Kapitel 5

Verzögerungen bei der Aufnahme der Aufbruch-zur-Arbeit-Szene am nächsten Morgen. Eines der Pferde war in Trotzlaune, setzte seinen Pfleger ab und trat einen Kameraschwenker. Lampen versagten mitten in der Aufnahme. Einer der Stallburschen stellte vor laufenden Kameras eine blöde Frage, und ein Tontechniker, der es besser hätte wissen sollen, schlenderte rauchend in den nächsten Take hinein.

Als Nash aus dem Haus kam, vergaß er die Sturzkappe mitzubringen, die er aufsetzen sollte, bevor er aufs Pferd stieg. Er schnippte verärgert mit den Fingern und machte kehrt.

Bis wir schließlich ein kopierfähiges Ergebnis zustande brachten, war es längst nicht mehr Tagesanbruch. Moncrieff hantierte mit immer neuen Farbfiltern, um die pralle Sonne zu dämpfen. Ich sah auf meine Uhr und dachte an den Hubschrauber.

»Noch mal«, rief ich allen zu. »Und daß es jetzt um Himmels willen klappt. Kommt nicht zurück, reitet ins Gelände. Seid ihr soweit?«

»Kamera ab«, sagte Moncrieff.

Ich rief: »Los«, und einmal mehr führten die Pfleger ihre geduldigen Schützlinge aus den Boxen, schwangen sich in die Sättel, bildeten eine lose Reihe und ritten auf den tän-

zelnden Tieren zum Tor hinaus. Nash, der ihnen folgte, vergaß, zum Fenster hinaufzusehen.

Ich rief: »Aus«, und sagte zu Moncrieff: »Kopierer.«

Nash kam fluchend zurück.

»Schon gut«, sagte ich. »Wir schneiden es rein. Würden Sie noch mal rausreiten und sich umdrehen und hochschauen, nachdem Sie das Tor passiert haben, so als wären die anderen Pferde gerade vor Ihnen aus dem Bild gegangen? Den Blick machen wir auch in Nahaufnahme.«

»Jetzt gleich?«

»Ja«, sagte ich. »Weil jetzt noch das Licht stimmt. Und wie wär’s, wenn die Frau Sie eine Idee nervt?«

Die Nahaufnahme von dem gereizten Gesicht war dann den Aufwand mit der eigens gestellten Kamera durchaus wert. Selbst Moncrieff lächelte.

Nash meinte nur: »Hoffentlich wartet die Rennleitung in Doncaster mit dem Essen.«

Er sauste mit dem Rolls davon, doch als ich wenig später nachkam, stand er noch in der Hotelhalle und las steif konzentriert in einer Zeitung.

»Nash?« fragte ich zögernd.

Er ließ die Zeitung sinken, drückte sie mir in die Hände und sagte in explodierendem Zorn: »Mist!«

Dann drehte er sich auf dem Absatz um, stiefelte davon und überließ es mir, herauszufinden, was ihn so aufgebracht hatte.

Ich sah es. Ich las es und bekam genauso eine Mordswut.

TURFFILMPLEITE

Das erste, was über die in Newmarket laufenden Dreharbeiten zu dem Film Unsichere Zeiten nach außen dringt, ist Kunde von Zank, Zwietracht und bloßliegenden Nerven.

Howard Tylers pulsierende Rennvorlage, die zehn Wochen auf den Bestsellerlisten stand, wird nach Auskunft meines Informanten bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Superstar Nash Rourke bereut seine Mitwirkung und sagt: »Regisseur Thomas Lyon (30), unfähig und arrogant, liebt verheerende Skriptänderungen in letzter Minute.«

Lyon hat sich vorgenommen, ein 26 Jahre altes Rätsel aus dem Leben, das die Grundlage von Tylers Meisterwerk bildet, zu lösen. Der Polizei gelang dies seinerzeit nicht. Beliebt Lyon zu scherzen?

Die Rede ist vom tragischen Tod der Frau eines früheren Newmarketer Trainers, die unter unaufgeklärten Umständen durch Erhängen starb, und natürlich sind ihre engeren Angehörigen darüber unglücklich, wie kalte Asche hier zu schmerzlichem, unsinnigem Feuer aufgeschürt wird.

In Lyons Version macht unter anderem der Mann der Erhängten - Rourke - ihre Schwester an und löst bei deren Mann, einem nunmehr gehörnten, später durchdrehenden Vorstandsmitglied des Jockey Clubs, rasende Rachegelüste aus. Nichts davon ist wahr.

Wieso vertrauen Hollywoods Giganten die Verfilmung eines berühmten Romans der talentlosen Willkür eines überdrehten Diktators an? Was hat dieser lächerliche Hanswurst noch auf der Heide verloren? Wer gestattet ihm, Millionen für die erbärmliche Travestie eines großen Werkes zu verpulvern?

Wird es nicht höchste Zeit, daß jemand Meister Thomas Lyon den Schuh gibt?

Dazu abgebildet war ein großes Foto von Nash, mit grimmigem Gesichtsausdruck.

Wutentbrannt fuhr ich hinauf in meine Suite und hörte das Telefon klingeln, als ich hereinkam.

Ehe ich mich noch melden konnte, kam Nashs Stimme aus dem Hörer: »Ich hab das nicht gesagt, Thomas.«

»Hätte mich auch gewundert.«

»Ich bringe diesen Scheiß-Tyler um.«

»Überlassen Sie ihn O’Hara.«

»Fliegen wir noch nach Doncaster?«

»Na, und ob«, sagte ich. Nur raus aus Newmarket, dachte ich. »Geht’s in einer halben Stunde?«

»Ich bin dann in der Halle.«

Ich wählte die Nummer von O’Haras Mobiltelefon, erreichte aber nur seinen Auftragsdienst.

Ich sagte: »Lesen Sie den Daily Drumbeat, Seite 16, die Rubrik >Sterngeflüster<. Nash und ich fahren zum Pferderennen. Ich habe mein Mobiltelefon dabei. Nehmen Sie Prozac.«

Howard Tylers Zimmertelefon läutete Sturm, aber er ging nicht dran. Ich duschte in Rekordzeit, zog Rennleitungslunchkleidung an und fuhr nach unten, um die hilfsbereite Seele am Empfang zu befragen.

»Mr. Tyler ist nicht mehr hier«, bestätigte sie. »Er ist abgereist.«

»Wann ist er abgereist?«

»Also eigentlich«, sagte sie, »hat er sich hier am Empfang eine Zeitung geholt und ist wie immer in den Speisesaal, um zu frühstücken. Es ist so nett, ihn hierzuhaben, und auch Mr. Rourke, wir können es kaum glauben. Nach fünf Minuten kam Mr. Tyler dann plötzlich aus dem Speisesaal, fuhr nach oben, kam mit seinem Koffer wieder runter und sagte, er wisse nicht, wann er zurücksein werde.«

Sie sah besorgt aus. »Ich habe kein Geld von ihm verlangt. Das war hoffentlich nicht falsch, aber man hat mir gesagt, alles gehe auf die Rechnung der Filmgesellschaft.« »Das ist schon in Ordnung«, versicherte ich ihr. »Hat Mr. Tyler gesagt, wo er hinwollte?«

Hatte er natürlich nicht. Er habe es sehr eilig gehabt. Die Empfangsangestellte hatte ihn gefragt, ob es ihm nicht gut gehe, aber keine Antwort darauf bekommen. Er hatte die Zeitung zwar mitgenommen, doch es lag noch ein Exemplar in der Rezeption. Alle hatten den Artikel gelesen. Sie hatte es für das beste gehalten, ihn Mr. Rourke zu zeigen. Ihre Rechtschaffenheit schnürte ihr fast die Kehle zu.

»Was meinen Sie, was jetzt passiert?« fragte Nash, bereit für die Rennbahn, nachdem auch er sich die Geschichte der Empfangsdame angehört hatte.

»Fürs erste sind wir Howard mal los.«

Wir gingen hinaus zu dem Rolls und weiter zu dem Platz, wo der Hubschrauber stand.

»Das Schwein verklage ich«, sagte Nash wütend, als er sich anschnallte. »Von wegen, ich bereue mein Engagement.«

»Stimmt es nicht?«

»Was denn?«

»Daß Sie das gesagt haben?«

»Scheiße, Thomas. Es tut mir leid, daß ich nicht daheim bei meiner Frau sein kann, hab ich gesagt. Und das war am ersten Tag. Jetzt bedaure ich gar nichts mehr.«

»Sie hätte ja mitkommen können.«

Er zuckte die Achseln. Wir wußten beide, weshalb seine Frau zu Hause geblieben war: Eine Risikoschwangerschaft im vierten Monat machte sie unsicher. Sie hatte sich über sein Ja zu Newmarket geärgert. Er hatte sich allzu öffentlich dafür entschuldigt.

»Was den Quatsch angeht, den ich über Sie persönlich gesagt haben soll.«

»Da hat Howard Ihnen seine Worte in den Mund gelegt«, sagte ich. »Vergessen Sie’s.«

Der Hubschrauber hob von dem Rasen in Newmarket ab und schwenkte nach Nordwesten.

»Vergessen Sie’s« war zwar leicht gesagt, aber ich hatte den unangenehmen Verdacht, daß die Muttergesellschaft, unsere Kapital quelle, wie ein Fangtrupp angeschossen kommen würde, um mich am nächsten Dachbalken aufzuknüpfen. Wenn ihre Geldanlage in üblen Geruch kam, waren Entlassungen angezeigt. Vielleicht mußte O’Hara mich fallenlassen; vielleicht wollte er es sogar.

Adieu, Karriere, dachte ich. Es war eine schöne Zeit. Ich konnte kaum glauben, was hier vor sich ging.

Schlau von Howard, sich meinem Zugriff zu entziehen. Ich hätte ihn umbringen können. Ich saß still in dem Helikopter, sah zu, wie Lincolnshire unter mir dahinglitt, und mir war flau von dem Tumult in meinen Eingeweiden.

Ich ging davon aus, daß bei Filmarbeiten im allgemeinen der Regisseur die unbeliebteste Person war. Der Regisseur ließ die Leute Dinge tun, die sie für unnötig, lächerlich, falsch hielten. Regisseure verlangten erstens zuviel von den Darstellern und ignorierten zweitens deren wohldurchdachte Interpretationen. Regisseure waren nie zufrieden, vergeudeten Zeit mit Details, schindeten jedermann zu Tode, pfiffen auf verletzte Gefühle, setzten sich über technische Schwierigkeiten hinweg, erwarteten das Unmögliche und brüllten die Leute an.

Andererseits ging ich davon aus, daß der Regisseur eine klare Vorstellung von dem entstehenden Werk brauchte, auch wenn sich Einzelheiten des Bildes noch änderten. Der Regisseur mußte alles tun, um seine Vorstellung in ein sehenswertes Lichtspiel zu verwandeln. Übertriebene Sympathie und Toleranz am Drehort waren unergiebig;

Wankelmut kostete Geld, und Inkonsequenz ließ das Ganze aus dem Ruder laufen. Ein gelungener Film war ein streng geführtes Schiff.

Überreden lag mir näher als Köpfe abreißen, aber wenn es, wie bei Howard, mit Überreden nicht ging, konnte ich auch schon mal eklig werden. Außerdem wußte ich, daß O’Hara genau dies von mir erwartete oder vielmehr verlangte. Nutzen Sie Ihre Macht, hatte er gesagt.

Alle, die an dem Film mitarbeiteten, würden den Artikel im Drumbeat lesen. Halb Newmarket würde ihn lesen. Meine Aufgabe war, selbst wenn O’Hara mich weiter am Ruder ließ, kaum noch oder gar nicht mehr zu schaffen -meine Autorität war dahin. Notfalls würde ich kämpfen, um sie zurückzugewinnen.

Der Hubschrauber landete in Doncaster nahe dem Ziel, wo ein hoher Funktionär bereitstand, um Nash angemessen zu begrüßen und ihn zu den anderen hohen Tieren zu führen. Gerade als ich hinter ihm ausstieg, summte mein Mobiltelefon, und ich sagte ihm, er solle vorgehen, ich würde nachkommen, wenn ich mit O’Hara gesprochen hätte - falls es O’Hara sei.

Er sah mir ins Gesicht und bat den Funktionär, mein Gespräch abzuwarten.

Ich meldete mich. »Thomas«, sagte ich.

»Thomas!«

O’Haras Stimme war laut und verärgert. »Wo sind Sie?«

Nash hörte ihn brüllen. Er zuckte zusammen.

»Auf der Rennbahn in Doncaster.«

»Ich hatte Hollywood an der Leitung. Da ist es noch keine fünf, und die Genossen sind schon sauer. Jemand hat sie angerufen und ihnen ein Fax vom Drumbeat geschickt.«

Ich sagte dümmlich: »Ein Fax?«

»Ein Fax«, bestätigte er.

»Wer hat es geschickt?«

»Das hat der Häuptling, mit dem ich gesprochen habe, nicht gesagt.«

Ich schluckte. Mein Herz schlug heftig. Die Hand, die den Apparat hielt, zitterte sichtlich an meinem Ohr. Beruhige dich, dachte ich.

»Mit wem hat Tyler gesprochen?« fragte er wütend.

»Ich weiß es nicht.«

»Sie wissen es nicht?«

»Nein. Er klagt sein Leid doch jedem, der ihm zuhört. Vielleicht wußte er gar nicht, daß er es einem Journalisten gesteckt hat - oder jemandem, der einen Journalisten kennt.«

»Was sagt er denn dazu?«

»Das Hotel sagt, er ist ausgeflogen, sobald er die Zeitung zu Gesicht bekommen hat. Niemand weiß, wo er hin ist.«

»Ich habe bei ihm zu Hause angerufen«, polterte O’Hara. »Die sagen, er sei in Newmarket.«

»Eher auf dem Mond.«

»Der Häuptling, mit dem ich gesprochen habe, ist einer von ganz oben, und er will Ihren Kopf.«

Das war’s dann, dachte ich betäubt und wußte nicht, was ich sagen sollte. Ich hätte mildernde Umstände geltend machen müssen. Mir fiel nichts ein.

»Sind Sie noch dran, Thomas?«

»Ja.«

»Er sagt, Sie sind gefeuert.«

Ich schwieg.

»Teufel noch eins, Thomas, verteidigen Sie sich.«

»Ich habe Howard gestern geraten, daß er seine Zunge hüten soll, aber ich nehme an, es war schon zu spät.«

»Vor vierzehn Tagen hat er die Häuptlinge schon dazu kriegen wollen, daß sie Sie rauswerfen, das wissen Sie, oder? Damals habe ich sie beschwichtigt. Aber so was!«

Ihm fehlten die Worte.

Endlich legte ich doch Verwahrung ein. »Wir liegen genau in der Zeit. Wir halten den Etat ein. Die Gesellschaft selbst hat auf Handlungsänderungen bestanden. Ich drehe einen kommerziellen Kinofilm, und es stimmt nicht, daß wir Streit und Zwietracht haben, außer mit Howard selbst.«

»Was sagt er?« fragte Nash ungeduldig.

»Ich bin gefeuert.«

Nash riß mir das Telefon aus der Hand.

»O’Hara? Hier ist Nash. Sagen Sie diesen Hirntoten, die über uns bestimmen, daß ich nicht gesagt habe, was im Drumbeat steht. Ihr Junge leistet gute Arbeit, und wenn Sie ihn in dieser Phase abziehen, wird der Film ein Reinfall, und davon abgesehen war das vorerst dann mein letzter Deal mit euch.«

Entgeistert riß ich das Telefon wieder an mich. »Nash, das geht doch nicht. O’Hara, hören Sie nicht auf ihn.«

»Geben Sie ihn mir noch mal.«

Kopfschüttelnd reichte ich den Hörer zurück. Nash hörte O’Hara eine Weile zu und sagte: »Sie wollten doch, daß ich ihm vertraue. Das tue ich. Der Film läßt sich gut an. Jetzt vertrauen Sie mir mal, dafür habe ich eine Nase, verlassen Sie sich drauf.«

Er hörte noch ein wenig zu, sagte: »Gut«, und schaltete das Gerät ab.

»O’Hara sagt, er ruft Sie in fünf Stunden noch mal an, wenn sie in Hollywood das Ganze beredet haben. Die haben da um neun eine Frühstücksbesprechung, wenn die großen Tiere alle auf sind. O’Hara ist per Konferenzschaltung dabei.«

»Danke«, sagte ich.

Er lächelte flüchtig. »Mein Name steht genauso auf dem Spiel wie Ihrer. Ich möchte nicht, daß mein grünes Licht auf Gelb springt.«

»Ausgeschlossen.«

»Schlechte Besprechungen schlagen mir auf die Verdauung.«

Wir überquerten mit dem geduldigen Funktionär das Geläuf und gingen hinauf in die Enklave der Rennleitung. Auf Schritt und Tritt drehten sich die Köpfe nach uns, während ein Rennbahnbesucher nach dem anderen mit Spätzündung Nash erkannte. Wir hatten uns jede Vorauswerbung verbeten - die Muttergesellschaft war extrem sicherheitsbewußt -, so daß nur die höchsten Ränge wußten, wer zu Besuch kam. Ich war direkt froh, ein unbekanntes Gesicht zu haben.

Sie hatten mit dem Essen nicht gewartet. Im Rennsport ließ die Zeiteinteilung sich selbst für Megastars nicht ändern. Ungefähr zwanzig Stewards saßen mit ihren Freunden bereits bei Roastbeef und original Yorkshire-Pudding.

Von hinter den Gabeln kam eine so herzliche und respektvolle Begrüßung, wie das aufgeblähteste Ego es sich nur wünschen konnte, und dabei wurde mir immer klarer, daß Nashs Ego viel normaler und bescheidener war, als man bei seiner Berühmtheit hätte annehmen können.

Ich hatte eine große Scheu vor ihm gehabt, bevor ich ihn kennenlernte. Ich hatte mich ihm bildlich gesprochen auf Knien genähert und nicht den launenhaften Vollkommen-heitsfanatiker vorgefunden, vor dem man mich gewarnt hatte, sondern im wesentlichen den Mann, den ich ihn auf der Leinwand immer wieder hatte darstellen sehen, egal in welcher Rolle, welcher Maske - vernunftbestimmt und willensstark.

Ich hoffte verzweifelt, daß die Stewards in Doncaster, ihre Frauen und die übrigen Gäste keine Fans des >Stern-geflüsters< im Drumbeat waren, und sah erleichtert, daß es sich bei den zwei Zeitungen, die unübersehbar auf dem Tisch lagen, um die Racing Gazette und das Daily Cable handelte, beide aufgeschlagen auf der Seite mit dem Nachruf auf Valentine.

Nash und ich schüttelten reichlich Hände und bekamen ehrenvolle Plätze angewiesen, und während Nash eine sprachlose Kellnerin um Sprudelwasser bat, der die Nähe zu den erotischsten Augen der Filmwelt fast die Besinnung raubte, las ich die beiden Abschiedsgrüße an Valentine und fand, sie machten dem alten Mann Ehre. Die Feuerbestattung, hielt die Gazette außerdem fest, war für Montag elf Uhr angesetzt, und ein Gedenkgottesdienst würde auch noch stattfinden. Wenn ich wirklich entlassen war, dachte ich düster, konnte ich zu beiden hingehen.

Beim Kaffee flatterten die Seiten des Drumbeat über den Tisch, und wie konnte es anders sein, irgend jemand sprach Nash sein Mitgefühl aus wegen des Regisseurs, der seinen neuen Film so vermurkste. Über meine Wenigkeit wurde rings um den Tisch hinter vorgehaltener Hand getu-schelt, und ich zog Breitseiten mißbilligender Blicke auf mich.

Nash sagte mit Autorität und einer gekonnten Stimmführung, der es mühelos gelang, andere Gespräche abzustellen: »Glauben Sie nie, was in der Zeitung steht. Wir machen einen ausgezeichneten Film in Newmarket. Nur ein gehässiger Kleingeist zieht über uns her. Ich habe nicht

gesagt, was mir da unterstellt wird, und ich habe vollstes Vertrauen zu Thomas. Ich werde mich bei der Zeitung beschweren und einen Widerruf verlangen.«

»Verklagen Sie sie«, meinte irgend jemand.

»Mal sehen.«

»Und was Sie angeht, Thomas«, sagte ein Steward, den ich persönlich kannte, »Sie sollten unbedingt klagen.«

Ich sagte: »Ich bin mir nicht sicher, ob ich das kann.«

»Natürlich können Sie!«

Er stieß mit dem Zeigefinger auf die Seiten. »Das ist doch eine unerhörte Diffamierung.«

Ich sagte: »Es ist schwierig, jemanden dafür zu belangen, daß er Fragen stellt.«

»Was?«

»Die Diffamierungen sind sorgfältig in Frageform gehalten. Die Fragezeichen nehmen der Verleumdung etwas von ihrer Bestimmtheit.«

»Unglaublich!«

Ein Kopf weiter unten an der Tafel nickte ernst. »Eine gemeine Unterstellung, die als Frage daherkommt, kann als üble Nachrede betrachtet werden oder auch nicht. Da gibt es Grauzonen.«

Mein Bekannter, der Steward, sagte laut: »Das ist doch ungerecht.«

»Es ist das Gesetz.«

»Haben Sie das gewußt?« fragte mich Nash.

»Mhm.«

»Hat Howard es gewußt?«

»Der Schreiber des Artikels wußte es bestimmt.«

Nash sagte: »Scheiße!«, und niemand stieß sich daran.

»Was Nash wirklich braucht«, sagte ich, »wäre ein verläßlicher Tip für das Lincoln.«

Sie lachten und wandten sich erleichtert wieder dem Ernst des Tages zu. Ich lauschte mit halbem Ohr dem kundigen Formpalaver und dachte bei mir, daß fünf Stunden quälend lang sein konnten. Bis jetzt waren gerade mal vierzig Minuten vergangen. Mein Puls hämmerte immer noch vor Angst. Mein ganzes Berufsleben hing vermutlich davon ab, ob die an den Frühstückstisch gebetenen Häuptlinge gut ausgeschlafen waren. Samstag morgen. Golftag. Ich machte mich gleich doppelt unbeliebt.

Ich ging mit Nash und einigen anderen Gästen der Rennleitung hinunter, um die Pferde vor dem ersten Rennen im Führring zu sehen. Nash schaute auf die Pferde - das Rennbahnpublikum schaute zunehmend auf Nash. Er schien die Gafferei als selbstverständlich hinzunehmen, so wie daheim in Hollywood, und mit liebenswürdiger Höflichkeit gab er ein paar großäugigen Teenagern Autogramme.

»Wie legt man eine Wette an?« fragte er mich, während er drauflosschrieb.

»Wenn Sie wollen, mach ich’s für Sie. Welches Pferd, wieviel?«

»Weiß der Geier.«

Er hob kurz den Blick und wies auf ein Pferd, auf das gerade ein Jockey mit roten und gelben Streifen geworfen wurde. »Der da. Zwanzig.«

»Kommen Sie solange allein zurecht?«

»Bin doch ein großer Junge.«

Grinsend ließ ich ihn stehen, ging zum Totalisator und setzte zwanzig Pfund auf Sieg für das Pferd namens Wasp. Nash, den ich dann wieder auflas, kehrte mit mir in die

Rennleitungsloge zurück, von wo aus wir zuschauten, wie Wasp sich mit dem fünften Platz beschied.

»Ich schulde Ihnen was«, sagte Nash. »Suchen Sie mir für den nächsten Lauf mal einen aus.«

Die Rennen wurden wie immer auf Bildschirmen überall in den Bars und auf der Tribüne im Bahnfernsehen übertragen. Auf dem Monitor in der Loge lief eine Wiederholung des gerade zu Ende gegangenen Rennens mit Wasp, der wieder Fünfter wurde, und seinem Jockey, der arbeitete bis zum Schluß.

Ich starrte atemlos auf den Bildschirm.

»Thomas? Thomas«, sagte Nash mir energisch ins Ohr, »egal was für ein Trip das ist, kommen Sie wieder runter.«

»Fernsehen«, sagte ich.

Nash meinte ironisch: »Also das gibt’s schon ein paar Jährchen.«

»Ja, aber.«

Ich nahm die Racing Gazette, die auf dem Tisch lag, und blätterte von Valentines Nachruf zum Veranstaltungsprogramm für Doncaster. Wie ich gehofft hatte, wurden die heutigen Rennen von einem privaten Fernsehsender übertragen, der zur Freude von Millionen Tag für Tag ausgiebig vom Turf berichtete. Zur großen Eröffnung der Flachsaison waren die Fernsehleute sicher in voller Stärke angerückt.

»Thomas«, wiederholte Nash.

»Ehm«, sagte ich, »wieviel liegt Ihnen daran, unseren Film zu retten? Oder besser gesagt. mich?«

»Ich würde dafür nicht gerade von einem hohen Felsen springen.«

»Und wie wär’s mit einem Fernsehinterview?«

Er machte große Augen.

Ich sagte: »Angenommen, Sie könnten im Fernsehen sagen, daß wir keinen Schrott zusammendrehen? Würden Sie das tun?«

»Klar«, sagte er leichthin, »aber damit erreichen Sie nicht alle Drumbeat-Leser

»Nein. Aber wenn nun O’Hara das Interview nach Hollywood bringen könnte? So daß es die Häuptlinge beim Frühstück sehen? Ihr Gesicht auf dem Bildschirm, Nash, gibt vielleicht den Ausschlag, wenn O’Haras gute Worte nicht genügen. Nur. hätten Sie auch Lust dazu?«

»Verdammt, Thomas, zählen Sie auf mich.«

Ich ging auf den Balkon und tippte O’Haras Nummer in die Tasten: Laß es nicht sein Auftragsdienst sein, betete ich.

Er meldete sich sofort selbst, als habe er auf Anrufe gewartet.

»Hier ist Thomas«, sagte ich.

»Es ist noch zu früh, um von Hollywood zu hören.«

»Mir geht’s um was anderes.«

Ich erklärte ihm, was ich Nash vorgeschlagen hatte, und er legte gleich den Finger auf die Schwachstellen.

»Zunächst mal«, meinte er zweifelnd, »müßten Sie die Fernsehgesellschaft dazu kriegen, daß sie Nash interviewt.«

»Das ginge schon. Bloß wie wir das Interview dann in dem Konferenzraum in Hollywood auf den Bildschirm kriegen, weiß ich nicht genau. Es werden zwar regelmäßig Live-Aufnahmen von England in die Staaten übertragen, aber ich kenne die Kanäle nicht. Wenn wir an einen Sender in L. A. herankämen, könnten wir unseren Häuptlingen ein Videoband vorsetzen.«

»Thomas, warten Sie. Das in Los Angeles regle ich. Die

Übertragung aus England.«, er schwieg und saugte an seiner Unterlippe. »Von welchem Sender reden wir?«

Ich sagte es ihm. »Die werden mit einem Ü-Wagen hiersein. Techniker, Kameraleute, ein, zwei Regisseure und drei oder vier Interviewer und Kommentatoren; aber sie haben sicher keine Vollmacht und auch nicht die Ausrüstung, um nach Übersee zu senden. Dafür wäre die Zustimmung ihrer Zentrale in London nötig. Die Zentrale dürfte Doncaster jetzt auf dem Monitor haben. Die können überallhin senden. Die Nummer steht im Telefonbuch.«

»Und Sie möchten, daß ich meinen Einfluß spielen lasse.«

Es klang resigniert, als sähe er Schwierigkeiten.

»Hm«, sagte ich, »wenn Sie möchten, daß Unsichere Zeiten in die Kinos kommt, lohnt sich vielleicht der Versuch. Ich meine, es ist ja auch Ihr Film. Könnte Sie den Kopf kosten, daß Sie mich engagiert haben.«

»Das ist klar.«

Er schwieg. »Na schön, ich gehe das an. Die Chancen stehen aber denkbar schlecht.«

»Bekanntlich kann man trotzdem gewinnen.«

»Ist Nash bei Ihnen?«

»Fünf Schritte entfernt.«

»Geben Sie ihn mir mal?«

Nash kam nach draußen und nahm den Apparat. »Das Interview mach ich. Thomas sagt, er kann es ohne weiteres arrangieren.«

Er hörte zu. »Ja. Na klar. Wenn er sagt, er kann, wird er’s schon können. Er verspricht nichts, was er nicht halten kann. O’Hara, setzen Sie sich in Bewegung und bea-men Sie Thomas und mich in die Konferenz. Es wäre doch saublöd, wenn wir uns von einem Arsch wie Tyler in die Pfanne hauen ließen.«

Er hörte wieder zu, sagte dann: »Machen Sie hin, O’Hara. Zum Teufel mit den Kosten. Ich laß mich nicht von diesem Federfuchser unterbuttern.«

Ich lauschte beeindruckt der aufgedrehten Kraft des ultragrünen Lichts und dankte demütig dem Schicksal, daß er mich als Verbündeten, nicht als Feind ansah.

Er beendete das Gespräch, gab mir den Apparat zurück und sagte: »Wo finden wir unseren Interviewer?«

»Mir nach.«

Es sollte lässig klingen, aber ich war kein großer Schauspieler. Nash kam schweigend mit mir zum Absattelring, den die Teilnehmer des vorigen Rennens bereits wieder verlassen hatten.

»Wissen Sie, wen Sie suchen?« fragte er, als ich den Kopf nach allen Seiten drehte. »Können Sie nicht fragen?«

»Das brauche ich nicht«, sagte ich und war mir, auch wenn Nash es ignorierte, bewußt, daß alle ihn anschauten. »Die haben zum Übertragen immer einen Rennkommentator, einen Führringkommentator, der die Pferde für das nächste Rennen vorstellt, und jemanden, der hinterher die Jockeys und Trainer der Sieger befragt - den suche ich. und ich kenne ihn.«

»Das ist immerhin etwas.«

»Da drüben steht er«, sagte ich. »Kommen Sie?«

Ich glitt zwischen den Grüppchen von Leuten hindurch, die im eingezäunten Bereich vor dem Waageraum plaudernd zusammenstanden, und sie teilten sich wie das Rote Meer vor mir, um Nash Platz zu machen. Mein Bekannter, der Interviewer, wollte mir guten Tag sagen, sah, wen ich bei mir hatte, und brachte den Mund nicht mehr zu.

»Nash«, stellte ich vor, »das ist Greg Compass. Greg. Nash Rourke.«

Greg kam wieder zur Besinnung, wie sich das für einen erfahrenen Fernsehmann gehört, und drückte mit echter Sympathie die Hand, die schon so viele unschädliche Schüsse abgefeuert hatte.

»Er ist hier, um sich das Lincoln anzusehen«, erklärte ich. »Irgendein Geheimtip?«

»Gallico«, meinte Greg prompt. »Es heißt, er platzt fast vor Energie.«

Er sah Nash nachdenklich an und fragte ohne Nachdruck: »Hätten Sie was dagegen, wenn ich sage, daß Sie hier sind? Thomas hat Ihnen sicher erzählt, daß ich den Labermann für die Zuschauer zu Hause mache.«

»Ich hab’s ihm erzählt, ja.«

»Thomas und ich«, erklärte Greg, »sind gegeneinander geritten, als ich noch Jockey und wir beide noch jung waren.«

»Sie sind alle so groß!« rief Nash aus.

»Hindernisjockeys sind meistens größer. Die Ehemaligen werden oft Rennkommentatoren, Zeitungsschreiber oder so. Erst erleben. Nachher drüber reden.«

Er sagte das mit komischer Selbstverachtung, dabei war er ein echter Spitzenjockey gewesen, kein Amateur wie ich. Er war vierzig, schlank, eindrucksvoll, elegant. Er holte Luft. »Also.«

»Sie dürfen gern sagen, daß ich hier bin«, versicherte Nash.

»Prima. Ehm.«

Greg zögerte.

»Frag ihn«, sagte ich halb lächelnd.

Greg blickte zu mir und wieder zu Nash. »Ich nehme an. ich könnte Sie wohl nicht vor meine Kamera bekommen?«

Nash sah mich kurz von der Seite an und sagte mit seiner besten Eisenbeißerstimme, er sehe keinen Grund, warum das nicht gehen sollte.

»Ich habe gehört, daß Sie in Newmarket einen Film drehen«, sagte Greg. »Kann ich das erwähnen?«

»Klar. Thomas führt Regie dabei.«

»Ja. So was spricht sich rum.«

Ich zog eine zusammengefaltete Drumbeat-Seite aus meiner Tasche und gab sie Greg.

»Wenn du einverstanden bist«, sagte ich, »würde Nash gern ganz kurz dem Artikel hier im >Sterngeflüster< widersprechen.«

Greg las ihn schnell durch, und sein Gesichtsausdruck wechselte bald von reiner Neugier zu Empörung.

»Schwer, dagegen vorzugehen«, rief er aus. »Lauter Fragen. Stimmt das alles?«

»Es stimmt, daß die Handlung im Film vom Buch abweicht«, sagte ich.

Nash versicherte ihm: »Ich habe nichts von all dem gesagt, und ich denke es auch nicht. Der Film läßt sich gut an. Wenn ich darf, möchte ich nur eben sagen, daß man nicht alles glauben sollte, was in der Zeitung steht.«

»Thomas?«

Greg sah mich mit hochgezogenen Brauen an. »Du benutzt mich, hm?«

»Ja. Aber der Artikel macht mich nieder. Wenn Nash im Fernsehen sagen darf, daß das, was da steht, nicht stimmt, können wir den Geldleuten in Hollywood das zeigen und vielleicht verhindern, daß sie den Artikel für bare Münze nehmen.«

Er dachte darüber nach. Er seufzte. »Also gut, aber ganz beiläufig, okay? Ich nehme euch beide zusammen ins Bild.« »In Unschuld vereint«, sagte ich dankbar.

»Immer schnell von Begriff.«

Er sah auf die Uhr. »Wie wär’s nach dem Lincoln? In einer Stunde. Wenn ich mit dem Trainer und dem Jockey des Siegers und mit seinen Besitzern gesprochen habe, falls die hier sind. Da könnten wir’s einschieben. Ich sage meinem Regisseur Bescheid. Weißt du noch, wo die Kamera steht, Thomas? Dahin kommt ihr nach dem Lincoln. Und Thomas, ich hab was gut bei dir.«

»Zwei Plätze für die Premiere«, sagte ich. »Ohne dich gibt’s vielleicht keine.«

»Vier Plätze.«

»Eine ganze Reihe«, sagte ich.

»Abgemacht.«

Greg sah Nash an. »Wie ist dieser überdrehte Hanswurst von einem unfähigen Diktator denn wirklich so als Regisseur?«

»Schlimmer«, sagte Nash.

Wir machten das Interview, Nash und ich Seite an Seite. Greg stellte uns den Zuschauern vor, fragte, ob Nash auf den Sieger des Lincoln - Gallico - gesetzt habe, gratulierte ihm und sagte, Nash habe hoffentlich einen angenehmen Aufenthalt in Großbritannien.

Nash sagte: »Ich drehe einen Film hier. Das ist sehr angenehm.«

Er nickte leutselig. Und ganz nebenbei, wie Greg es gewünscht hatte, fügte er noch ein paar Einzelheiten an, ließ aber keinen Zuschauer darüber im Zweifel, daß der Turffilm, den wir in Newmarket drehten, eine runde Sache war.

»Hab ich da nicht einen unhöflichen Bericht gelesen?« gab Greg spöttisch das Stichwort.

»Ja«, stimmte Nash zu und nickte. »Man hat mir Worte in den Mund gelegt, die ich nie gesagt habe. Was ist daran neu? Man soll nicht immer glauben, was in der Zeitung steht.«

»Sie spielen einen Trainer, ja?«

Greg stellte die Fragen, die wir ihm vorgegeben hatten, so als wären sie ihm gerade eingefallen. »Wie klappt’s denn mit dem Reiten?«

»Ich kann mich im Sattel halten«, lächelte Nash. »Ich kann nicht reiten wie Thomas.«

»Reiten Sie im Film?« fragte Greg mich hilfsbereit.

»Das tut er nicht«, sagte Nash, »aber manchmal steigt er aufs Pferd und jagt im Galopp über die Heide. Dafür schlage ich ihn im Golf.«

Die Zuneigung in seinem Ton sagte mehr als tausend Worte. Greg brachte das Interview gutmütig zu Ende und reichte die Zuschauer zu Hause gekonnt an den Führring-kommentator weiter, der die Teilnehmer des nächsten Rennens präsentierte.

»Danke«, sagte ich, »vielen Dank.«

»Eine Sitzreihe«, nickte er. »Denk dran.«

Er schwieg und fügte zynisch hinzu: »Spielst du Golf, Thomas?«

»Nein.«

»Ich kann ihn jederzeit schlagen«, bekräftigte Nash.

»Was für ein Duo!« meinte Greg.

O’Hara hatte sich das Interview in der Londoner Zentrale des Fernsehsenders angeschaut, und er klingelte mich an, ehe ich ein ruhiges Plätzchen gefunden hatte, um mit ihm Verbindung aufzunehmen.

»Ausgezeichnet«, sagte er fast lachend. »Brüderliche Eintracht auf der ganzen Linie. Da bleibt kein Auge trok-ken.«

»Ob es funktioniert?«

»Und ob das funktioniert!«

»Kommt es auch rechtzeitig in die Besprechung?«

»Hören Sie auf mit dem Zähneklappern. Die Leute hier waren wirklich hilfsbereit. Mit dem Honorar könnte man zwar ein Hubble-Teleskop ins All hieven, aber unsere Häuptlinge sehen die Aufzeichnung bei ihren Frühstücksflocken.«

»Danke, O’Hara.«

»Geben Sie mir Nash.«

Ich reichte das Telefon weiter und sah zu, wie Nash einige Male nickte und Jas von sich gab.

»Ja, natürlich hat er mir meinen Text eingeflüstert«, sagte Nash, »und er hat seinen Bekannten dazu gebracht, die richtigen Fragen zu stellen. Wie? Weiß der Geier. Die alte Jockeyverbindung, nehme ich an.«

Auch die letzten Rennen gingen vorbei, und nachdem wir unseren Gastgebern gedankt hatten, flogen wir nach Newmarket zurück, ohne von O’Hara noch einmal gehört zu haben. Vormittag in Los Angeles. Was trieben die Häuptlinge?

»Regen Sie sich ab«, sagte Nash.

Sein Chauffeur brachte uns mit dem Rolls zum Bedford Lodge, wo Nash dann vorschlug, ich solle mit zu ihm kommen, damit wir beide hören könnten, was O’Hara zu berichten hatte.

Die Filmgesellschaft hatte vier komfortable Suiten im Hotel belegt; die beste für Nash, eine für Silva, eine für mich und eine (oft leere) für O’Hara oder sonstige Häuptlinge. Moncrieff und Howard hatten Zimmer im Hotel; der Rest der annähernd sechzig Mitarbeiter des Films, Dekorateure, Kostümleute, Maskenbildner, Techniker, der Produktionsstab, die Assistenten und Kuriere, alle mittelbar am Projekt Beteiligten waren in diversen anderen Hotels, Motels und Pensionen untergebracht. Die meisten Stallburschen wohnten in einer Herberge. Der Reitmeister/Hilfstrainer fuhr heim zu seiner Frau. Die logistische Versorgung der Truppe mit Essen und Arbeit im Rahmen gewerkschaftlicher Bestimmungen war gottlob nicht meine Aufgabe.

Nashs Zimmer blickten auf freundliche Gärten hinaus und waren mit großen Sesseln ausgestattet, in denen man die müden Knochen entspannen konnte, nachdem man stundenlang so getan hatte, als sei man jemand anders, oder vielmehr stundenlang herumgehangen hatte, um hin und wieder vielleicht fünf Minuten lang so zu tun. Moncrieff und ich mochten pausenlos fieberhaft beschäftigt sein - Schauspieler standen herum und langweilten sich, bis wir wieder einmal soweit waren. Schauspieler mit ihren langen Ruhepausen wurden müde, Moncrieff und ich dagegen nicht.

Nash ließ sich in seinen Lieblingssessel sinken und sah ungefähr zum vierhundertsten Mal auf die Uhr.

Fünf Stunden waren um. Beinah sechs. Ich hatte die meiste Zeit hindurch geschwitzt.

Mein Mobiltelefon summte. Mein Mund wurde trocken. Summ, summ.

»Gehen Sie dran!« befahl Nash ungehalten, als er sah, wie ich zögerte.

Ich sagte: »Hallo.«

Mehr ein Krächzen.

»Thomas?« sagte O’Hara. »Sie sind nicht gefeuert.«

Schweigen.

»Thomas? Haben Sie gehört? Machen Sie mit dem Film weiter.«

»Ich, ehm.«

»Zum Donnerwetter! Ist Nash da?«

Ich reichte das Telefon dem grünen Licht, das die Neuigkeit sehr gefaßt aufnahm. »Also, das möchte ich meinen. Ja, natürlich war er beunruhigt, er ist auch nur ein Mensch.«

Er gab mir den Apparat wieder. O’Hara sagte: »Es gibt ein paar Bedingungen. Ich soll mich mehr in Newmarket aufhalten und Ihnen auf die Finger schauen. Eins von den hohen Tieren kommt zu Besuch, um sich zu vergewissern, daß ihr Geld sinnvoll ausgegeben wird. Die haben viel zu lange darüber gequasselt, wer an Ihrer Stelle Regie führen soll. Aber Ihr Fernsehspot gab dann den Ausschlag. Nash hat sie überzeugt. Sie glauben nach wie vor, daß er nicht irren kann. Wenn es Nash recht ist, behalten sie Sie.«

»Danke.«

»Ich komme morgen wieder nach Newmarket. Das ist verdammt ärgerlich, denn ich hatte vor, nach L. A. zu fliegen, aber na ja. Wie Sie schon sagten, es geht auch um meinen Kopf. Was machen Sie morgen früh?«

»Pferde bewegen auf der Heide.«

»Und Nash?«

»Sitzt im Sattel und schaut zu. Am Nachmittag schaffen wir die Pferde zur Rennbahn Huntingdon. Montag stellen und proben wir die Massenszenen beim Pferderennen. Ein Teil der Crew zieht in Motels bei Huntingdon um, aber Nash und ich und einige andere bleiben in Newmarket wohnen.«

»Wie weit ist das?«

»Nur knapp vierzig Meilen. Wo möchten Sie übernachten?«

»Newmarket.«:

Kein Zögern. »Nehmen Sie sich einen Fahrer, Thomas. Ich möchte nicht, daß Sie bei Ihren vielen Arbeitsstunden am Steuer einschlafen.«

»Ich fahre gern selbst, und so weit ist es ja nicht.«

»Nehmen Sie sich einen Fahrer.«

Es war ein Befehl. Ich sagte okay. Ich war dankbar, noch im Geschäft zu sein. Er sagte: »Bis bald, alter Knabe«, und ich sagte: »Danke, O’Hara«, und er fügte eine letzte Bemerkung an: »Howard bekommt die Krallen ordentlich gestutzt. So ein blöder Hund.«

»Na also«, meinte Nash lächelnd, als ich den Apparat abschaltete. »Was zu trinken? Kommen Sie, essen Sie mit mir.«

Nash ließ sich die Mahlzeiten meist in seiner Suite servieren und aß allein. Im Gegensatz zu den meisten Schauspielern hatte er eine einzelgängerische Ader, der er hier, in Abwesenheit seiner Frau, freien Lauf ließ. Überrascht, aber auch froh, selbst nicht allein essen zu müssen, blieb ich also zum Dinner - Suppe, Lamm, Weißwein -, und das war ein Schritt hin zu einer definitiven Freundschaft, die ich vierzehn Tage vorher für wenig wahrscheinlich gehalten hätte.

Entspannt nach den Mühen des Tages, entschloß ich mich, kurz bei Dorothea vorbeizufahren, um zu sehen, ob sie irgend etwas brauchte, bevor ich mich wieder mit Moncrieff traf, um die Arbeitsgänge am nächsten Morgen auf der Heide zu besprechen.

Ich erwartete ein ruhiges Trauerhaus vorzufinden. Statt dessen sah ich, als ich ankam, blitzende Lichter, einen Polizeiwagen und einen Krankenwagen.

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