu welchem Zweck beehrst du unser kleines Tal mit deinem Besuch? Der Erzbischof Theodor des fernen Landes, aus dem du kommst, hat sicher kein Interesse an dem, was in diesem Teil der Erde vor sich geht?«

Eadulf drückte sich diplomatisch aus.

»Ich wurde als Gesandter nur zum König von Cashel geschickt. Doch da ich seine Gastfreundschaft genieße, nutze ich die Gelegenheit, auch die entlegenen Gegenden seines Königreiches zu besuchen, um festzustellen, wie es den Menschen geht und wie sie leben.«

»Dann bist du dreifach willkommen, um das bei uns zu studieren«, erwiderte Laisre würdevoll. Er schaute Fidelma an. »Und nun ...«

»Nun«, sagte Fidelma und holte aus ihrer Kutte den weißen Amtsstab und ihren Dolch hervor, »nun müssen wir dem Brauch genügen.« Mit einer Hand hielt sie Laisre den Griff des Dolches entgegen und mit der anderen den Stab mit dem Hirschkopf.

Laisre kannte die Formalitäten. Er streckte die Hand aus und klopfte mit dem Zeigefinger leicht auf den Stab.

»Wir empfangen dich als die Gesandte Colgüs«, verkündete er feierlich. Dann trat er zurück und winkte den Dienern im Hintergrund, die Stühle herbeibrachten und im Halbkreis vor seinem Amtssessel aufstellten. Mehrere seiner Leute blieben stehen, während Laisre Fidelma und Eadulf bedeutete, Platz zu nehmen. Außer ihnen setzten sich nur Murgal, Colla, Orla und Solin, und der Fürst kehrte zu seinem Sessel zurück.

»Was nun den Zweck unserer Verhandlungen angeht ...«, begann Laisre.

»So wie ich ihn verstehe«, schaltete sich Fidelma ein, »besteht er darin, Übereinstimmung darüber zu erzielen, daß der Abt-Bischof von Imleach hier in Gleann Geis eine Kirche unseres Glaubens sowie eine Schule errichten kann. Sehe ich das richtig?«

Einen Moment schien diese knappe Zusammenfassung Laisre zu verwirren.

»Das stimmt«, gab er dann zu.

»Und welche Gegenleistung erwartest du von Im-leach?« fragte Fidelma.

»Wieso nimmst du an, daß wir irgend etwas von Imleach erwarten?« erkundigte sich Murgal mißtrauisch.

Fidelma lächelte ihn mit einer Miene an, die wenig Belustigung verriet.

»Schon das Wort, mit dem wir unser Vorhaben beschreiben - Verhandlung -, läßt mich das annehmen. Verhandlung schließt einen Handel ein. Ein Handel bedeutet, zu einer Übereinkunft zu kommen, die einen Kompromiß darstellt. Oder irre ich mich?«

»Du irrst dich nicht, Fidelma«, antwortete Laisre. »Der Handel ist ganz einfach: Als Gegenleistung für die Erlaubnis, hier in Gleann Geis eine Kirche zu bauen und Kinder zu unterrichten, erwarten wir die Zusicherung, daß das religiöse Leben in Gleann Geis nicht gestört wird, daß wir nicht daran gehindert werden, dem Glauben unserer Vorväter zu folgen und an unseren alten Überzeugungen festzuhalten.«

»Ich verstehe.« Mit leichtem Stirnrunzeln überdachte Fidelma den Vorschlag. »Doch weshalb sollen wir eine Kirche und eine Schule bauen, wenn uns nicht gestattet wird, Menschen zu unserem Glauben zu bekehren? Wozu überhaupt eine Kirche und eine Schule, wenn niemand sie betreten darf?«

Laisre wechselte einen Blick mit Murgal und schien seine Worte sorgfältig abzuwägen.

»Tatsache ist, Fidelma von Cashel, daß es bereits eine christliche Gemeinde hier in Gleann Geis gibt.«

Fidelma bemühte sich, ihre Überraschung nicht zu zeigen.

»Das verstehe ich nicht. Ich habe immer gehört, Gleann Geis sei eine Bastion des alten Glaubens und der alten Sitten. Ist das nicht richtig?«

»Das ist richtig«, warf Murgal mit brüchiger Stimme ein, »und so sollte es auch bleiben.«

»Das ist eine falsche Einstellung«, wies ihn Laisre zurecht. »Die Zeiten haben sich geändert, und wir müssen mit ihnen gehen, oder wir gehen unter.«

Fidelma betrachtete ihn mit Interesse. Sie fragte sich, ob sie den Fürsten nicht unterschätzt hätte. Es war klar, daß manchen seiner Leute sein Kontakt mit dem Bischof von Imleach mißfiel, doch jetzt bewies er seine Fähigkeiten als ein kraftvoller Führer seines Volkes.

Mit einem lauten Zischen bekundete Murgal seine Verärgerung.

Es trat ein unbehagliches Schweigen ein, bevor Laisre fortfuhr.

»Im Laufe der Jahre sind unsere Männer und Frauen Ehen mit Mitgliedern anderer Clans eingegangen, und auf diese Weise haben wir unsere Kraft als Volk bewahrt. Wir haben den alten Gesetzen gegen Inzest gehorcht und sind stark und gesund geblieben. Doch die Ehefrauen und Ehemänner, die so zu uns gekommen sind, gehörten oft der neuen Religion an. Sie haben den neuen Glauben nach Gleann Geis mitgebracht, und viele haben auch ihre Kinder darin erzogen. Diese Gemeinschaft ist nun so angewachsen, daß sie eine Kirche und einen Priester des Glaubens für ihre geistlichen Bedürfnisse fordern und eine Schule, in der sie im Glauben unterwiesen werden.«

Colla murmelte etwas Unverständliches.

Laisre ging nicht auf ihn ein. Er wandte sich direkt an Fidelma.

»Einige von uns erkennen den unvermeidlichen Sieg eures Glaubens an. In den letzten beiden Jahrhunderten haben sich die fünf Königreiche verändert, ob manchen von uns das gefällt oder nicht.«

»Ein Grundgesetz unseres Glaubens besagt, daß niemand uns vorschreibt, welche Götter oder Göttinnen wir verehren«, schaltete sich Murgal ein. »Seit der Zeit, als die Anhänger des neuen Glaubens unsere Könige davon abspenstig machten, wird uns befohlen, zu welchen Göttern wir zu beten haben. Es heißt, wir dürfen nur zu dreien beten .«

»Es gibt nur einen Gott!« platzte Eadulf heraus, der sich dem Gespräch nicht mehr fernhalten konnte.

»Einer?« höhnte Murgal. »Kennst du deinen eigenen Glauben nicht? Es sind drei, die ihr die heilige Dreieinigkeit nennt. Und betet ihr nicht auch zu einer Göttin, der Mutter eures Christus?«

Fidelma schüttelte den Kopf.

»So sehen wir, die Vertreter des Glaubens, die Sache nicht, Murgal«, wandte sie höflich ein. Dann sagte sie zu Laisre: »Aber hier ist sicherlich nicht der Ort, theologische Fragen zu erörtern, und zu diesem Zweck bin ich auch nicht nach Gleann Geis gekommen.«

Der Fürst senkte einen Moment nachdenklich den Kopf, dann nickte er.

»Über die Freiheit des einzelnen und die Freiheit der Religion können wir zu anderer Zeit einmal reden«, fügte Fidelma hinzu.

»Dann denke daran«, mahnte Murgal, »wenn du von Freiheit sprichst, daß unsere Religion mit dem Boden dieser Gegend verbunden ist; es ist die Religion unserer Vorfahren seit unzähligen Generationen, zurück bis in die Dunkelheit der Vorgeschichte. Bedenke, daß es schwer ist, etwas völlig aus dem Boden auszurotten, auf dem es gewachsen ist, aus dem es sich gespeist und auf dem es Frucht getragen hat. Denke daran, daß Freiheit von der Bindung an den Boden keine Freiheit für den Baum bedeutet.«

Fidelma wurde klar, daß Murgal kein blind ergebener Vertreter des sterbenden Glaubens war, sondern ein in geistigen Dingen tief nachdenkender Mann. Fidelmabegriff, daß sie in ihm einen nicht zu unterschätzenden Gegner hatte.

»Ich werde an das denken, was du sagst, Murgal«, versprach sie ihm. »Doch unsere unmittelbare Aufgabe besteht darin, zu einer Übereinkunft zu gelangen, das heißt, wenn ihr wirklich eine Kirche und eine Schule in diesem Tal haben wollt. Ich hatte den Eindruck, daß euer Rat dem bereits zugestimmt hätte, denn ich bin nicht hergekommen, um nur über theologische Fragen zu debattieren.«

Laisre errötete leicht.

»Ich habe dich hierher eingeladen, Fidelma, weil es mein Wunsch ist, daß mein Volk diese Dinge erhält, damit alle seine religiösen Bedürfnisse befriedigt werden können. Während einige Mitglieder meines Rates sich unweigerlich gegen Veränderungen stemmen, muß ich mich vom größeren Wohlergehen des größeren Teils meines Volkes leiten lassen.«

»Dann bin ich bereit, diese praktischen Fragen zu besprechen.«

Laisre stand unvermittelt auf.

»Ich habe beschlossen, daß die erste Sitzung unserer Verhandlungen morgen früh mit einem Hornsignal eröffnet wird. Wir treffen uns hier im Ratssaal und erörtern die anstehenden Fragen. Doch für heute abend habe ich ein Festmahl und eine Feier vorgesehen, um euch in unserem Tal willkommen zu heißen. Das Horn wird euch zu diesem Fest in den Ratssaal rufen.«

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