Kapitel 8

Auf der Fahrt nach Newmarket ging ich meinen Zeitplan durch, kam zu dem Ergebnis, daß ich vor meinem Zehnuhrtreff noch eine halbe Stunde erübrigen konnte, und rief Dr. Robbie Gill an, dessen Nummer, dick und schwarz, mir von Dorotheas handgeschriebenem Notruf her deutlich in Erinnerung war.

»Hätten Sie Lust«, fragte ich, »schnell irgendwo mit mir ein Glas zu trinken?«

»Wann?«

Ich hatte es schon ausgerechnet. »Ich sitze jetzt in meinem Wagen. Gegen halb zehn bin ich in Newmarket. In Ordnung? Um zehn muß ich im Bedford Lodge sein.«

»Ist es wichtig?«

»Interessant«, sagte ich. »Es geht um Dorotheas Angreifer.«

»Dann regle ich das mit meiner Frau.«

In seiner Stimme lag ein Lächeln, als wäre das kein Problem. »Ich komme um halb zehn ins Bedford Lodge und warte in der Halle.«

»Großartig.«

»Ich habe gehört, jemand hat Nash Rourke mit einem Messer angegriffen.«

»So gut wie. Es war aber sein Double. Und es ist nichts passiert.«

»Hab ich auch so verstanden. Bis halb zehn dann.«

Er hängte ein, so kurz angebunden wie immer mit seiner Schottenstimme; und rothaarig und terrierartig wartete er in der Hotelhalle, als ich zum Bedford Lodge zurückkam.

»Kommen Sie mit rauf«, sagte ich, ihm die Hand schüttelnd. »Was trinken Sie?«

»Diätcola.«

Ich ließ ihm vom Zimmerservice seine sprudelnde Erfrischung bringen und goß mir Cognac aus einer immer griffbereiten Flasche ein. Dieser Film, dachte ich flüchtig, treibt mich an die Vierzigprozentmarke.

»Also«, ich bot ihm einen Sessel in dem gepflegten Salon an, »heute nachmittag wollte ich Dorothea in Cambridge besuchen, und unser Freund Paul hat mir den Weg versperrt.«

Robbie Gill verzog das Gesicht. »Obwohl sie meine Patientin ist, versperrt er auch mir den Weg soweit wie möglich.«

»Wie kann ich verhindern, daß er sie entführt, sobald sie transportfähig ist? Sie hat ihm und mir gesagt, daß sie nicht in das Altenheim will, das er für sie vorgesehen hat, aber er schert sich nicht drum.«

»Er ist ein Quälgeist.«

»Können Sie Dorothea nicht für transportunfähig erklären?«

Er dachte zweifelnd darüber nach. »Im Moment würde sie niemand verlegen. In ein paar Tagen aber.«

»Egal wie«, sagte ich.

»Wieviel liegt Ihnen daran?«

»Eine ganze Menge.«

»Ich meine. wieviel es Ihnen wert ist.«

Ich sah ihn über mein Cognacglas hinweg an. »Wollen Sie sagen, daß sich mit finanziellen Mitteln da etwas erreichen läßt?«

Er antwortete geradeheraus, wie es seinem schottischen Wesen entsprach. »Ich will sagen, daß ich als ihr Arzt sie mit ihrem Einverständnis in ein Sanatorium meiner Wahl verlegen lassen könnte, wenn die Bezahlung des Klinikaufenthalts gewährleistet wäre.«

»Ruiniert mich das?«

Er nannte eine alarmierend hohe Summe und wartete nüchtern darauf, daß ich sagen würde, es sei mir zuviel.

»Sie haben keine Verpflichtung«, bemerkte er.

»Ich bin auch nicht arm«, erwiderte ich. »Sagen Sie ihr nicht, wer dafür aufkommt.«

Er nickte. »Ich werde sagen, der Staatliche Gesundheitsdienst zahlt. Das läßt sie schon hingehen.«

»Dann machen wir’s so.«

Er trank seine Diätcola aus. »War das alles?«

»Nein«, sagte ich. »Ich zeichne Ihnen noch etwas, und Sie sagen mir, was Sie davon halten.«

Ich nahm einen großen Bogen Schreibpapier, legte ihn auf den Couchtisch und zeichnete ein Bild von dem Messer, das ich auf der Heide gefunden hatte. Ein häßlicher Knauf als Handgriff an zwanzig Zentimetern scharfen Stahls.

Er betrachtete die Zeichnung reglos und still.

»Nun?« fragte ich.

»Ein Schlagring«, sagte er, »der zum Messer geworden ist.«

»Und Dorotheas Verletzungen?« fragte ich.

Er starrte mich an. Ich sagte: »Nicht zwei Angreifer. Nicht zwei Waffen. Nur diese eine, die gleichzeitig ein stumpfer Gegenstand und eine Klinge ist.«

»Du guter Gott.«

»Wer besitzt so ein Ding?« fragte ich ihn.

Er schüttelte stumm den Kopf.

»Kennen Sie jemand namens Derry?«

Er sah völlig verwirrt aus.

Ich sagte:«Valentine hat mal davon gesprochen, daß er einem gewissen Derry ein Messer gegeben hat.«

Robbie Gill runzelte nachdenklich die Stirn. »Ich kenne keinen Derry.«

Ich seufzte. Zu viele Leute wußten nichts.

Er sagte unvermittelt: »Wie alt sind Sie?«

»Dreißig. Und Sie?«

»Sechsunddreißig.«

Er lächelte schief. »Zu alt, um die Welt zu erobern.«

»Ich auch.«

»Sie scherzen!«

»Steven Spielberg«, sagte ich, »war siebenundzwanzig, als er den Weißen Hai gedreht hat. Ich bin nicht er. Auch kein Visconti, kein Fellini, kein Lucas. Ich bin nur ein Auftrags-Geschichtenerzähler.«

»Und Alexander der Große ist mit dreiunddreißig gestorben.«

»An Diätcola?« fragte ich.

Er lachte. »Glauben die Amerikaner wirklich, daß man selbst schuld ist, wenn man an Altersschwäche stirbt?«

Ich nickte ernst. »Dann hätte man mehr joggen sollen. Oder nicht rauchen oder regelmäßig seinen Cholesterinspiegel prüfen oder aufs Saufen verzichten sollen.«

»Und dann?«

»Dann endet man, indem man jahrelang an Schläuchen hängt.«

Er lachte und stand auf, um zu gehen. »Es ist mir ja peinlich«, sagte er, »aber meine Frau hätte gern ein Autogramm von Nash Rourke.«

»Geht klar«, versprach ich. »Wann können Sie Dorothea frühestens verlegen?«

Er dachte darüber nach. »Gestern abend ist sie überfallen worden. Heute hat sie von der Narkose noch den ganzen Tag geschlafen. Die Verletzung war schwer. sie mußten ein Stück Darm entfernen, bevor sie die Bauchdecke schließen konnten. Wenn alles gutgeht, ist sie morgen wieder ganz wach und kann übermorgen schon kurz aufstehen, aber es dürfte wohl noch eine Weile hingehen, bevor sie reisen kann.«

»Ich würde sie gern besuchen«, sagte ich. »Der verflixte Paul muß doch irgendwann mal schlafen.«

»Ich regle das. Rufen Sie mich morgen abend an.«

Moncrieff, Ziggy und ich brachen am nächsten Morgen um halb fünf nach Nordosten zur Küste von Norfolk auf.

Ed hatte mir auf Anweisung O’Haras einen Fahrer besorgt, einen schweigsamen jungen Mann, der meinen Wagen zügig fuhr, während ich ihn anhand der Karte vom Beifahrersitz aus dirigierte.

Moncrieff und Ziggy schliefen auf dem Rücksitz. Im Kofferraum hatten wir die schwere Kamera, die Moncrieff wie ein Spielzeug auf den Schultern tragen konnte, eine Kühlbox mit Rohmaterial und eine Thermosbox mit Kaffee und Frühstück. Draußen war es kalt, im Wagen einschläfernd warm. Schon bald war ich froh, daß wir den Fahrer hatten.

Wir fuhren um Norwich herum und über das flache Land der Nordsee entgegen, vorbei an den Broads, kamen schließlich durch den noch schlafenden Ort Happisburgh und krochen einen schmalen Feldweg entlang, der in Sanddünen endete.

Moncrieff und Ziggy stiegen steifbeinig aus und fingen an zu zittern. Wo die Wagenscheinwerfer nicht hinreichten, war es noch stockdunkel, und der Küstenwind blies so unbarmherzig wie je.

»Sie sagten, wir sollten uns warm anziehen«, meckerte Moncrieff, während er sich in einen pelzgefütterten Parka hüllte. »Sie haben nicht gesagt, daß wir Eskimo spielen.«

Er zog die pelzgefütterte Kapuze über den Kopf und vergrub die Hände in arktisreifen Handschuhen.

Wir ließen den Fahrer mit seinem Frühstück im Wagen zurück und gingen durch die Dünen auf den offenen Strand zu. Moncrieff trug die Kamera und die Materialbox, ich ging mit dem Thermosbehälter vorneweg, und zwischen uns lief Ziggy mit einem Armvoll Isoliermatten aus Polystyrol, damit wir uns nicht auf die kalte, salzgesättigte Erde zu setzen brauchten.

»Wie haben Sie denn diese gottverlassene Gegend gefunden?« brummelte Moncrieff.

»Ich war als Junge immer hier.«

»Und wenn sie inzwischen ein Kasino hergesetzt hätten?«

»Ich habe nachgesehen.«

Außer Reichweite der Scheinwerfer hielten wir an, um unsere Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen, und gingen dann weiter, bis die Dünen ausliefen, der Wind auffrischte und das Geräusch der ruhelosen Wellen zu uns drang, das von zeitloser Verlassenheit kündete.

»Okay«, sagte ich, »sucht euch ein geschütztes Plätzchen.«

Moncrieff stöhnte, nahm Ziggy eine Matte ab und kauerte sich in eine flache Mulde auf der Seeseite der letzten Düne. Ziggy, zäher und schweigsam, fand eine ähnliche Stelle neben ihm.

In der Ukraine geboren, hatte Ziggy von Kindesbeinen an so akrobatische Fähigkeiten zu Pferd gezeigt, daß er mit acht auf die Moskauer Zirkusschule geschickt worden war, und dort, weit weg von seinen ländlichen Wurzeln, hatte er neben fortwährender Übung in seinem Spezialfach eine erstklassige Allgemeinbildung erhalten. Jeder Absolvent der Schule, Jungen wie Mädchen, bekam täglich Ballettunterricht, um die anmutige Bewegung in der Manege zu erlernen. So hätte Ziggy sich jeder Tanztruppe auf Erden anschließen können, doch ihn interessierten ausschließlich Pferde.

Mit zweiundzwanzig hatte Ziggy den Zirkus hinter sich gelassen: Die Zirkusse verschwanden aus den Städten. Als unpolitischer, aber begünstigter Sohn Rußlands war er irgendwie mit seiner Kunst nach Amerika gelangt, und dort hatte ich ihn auch zum erstenmal gesehen, wie er in einer schlechtbesuchten Trainingsstunde bei den Ringling-Brüdern im Madison Square Garden Purzelbäume auf einem kanternden Pferd schlug.

Ich hatte ihm Arbeit in meinem Rodeofilm angeboten und ihn trotz gewerkschaftlicher Einwände an Land gezogen. Seinen unaussprechlichen Nachnamen hatte ich zu Keene verkürzt, und er erwarb sich bald einen so fabelhaften Ruf als Stuntreiter, daß ich ihm seine Zeit mittlerweile abbetteln mußte.

Schlank, leicht und drahtig, bewältigte er die Eiseskälte Norfolks mühelos. Ein Klacks vermutlich, nach der russischen Steppe. Verdrießlichkeit und Lachen wechselten sich bei ihm ab, ein sehr ukrainisches Temperament, und er hatte mir schon oft gesagt, er werde bald in seine Heimat zurückkehren, doch diese Gefahr schwand mit jedem Jahr. Vielleicht gestand er sich selbst ein, daß seine Wurzeln nicht mehr existierten.

Bei einer kurzen Besprechung am Abend vorher hatte ich umrissen, was wir hier wollten.

»Den Sonnenaufgang filmen!« rief Moncrieff leidgeplagt aus. »Dafür brauchen wir doch keine hundert Kilometer zu fahren! Was spricht denn gegen die Heide vor der Haustür?«

»Sie werden sehen.«

»Und die Wettervorhersage?«

»Kalt, klar und windig.«

Seine Einwendungen waren nicht so ernstgemeint. Jeder Kameramann weiß, daß Regisseure bei der Wahl von Drehorten eigen sind und sich ungern dreinreden lassen. Hätte ich die Hänge des K2 verlangt, dann hätte er geflucht und sich die Klettereisen umgeschnallt.

Ich sagte: »Da wir die Frühlingstagundnachtgleiche haben, geht die Sonne genau im Osten auf. Und Osten« - ich schaute auf den kleinen Kompaß, den ich dabeihatte - »ist genau da.«

Ich zeigte hin. »Im Moment schauen wir mit Blick aufs Meer etwas weiter nach Norden. Die Küste verläuft von Nordwest nach Südost, das heißt, Pferde, die bei Sonnenaufgang von links über den Sand galoppieren, bekommen Licht von hinten, haben aber auch die Sonne ein wenig im Gesicht.«

Moncrieff nickte.

»Können Sie das Glitzern der Sonne in ihren Augen einfangen?«

»Groß?«

»Köpfe, Hälse und Mähnen.«

»Thomas«, sagte Ziggy mit der Baßstimme, die bei seinem schmächtigen Körper immer wieder überraschte, »Sie wollen wilde Pferde haben.«

Ich hatte ihn am Abend vorher gebeten, sie sich vorzustellen und zu überlegen, wo wir welche herbekommen könnten. Das Dumme bei plötzlichen Visionen wie dieser war, daß ich in der Vorbereitungsphase von der Szene noch nichts geahnt und daher keine Wildpferde im voraus angefordert hatte. Wildpferde wachsen nicht auf Weidenbäumen.

Zirkuspferde, hatte Ziggy gesagt. Zu gut im Futter, hatte ich eingewandt. Moorponys gingen auch nicht, meinte er: zu langsam und zu dumm. Überlegen Sie, hatte ich ihn gedrängt. Sagen Sie’s mir morgen früh.

»Thomas«, sagte Ziggy, wie immer mit Betonung auf der zweiten Silbe meines Namens, »ich glaube, wir brauchen Fjordpferde - die Pferde der Wikinger.«

Ich starrte ihn an. »Wußten Sie, daß die Küste hier früher regelmäßig von Wikingerschiffen überfallen worden ist?«

»Ja, Thomas.«

Fjordpferde. Ideal. Wo um alles in der Welt kriegte ich die her? Aus Norwegen natürlich. Ganz einfach. Ich fragte ihn: »Haben Sie schon mal mit Norwegerpferden gearbeitet?«

»Nein, Thomas. Aber ich glaube, sie sind nicht völlig wild. Sie werden nicht geritten, aber wohl gehegt.«

»Könnten Sie eins ohne Sattel reiten?« »Natürlich.«

Das Pferd, das sich ihm widersetzte, besagte sein Gesichtsausdruck, müßte erst noch geboren werden.

»Sie könnten es im Nachthemd und mit einer langen blonden Perücke reiten?«

»Natürlich.«

»Barfuß?«

Er nickte.

»Die Frau träumt ja, daß sie ein wildes Pferd reitet. Es soll romantisch, nicht realistisch sein.«

»Thomas, sie wird auf dem Pferd schweben.«

Ich glaubte ihm. Er war einfach Spitze. Auch Moncrieff hörte auf, über unseren Ausflug zu murren.

Wir aßen unsere warmen vakuumverpackten Frühstücksbrötchen mit Speck und tranken dampfenden Kaffee, während der schwarze Himmel langsam grau und heller wurde und weit draußen über dem Meer in ein zartes Purpurrot überging.

Mit jetzt nachtgewohnten Augen sahen wir, wie die Welt Gestalt annahm. Es zeigte sich, daß die unregelmäßigen Höcker der Dünen um uns und hinter uns mit zottigen Sandsegge bewachsen waren, Reihen langer, dürrer Stengel, die im Wind lehnten. Etwas unterhalb von uns war der Sand verweht, die Tide erreichte ihn nicht, und der Wind trug ihn den Dünen zu; und noch weiter unten erstreckte sich festgebackener Sand bis hin zu den fernen, weißgeränderten Wellen.

Die Tide war vermutlich auf dem Tiefststand. Zu tief schon für die optimale dramatische Wirkung. In einer Woche würde die Tide bei Tagesanbruch hoch stehen und den Sand bedecken. Wir mußten zusehen, daß wir die Pferde an einem Tag in der Gezeitenmitte filmten, überlegte ich.

Am besten bei Ebbe, denn eine auflaufende Flut konnte über diesen flachen Sand hinjagen und die Kameras abschneiden. Bis zur nächsten bei Tagesanbruch laufenden Ebbe in der Gezeitenmitte waren es vielleicht noch zehn Tage. Zu früh. Zwei Wochen später dann die nächste Gelegenheit; vierundzwanzig Tage. Möglich.

Ich nannte Ziggy den Zeitraum. »Die Pferde müßten heute in vierundzwanzig Tagen hier am Strand sein. Oder aber vierzehn Tage später, in achtunddreißig Tagen. Okay?«

»Ich verstehe«, sagte er.

»Ich schicke einen Agenten nach Norwegen, der die Pferde und den Transport besorgt. Würden Sie ihn begleiten, damit wir auch wirklich die Pferde bekommen, die wir brauchen?«

Er nickte. »Am besten zehn«, sagte er. »Oder zwölf.«

»Schauen sie mal, was Sie finden.«

Moncrieff stand auf und beendete das Frühstück zugunsten der Kunst. Ferne waagerechte Wolkenstreifen woben ein grelleres Rot in den noch grauen Himmel, und während er Kamerageschwindigkeit und Brennweite einstellte, färbten die Streifen sich scharlachrot, orange und golden, bis der ganze Himmel eine atemberaubende Symphonie glühender Farben war, das Vorspiel zur täglichen lebenserhaltenden Drehung der Erde.

Ich hatte den Sonnenaufgang immer gemocht, schon immer neue Kraft durch ihn getankt. Mein Leben lang hatte ich mich betrogen gefühlt, wenn ich den Tagesanbruch verschlief. Die urzeitliche Wintersonnenwende auf der unwirtlichen Ebene von Salisbury hatte mir als Kind schon eine Gänsehaut bereitet, lange bevor ich wußte, warum; und die Anbetung des Sonnenaufgangs war für mich seit jeher der verständlichste Kult der Naturvölker.

Die glühende Kugel erhob sich über den Horizont, und ihr Licht stach uns in die Augen. Die leuchtenden Wolkenstreifen wurden blaßgrau. Die Sonne selbst verlor zwar etwas von ihrem Zauber, aber sie zog einen leuchtenden Pfad über die gekräuselte Meeresoberfläche, und Moncrieff filmte mit ruhigem Atem zufrieden weiter. Nach und nach hörten er und ich im Wind ein tiefes, rhythmisches Summen, das wie eine uralte traurige Melodie klang: und mit einemmal begriffen wir beide und lachten.

Ziggy sang.

Die Küste hier war gefährlich, denn so flach sie aussah, einige Meilen draußen in der See verliefen massive Sandbänke parallel zum Strand; unsichtbare Unterwassergefahren, die den Ahnungslosen zum Verhängnis wurden. Die Friedhöfe in den Küstendörfern waren übersät mit Gedenksteinen für Seeleute, die hier verunglückt waren, als es noch keine genaue Tiefenregistrierung gab.

Zuviel Hintergrundmusik, dachte ich, würde die atmosphärische Eigenart dieser historischen Küste zerstören. Wir brauchten nur den Wind, die Wellen, das Klappern der Pferdehufe und vielleicht Ziggys Lied aus seiner fernen Heimat oder auch eine wehmütige Melodie aus Norwegen, die einem nicht aus dem Kopf ging. Es sollte ja ein Traum sein: Wer hätte schon jemals ganze Orchester im Traum gehört?

Ganz befriedigt ließen wir drei uns nach Newmarket zurückfahren, wo uns in der Hotelhalle die graue Wirklichkeit in der unwillkommenen Gestalt des Herrn Autor, Howard Tyler, empfing.

Howard war nicht zerknirscht, sondern wütend. Die runden Brillengläser blitzten, als wären sie ebenfalls zornig. Der pedantische kleine Mund kräuselte sich unter der Last verletzter Gefühle und ungerechter Behandlung. Howard, der große Schriftsteller, konnte Wutanfälle kriegen wie ein Kleinkind.

Moncrieff löste sich bei seinem Anblick in Luft auf. Ziggy, ganz mit sich selbst beschäftigt, machte sich zu Fuß zur Heide und zu den Pferden auf. Howard verstellte mir berstend vor Empörung den Weg.

»O’Hara sagt, das Studio will mich wegen Vertragsbruch drankriegen!« beklagte er sich. »Das ist nicht fair.«

»Aber Sie haben doch den Vertrag gebrochen«, gab ich zu bedenken.

»Habe ich nicht!«

»Wo hat denn der Drumbeat seine Ansichten her?«

Howard öffnete seine Babylippen und schloß sie wieder.

»Ihr Vertrag«, erinnerte ich ihn, »untersagt Ihnen, mit Außenstehenden über den Film zu sprechen. Ich habe Sie darauf hingewiesen.«

»Aber O’Hara kann mich doch nicht verklagen!«

Ich seufzte. »Sie haben mit einem großen Geschäftsunternehmen abgeschlossen, nicht mit O’Hara persönlich. Das Unternehmen hat eiskalte Anwälte, deren Aufgabe es ist, noch aus den geringfügigsten Vertragsbrüchen soviel Geld wie möglich herauszuschlagen. Das sind keine netten, verständnisvollen Jungs, die Ihnen nachsichtig auf die Schulter klopfen. Die kommen auf Ersatzansprüche, die Ihnen nicht im Traum einfallen würden. Sie haben ein offenes Ohr für Ihr loses Mundwerk gefunden, und ob Sie dem Einspielergebnis damit wirklich geschadet haben oder nicht, man wird so vorgehen, als hätten Sie das Studio Millionen gekostet, und man wird bemüht sein, Ihnen jeden vertraglich zugesicherten Penny wieder abzuknöpfen, und wenn Sie wirklich Pech haben, noch mehr.«

Endlich schien ihm aufzugehen, daß seine Nörgelei ihn teuer zu stehen kommen konnte.

»Dann tun Sie was«, verlangte er. »Sagen Sie ihnen, daß nichts passiert ist.«

»Sie hätten mich um ein Haar nicht nur um diesen Job, sondern überhaupt um alle Arbeit gebracht.«

»Ich habe doch nur gesagt.«, er brach ab.

»Sie haben nur gesagt, ich sei ein überdrehter kleiner Diktator, der das Geld des Studios verschwendet.«

»Ach. das habe ich nicht so gemeint.«

»Das ist fast noch schlimmer.«

»Ja, aber. Sie haben mein Buch verstümmelt. Und als Autor habe ich moralische Rechte.«

Weil er das so triumphierend vorbrachte, statt auch nur die geringste Reue zu zeigen, klang meine Erwiderung vielleicht brutaler, als ich es sonst zugelassen hätte.

Mit schwindender Geduld sagte ich: »Das moralische Recht erlaubt einem Autor, Einspruch gegen wertmindernde Änderungen an seinem Werk zu erheben. Er kann auf seine moralischen Rechte aber auch verzichten, das ist in Verträgen zwischen Drehbuchautoren und Filmgesellschaften stets mitenthalten. Oft wird dem Autor das Recht eingeräumt, als Verfasser ungenannt zu bleiben, doch da man in Ihrem Fall, Howard, gerade für den Namen zahlt, haben Sie auch auf dieses Recht verzichtet.«

Verblüfft fragte er: »Woher wissen Sie das?«

»Ich durfte Ihren Vertrag einsehen. Ich mußte ja wissen, woran wir miteinander sind.«

»Wann?« fragte er. »Wann haben Sie ihn gesehen?«

»Bevor ich selbst den Vertrag unterschrieben habe.«

»Heißt das. vor Wochen schon?« »Vor drei Monaten oder mehr.«

Er sah einigermaßen verwirrt aus. »Was. was kann ich denn dann machen?«

»Beten«, sagte ich trocken. »Aber vor allem könnten Sie mal sagen, mit wem Sie gesprochen haben. Sie könnten mir sagen, wie Sie mit dem >Sterngeflüster<-Schreiber in Kontakt getreten sind. An wen haben Sie sich gewendet?«

»Aber ich.«

Er schien den Tränen nah. »An niemanden. Ich meine, ich hab’s nicht dem Drumbeat erzählt. Wirklich nicht.«

»Wem denn?«

»Bloß einer Freundin.«

»Einer Freundin? Und die Freundin hat’s dem Drumbeat erzählt?«

Er sagte unglücklich: »Ich nehme es an.«

Wir hatten die ganze Zeit in der Halle gestanden, mitten im Montagmorgenbetrieb. Jetzt winkte ich ihn zum Gesellschaftsraum hinüber, und wir suchten uns zwei freie Sessel.

»Ich möchte einen Kaffee«, sagte er und hielt nach einem Kellner Ausschau.

»Trinken Sie den nachher, ich habe keine Zeit. Mit wem haben Sie gesprochen?«

»Das sollte ich, glaube ich, nicht sagen.«

Ich hätte ihn am liebsten geschüttelt. »Howard, ich werfe Sie den Studiowölfen vor. Und außerdem verklage ich Sie persönlich wegen Verleumdung.«

»Sie sagte, Fragen seien nicht verleumderisch.«

»Wer immer sie ist, da liegt sie mindestens halb daneben. Ich möchte weder Zeit noch Energie mit einer Klage gegen Sie verschwenden, Howard, aber wenn Sie nicht ganz schnell mit ein paar Antworten rüberkommen, haben Sie morgen einen Anwaltsbrief in der Post.«

Ich holte Atem. »Also, wer ist sie?«

Nach einer langen Schweigepause, in der man hoffen durfte, daß er sich einige Realitäten vor Augen hielt, sagte er: »Alison Visborough.«

»Wer?«

»Alison Vis -«

»Jaja«, unterbrach ich. »Ich dachte, sie heißt Audrey.«

»Das ist ihre Mutter.«

Ich schüttelte den Kopf, um Ordnung hineinzubringen, denn mir war, als hätte ich meinen Durchblick am Strand von Happisburgh zurückgelassen.

»Nur damit wir uns richtig verstehen«, sagte ich. »Sie haben Ihren Unmut bei Alison Visborough abgeladen, deren Mutter Audrey Visborough ist, die Witwe des verstorbenen Rupert Visborough, der in Ihrem Buch Cibber heißt. Soweit richtig?«

Er nickte unglücklich.

»Und«, sagte ich, »als Sie Rupert Visboroughs Nachruf lasen und auf die Idee zu Ihrem Buch kamen, sind Sie nicht zu Jackson Wells, dem Mann der Erhängten, gegangen, aber Sie haben die Schwester der Toten, Audrey Vis-borough, aufgesucht.«

»Nun. mag sein.«

»Ja oder nein?«

»Ja.«

»Und sie hat Ihnen erzählt, ihre Schwester habe von Liebhabern geträumt?»

»Ehm.«

»Howard!« »Na, hören Sie«, sagte er mit wiederaufkommender Gereiztheit, »ich brauche doch nicht diese ganzen Fragen zu beantworten.«

»Was ist denn dabei?«

»Es würde ihnen nicht recht sein.«

»Audrey und Alison, meinen Sie?«

Er nickte. »Und Roddy.«

»Wer ist Roddy?«

»Alisons Bruder.«

Gib mir Kraft, dachte ich. Ich sagte: »Seh ich das richtig? Rupert Visborough hat Audrey geheiratet; aus der Ehe stammen eine Tochter, Alison, und ein Sohn, Roddy?«

»Ich weiß nicht, was daran so kompliziert sein soll.«

»Aber Sie haben die Kinder nicht in Ihrem Buch erwähnt.«

»Das sind doch keine Kinder mehr«, wandte Howard ein. »Sie sind so alt wie ich.«

Howard war fünfundvierzig.

»Sie haben sich also bei Alison ausgekotzt«, sagte ich. »Warum hat sie’s dann im Drumbeat veröffentlicht? Und auf welchem Weg?«

Er stand abrupt auf. »Ich wußte nicht, daß sie das vorhatte. Ich habe sie nicht darum gebeten. Wenn Sie’s genau wissen wollen, ich war geschockt, als ich die Zeitung las. Ich wollte nicht, daß das, was ich ihr gesagt habe, so an die Öffentlichkeit kommt.«

»Haben Sie seither noch mal mit ihr gesprochen?«

Er sagte, als müsse er sie verteidigen: »Sie dachte, sie würde mir helfen.«

»So ein Scheiß«, sagte ich.

Er war beleidigt und stakste in Richtung Außenwelt davon.

Einigermaßen verstimmt ging ich nach oben und sah meinen Anrufbeantworter blinken. O’Hara, so schien es, wollte mich gern in seiner Suite sehen.

Ich ging durch die mit Teppichen belegten Gänge. »Wußten Sie«, fragte er, als er auf mein Klopfen die Tür öffnete, »daß Howard wieder da ist?«

Wir sprachen über Howard. O’Hara sparte nicht mit Schimpfwörtern.

»Howard hat mir erzählt«, sagte ich, O’Haras Redeschwall halbwegs erfolgreich eindämmend, »daß er einer befreundeten Dame sein Leid geklagt hat, die prompt damit zum Drumbeat gegangen ist, aber ohne sein Wissen.«

»Was?«

Ich erzählte O’Hara von den Visboroughs.

Er wiederholte ungläubig: »Audrey, Alison und Roddy?«

»Und Gott weiß wer noch.«

»Howard«, verkündete er mit schwerer Stimme, »ist übergeschnappt.«

»Er ist naiv. Deshalb muß er noch kein schlechter Schriftsteller sein.«

O’Hara stimmte düster zu. »Traumliebhaber sind auch naiv.«

Er überlegte. »Ich werde mit den Bossen noch mal über seinen Vertragsbruch reden müssen. Die fürchterliche Alison kennen Sie wohl nicht?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Es muß ihr jemand ein Licht aufstecken.«

»Mhm«, meinte ich. »Sie?«

O’Hara drückte sich. »Wann hätten Sie denn selber Zeit?« »Bloß nicht«, wehrte ich ab. »Was sie von mir hält, wissen wir ja.«

»Trotzdem«, lächelte O’Hara, »wenn Sie wollen, leiern Sie mit Ihrem Charme die Vögel aus den Bäumen.«

»Ich weiß nicht, wo sie wohnt.«

»Das finde ich raus«, versprach er, »und Sie machen dann die Schadensbegrenzung.«

Er schien mit einemmal glücklicher. Eine Klage gegen Howard hätte sich endlos hingezogen und hätte durchaus die Büchereikunden entfremden können, die sein Name doch ins Kino bringen sollte. Greife nie jemanden an, hatte der alte Valentine einmal geschrieben, ohne vorher zu berechnen, was ein Sieg dich kostet.

O’Hara fragte, ob ich Jackson Wells aufgestöbert hätte, schien aber enttäuscht, als ich ihm sagte, daß Wells mit seiner Familie in angenehmen, ungetrübten Verhältnissen lebte.

»Glauben Sie, er hat seine Frau umgebracht?« fragte er neugierig.

»Das konnte nie bewiesen werden.«

»Aber glauben Sie’s?«

Ich zögerte. »Ich weiß es nicht.«

O’Hara tat den Gedanken ab, und da er die Muster von tags zuvor sehen wollte, fuhren wir zum Stall hinüber. Dort in dem weitläufigen Haus war ein kleines Zimmer als Vorführraum hergerichtet, mit einer Leinwand und sechs Stühlen, aber ohne Luxus. Die Fenster waren gegen Schnüffler verdunkelt, und die Rollen schon kopierten Films, die dort lagerten, waren auf jede erdenkliche Art gegen Diebstahl und Feuer geschützt. Da hatten die Bosse keinen Aufwand gescheut: Niemand konnte es sich leisten, noch einmal ganz von vorn zu drehen.

An diesem Morgen bediente ich selbst den Projektor. O’Hara saß gleichmütig da, während die Pferde den Trainingshang hinaufgaloppierten und über den Kamm ins Sonnenlicht kamen. Ich sah, daß ich mit dem dritten Anlauf recht gehabt hatte, und mein Trompetentusch nahm sich großartig aus. Danach hatte Moncrieff die Kameras abgeschaltet. Nur die Aufnahme, die ich selbst gemacht hatte, war noch auf der Rolle - der Pferdezug am Horizont, schwarz gegen das Sonnenlicht. Ausgesprochenes Pech, dachte ich, daß wir bei all dem Rohmaterial, das wir besaßen, nicht einen Meter Film mit dem Reiter hatten, der mit seinem furchterregenden Messer auf Ivan losgegangen war.

O’Hara fluchte darüber, doch hinterher ist man eben häufig klüger.

Ich überließ es dem eigentlichen Vorführer, die Rolle zurückzuspulen, und legte das Material ein, das wir danach gedreht hatten, die >erste Begegnung< von Nash und Silva.

Wie immer bei Mustern war die Tonqualität mangelhaft; die endgültige Tonspur wurde erst später, nach den Dreharbeiten, mit der Bildspur zusammengebracht. Muster mit ihren zwei, drei oder mehr kopierten Takes von einer einzelnen Szene konnten ohnehin nur von Fachleuten beurteilt werden, ähnlich wie Weinkenner einen eventuellen Spitzenjahrgang aus dem scharfen, frisch vergorenen Reb-saft herausschmecken. O’Hara schnalzte sogar entsprechend mit der Zunge, als er zuschaute, wie Silva ruckartig ihr Pferd anhielt und beinah Nash-den-Trainer umrannte, der bei seinen Tieren stand; wie sie dann absaß, sich die Kappe herunterriß und rollengemäß zunächst verärgert, aber mit schnell erwachendem sexuellen Interesse ihren Text sprach; wie der herrliche Mund sich zu einem Lächeln verzog, das ihren Preis ab sofort vervierfachen würde.

»Braves Mädchen«, murmelte O’Hara erfreut.

Nash, barhäuptig und in Reitkleidung, sagte seinen Text in Platin, beinah unbezahlbar. Howard, von uns gedrängt, diese Szene nachzureichen, die im Buch natürlich nicht vorkam, hatte ausgezeichnete Dialoge abgeliefert, die seinen Spitzenplatz im Vorspann des Films voll und ganz rechtfertigten. Moncrieff hatte die Gesichter kunstvoll ausgeleuchtet und die Pferde wie vereinbart etwas unscharf ins Bild gesetzt, um die einzelnen menschlichen Gestalten in Nahaufnahme klar hervorzuheben. Irgendwie bildete die unbekümmerte Gleichgültigkeit der Pferde einen beredten Kontrast zu der knisternden Erregung, die sich in ihrer Nähe entwickelte. Ein kurzer, flüchtiger Eindruck, aber ein Gewinn an Atmosphäre. Alles in allem gar nicht schlecht.

Die Rolle ging zu Ende, ich schaltete den Projektor aus, machte Licht und wartete auf O’Haras Bewertung.

»Soll ich Ihnen was sagen?« meinte er beiläufig. »Wenn Sie nicht aufpassen, landen wir da einen Knaller.«

»Sagen Sie das nicht zu früh.«

Trotzdem freute ich mich über sein Kompliment.

»Wie kommen Sie persönlich mit Silva aus?« fragte O’Hara, indem er aufstand und sich streckte, schon im Begriff zu gehen.

»Sie reitet sehr gut«, antwortete ich. »Das habe ich ihr auch gesagt.«

»Aber Sie haben ihr hoffentlich nicht gesagt, daß sie so gut zu Pferd ist wie ein Mann.«

Ich lachte. »Ich bin doch nicht lebensmüde.«

»Sie sieht auf der Leinwand gut aus.«

Ich nickte. »Sie hatten recht, sie kann schauspielern. Sie weiß, wo die Kamera steht. Sie ist professionell, sie hört mir zu, sie hat die Nacktszene auf dem geschlossenen Set vorige Woche ruhig und natürlich gespielt, sie ist ehrgeizig, aber vernünftig, und um ihren Feminismus kann ich einen Bogen machen.«

»Und gefällt sie Ihnen?«

»Das braucht sie nicht.«

»Nein, aber tut sie’s?«

Ich lächelte. »Wenn ich ihr sagen würde, daß sie mir gefällt, würde sie mir eine knallen.«

»Das ist keine Antwort.«

»Also gut, sie gefällt mir. Eigentlich sogar sehr. Aber sie möchte nicht gefallen. Sie möchte für eine gute Schauspielerin gehalten werden. Und das ist sie. Ein Karussell, meinen Sie nicht?«

»Sie schläft mit mir«, sagte O’Hara.

Ich betrachtete in der darauffolgenden Stille die knorrigen Gesichtszüge und die kräftige Statur, verstand die magnetische sexuelle Anziehung der Macht und sagte ohne Groll: »Soll das heißen, Hände weg?«

Er nickte ruhig. »Hände weg.«

»Okay.«

Er ließ es dabei bewenden. Es änderte wenig. Wir gingen nach oben, um zu sehen, wie weit der Architekt und seine Abteilung schon mit der Demontage des Jockey-ClubUntersuchungsraums gekommen waren, an dessen Stelle ein ungefähres Abbild des Speisesaals im Athenäum entstehen sollte.

Mehrere Wände im ersten Stock waren bereits vorher entfernt worden, dafür stützten jetzt Stahlträger das Dach. Auch die Zimmerdecken waren weitgehend herausgeschnitten worden, um Raum für Lampen und Kameras zu schaffen. Der Hausbesitzer tröstete sich mit seinem hübsch aufgestockten Bankkonto und hoffte, daß Balken und Mörtel ihren Platz dereinst zurückerobern würden.

Der Athenäum-Speisesaal war noch kaum angelegt, würde aber komplett mit Tischen, Roastbeef und Bedienung ausgestattet sein, wenn wir von Huntingdon zurückkamen.

O’Hara sagte: »Ich habe Moncrieff heute früh im Hotel auf dem Gang getroffen, als Sie vom Meer wiederkamen. Ich dachte, ich höre nicht recht, aber er hat vor sich hin gesummt. Er sagte, er hätte ein Wunder gesehen und Sie wollten Ziggy nach Norwegen schicken, damit er eine Herde Wildpferde rüberholt. Sagen Sie, daß das nicht stimmt.«

Ich lachte. »Es stimmt. Fjordpferde. Wenn wir zehn oder zwölf davon haben, bringen wir sie ins Bild, als wären es fünfzig. Ziggy soll sie uns suchen. Sie kommen dann in Pferdetransportern mit der Fähre von Bergen.«

»Aber«, wandte O’Hara ein, »wäre es nicht billiger, mit einheimischen Wildpferden zu drehen?«

»Erstens gibt es keine einheimischen«, sagte ich. »Und zweitens sind echte Norweger effektvoller.«

O’Hara bahnte sich einen Weg durch wacklige Dekorationsteile und sah von einem hohen Fenster aus auf das graugrüne Heideland. Schließlich drehte er sich um; ich konnte seinen Gesichtsausdruck im Licht nicht erkennen.

»Ich arrangiere das«, sagte er.«Ziggy kann fahren. Sie machen hier mit dem Film weiter.«

»Gut«, sagte ich zufrieden, und in diesem Einverständnis gingen wir hinunter zum Stallhof, meldeten uns wie gewohnt vorn beim Wachmann ab und kehrten zum Wagen zurück.

»Wußten Sie«, fragte ich im Plauderton, »daß man Hexen früher gehenkt hat?«

O’Hara blieb abrupt stehen und sagte nach einer Pause: »So was deutet Howard in seinem Buch aber nicht an, oder?«

»Nein. Eigentlich wundert mich das. Es hätte doch gut zu den Traumliebhabern gepaßt.«

O’Hara sah verständnislos drein.

»1685 wurde zum letztenmal in Merrie England eine Hexe erhängt«, sagte ich. »Bis dahin hatte man aber insgesamt über tausend der Hexerei Beschuldigte aufgeknüpft, hauptsächlich Frauen. Das habe ich nachgesehen. Hexerei gab es noch lange danach. Goya hat um 1800 herum fliegende Hexen gemalt. Und noch heute werden die alten Praktiken ausgeübt. Ich halte es zwar für unwahrscheinlich, daß vor nur sechsundzwanzig Jahren in Newmarket eine Hexenerhängung stattgefunden hat, aber es schadet nichts, wenn Howard ein paar Szenen einfügt, um Zweifel zu säen.«

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