Kapitel 2

Der Mönch saß auf einem kleinen Felsen im rauschenden Bergbach und hielt mit glückseliger Miene auf dem emporgewandten Gesicht die Füße in das frische, kalte Wasser. Er hatte seine Kutte aus braunem

Wollstoff bis zu den Knien hochgestreift und die Ärmel aufgekrempelt und genoß die heiße Sommersonne, während das Wasser um seine Füße gurgelte und schäumte. Er war jung, untersetzt und trug die corona spina, die kreisrunde Tonsur des heiligen Petrus von Rom, die in sein sonst volles, lockiges braunes Haar geschnitten war.

Plötzlich öffnete er die Augen und schaute vorwurfsvoll eine andere Gestalt an, die am Ufer des Baches stand.

»Ich glaube, dir gefällt das nicht, Fidelma«, beklagte er sich bei der hochgewachsenen rothaarigen Nonne, die ihn beobachtete. Die hübsche junge Frau betrachtete ihn mit Augen unbestimmbarer Farbe, die blau oder grün sein mochten, das war schwer zu sagen. Ihre herabgezogenen Mundwinkel ließen ihr Mißfallen erkennen.

»Wir sind dem Ziel unserer Reise so nahe, daß ich meine, wir sollten lieber weiterreiten, anstatt unsere Körper zu verwöhnen, als hätten wir alle Zeit der Welt.«

Der junge Mann lächelte verschmitzt.

»Voluptates commendat rarior usus«, zitierte er zu seiner Rechtfertigung.

Schwester Fidelma schnaufte verärgert.

»Vielleicht ist das Verwöhntwerden selten und deshalb besonders schön«, gab sie zu, »trotzdem, Eadulf, sollten wir unsere Reise nicht länger verzögern als unbedingt nötig.«

Widerwillig seufzend erhob sich Bruder Eadulf von seinem Sitz und watete zum Ufer. Seine Miene strahlte jedoch Befriedigung aus.

»O si sic omnia«, stellte er fest.

»Wenn alles so wäre«, entgegnete Fidelma spitz, »dann gäbe es keinen Fortschritt im Leben, denn dann wäre es alles eine einzige Hingabe an das körperliche Vergnügen. Gott sei Dank, daß er den Winter ebenso schuf wie den Sommer, damit sich unsere Empfindlichkeiten ausgleichen.«

Eadulf trocknete sich die Füße flüchtig mit dem Saum seiner Kutte ab und schlüpfte in seine Ledersandalen.

Sie hatten an dieser Stelle gerastet, um ihr Mittagsmahl einzunehmen und ihre Pferde am grünen Ufer des Baches grasen zu lassen. Fidelma hatte die Essensreste weggeräumt und die Satteltaschen neu gepackt. Die pralle Mittagssonne hatte Eadulf veranlaßt, seine Füße in dem kalten Bergbach zu kühlen. Er wußte auch, daß es nicht dieses kleine Vergnügen war, was Fidelma beunruhigte. Er hatte während der letzten vierundzwanzig Stunden ihre wachsende Besorgnis bemerkt, obwohl sie sich nach Kräften bemüht hatte, ihre Befürchtungen vor ihm zu verbergen.

»Sind wir unserem Ziel wirklich schon so nahe?« fragte er.

Zur Antwort zeigte Fidelma auf die hohen Spitzen der Berge, in deren Ausläufer sie am Morgen eingeritten waren.

»Das sind die Cruacha Dubha, die Schwarzen Berge. Sie bilden die Grenze des Landes des Clans Duibhne. Am späten Nachmittag sollten wir das Gebiet erreichen, über das Laisre herrscht. Es ist ein fast verborgenes Tal unterhalb des hohen Gipfels dort, der als der höchste Berg unseres Landes gilt.«

Bruder Eadulf starrte empor zu dem kahlen Horn, das die anderen überragte.

»Tut es dir schon leid, daß du das Angebot deines Bruders, uns Krieger mitzugeben, abgelehnt hast?« fragte er schüchtern.

In Fidelmas Augen blitzte es einen Moment auf, doch dann wurde ihr klar, daß Eadulf es gut meinte, und sie schüttelte den Kopf.

»Was hat die ganze Reise für einen Sinn, wenn Krieger uns beschützen müssen? Wenn wir unsere Lehren und unseren Glauben mit blankem Schwert verbreiten, dann müßten ja diese Lehren und unser Glaube es wohl nicht wert sein, daß man darüber spricht.«

»Manchmal sind die Menschen wie die Kinder und sitzen erst still und hören zu, wenn man sie dazu zwingt«, meinte der Angelsachse gelassen. »Man braucht einen Stock für Kinder und ein Schwert für Erwachsene. Das hilft ihnen, sich zu konzentrieren.«

»Da ist schon was dran«, gestand Fidelma. Dann fügte sie hinzu: »Ich kenne dich zu lange, Eadulf, als daß ich dir die Wahrheit verschweigen wollte. Ich hege tatsächlich Befürchtungen. Laisre regiert selbstherrlich. Nach Ehre und Pflicht ist er meinem Bruder in Cashel verantwortlich, aber Cashel ist für ihn sehr weit weg.«

»Es ist kaum zu glauben, daß es noch eine Gegend in diesem Land gibt, in der das Christentum unbekannt ist.«

Fidelma schüttelte den Kopf.

»Nicht eigentlich unbekannt; es ist bekannt, wird aber abgelehnt. Der Glaube erreichte diese Küsten erst vor knapp zweihundert Jahren, Eadulf. Es gibt immer noch viele abgelegene Gegenden, in denen der alte Glaube nur langsam abstirbt. Wir sind ein konservatives Volk und hängen an unseren alten Bräuchen und Vorstellungen. Du hast selbst an unseren kirchlichen Hochschulen studiert. Du weißt, wie viele noch an der alten Weise festhalten und an den alten Göttern und Göttinnen ...«

Eadulf nickte nachdenklich. Erst vor einem Monat war er mit Fidelma nach Cashel zurückgekehrt, nachdem sie kurze Zeit im Tal von Araglin verbracht hatten. Dort hatten sie Gadra kennengelernt, einen Einsiedler, der fest bei der alten Religion geblieben war. Doch auch in vielen anderen Ländern war der Glaube noch jung. Eadulf selbst war erst im frühen Mannesalter bekehrt worden. Einst war er der erbliche gerefa oder Friedensrichter des Thans von Seaxmund’s Ham im Lande des Südvolks gewesen, bevor er sich einem Iren namens Fursa anschloß, der den heidnischen Sachsen das Wort Christi und die neue Religion brachte. Bald darauf hatte Eadulf den finsteren Göttern seiner Väter abgeschworen und war ein so guter Schüler geworden, daß Fursa ihn nach Irland an die großen kirchlichen Hochschulen von Durrow und Tuam Brecain entsandte.

Eadulf hatte schließlich den Weg nach Rom eingeschlagen und nicht den nach Iona. Bei der Teilnahme an der Debatte zwischen den Vertretern der römischen Liturgie und denen der Regeln Columbans, die in Whitby abgehalten wurde, hatte es sich zum erstenmal ergeben, daß Eadulf mit Fidelma zusammenarbeitete, die nicht nur Nonne war, sondern auch Anwältin bei den irischen Gerichten. Sie hatten mehrere Abenteuer gemeinsam bestanden. Jetzt war er wieder zurück in Irland als Sondergesandter des neuen Erzbischofs von Canterbury, Theodor von Tarsus, bei Fidelmas Bruder, König Colgü von Muman.

Eadulf wußte wohl, wie sehr die Menschen lieber an den alten Bräuchen und Vorstellungen hingen, statt sich dem Unerprobten und Unbekannten zu öffnen.

»Hat dieser Fürst Laisre, zu dem wir wollen, solche Angst vor dem neuen Glauben?« erkundigte er sich.

Fidelma zuckte die Achseln.

»Vielleicht ist es nicht Laisre, den wir fürchten müssen, sondern seine Ratgeber«, vermutete sie. »Laisre herrscht über sein Volk und respektiert Rang und Status. Er ist bereit, sich mit mir zu treffen und die Einrichtung einer ständigen Vertretung des Glaubens in seinem Gebiet zu besprechen. Das deutet auf eine offene Gesinnung hin.«

Sie hielt inne und dachte über die Ereignisse der vorigen Woche nach, über den Tag, an dem ihr Bruder Colgü von Cashel, der König von Muman, sie zu einem Gespräch in sein Privatzimmer gebeten hatte .

Es gab keinen Zweifel daran, daß Colgü von Cashel und Fidelma verwandt waren. Sie besaßen beide die gleiche hohe Gestalt, das gleiche rote Haar, die wandelbaren grünen Augen, die gleiche Gesichtsform und die gleichen unverwechselbaren Bewegungen.

Der junge König lächelte seine Schwester an, als sie das Zimmer betrat.

»Stimmt es, was ich höre, Fidelma?«

Fidelma schaute ihn ernst an, ihre Mundwinkel zogen sich herab.

»Ehe ich nicht weiß, was du gehört hast, Bruder, kann ich es weder bestätigen noch dementieren.«

»Bischof Segdae hat mir berichtet, du habest deine Zugehörigkeit zum Haus der heiligen Brigitta aufgegeben.«

Fidelma verzog keine Miene. Sie ging ans Feuer und setzte sich. Sie besaß das Recht, sich in Gegenwart eines Provinzkönigs, auch wenn er nicht ihr Bruder war, ohne vorherige Erlaubnis niederzulassen. Dies Recht verlieh ihr nicht nur ihre Herkunft als Prinzessin der Eoghanacht, obwohl sie es noch verstärkte, sondern ihre Stellung als Anwältin bei Gericht im Range eines anruth, und deshalb durfte sie sich sogar in Gegenwart des Großkönigs setzen, wenn er sie dazu einlud.

»Das hast du richtig gehört aus dem Munde deines >Grenzlandfalken<«, antwortete sie ruhig.

Colgü lachte. Bischof Segdaes Name bedeutete »falkenartig«, und er stand der Abtei von Imleach vor, des »Grenzlandes«. Imleach war das große kirchliche Zentrum von Muman und wetteiferte mit Armagh um die Stellung als das wichtigste christliche Zentrum Irlands. Von Kindheit an hatte Fidelma Worte und Bedeutungen geliebt und oft mit ihnen gespielt.

»Dann hat Bischof Segdae also recht?« fragte Colgü etwas überrascht, als er ihre Worte begriff. »Ich dachte, du hättest dich darauf festgelegt, dem Haus der heiligen Brigitta zu dienen?«

»Ich habe mich aus dem Haus der heiligen Brigitta in Kildare zurückgezogen, Bruder«, bestätigte Fidelmamit hörbarem Bedauern in der Stimme. »Ich konnte der Äbtissin Ita nicht länger die Treue halten. Es war eine Frage der . der Integrität. Mehr möchte ich nicht sagen.«

Colgü saß ihr gegenüber, mit ausgestreckten Beinen in seinen Sessel zurückgelehnt, und sah seine Schwester nachdenklich an. Wenn sie sich zu etwas entschlossen hatte, war es zwecklos, weiter darüber mit ihr zu reden.

»Hier bist du immer willkommen, Fidelma. Du hast mir und diesem Königreich mehrfach einen Dienst erwiesen, seit du Kildare verlassen hast.«

»Der Gerechtigkeit einen Dienst erwiesen«, verbesserte ihn Fidelma sanft. »Ich habe einen Eid geschworen, daß ich vor allem anderen dem Gesetz dienen will. Damit diene ich zugleich dem rechtmäßigen König und somit auch diesem Königreich.«

Colgü lächelte; es war dasselbe rasche spitzbübische Grinsen, mit dem auch Fidelma oft einen gelungenen Scherz quittierte.

»Dann habe ich ja Glück, daß ich der rechtmäßige König bin«, meinte er trocken.

Fidelma begegnete dem Blick ihres Bruders mit stillem Humor.

»Ich freue mich, daß wir uns darin so einig sind.«

Doch Colgü wurde wieder ernst.

»Möchtest du nun in Muman bleiben, Fidelma? Hier gibt es genug religiöse Häuser, in denen du willkommen wärst. Imleach zum Beispiel oder auch Lios Mhor. Und solltest du hier im Palast von Cashel wohnen wollen, dann wär mir das mehr als recht. Hier bist du geboren, und dies ist dein Zuhause. Ich wüßte täglich deinen Rat zu schätzen.«

»Ich werde dort sein, wo ich dir am besten dienen kann, Bruder. Das wäre mein Wunsch.«

Ihr Bruder sah sie einen Moment forschend an und sagte dann: »Als Bischof Segdae erwähnte, daß du Kildare verlassen hast, dachte ich zunächst, du hättest vielleicht die Absicht, ins Königreich von Ecgberht von Kent zu reisen.«

Unwillkürlich hob Fidelma vor Überraschung die Brauen.

»Kent? Das Königreich der Jüten? Warum dorthin, Bruder? Wie kommst du denn darauf?«

»Weil Canterbury in Kent liegt. Ist das nicht der Ort, zu dem Bruder Eadulf zurückkehren muß?«

»Eadulf?« Fidelma errötete, hob aber trotzig das Kinn. »Was willst du damit andeuten?«

»Ich will gar nichts andeuten«, erwiderte Colgü mit einem wissenden Lächeln. »Ich habe nur bemerkt, daß du viel Zeit in Gesellschaft des Angelsachsen verbringst. Ich sehe, wie ihr beide miteinander umgeht. Bin ich nicht dein Bruder? Ich habe keinen Grund, dafür blind zu sein.«

Fidelmas Gesicht wurde verlegen.

»Das ist dummes Gerede.« Ihr heftiger Ton klang etwas gezwungen.

Colgü sah sie lange nachdenklich an.

»Auch Mönche und Nonnen müssen heiraten«, meinte er ruhig.

»Nicht alle«, widersprach Fidelma nervös.

»Stimmt«, antwortete ihr Bruder, »aber das Zölibat gilt nur für die, die wie Asketen und Einsiedler leben wollen. Du gehörst zu sehr dieser Welt an, als daß du jenen Weg gehen wolltest.«

Fidelma hatte nun ihre Verlegenheit überwunden und ihre Fassung wiedererlangt.

»Nun, ich habe jedenfalls keine Pläne, ins Königreich der Jüten zu reisen oder überhaupt in ein fremdes Land.«

»Dann wird vielleicht Bruder Eadulf seine Stellung in Canterbury aufgeben und sich bei uns niederlassen?«

»Ich bin nicht in der Lage, vorherzusagen, was Ea-dulf tun wird, Bruder«, antwortete Fidelma so gereizt, daß Colgü sie entwaffnend anlächelte.

»Du bist mir böse, weil ich so dreist frage, Schwester. Aber ich komme nicht aus bloßer Neugier auf dieses Thema. Ich möchte nur wissen, wie es dir geht und ob du vorhast, Muman zu verlassen.« »Ich habe schon gesagt, daß ich das nicht beabsichtige.«

»Ich würde es dir nicht verübeln. Dein angelsächsischer Freund gefällt mir. Es ist gut mit ihm auszukommen, wenn er auch ein Sohn seines Volkes ist.«

Fidelma gab keine Antwort. Sie schwiegen eine Weile, Colgü streckte sich lässig in seinem Sessel aus; dann wurde seine Miene plötzlich besorgt.

»Ehrlich gesagt, Fidelma«, meinte er schließlich, »ich brauche deine Hilfe.«

Fidelmas Gesicht blieb ernst.

»So etwas habe ich erwartet. Um was handelt es sich?«

»Du hast das Geschick, Probleme zu lösen, Fidel-ma, und dieses Talent möchte ich mir wieder einmal zunutze machen.«

Fidelma neigte den Kopf.

»Mein Talent steht dir immer zur Verfügung, Colgü. Das weißt du doch.«

»Dann muß ich dir gestehen, daß ich dich mit einer ganz bestimmten Absicht hergebeten habe.«

»Daran hatte ich keinen Zweifel«, erwiderte sie ruhig. »Aber ich wußte, daß du das Thema auf deine Art anschneiden würdest.«

»Kennst du die Berge im Westen, die Cruacha Dubha genannt werden?«

»Ich bin noch nie dort gewesen, aber ich habe sie aus der Ferne gesehen und Geschichten über sie gehört.«

Colgü beugte sich vor.

»Hast du auch Geschichten über Laisre gehört?«

Fidelma runzelte die Stirn.

»Laisre, den Fürsten von Gleann Geis? Über ihn wurde neulich unter den Mönchen und Nonnen hier in Cashel geredet.«

»Was hast du gehört? Du kannst frei sprechen.«

»Daß sein Volk immer noch den alten Göttern und Göttinnen anhängt. Daß Fremde in seinem Land nicht willkommen sind und daß die Brüder und Schwestern des Glaubens auf eigene Gefahr dorthin gehen.«

Colgü seufzte und senkte den Kopf.

»Da ist etwas Wahres dran. Doch die Zeiten ändern sich rasch, und Laisre ist anscheinend ein intelligenter Mann. Er sieht jetzt ein, daß er dem Fortschritt nicht ewig im Wege stehen kann.«

Fidelma war überrascht.

»Heißt das, daß er sich zum Glauben bekehrt hat?«

»Nicht ganz«, gestand Colgü. »Er hält immer noch verbissen an den alten Bräuchen fest. Doch er ist bereit, die Argumente beider Seiten offen abzuwägen. In seinem Volk gibt es aber noch viel Widerstand dagegen. Der erste Schritt wäre also zu verhandeln ...«

»Zu verhandeln?«

»Laisre hat uns wissen lassen, daß er bereit ist, mit mir darüber zu verhandeln, daß er Glaubensleuten die Erlaubnis erteilt, auf seinem Gebiet eine Kirche und eine Schule zu errichten, die späterhin die alten heidnischen Kultstätten ersetzen sollen.«

»Der Ausdruck >verhandeln< läßt darauf schließen, daß er etwas dafür haben will. Wie hoch ist sein Preis für die Erlaubnis, eine Kirche und eine Schule auf seinem Gebiet zu bauen?«

Colgü zuckte leicht mit den Schultern.

»Den Preis müssen wir ermitteln. Ich brauche jemanden, der sowohl für dieses Königreich als auch für die Kirche sprechen kann.«

Fidelma schaute ihren Bruder nachdenklich an.

»Willst du damit sagen, daß ich in die Cruacha Dubha gehen und mit Laisre verhandeln soll?« fragte sie überrascht. Sie hatte gedacht, Colgü wolle nur ihren Rat in dieser Sache hören.

»Wer ist geschickter im Verhandeln und wer kennt dieses Königreich und seine Bedürfnisse besser als du?«

»Aber .«

»Du kannst in meinem Namen sprechen, Fidelma, und auch im Namen von Bischof Segdae. Finde heraus, was Laisre will, was er erwartet. Wenn die Bedingungen vernünftig sind, kannst du ihnen zustimmen. Sind sie unzumutbar, kannst du ihm erklären, der König und sein Rat müßten sie erst noch prüfen.«

Fidelma überlegte.

»Weiß Laisre, daß ich komme?«

»Ich wagte nicht, davon auszugehen, daß du zustimmst, Fidelma.« Colgü lächelte. »Er bat nur darum, daß ein Abgesandter des Glaubens zum Anfang der nächsten Woche in sein Gebiet kommen möge und daß er meines Ranges würdig wäre. Nimmst du an?«

»Wenn es denn dein Wunsch ist, daß ich dich und Bischof Segdae vertrete. Übrigens, warum ist der gute Bischof nicht hier und sagt uns seine Meinung dazu?«

Colgü schmunzelte.

»Er ist hier. Ich habe den alten >Grenzlandfalken< draußen warten lassen, bis ich die Sache mit dir besprochen habe. Er wird dir seine Meinung später mitteilen.«

Fidelma sah ihren Bruder mißtrauisch an.

»Du warst also sicher, daß ich gehen würde?«

»Niemals«, versicherte ihr Colgü mit einem Lächeln, das seine Antwort nicht glaubwürdiger machte. »Doch wenn du nun gehst, dann nimm einen Trupp meiner Elitekrieger mit, meiner Ritter vom Goldenen Halsreif.«

»Und was würde Laisre sagen, wenn ich an der Spitze eines Trupps von Niadh Nasc in sein Gebiet geritten käme? Wenn ich Gesandte sein soll, muß ich auch als Gesandte auftreten. Er würde die Kriegerschar nur als Beleidigung und als Einschüchterung bei den Verhandlungen betrachten. Krieger sind fehl am Platz, wenn über die Errichtung einer Kirche oder einer Schule verhandelt wird. Ich reite allein.«

Colgü schüttelte heftig den Kopf.

»Allein in die Cruacha Dubha? Nein, das tust du nicht. Nimm wenigstens einen Krieger mit.«

»Ob ein Krieger oder zehn, sie sind eben Krieger und erregen Unwillen. Nein, ich werde nur noch einen Vertreter des Glaubens mitnehmen und damit unsere friedlichen Absichten bekunden.«

Colgü blickte ihr forschend ins Gesicht und gab nach. Er wußte, sie hatte sich entschlossen, und wenn seine Schwester einen Entschluß gefaßt hatte, das war

Colgü klar, hatte es keinen Zweck, ihn umstoßen zu wollen.

»Dann nimm deinen Angelsachsen mit«, beharrte er. »Er ist ein guter Mann an deiner Seite.«

Fidelma blickte ihren Bruder rasch an, doch diesmal errötete sie nicht.

»Bruder Eadulf hat vielleicht anderes zu tun - es ist doch sicher an der Zeit, daß er zum Erzbischof von Canterbury zurückkehrt, der ihn dir als Gesandten schickte?«

Colgü lächelte sanft.

»Ich denke, du wirst feststellen, daß Bruder Eadulf bereit ist, noch etwas länger in unserem Königreich zu verweilen, Schwester. Trotzdem wünschte ich, du würdest dich von meinen Kriegern begleiten lassen.«

Fidelma blieb hart.

»Wie können wir beweisen, daß der Glaube der Weg des Friedens und der Wahrheit ist, wenn wir mit Gewalt bekehren? Nein, ich sage dir nochmals, Bruder, wenn ich ausgesandt werde, um mit Laisre und seinem Volk zu verhandeln, dann muß ich sie davon überzeugen, daß ich auf meinen Glauben vertraue und mich auf eine Zunge verlasse, die die Wahrheit spricht, und nicht auf ein Schwert. Vincit omnia Veritas!«

Colgü war belustigt.

»Es mag schon sein, daß die Wahrheit alles besiegt, doch das Geheimnis besteht darin, zu wissen, wann und zu wem man diese Wahrheit sagt. Da du lateinische Sprichwörter so gern magst, Fidelma, gebe ich dir diesen Rat: cave quid dicis, quando et cui.«

Fidelma senkte ernst den Kopf.

»Das ist ein Rat, den ich beherzigen werde.«

Colgü erhob sich und ging zu einem Schrank. Ihm entnahm er einen kleinen Stab aus Ebereschenholz, auf dem eine kleine goldene Figur befestigt war. Es war das Abbild eines Hirsches mit Geweih, das Symbol des Fürstengeschlechts der Eoghanacht von Cashel. Feierlich überreichte ihn Colgü seiner Schwester.

»Hier ist das Wahrzeichen deiner Gesandtschaft, Fidelma. Dieser Stab verleiht dir meine Autorität und das Recht, in meinem Namen zu sprechen.«

Fidelma stand auf. Sie kannte den Symbolgehalt des Stabes gut.

»Ich werde dich nicht enttäuschen, Bruder.«

Colgü sah seine Schwester liebevoll an und legte ihr dann beide Hände auf die Schultern.

»Da ich dich nicht dazu überreden kann, einen Trupp meiner Krieger mitzunehmen, biete ich dir den zweitbesten Beistand an.«

Fidelma sah gespannt zu, wie Colgü sich umwandte und in die Hände klatschte. Die Tür öffnete sich, und sein Brehon und sein Kämmerer traten ein. Ihnen folgte Bischof Segdae, ein älterer Mann mit Hakennase, dessen Gesicht seinem Namen zu entsprechen schien. Offensichtlich hatten sie draußen auf diesen Moment gewartet. Sie verneigten sich kurz und respektvoll vor Fidelma. Dann trat der Kämmerer wortlos an Colgüs linke Seite. Er trug ein kleines Kästchen aus Holz, das er nun dem König darbot.

»Ich wollte dies schon seit einiger Zeit tun«, gestand Colgü vertraulich, während er das Kästchen öffnete. »Besonders, seitdem du die Pläne der Ui Fid-gente zum Sturz meines Königreichs zunichte gemacht hast.«

Er nahm eine goldene Kette heraus. Sie war einfach gearbeitet und etwa zwei Fuß lang.

Fidelma hatte gesehen, wie andere Könige von Cashel diese Auszeichnung vornahmen, und begriff plötzlich, was bevorstand. Dennoch war sie überrascht.

»Du willst mich in die Niadh Nasc aufnehmen?« flüsterte sie.

»Das will ich«, bestätigte ihr Bruder. »Kniest du nieder und sprichst den Eid?«

Die Niadh Nasc, der Orden der Goldenen Kette oder des Goldenen Halsreifs, war eine ehrwürdige Adelsbruderschaft in Muman, die aus Mitgliedern der Elitekriegergarde der Könige von Cashel hervorgegangen war. Die Ehre wurde von den Eoghanacht-Königen von Cashel persönlich verliehen, und jeder Träger verpflichtete sich ihnen zur persönlichen Treue. Dafür trug er ein Kreuz, das einem alten Sonnensymbol nachgebildet war, denn die Ursprünge des Ordens sollten auch bis in tiefe Vorzeit zurückreichen. Manche Chronisten behaupteten, er sei tausend Jahre vor Christi Geburt gegründet worden.

Langsam sank Fidelma auf die Knie.

»Schwörst du, Fidelma von Cashel, bei allem, was du verehrst, den rechtmäßigen König von Muman, das Oberhaupt deines Hauses, zu verteidigen und zu be-schützen und deine Gefährten des Ordens der Goldenen Kette in brüderlicher und schwesterlicher Verbundenheit anzunehmen?«

»Ich schwöre es«, flüsterte Fidelma und legte ihre rechte Hand in die ihres Bruders, des Königs Colgü.

Er nahm die goldene Kette und wand sie um ihre verschlungenen Hände als einem symbolischen Akt der gegenseitigen Verpflichtung.

»Im Bewußtsein deiner Treue gegenüber unserer Person, unserem Hause und unserem Orden und des feierlichen Eides, den du geschworen hast, ihnen zu gehorchen, sie zu verteidigen und zu beschützen, binden wir dich nun mit dieser Kette in unseren Dienst ein und nehmen dich in die Niadh Nasc auf. Möge nur der Tod und niemals die Unehre diese Kette zertrennen.«

Einen Augenblick herrschte Schweigen, dann löste Colgü mit einem verlegenen Lachen die Kette, hob seine Schwester auf und küßte sie auf beide Wangen. Darauf entnahm er dem Kästchen eine andere Goldkette. An ihrem Ende war ein eigenartig geformtes Kreuz befestigt, ein weißes Kreuz mit gerundeten Enden, in das ein einfaches Kreuz eingefügt war. Es war das Abzeichen des Ordens, älter als die christlichen Symbole. Ernst legte es Colgü seiner Schwester um den Hals.

»Jeder Mensch in den fünf Königreichen von Ei-reann kennt dieses Zeichen«, sagte er feierlich. »Du hast zwar den Schutz durch die Personen meiner Krieger abgelehnt, doch dies wird dir ihren Schutz im Geiste gewähren, denn wer ein Mitglied des Ordens kränkt, kränkt damit zugleich die Könige von Cashel und die Bruderschaft der Niadh Nasc.«

Fidelma wußte, daß dies kein eitles Versprechen ihres Bruders war. Nur wenige wurden in den Orden aufgenommen, und noch seltener wurde Frauen diese Auszeichnung zuteil.

»Ich werde das Zeichen in Ehren tragen, Bruder«, sagte sie ruhig.

»Möge es dir Schutz bieten auf deiner Reise ins Verbotene Tal und bei deiner Verhandlung mit Laisre. Und, Fidelma, denke an meine Mahnung: Cave quid dicis, quando et cui

Bedenke, was du sagst, wann und zu wem.

Der Rat ihres Bruders klang in Fidelma nach, als sie ihre Aufmerksamkeit wieder den düsteren, drohenden Gipfeln der Bergkette vor ihr zuwandte.

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