Kapitel 21

»Ich wußte es doch«, tobte Bischof Forbassach und sprang erneut vor Zorn auf. »Dies ist ein Plan, um Äbtissin Fainder anzugreifen und zu verleumden. Das werde ich nicht dulden.«

»Ich habe keinen Plan, Äbtissin Fainder mehr in den Fall zu verwickeln, als sie schon darin verwickelt ist«, erwiderte Fidelma ruhig. »Ich hatte sie allerdings im Verdacht, besonders nachdem ich erfuhr, daß Fainder seit ihrem Eintritt in die Abtei großen Reichtum erworben hat.«

»Barran! Ich beschuldige diese Frau der üblen Nachrede!« rief Abt Noe und erhob sich ebenfalls. »Wir können nicht still dabeisitzen, wenn sie Äbtissin Fainder in dieser Weise angreift.«

»Ich habe nur gesagt, daß ...«, begann Fidelma.

»Leugne es doch!« kreischte die Äbtissin, die plötzlich die Beherrschung verlor. »Du versuchst mich in deinem Netz von Lügen zu fangen!« Einige Zeit und gutes Zureden waren erforderlich, um sie wieder zur Besinnung zu bringen. Als wieder Ruhe herrschte, wandte sich Barran an Fidelma.

»Es hört sich wirklich so an, als würdest du auf eine Beschuldigung der Äbtissin Fainder hinsteuern. Du weist darauf hin, daß es wesentlich darauf ankam, die Todesstrafe nach den Bußgesetzen zu vollziehen. Du fügst hinzu, daß Äbtissin Fainder darauf bestand und daß aus Gründen, die Brehon Forbassach selbst am besten kennt, er dem zustimmte und den König überredete, seine Einwilligung zu geben. Du sprichst ständig von diesem, diesem Marionettenspieler - wie du ihn nennst - als von einem Mitglied der Abtei. Wer könnte besser im Mittelpunkt des furchtbaren Netzes stehen, das du beschreibst, als die Äbtissin selbst? Und nun behauptest du, als wenn das im Zusammenhang damit stünde, daß sie seit ihrer Ankunft in der Abtei reich geworden sei?«

»Lügen! Lügen! Lügen!« schrie die Äbtissin und hämmerte mit der Faust auf die hölzerne Armlehne ihres Stuhls. Bischof Forbassach mußte sie erneut beruhigen.

»Äbtissin Fainder ist indirekt verantwortlich für vieles, was hier geschehen ist, und dazu müssen wir jetzt kommen. Aber ich habe schon nachgewiesen, daß sie Gabran nicht getötet hat.«

Wieder erhob sich ein Stimmengewirr. Barran gebot sofort Ruhe.

»Man könnte«, fuhr Fidelma fort, »sogar sagen, daß Abt Noe indirekt noch mehr Verantwortung trägt für die schrecklichen Vorgänge hier als alle anderen.«

Der Abt fuhr kampflustig hoch.

»Ich? Du wagst mir vorzuwerfen, ich sei an Mord und an diesem schrecklichen Mädchenhandel beteiligt?«

»Das habe ich nicht gesagt. Ich sagte, du seist indirekt verantwortlich für das, was hier geschah. Seit einiger Zeit hast du dich den römischen Anschauungen zugewandt. Mir wurde klar, daß deine Bekehrung erfolgt sein mußte, als du Fainder in Rom kennenlerntest.«

»Ich leugne nicht, daß ich mich zu den Bußgesetzen bekehrt habe«, brummte Noe und setzte sich wieder, behielt aber seine störrische Haltung bei.

»Leugnest du, daß Fainder einen starken Einfluß auf dich ausübte, dich dazu überredete, sie nach Laigin zurückzubringen und sie zur Äbtissin zu machen, während du Fianamail dazu veranlaßt hast, dich zu seinem geistlichen Berater zu ernennen, was dir eine Machtstellung im ganzen Königreich verschaffte?«

»Das ist deine Sicht der Dinge.«

»Es sind die Tatsachen. Du gingst sogar so weit, die Regeln der Ernennungen in der Abtei zu durchbrechen, damit Fainder Äbtissin werden konnte. Du hast behauptet, sie sei deine entfernte Kusine, was sie nicht ist, doch niemand widersprach ihrer Ernennung, auch wenn manche wußten, daß Fainder nicht mit dir verwandt ist. Sobald Fainder Äbtissin geworden war, führte sie die Abtei nach den Bußgesetzen. Du warst in sie vernarrt. Du hast die Ereignisse in Gang gesetzt, Noe. Der Boden, auf dem die Gesetze geändert werden und diese Vorgänge sich abspielen konnten, wurde von dir bereitet durch deine Verliebtheit in diese Frau.«

»Woher weißt du, daß Fainder nicht mit Noe verwandt ist?« fragte Barran rasch. »Und was hat ihr plötzlicher Reichtum damit zu tun?«

»Deog, die Witwe des Wachmanns Daig, ist ihre Schwester«, erläuterte Fidelma. »Deog berichtete mir von dem neuen Wohlstand ihrer Schwester. Fainder besuchte Deog häufig, doch leider war es nicht schwesterliche Liebe, die die Äbtissin so regelmäßig zur Hütte ihrer Schwester reiten ließ, nicht wahr, Forbas-sach?«

Bischof Forbassach lief unter ihrem Blick dunkelrot an.

»Du hast dich auch vor ganz kurzer Zeit zur Anwendung der Bußgesetze bekehrt, nicht wahr?« forschte Fidelma. »Möchtest du uns sagen, warum?«

Zum erstenmal in dieser Verhandlung blieb der Brehon von Laigin auf ihre Frage die Antwort schuldig.

Es war Äbtissin Fainder, die die Antwort gab. Sie war gebrochen und kämpfte mit ihrem Schluchzen.

»Forbassachs Liebe zu mir hatte nichts damit zu tun, daß er sich zum wahren christlichen Recht bekannte«, verteidigte sie ihn. »Er setzte sich für die Bußgesetze ein auf Grund der Logik, nicht wegen unserer Liebe zueinander.«

Ein empörter Aufschrei ertönte im Hintergrund der Halle, und eine Frau wurde von zwei anderen Frauen hinausgeführt. Forbassach hatte sich halb erhoben, doch Fidelma bedeutete ihm mit einer Geste, sich wieder zu setzen.

»Das wirst du nachher mit deiner Ehefrau ausmachen müssen, Forbassach«, meinte sie. Fainder starrte sie feindselig an, doch Fidelma begegnete ihrem Blick ohne Groll.

»Dein neuer Reichtum entsprang der Fülle von Geschenken von Forbassach wie von Noe, ist es nicht so? Sie überschütteten dich mit Gaben, um dich geneigt zu machen. Amantes sunt amentes. Verliebte sind unzurechnungsfähig.«

Die Miene der Äbtissin hätte eine schwächere Persönlichkeit in Angst versetzen können. Forbassach waren diese Enthüllungen sichtlich peinlich, doch er ließ keine Schuldgefühle erkennen. Abt Noe saß schweigend da, völlig niedergeschmettert von dem, was er soeben gehört hatte. Selbst Fidelma fühlte etwas Reue, weil sie ihm die Augen über Fainders Falschheit geöffnet hatte. Er war offensichtlich so von der Äbtissin betört, daß ihn der Gedanke, Forbassach sei ebenfalls ihr Geliebter, wie ein Dolchstoß traf.

»Meine Schlußfolgerung, daß du nicht die Schuldige seist, Fainder, wurde schließlich bestätigt, weil du in Cam Eolaing in Ohnmacht fielst, als ich erklärte, die Person hinter allem Übel sei jemand von hohem Rang in der Abtei. Du wurdest bewußtlos, weil du dachtest, ich meinte einen deiner Liebhaber. Aber welchen

Äbtissin Fainders Gesicht wurde rot vor Beschämung.

»Wenn ich deinen Argumenten folge, Fidelma«, unterbrach sie Barran, »dann sagst du, Äbtissin Fainder habe Gabran nicht getötet. Doch du sagst auch, Fial habe Gabran nicht getötet. Wer hat ihn denn dann getötet - und geschah es auf Befehl der Äbtissin?«

»Laß es mich auf meine Art erklären«, bat Fidelma, »denn eine so komplizierte Verschwörung ist mir noch nie begegnet. Der besagte Marionettenspieler geriet langsam in Panik wegen der steigenden Zahl von Todesfällen im Gefolge von Gabrans erstem Verbrechen. Die Dinge nahmen nicht den erwarteten Verlauf. Jeder Versuch, die Schuldigen zu decken, führte zu immer schlimmeren Fehlschlägen. Wie ich schon sagte, beschloß man, Gabran zum Schweigen zu bringen und den Handel einzustellen - jedenfalls für eine Weile. Die Person, die dazu ausersehen war, Gabran umzubringen, sollte die Abtei zu einem Besuch bei einem Verwandten verlassen, der nicht weit von der Stelle entfernt wohnt, an der Gabrans Schiff vertäut lag. Gabran wartete auf seine neue Fracht. Zwei Mädchen sollten an dem Vormittag in Empfang genommen werden. Der Mörder machte sich auf den Weg zu Gabrans Schiff, wahrscheinlich ohne zu ahnen, daß Äbtissin Fainder dicht hinter ihm war.

Er erreichte das Schiff und stellte fest, daß Gabran einen seiner Männer in die Berge geschickt hatte, um die Ware abzuholen. Die Mädchen wurden immer an einem abgeschiedenen Ort an Bord genommen. Der größte Teil der Mannschaft Gabrans erhielt Geld und den Auftrag, die Esel, die das Schiff so weit flußaufwärts gezogen hatten, zurückzubringen und erst am nächsten Tag wiederzukommen. Die Mädchen würden erscheinen, während sie weg waren, und nur ein oder zwei Matrosen würden etwas von ihrer Existenz erfahren.

Der Mörder traf Gabran anscheinend allein an. Er tötete ihn mit einem kraftvollen Schwerthieb in den Hals. Dann mußte er warten, wahrscheinlich, um den anderen Mann umzubringen, wenn der mit den Mädchen ankam. Vermutlich hätte er die Mädchen auch getötet, damit alle Münder stumm wären. Doch der Mörder sah, wie sich die Äbtissin am Ufer näherte. Nun mußte er sich schnell davonmachen. Er verschwand in den Bergen. Vielleicht dachte er, er würde Gabrans Mann und den Mädchen unterwegs begegnen und könnte die Morde vollenden. Als er sie nicht finden konnte, ging er weiter zu dem Verwandten, dem er einen Besuch versprochen hatte.

Inzwischen hatte auf Gabrans Schiff die arme kleine Fial, von allen unbemerkt, sich in der winzigen Kajüte, in der sie seit Tagen gefangen lag, von ihren Fußfesseln befreit. Ohne zu wissen, was geschehen war, kletterte sie in Gabrans Kajüte hinauf und sah ihn tot auf dem Boden liegen. Ihr erster Gedanke war die Flucht in die Freiheit, und sie griff sich den Schlüssel, von dem sie wußte, daß er ihre Handschellen öffnete.

Dann hielt sie inne, weil ein mächtiger Zorn in ihr aufstieg. Sie nahm ein Messer, zog Gabrans Kopf an den Haaren hoch und stieß ihm in blinder Wut das kleine Messer in die Brust und die Arme. Er war bereits tot, und die Wunden wären nicht tödlich gewesen. Es war ihre Rache für das Leid und den Schmerz, die er ihr zugefügt hatte. Da klopfte es an der Kajütentür. Die Äbtissin war inzwischen an Bord gekommen. Erschrocken ließ Fial sowohl Gabran als auch das Messer fallen und flüchtete in ihr Loch zurück, wobei sie eine Handvoll Schlüssel mitnahm. Die Äbtissin trat ein.

Fial fand schließlich den richtigen unter ihren vier Schlüsseln, entkam durch die ganze Länge des Schiffes bis in den Laderaum, stieg an Deck und sprang ins Wasser. Sie trieb flußabwärts, bis es ihr gelang, an Land zu klettern, doch dann sah sie sich von Forbas-sach und Mel verfolgt.«

»Das ist eine gute Darstellung, Fidelma«, bemerkte Barran. »Aber läßt sich dadurch irgend etwas beweisen? Einiges davon wird durch die Aussagen Fials und der Äbtissin gestützt, das sehe ich, aber was ist mit dem geheimnisvollen Mörder? Und woher weißt du etwas von dem Verwandten in den Bergen?«

»So geheimnisvoll ist es nicht. Nach dem, was mir Bruder Eadulf von seinen Abenteuern erzählte, können wir sagen, wer der Mann ist.«

»Der Angelsachse? Wie kann er den Mörder kennen? Er war doch schon auf der Flucht«, wandte Bar-ran ein.

»Bruder Eadulf fand gastliche Aufnahme bei einem blinden Einsiedler namens Dalbach.«

Zum erstenmal seit Beginn der Verhandlung regte sich Fianamail. Er richtete sich plötzlich auf.

»Dalbach? Aber das ist ja mein Vetter! Wir sind verwandt!«

Barran lächelte spöttisch, bevor er sich an Fidelma wandte.

»Willst du damit sagen, daß es der König von Laigin selbst war, der an dem Tag seinen Vetter besuchte?«

Fidelma seufzte ungeduldig.

»Dalbach erzählte Eadulf, sein Verwandter sei Mönch in der Abtei Fearna. Damit war klar, wen er meinte.«

Als niemand darauf reagierte und den Namen aussprach, fuhr sie unwillig fort.

»Nun gut, dann will ich es weiter ausführen. Dal-bach beging offensichtlich den Fehler, seinem Vetter anzuvertrauen, daß er Eadulf Zuflucht gewährt hatte. Bereitwillig oder unter Zwang verriet er seinem Vetter, daß er Eadulf empfohlen hatte, in der Nacht am Gelben Berg Schutz zu suchen. Dieser Verwandte Dalbachs wußte, daß Eadulfs Tod von entscheidender Bedeutung war für den Plan, die Spuren der Verschwörung zu verbergen, also ritt er zum Gelben Berg.« Sie hielt inne und sah Fianamail an. »Du warst in deiner Jagdhütte dicht bei dem Nebenkloster der heiligen Brigitta, wohin Eadulf die beiden Mädchen gebracht hatte. Mitten in der Nacht kam jemand an und berichtete dir, wo Eadulf wahrscheinlich zu finden sei.«

Viele Blicke richteten sich auf Abt Noe, doch Fia-namail schaute zur Seite.

»Es war mein Vetter, mein Vetter ...«

Bruder Cett stieß einen eigenartigen, tierischen Schrei aus und versuchte, aus der Halle zu stürmen.

Erst vier Mann aus Barrans Leibgarde gelang es, den großen, kräftigen Mann zu überwältigen.

Fidelma breitete die Hände aus.

»Quod erat demonstrandum. Es war Bruder Cett. Ich hatte gehört, daß er dein Vetter ist, Fianamail, und als Eadulf mir sagte, daß nur Dalbach wußte, wo er sich in der letzten Nacht verbarg, und daß Dalbach ebenfalls mit der Königsfamilie der Ui Cheinnselaigh verwandt ist und außerdem einen Vetter hat, der Mönch in Fearna ist, brauchte ich nur noch zwei und zwei zusammenzuzählen. Wenn ihr Bruder Cetts Kutte untersucht, werdet ihr als weiteren Beweis feststellen, daß sie ungefähr fünfzig Zentimeter vom Saum entfernt einen Riß hat.«

Einer der Krieger beugte sich hinunter, um nachzusehen, richtete sich auf und bestätigte es Barran.

Fidelma nahm einige Wollfäden aus ihrem Tragebeutel. »Ich bin sicher, diese Fäden passen zu der Kutte. Cett blieb an einem Nagel in Gabrans Kajüte hängen.«

Das ließ sich sehr schnell nachprüfen.

»Nur ein starker Mann wie Cett konnte den Aufwärtsstoß führen, der Gabran tötete, weder ein schwaches Mädchen wie Fial noch die Äbtissin wären dazu in der Lage.«

Beifälliges Murmeln durchlief die Halle. Es wurde übertönt von Bischof Forbassachs spöttischer Stimme. Er hatte etwas von seiner früheren Selbstsicherheit zurückgewonnen und war auf Rache aus. Er kicherte geradezu.

»Du bist zweifellos sehr schlau, Fidelma, aber nicht schlau genug. Der Mönch, der sich auf dem Schiff befand und Fial befahl zu lügen, war nicht Bruder Cett, sonst hätte das Mädchen etwas über seinen mächtigen Körperbau gesagt. Sie bestritt sogar, daß es dieselbe Person war.«

In schweigender Erwartung richteten sich alle Blik-ke auf Fidelma.

»Ich beglückwünsche dich zu deiner Beobachtungsgabe, Forbassach«, gestand sie. »Wie schade, daß du auf eine so scharfe Prüfung der Beweislage so demonstrativ verzichtet hast bei deinen Vernehmungen von Eadulf und Ibar, bevor du sie zum Tode verurteiltest.«

Bischof Forbassach stieß ein zorniges Lachen aus.

»Eine Beleidigung ändert nichts an der Tatsache, daß deine Geschichte nicht stimmig ist. Fianamail wird mir die Bemerkung verzeihen, daß Cett nicht gerade der hellste Kopf seiner Familie ist. Von dem Unterschied in der Beschreibung abgesehen, ist die Vorstellung, Cett wäre dazu fähig, der . wie hast du es genannt? ... der Marionettenspieler zu sein - also das ist blanker Unsinn!« Mit zufriedenem Grinsen setzte sich Forbassach wieder hin.

»Wenn ich mich recht erinnere, sagte ich bei der Erörterung dieses Falls in Cobas Burg - und Coba wird mir das sicher bestätigen - unter anderem, daß der Marionettenspieler jemand mit einer einflußreichen Stellung in der Abtei sei.«

Coba nickte eifrig. »Das hast du gesagt, aber For-bassach hat recht. Fials Beschreibung paßt nicht auf Cett. Auch hat Cett keine einflußreiche Stellung in der Abtei.«

»Dem stimme ich zu«, meinte Fidelma. »Die Person, die sich diese schmutzige Art des Geldverdienens ausdachte und Cett und Gabran überredete, dabei mitzumachen, war Cetts Schwester, seine leibliche Schwester Etromma, die rechtaire der Abtei.«

Schwester Etromma hatte von dem Augenblick an, als Cett beschuldigt wurde, mit gekreuzten Armen und versteinertem Gesicht dagesessen. Sie veränderte ihre Haltung auch jetzt nicht, als zwei von Barrans Kriegern herantraten und sich zu beiden Seiten von ihr aufstellten.

»Leugnest du das, Schwester Etromma?« fragte Barran.

Schwester Etromma hob den Kopf und starrte den Oberrichter an. Ihr Gesicht verriet keine Bewegung.

»Ein schweigender Mund ist wohlklingend«, antwortete sie ruhig und zitierte damit ein altes Sprichwort.

»Es wäre klug, wenn du dich dazu äußerst«, drängte sie Barran. »Schweigen kann als Eingeständnis verstanden werden.«

»Ein kluger Kopf schließt den Mund«, erwiderte die Verwalterin fest.

Barran zuckte die Achseln und gab den Kriegern das Zeichen, sie ebenso wie ihren nun gebändigten Bruder Cett aus der Halle hinauszuführen.

»Ich denke, eine Durchsuchung von Etrommas persönlicher Habe könnte offenbaren, wo sie ihr Geld gehortet hat«, schlug Fidelma vor. »Ich erinnere mich, daß sie mir erzählte, sie hoffe, sich eines Tages auf der Insel Mannanan Mac Lir niederzulassen. Ich glaubte, sie wolle in die Abtei Maughold eintreten. Jetzt meine ich, sie wollte mit ihrem Bruder auf die Insel ziehen und einfach von dem Geld aus ihrem schmutzigen Geschäft im Wohlstand leben.«

Coba erhob sich.

»Oberrichter, ich habe gerade mit dem Boten gesprochen, den ich zur Abtei geschickt hatte. Er bestätigt mir, daß er mit meinem Auftrag, der Äbtissin mitzuteilen, daß ich dem Angelsachsen Freistatt gewährt hatte, zur Abtei kam, Fainder aber nicht sprechen konnte. Er richtete seine Botschaft der rechtaire aus. Etromma erfuhr, wo sich Eadulf befand, an dem Abend, bevor Gabran zu meiner Burg kam und versuchte, ihn umzubringen.«

»Ich hatte Etromma schon eine Weile im Verdacht«, berichtete Fidelma den Versammelten, »doch wußte ich nicht genau, warum. Erst als ich merkte, daß Fial aus der Abtei und auf Gabrans Schiff geschafft worden war, wurde mir klar, daß sie den Mittelpunkt des Unternehmens bildete.«

»Wieso?« wollte Barran wissen.

»Ich hatte den Wunsch geäußert, mit Fial zu sprechen. Etromma ließ mich beim Arzt Miach und machte sich auf die Suche nach ihr. Statt in der Apotheke auf sie zu warten, ging ich noch einmal zurück zu Eadulf. Als ich dort ankam, war sein Wächter, Bruder Cett, verschwunden. Der neue Wächter sagte mir, er sei mit Etromma auf dem Wege zum Kai. Später begriff ich, daß sie so Fial aus der Abtei und auf Gabrans Schiff brachten, bevor ich mit ihr reden konnte. Dann kam Etromma zurück und erklärte mir, Fial sei verschwunden. Das traf sich sehr gut! Kurz darauf hörte ich, Gabrans Schiff habe vom Kai der Abtei abgelegt.«

»Ich meine, der Weg ist nun deutlich aufgezeigt, Fidelma«, dankte ihr Barran. »Kannst du uns auch noch etwas Klarheit darüber verschaffen, weshalb diese Frau sich auf solch ein schändliches Unternehmen einließ?«

»Ich glaube, das unmittelbare Motiv war die Ansammlung von genügend Reichtum, um in einem gewissen Maß von Wohlstand und Unabhängigkeit leben zu können. Wie heißt es im ersten Brief an Timotheus? Radix omnium malorum est cupiditas. Geldgier ist die Wurzel allen Übels. Etromma ist eine unglückliche Frau, das wissen viele. Sie gehört zur königlichen Familie, ist aber eine arme Verwandte. Sie und ihr Bruder wurden, noch Kinder, als Geiseln genommen, und kein Zweig der königlichen Familie erbot sich, den Sühnepreis für ihre Freilassung zu zahlen.«

Fianamail rutschte verlegen hin und her, sagte aber nichts zur Verteidigung seiner Familie.

»Etromma und Cett gelang die Flucht auf eigene Faust, und da sie noch unmündig waren, traten sie in den Dienst der Abtei. Cett war, nicht durch eigene Schuld, geistig behindert und ließ sich hauptsächlich von seiner Schwester lenken. Etromma war nicht be-gabt genug, um höher aufzusteigen als zum Amt der rechtaire. Das verbitterte sie, obgleich es eine einflußreiche Stellung ist. Seit zehn Jahren war sie schon rechtaire und besorgte die täglichen Geschäfte der Abtei, als Fainder ihr vor die Nase gesetzt und zur Äbtissin gemacht wurde. Das war ein harter Schlag für sie. Vielleicht entstand damals bei ihr der Gedanke, genug Reichtum zu erwerben, um die Abtei verlassen und in Unabhängigkeit leben zu können. Sie entwarf den Plan, und ihr Bruder Cett und der Schiffer Gabran wurden ihre willigen Helfer.«

»Das scheint jetzt ziemlich klar zu sein«, murmelte Forbassach neidvoll.

Fidelma lächelte freudlos.

»Wie mein Mentor Brehon Morann gesagt hätte: Im nachhinein werden alle Dinge verständlich.«

Während Barran die Schreiber instruierte und den Brehons die Gesetzeslage erläuterte, wandte sich Eadulf an Fidelma und sprach zum erstenmal seit Beginn der Verhandlung mit ihr.

»Wann hast du den ersten Verdacht gegen Schwester Etromma gefaßt?« fragte er. »Du sagtest, du hattest schon eine Weile ein Auge auf sie, aber dein Verdacht erhärtete sich erst, als du merktest, daß Fial auf Gabrans Schiff gewesen war.«

Fidelma lehnte sich zurück und dachte über die Frage nach, ehe sie antwortete.

»Ich faßte schon Verdacht, als sie mir den Kai zeigte, am allerersten Tag meiner Ankunft.«

Eadulf war erstaunt. »Am ersten Tag? Wie kam das?«

»Wie gesagt, ich hatte gehört, daß sie und Cett zum Kai gegangen waren, als sie angeblich Fial suchte. Sie kam zurück und erklärte mir, Fial sei verschwunden. Dann gingen wir zum Kai. Ein Mönch begegnete uns und berichtete, ein Flußschiff sei gesunken und man glaube, es sei das Gabrans. Etromma schien mir ungewöhnlich besorgt, obwohl sie sich nach Kräften bemühte, es zu verbergen. Sie machte sich sofort auf den Weg zur Unglücksstelle. Wäre es Gabrans Schiff gewesen, hätte Fial gerettet werden können oder das Wrack durchsucht, und in dem Fall wäre der schreckliche Mädchenhandel ans Licht gekommen.«

Sie hielt kurz inne.

»Das war die eine Sache. Und dann log sie natürlich bei der Frage, ob sie gesehen hätte, wie ich den Amtsstab und den Brief an Theodor in der Matratze gefunden hatte, wo du beides versteckt hattest. Sie hatte gesehen, daß ich es dort fand, das wußte ich. Erst dachte ich, sie hätte Angst vor Forbassach und der Äbtissin, doch der wahre Grund war der, daß sie meinen Nachforschungen mit deiner Hinrichtung ein Ende bereiten wollte ...«

Mehrere Tage später standen Eadulf und Fidelma zusammen auf dem Kai am Loch Garman. Im strengen Sinne war es kein Loch oder See, sondern eine große Ausbuchtung des Meeres, ein Haupthafen für Schiffe aus Gallien, Iberia, den Ländern der Franken und der Angelsachsen und aus vielen anderen Ländern. Loch Garman war der belebteste Hafen der fünf Königreiche. Er lag am südöstlichsten Ende der Insel und war deshalb am leichtesten erreichbar. So profitierte Laigin durch den reichen Handel, litt aber auch unter dem Fluch häufiger Angriffe durch Seeräuber.

Fidelma und Eadulf stand einander gegenüber, und der Wind spielte sanft mit ihren Haaren und zerrte an ihrer Kleidung.

»So«, seufzte Fidelma, »das wäre das. König Fia-namail ist nach Tara vorgeladen worden, und der Großkönig wird ihn vermahnen. Forbassach hat seinen Rang eingebüßt und darf nicht mehr als Anwalt oder Richter praktizieren. Er wurde in irgendein abgelegenes Kloster versetzt, und seine Frau läßt sich von ihm scheiden. Äbtissin Fainder ist wieder ins Ausland gegangen, vermutlich nach Rom, und Abt Noe . nun, ich glaube, er wird sich wohl auch nach Rom aufmachen, nachdem er jetzt nicht mehr Fiana-mails geistlicher Berater ist.«

»Fainder ist eine merkwürdige Frau«, meinte Eadulf. »Einerseits tritt sie mit fanatischem Eifer für die Bußgesetze und die römische Klosterregel ein. Andererseits hat sie keine Bedenken, ihre Sexualität als Mittel zum Aufstieg zur Äbtissin einzusetzen. Wie sie es fertigbrachte, sowohl Abt Noe als auch Bischof For-bassach zu beherrschen, das entzieht sich meinem Verständnis. Ich finde sie nicht einmal attraktiv.«

Fidelma warf den Kopf zurück und lachte. »De gu-stibus non est disputandum.«

Eadulf verzog das Gesicht. »Das ist wohl so. Was ich für abstoßend halte, gilt anderen als attraktiv.«

Nachdenklich spitzte er den Mund. »Also, wie du sagst, das wäre das. Ich nehme an, Laigin wird nun zur Rechtsprechung der Gesetze der Fenechus zurückkehren?«

Fidelma lächelte zuversichtlich. »Es wird schon eine Weile dauern, ehe es wieder jemand wagt, die grausamen Strafen der Bußgesetze zu verhängen. Ich hoffe, der Fall tritt nie ein.«

Nach einem verlegenen Schweigen zwischen ihnen hob Fidelma den Blick.

»Hältst du an deinem Plan fest?« fragte sie plötzlich.

Eadulf schien traurig, aber entschlossen.

»Ja. Ich stehe in der Pflicht sowohl Erzbischof Theodor von Canterbury gegenüber als auch deinem Bruder, dem ich versprochen habe, die Briefe zu überbringen.«

In den letzten Tagen hatte Fidelma unter Eadulfs stiller Entschiedenheit gelitten, seine Rückreise ins Land der Angelsachsen fortzusetzen. Sie hatte ihm so deutlich wie möglich zu verstehen gegeben, daß sie sich freuen würde, wenn er sie nach Cashel zurückbegleitete. So störrisch hatte sie Eadulf noch nie erlebt. Ihr Stolz hatte ihr verboten, sich ihm noch weiter zu erklären. Er mußte doch wohl wissen, was sie empfand, und doch . und doch wollte er nicht mit ihr zurück. Er hatte darauf bestanden, zu dem Seehafen zu reisen, und sie hatte sich ihm angeschlossen in der Hoffnung, ihn zur Rückkehr mit ihr zu überreden. Brehon Morann hatte ihr einmal gesagt, Stolz sei nur eine Maske für die eigenen Fehler. Hatte sie einen Fehler gemacht? Was sollte sie denn noch sagen oder tun? Fidelma zögerte, als falle es ihr schwer, sich richtig auszudrücken.

»Bist du sicher, daß ich dich nicht dazu bewegen kann, mit uns nach Cashel zurückzukommen? Du weißt, daß du am Hof meines Bruders höchst willkommen bist.«

»Ich habe meine Pflicht zu erfüllen«, erwiderte Eadulf ernst.

»Wenn die Pflicht zur Glaubenssache wird, dann können wir uns vom Glücklichsein gleich verabschieden«, wagte sie sich vor und dachte dabei daran, wie oft sie früher die Pflicht vorgeschoben hatte, um ihre Gefühle für ihn zu leugnen.

Eadulf nahm ihre beiden Hände.

»Du zitierst doch so gern die Weisen der Vorzeit, Fidelma. War es nicht Plautus, der schrieb, daß es für einen ehrlichen Mann eine Ehre ist, wenn er seine Pflicht nicht vergessen hat?«

»Das Gesetz der Fenechus sagt, daß Gott nicht mehr von einem Menschen verlangt, als er leisten kann«, konterte sie scharf, denn sie glaubte, er wolle sie nek-ken, indem er ihr ihre früheren Meinungen vorhielt.

Ein Ruf kam über das Wasser, und ein kleines Ruderboot legte von einem der großen, hochseegehenden Schiffe ab, die in der Bucht ankerten. Es kam schnell auf den Kai zu, wo sich mehrere Leute mit ihrem Gepäck eingefunden hatten und es erwarteten.

»Die Gezeiten wechseln.« Eadulf hob den Kopf und spürte die Richtungsänderung des Windes auch auf den Wangen. »Der Schiffskapitän wird auslaufen wollen. Ich muß jetzt an Bord gehen. Wie es scheint, nehmen wir ständig voneinander Abschied. Ich erinnere mich an das letzte Mal, als wir uns in Cashel trennten. Da hattest du entschieden, daß deine Pflicht darin liege, auf eine Pilgerfahrt zum Grabe des heiligen Jakobus in Iberia zu gehen.«

»Aber ich bin zurückgekommen«, erwiderte Fidelma vorwurfsvoll.

»Das stimmt«, antwortete er mit einem raschen Lächeln. »Gott sei Dank, denn sonst wäre ich jetzt nicht hier. Doch damals hast du mir auch gesagt, ich hätte eine Pflicht gegenüber Theodor von Canterbury zu erfüllen. Ich weiß noch genau deine Worte: >Es gibt immer eine Zeit, einen Ort zu verlassen, selbst wenn man nicht genau weiß, wohin man geht.<«

Reuig neigte sie den Kopf. »Ich kann mich ebenfalls an die Worte erinnern. Vielleicht hatte ich unrecht.«

»Und weißt du auch noch, daß ich antwortete, ich fühlte mich in Cashel wie zu Hause und würde Wege finden, dort zu bleiben, trotz der Forderungen aus Canterbury?«

Sie erinnerte sich sehr genau an seine Worte, und sie hatte nicht vergessen, was sie darauf erwidert hatte.

»Heraklit sagt, man kann nicht zweimal in denselben Fluß steigen, weil ständig andere Wasser hineinfließen. Das habe ich dir geantwortet. Das weiß ich noch.«

»Um der Ehre willen kann ich jetzt nicht nach Cas-hel zurückkehren. Ich muß mein Versprechen in Canterbury halten.«

Er wollte sich abwenden, doch er drehte sich wieder um und packte ihre Hände. Seine Augen schimmerten feucht. Er stand kurz davor, ihr zu sagen, er käme mit nach Cashel, aber er wußte, er mußte stark sein, wenn es eine gemeinsame Zukunft geben sollte.

»Ich möchte mich nicht so schnell wieder von dir trennen, Fidelma. Einer eurer alten Dreiersprüche fragt doch nach den drei Krankheiten, an denen man leiden kann, ohne sich zu schämen?«

Sie errötete etwas und antwortete leise: »Am Juk-ken, am Durst und an der Liebe.«

»Kommst du mit mir mit?« fragte Eadulf ungestüm. »Mit nach Canterbury? Dessen brauchtest du dich nicht zu schämen.«

»Wäre das ein kluger Entschluß von mir?« fragte Fidelma mit einem ganz leisen Lächeln. Ihre Gefühle sagten ja, doch die Logik sprach dagegen.

»Ich weiß nicht, ob Klugheit etwas damit zu tun hat«, meinte Eadulf. »Ich weiß nur, daß kein Wind die Segel deines Lebensschiffs füllt, wenn du nicht einen bestimmten Hafen ansteuerst.«

Fidelma schaute zurück.

Am Kai standen Dego, Enda und Aidan und warteten geduldig darauf, daß Fidelma und Eadulf einander Lebewohl sagten. Sie hielten die Pferde für den Ritt zurück nach Cashel. Sie überlegte einen Augenblick, kam aber nicht sofort zu einem Entschluß. Lag die Entscheidung vielleicht gerade in dieser Unentschlossenheit? Sie wußte keine Antwort. Ihre Gedanken waren zu verwirrt. Eadulf schien ihre Zweifel zu spüren.

»Wenn du bleiben mußt, dann bleibe; ich würde das verstehen«, sagte er leise und resigniert.

Fidelmas feurige grüne Augen schauten sekundenlang in seine warmen braunen Augen, dann drückte sie seine Hand, lächelte rasch, ließ die Hand fallen, drehte sich um und ging schweigend weg.

Eadulf machte keinen Versuch, noch etwas zu sagen. Er sah ihr nach, wie sie mit festen Schritten zu ihrer Stute lief. Aidan und Enda saßen auf, und Dego führte ihr das Pferd entgegen. Eadulf wartete, zwischen Ungewißheit und Hoffnung hin- und hergerissen. Er hörte, wie sie ein paar Worte zu Dego sprach. Dann nahm sie ihrem Pferd die Satteltasche ab. Als sie zu Eadulf zurückkehrte, war ihr Gesicht gerötet, doch sie lächelte zuversichtlich.

»Brehon Morann sagte, wenn der Verstand sich nicht entscheiden kann, dann folge dem Impuls. Gehen wir an Bord, ehe der Kapitän ohne uns ausläuft.«

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