Kapitel 10 Goldener Käfig

Meine Studiengebühren wurden auf neun Talente, fünf Jots festgesetzt. Das war zwar weniger als die von Manet prophezeiten zehn Talente, aber mehr, als ich besaß. Mir blieb bis zum nächsten Tag um zwölf Uhr mittags Zeit, beim Quästor zu bezahlen, sonst war ich gezwungen, ein ganzes Trimester zu verpassen.

Es wäre keine Tragödie gewesen, wenn ich mein Studium hätte unterbrechen müssen. Doch leider haben nur zugelassene Studenten Zugang zu allem, was die Universität zu bieten hat, und das betrifft auch die Ausrüstung des Handwerkszentrums. Wenn ich also meine Studiengebühren nicht bezahlen konnte, konnte ich auch nicht mehr in Kilvins Werkstatt arbeiten – und das war der einzige Arbeitsplatz, an dem ich hoffen konnte, genug Geld zu verdienen, um meine Studiengebühren bezahlen zu können.

Ich sah in dem dortigen Lagerraum vorbei, und Jaxim lächelte, als ich ans offene Fenster trat. »Gerade heute morgen haben wir deine Leuchten verkauft«, sagte er. »Wir haben sogar ein bisschen mehr dafür rausschlagen können, weil es die letzten waren, die wir auf Lager hatten.« Er schlug in seinem Buch nach. »Dein Anteil von sechzig Prozent beläuft sich auf vier Talente, acht Jots. Nach Abzug aller Materialkosten bleiben dir davon …« Er fuhr mit dem Finger die Seite hinab. »… zwei Talente, drei Jots und acht Deut.«

Jaxim machte einen Vermerk in seinem Buch und schrieb mir eine Quittung aus. Ich faltete sie sorgsam zusammen und steckte sie in meinen Geldbeutel. Sie hatte zwar nicht das beruhigende Gewicht von Münzen, erhöhte die Gesamtsumme aber auf über sechs Talente. Sehr viel Geld – aber immer noch nicht genug.

Da kam mir eine Idee. »Dann fange ich doch gleich was Neues an«, sagte ich ganz beiläufig. »Ich brauche einen kleinen Schmelztiegel. Drei Unzen Zinn. Zwei Unzen Bronze. Vier Unzen Silber. Eine Rolle feinen Golddraht. Eine Kupfer –«

»Moment mal«, unterbrach mich Jaxim. Er fuhr mit dem Finger in seinem Buch zu meinem Namen zurück. »Für Gold und Silber sehe ich bei dir keine Berechtigung.« Er sah mich an. »Ist das ein Fehler?«

Ich zögerte, wollte ihn nicht anlügen. »Ich wusste nicht, dass man dafür eine spezielle Berechtigung braucht«, sagte ich.

Jaxim grinste wissend. »Du bist nicht der Erste, der so was probiert«, sagte er. »Hohe Studiengebühren?«

Ich nickte.

Er sah mich mitfühlend an. »Tut mir Leid. Aber Kilvin weiß, dass sich unser Lager ganz schnell in eine Geldverleiherbude verwandeln würde, wenn er nicht aufpasst.« Er schlug sein Buch zu. »Da wirst du wohl zu einem Pfandleiher gehen müssen, wie alle anderen auch.«

Ich hob meine Hände und zeigte sie ihm von beiden Seiten, um anzudeuten, dass ich keinerlei Schmuck besaß.

»Das ist bitter. Ich kenne einen anständigen Geldverleiher im Silberviertel, der nur zehn Prozent pro Monat nimmt. Das ist zwar immer noch ein Gefühl, als würden einem alle Zähne gezogen, aber günstiger als bei den meisten anderen.«

Ich nickte und seufzte. Das Silberviertel war der Ort, an dem die Geldverleiher der Gilde ihre Niederlassungen hatten. Diese Leute würden mich keines Blickes würdigen. »Es ist auf jeden Fall günstiger als alles, was ich bisher bezahlt habe«, sagte ich.

Ich steckte in einer Klemme, aber in keiner allzu schlimmen. Zwar würde kein Geldverleiher der Gilde einem verwaisten Edema Ruh, der keinerlei Sicherheiten vorweisen konnte, auch nur einen müden Penny anvertrauen, aber ich konnte mir das nötige Geld immer noch bei Devi leihen. Dennoch wünschte ich, es wäre nicht so weit gekommen. Sie nahm nicht nur Wucherzinsen, sondern ich sorgte mich auch, welche Gefälligkeiten sie von mir verlangen würde, falls ich einmal nicht zahlen konnte. Ich bezweifelte nämlich, dass es nur kleine Gefälligkeiten sein würden – und ganz legale.

Mit derlei Gedanken schlug ich mich also herum, als ich die große Steinbrücke überquerte. Ich machte kurz in einer Apotheke Halt und ging dann weiter zum GRAUEN MANN.

Als ich dort eintrat, sah ich, dass es sich um eine Pension handelte. Es gab dort keinen Gemeinschaftsraum, in dem die Gäste beisammensitzen und etwas trinken konnten. Vielmehr fand ich mich in einem nobel eingerichteten Vestibül wieder, in dem mir ein schick gekleideter Portier mit einer gewissen Missbilligung entgegensah.

»Kann ich helfen, junger Mann?«, fragte er.

»Ich möchte eine Dame besuchen«, sagte ich. »Sie heißt Dinael.«

Er nickte. »Ich gehe sogleich nachsehen, ob die Dame im Hause ist.«

»Nur keine Umstände«, sagte ich und ging in Richtung Treppe. »Sie erwartet mich.«

Der Mann stellte sich mir in den Weg. »Ich fürchte, das geht so nicht«, sagte er. »Aber ich sehe, wie gesagt, gerne nach, ob die Dame im Hause ist.«

Er streckte mir eine Hand entgegen. Ich sah ihn nur an.

»Eine Visitenkarte?«, fragte er. »Etwas, das ich der Dame vorweisen könnte?«

»Wieso das, wenn gar nicht klar ist, ob sie überhaupt da ist?«, fragte ich.

Der Portier bedachte mich mit einem Lächeln, das gleichzeitig liebenswürdig und höflich und äußerst unfreundlich war. Ich prägte es mir ein. Ein solches Lächeln ist ein Kunstwerk. Als jemand, der

»Ah«, sagte der Portier. »Die Dame ist durchaus da. Aber das bedeutet nicht unbedingt, dass sie auch für dich da ist.«

»Du kannst ihr sagen, dass Kvothe hier ist, um sie zu besuchen«, sagte ich, eher belustigt als gekränkt. »Ich warte hier.«

Es dauerte nicht lange. Der Portier kam mit gereizter Miene die Treppe wieder herab, als hätte er sich schon darauf gefreut, mich rausschmeißen zu dürfen. »Hier entlang, bitte«, sagte er.

Ich folgte ihm die Treppe hinauf. Er öffnete eine Tür, und ich schob mich an ihm vorbei in den Raum – mit einem, wie ich hoffte, für ihn ärgerlichen Maß an Forschheit.

Es war ein Wohnzimmer mit breiten Fenstern, die den nachmittäglichen Sonnenschein hereinließen. Der Raum war groß genug, um trotz einiger Sitzgruppen geräumig zu wirken. An der Rückwand stand ein großes Hackbrett, und eine Ecke des Raums wurde gänzlich von einer riesigen modeganischen Harfe eingenommen.

Denna stand mitten im Zimmer. Sie trug ein grünes Samtkleid. Ihr Haar war so frisiert, dass es ihren eleganten Hals, die tränenförmigen Smaragd-Ohrringe und die dazu passende Halskette bestens zur Geltung brachte.

Sie sprach gerade mit einem jungen Mann, der …, mir fällt nur das Wort ›hübsch‹ ein, um ihn zu beschreiben. Er hatte ein schönes, glatt rasiertes Gesicht und große, dunkle Augen.

Er wirkte wie ein junger Edelmann, den schon so lange das Glück im Stich gelassen hatte, dass es nicht mehr als vorübergehender Zustand gelten konnte. Seine Kleidung war teuer, aber zerknittert. Sein dunkles Haar war in einem Stil geschnitten, der offensichtlich verlangte, dass man es in Locken legte, es schien aber in letzter Zeit nicht mehr frisiert worden zu sein. Seine Augen waren eingesunken, als hätte er schlecht geschlafen.

Denna streckte mir eine Hand entgegen. »Kvothe«, sagte sie. »Ich darf dir Geoffrey vorstellen.«

»Freut mich sehr, dich kennenzulernen, Kvothe«, sagte er. »Dinael

»Arkanist ist das richtige Wort dafür«, sagte ich so höflich ich nur konnte. »Bei ›Zauberer‹ denken die Leute immer an allzu viel Blödsinn aus irgendwelchen Märchenbüchern. Dann erwarten sie von uns, dass wir dunkle Gewänder tragen und uns mit Vogeleingeweiden zu schaffen machen. Und du?«

»Geoffrey ist ein Dichter«, sagte Denna. »Und zwar ein guter – auch wenn er das bestreiten würde.«

»Das bestreite ich tatsächlich«, sagte er, und dann schwand sein Lächeln. »Ich muss jetzt los. Ich bin mit Leuten verabredet, die man nicht warten lassen sollte.« Er küsste Denna auf die Wange, schüttelte mir herzlich die Hand und ging.

Denna sah zu, wie er die Tür hinter sich schloss. »Er ist ein süßer Junge.«

»Du sagst das, als würdest du es bedauern.«

»Wenn er nicht ganz so süß wäre, wäre er vielleicht in der Lage, zwei Gedanken gleichzeitig im Kopf zu behalten. Sie würden sich vielleicht berühren, und dabei würde ein Funke sprühen. Auch nur ein wenig Rauch wäre schön, denn dann würde es wenigstens so aussehen, als ob in seinem Kopf irgendetwas geschieht.« Sie seufzte.

»Ist er wirklich so dumm?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Er ist nur vertrauensselig. Er hat keine einzige berechnende Faser im ganzen Leib und hat, seit er vor einem Monat hier angekommen ist, einen Fehler nach dem anderen gemacht.«

Ich griff unter meinen Umhang und holte zwei kleine, in Stoff eingewickelte Päckchen hervor – ein blaues und ein weißes. »Ich habe dir ein Geschenk mitgebracht.«

Denna nahm die Päckchen und guckte ein wenig verwirrt.

Was mir kurz zuvor noch als ausgezeichnete Idee erschienen war, kam mir nun reichlich töricht vor. »Das ist für deine Lunge«, sagte ich, plötzlich verlegen. »Ich weiß doch, dass du manchmal Schwierigkeiten damit hast.«

Sie neigte den Kopf zur Seite. »Und woher weißt du das, bitte schön?«

Denna blickte zwischen den beiden Päckchen hin und her.

»Ich habe die Gebrauchsanweisung auf kleine Zettel geschrieben und da reinsteckt«, sagte ich. »Das Blaue ist zum Inhalieren«, sagte ich. »Blau für blaues Wasser.«

Sie sah mich an. »Macht man Tee nicht auch mit Wasser?«

Ich zuckte zusammen, wurde rot und wollte etwas sagen, aber Denna lachte und schüttelte den Kopf. »Ich zieh dich doch nur auf«, sagte sie. »Vielen Dank. Das ist das Liebste, was jemand seit langer Zeit für mich getan hat.«

Sie ging zu einer Kommode und verstaute die beiden Päckchen in einer reich verzierten Holzschatulle.

»Du scheinst dich hier ja ganz gut zu stehen«, sagte ich und wies auf das bestens ausgestattete Zimmer.

Denna zuckte die Achseln und sah sich mit gleichgültiger Miene um. »Kellin steht sich gut«, sagte sie. »Auf mich fällt nur ein Abglanz davon.«

Ich nickte. »Und ich dachte, du hättest vielleicht endlich einen Schirmherrn gefunden.«

»Nein, so formell ist es nicht. Kellin und ich gehen ein Stück des Wegs zusammen, wie man in Modeg sagt, und er bringt mir ein bisschen das Harfespiel bei.« Sie nickte in Richtung des in der Ecke stehenden Instruments.

»Magst du mir zeigen, was du schon gelernt hast?«

Denna schüttelte verlegen den Kopf, und dabei glitt ihr das Haar über die Schultern. »Ich bin noch nicht besonders gut.«

»Ich würde meinen natürlichen Drang zu zischen und zu buhen nach Kräften unterdrücken«, erwiderte ich.

Denna lachte. »Also gut. Aber nur ganz kurz.« Sie trat hinter die Harfe und zog einen Hocker zum Anlehnen herbei. Dann legte sie die Finger auf die Saiten, hielt einen Moment lang inne und begann zu spielen.

Leithammel. Ich musste lächeln.

Sie spielte langsam, fast getragen. Viel zu viele Leute meinen, einen guten Musiker könnte man an der Schnelligkeit seines Vortrags erkennen. Es ist nachvollziehbar, woher diese Auffassung stammt: Was Marie im EOLIAN getan hatte, war umwerfend gewesen. Doch wie schnell man Töne hervorbringen kann, ist nur ein kleiner Aspekt beim Musizieren. Das Entscheidende dabei ist das Gefühl für das Tempo.

Das ist wie beim Witzeerzählen. An den Wortlaut eines Witzes kann sich jeder erinnern, und jeder kann ihn wiederholen. Doch jemanden zum Lachen zu bringen, erfordert mehr als das. Wenn man einen Witz schneller erzählt, wird er nicht lustiger. Wie bei vielen Dingen ist es besser, sich Zeit zu lassen, als zu übereilen.

Das ist der Grund, weshalb es nur so wenige wahre Musiker gibt. Gut singen oder Geige spielen können viele. Und auch eine Spieluhr spult ein Lied immer wieder fehlerlos ab. Doch es genügt nicht, die Töne zu kennen. Man muss auch wissen, wie man sie zu spielen hat. Schnelligkeit kommt mit der Zeit und mit der Übung, mit dem Gefühl für das Tempo aber muss man geboren sein. Das hat man entweder, oder man hat es nicht.

Denna hatte es. Sie spielte langsam, aber sie schleppte sich nicht dahin. Sie spielte das Lied so langsam, als wäre es ein köstlicher Kuss. Nicht dass ich zu jener Zeit in meinem Leben irgendetwas vom Küssen verstanden hätte. Doch als sie da so stand, die Arme um die Harfe geschlungen, die Augen vor Konzentration halb geschlossen, die Lippen leicht geschürzt, wusste ich, dass ich eines Tages so geküsst werden wollte, wie sie dieses Lied spielte.

Außerdem war sie schön. Es überrascht wahrscheinlich nicht, dass ich ein besonderes Faible für Frauen habe, denen die Musik im Blut liegt. Doch als sie dort Harfe spielte, sah ich sie an diesem Tag zum ersten Mal richtig an. Bis dahin war ich von ihrer Frisur und ihrem Kleid abgelenkt gewesen. Doch als sie spielte, trat all das in den Hintergrund.

Aber ich gerate ins Schwafeln. Sagen wir einfach nur, dass ich beeindruckt war, obwohl sie offenkundig noch ganz am Anfang stand. Sie griff ein paarmal daneben, ließ sich davon aber nicht beirren.

»Über Eichhorn im Stroh bist du aber schon weit hinaus«, sagte ich leise, nachdem sie zu Ende gespielt hatte.

Sie tat dieses Kompliment mit einem Achselzucken ab und wich meinem Blick aus. »Außer Üben hab ich ja auch nicht viel zu tun«, sagte sie. »Kellin meint übrigens auch, ich sei begabt.«

»Wie lange übst du denn schon?«, fragte ich.

»Drei Spannen?« Sie blickte nachdenklich und nickte dann. »Ja, nicht ganz drei Spannen.«

»Mutter Gottes«, sagte ich und schüttelte den Kopf. »Erzähl bloß keinem, wie schnell du das gelernt hast. Andere Musiker würden dich dafür hassen.«

»Meine Finger sind noch nicht daran gewöhnt«, sagte sie und sah auf sie hinab. »Ich kann noch längst nicht so lange üben, wie ich gern würde.«

Ich nahm ihre Hand und sah mir ihre Fingerspitzen an. Ich sah verheilende Blasen. »Du hast …«

Ich hob den Blick und bemerkte, wie nah sie mir stand. Ihre Hand lag kühl in meiner. Sie sah mich aus ihren großen, dunklen Augen an, eine Augenbraue neugierig erhoben. Mit einem Mal hatte ich ein sehr seltsames Gefühl im Bauch.

»Was habe ich?«, fragte sie.

Mir wurde klar, dass ich nicht mehr wusste, was ich gerade sagen wollte. Ich überlegte zu sagen: Ich weiß nicht mehr, was ich gerade sagen wollte. Doch das hätte dumm geklungen. Also sagte ich gar nichts.

Denna senkte den Blick, nahm meine Hand und drehte sie um. »Deine Hände sind weich«, sagte sie und berührte meine Fingerspitzen. »Ich dachte, die Schwielen wären hart, aber das sind sie gar nicht. Sie sind weich.«

Als sie mir nun nicht mehr in die Augen sah, kehrte meine Geistesgegenwart wenigstens teilweise zurück. »Das kommt mit der Zeit«, sagte ich.

Denna sah wieder hoch und lächelte mich scheu an. Mein Hirn war mit einem Schlag so leer wie ein weißes Blatt Papier.

»Ja, gern«, sagte ich reflexartig. Ich bemerkte, dass meine Hand törichterweise immer noch mitten in der Luft hing, und ließ sie sinken.

Sie lud mich mit einer Handbewegung ein, auf einem Sessel ihr gegenüber Platz zu nehmen, und das tat ich.

»Pass auf.« Sie nahm ein silbernes Glöckchen von einem Tisch und klingelte damit. Dann hob sie eine Hand, alle fünf Finger ausgestreckt. Sie zog den Daumen ein, dann den Zeigefinger und zählte so weiter rückwärts.

Bevor sie beim kleinen Finger angelangt war, klopfte es an der Tür.

»Herein!«, rief Denna, und der fein gekleidete Portier öffnete die Tür. »Ich hätte gern eine Trinkschokolade«, sagte sie. »Und Kvothe …« Sie sah mich fragend an.

»Trinkschokolade klingt wunderbar«, sagte ich.

Der Portier nickte und schloss die Tür wieder hinter sich.

»Manchmal mache ich das nur, damit er angelaufen kommt«, gestand Denna leicht verlegen und betrachtete das Glöckchen. »Ich verstehe nicht, wie er das hören kann. Eine Zeit lang war ich überzeugt, er stünde immer auf dem Flur, mit dem Ohr an meiner Tür.«

»Darf ich mal sehen?«

Sie gab mir das Glöckchen. Es wirkte auf den ersten Blick ganz normal, doch als ich es umdrehte, entdeckte ich auf der Innenseite winzige Sygaldrie.

»Nein, er lauscht nicht«, sagte ich und gab ihr das Glöckchen zurück. »Er hat unten eine zweite Klingel, die losgeht, wenn du die hier betätigst.«

»Wie das?«, fragte sie und beantwortete es dann selbst: »Magie?«

»Man könnte es so nennen.«

»Sind das die Dinge, die du da drüben treibst?«, fragte sie und nickte in die Richtung des Flusses und der Universität. »Das kommt mir aber ein bisschen … billig vor.«

»Das ist die unseriöseste Anwendung der Sygaldrie, die mir je untergekommen ist«, sagte ich.

»Sygaldrie ist die Kunst, Runen so zu schreiben oder zu gravieren, dass sie bestimmte Dinge bewirken.«

Dennas Augen leuchteten auf. »Das ist also eine Form der Magie, bei der man etwas aufschreibt?«, fragte sie und beugte sich auf ihrem Sessel vor. »Wie funktioniert das?«

Ich zögerte. Nicht nur, weil das eine sehr große Frage war, sondern auch, weil die Universität sehr strikte Regeln hat, was die Weitergabe von Geheimnissen des Arkanums angeht. »Das ist ziemlich kompliziert«, sagte ich.

Zum Glück klopfte es in diesem Augenblick an der Tür, und unsere Getränke kamen. Beim Duft der Schokolade lief mir das Wasser im Munde zusammen. Der Portier stellte das Tablett mit den beiden Tassen auf einem Tisch ab und ging wortlos wieder hinaus.

Ich trank einen kleinen Schluck und lächelte ob der cremigen Süße. »Es ist Jahre her, dass ich das letzte Mal Schokolade getrunken habe«, sagte ich.

Denna hob ihre Tasse und sah sich im Zimmer um. »Eine seltsame Vorstellung, dass manche Leute ihr ganzes Leben in solcher Umgebung verbringen«, sagte sie.

»Gefällt es dir nicht?«, fragte ich erstaunt.

»Mir gefällt die Schokolade und die Harfe«, sagte sie. »Aber auf diese Klingel und dieses Wohnzimmer könnte ich gut verzichten. Und ich hasse den Gedanken, dass jemand den Auftrag hat, auf mich aufzupassen, als wäre ich ein Schatz, den jemand versuchen könnte zu stehlen.«

»Du willst also nicht wie ein Schatz behandelt werden?«

Sie kniff über den Rand der Tasse hinweg die Augen ein wenig zusammen, als wüsste sie nicht, wie ernst ich das meinte. »Ich mag es nicht, hinter Schloss und Riegel verwahrt zu werden«, erläuterte sie in leicht grimmigem Ton. »Ich habe nichts dagegen, wenn man mir Gemächer zur Verfügung stellt, aber wenn ich nicht nach Belieben kommen und gehen kann, sind das ja eigentlich gar nicht meine Gemächer.«

»Ganz und gar nicht«, sagte ich. »Als ich ein kleiner Junge war, ist meine Truppe überall umhergereist. Aber jedes Jahr verbrachten wir ein paar Spannen auf dem Gut unseres Schirmherrn und traten vor seiner Familie und seinen Gästen auf.«

Ich schüttelte angesichts dieser Erinnerungen den Kopf. »Baron Greyfallow war ein überaus großzügiger Gastgeber. Wir aßen an seiner Tafel. Er machte uns Geschenke …« Dabei musste ich an das ganze Regiment Zinnsoldaten denken, das er mir einmal geschenkt hatte. Ich schüttelte den Kopf, um mich von diesen Gedanken zu befreien. »Aber mein Vater hat es gehasst. Er ist die Wände hochgegangen. Er konnte das Gefühl nicht ertragen, jemandem auf Abruf zur Verfügung stehen zu müssen.«

»Ja«, sagte Denna. »Genau das ist es. Wenn Kellin sagt, dass er mich an dem und dem Abend eventuell besuchen kommt, komme ich mir vor, als wäre ich mit den Füßen am Boden festgenagelt. Wenn ich trotzdem ausgehe, ist das unhöflich und widerspenstig von mir. Bleibe ich aber da, komme ich mir vor wie ein Hund, der brav vor der Tür wartet.«

Wir schwiegen einen Moment lang. Denna drehte gedankenverloren einen Ring an ihrem Finger hin und her, und der Sonnenschein fing sich in dem hellblauen Stein.

»Aber trotzdem«, sagte ich und sah mich um, »sind das schöne Gemächer.«

»Sie sind schön, wenn du hier bist«, erwiderte sie.

Ich klopfte an die schwere Holztür am oberen Treppenabsatz und wartete. Kein Geldverleiher der Gilde hätte mir auch nur einen müden Penny anvertraut, aber es gibt ja immer noch andere Leute, die willens sind, Geld zu verleihen. Man nennt sie Gaelets. Es sind gefährliche Menschen, und wer klug ist, macht einen großen Bogen um sie.

Die Tür öffnete sich erst einen Spalt breit und dann zur Gänze, und vor mir stand eine junge Frau mit koboldhaftem Gesicht und rotblondem Haar. »Kvothe!«, rief Devi aus. »Ich hatte schon befürchtet, dass ich dich dieses Trimester gar nicht zu Gesicht bekomme!«

Ich trat ein, und Devi verriegelte die Tür hinter mir. In dem großen, fensterlosen Raum duftete es nach Cinnasfrucht und Honig, was nach dem Gestank auf der Gasse eine willkommene Abwechslung war.

Eine Seite des Raums wurde von einem großen Himmelbett beherrscht, dessen dunkle Vorhänge zugezogen waren. Auf der anderen Seite befand sich ein Kamin, ein großer Schreibtisch und ein zu drei Vierteln gefülltes Bücherregal. Ich schlenderte hinüber, um einen Blick auf die Titel zu werfen.

»Hast du diese Malcaf-Ausgabe neu?«, fragte ich.

»Ja«, sagte sie und gesellte sich zu mir. »Ein junger Alchemist, der seine Schulden nicht begleichen konnte, hat mich dafür einiges aus seiner Bibliothek aussuchen lassen.« Devi zog den Band vorsichtig hervor und zeigte mir den vorderen Einbanddeckel, auf dem mit Blattgold der Titel aufgeprägt war: Vision und Revision. Sie sah mich mit verschmitztem Lächeln an. »Hast du das schon gelesen?«

»Nein«, sagte ich. Ich hatte es für die Zulassungsprüfung durcharbeiten wollen, hatte im Bibliotheksmagazin aber kein Exemplar davon gefunden. »Ich habe nur davon gehört.«

Als ich das Buch in Händen hielt, tippte sie vorsichtig mit einem Finger auf den Einband. »Dieses Buch ist mehr wert als du«, sagte sie ganz und gar nicht neckisch. »Wenn du es beschädigt wiederbringst, musst du dafür gradestehen.«

»Ich passe gut darauf auf«, sagte ich.

Devi nickte und ging an ihren Schreibtisch. »Also dann zum Geschäftlichen.« Sie nahm Platz. »Du kommst aber auf den letzten Drücker, nicht wahr?«, fragte sie. »Die Studiengebühren müssen doch bis morgen Mittag bezahlt sein.«

»Ich führe ein gefährliches und aufregendes Leben«, sagte ich und nahm vor ihrem Schreibtisch Platz. »Und so sehr ich mich auch immer freue, dich zu sehen, hatte ich doch gehofft, deine Dienste dieses Trimester nicht in Anspruch nehmen zu müssen.«

»Wie schmecken dir denn die Studiengebühren jetzt als Re’lar?«, fragte sie mit wissender Miene. »Wie hart haben sie dich rangenommen?«

»Das ist eine ziemlich persönliche Frage«, sagte ich.

Devi sah mich offenherzig an. »Und wir sind dabei, eine ziemlich persönliche Vereinbarung zu treffen«, erwiderte sie. »Von daher habe ich nicht das Gefühl, dass ich dir zu nahe trete.«

»Neuneinhalb«, antwortete ich.

Sie schnaubte. »Und ich dachte, du wärst so ein kleines Genie. Von mir haben sie nie mehr als sieben verlangt, als ich noch Re’lar war.«

»Du hattest auch Zugang zur Bibliothek«, bemerkte ich.

»Mir standen ganze Wissensschätze offen«, erwiderte sie sachlich. »Und außerdem bin ich zuckersüß.« Sie lächelte, was die Grübchen in ihren Wangen zur Geltung brachte.

»Absolut hinreißend«, gestand ich. »Kein Mann könnte dir widerstehen.«

Da ich nicht die leiseste Ahnung hatte, wie ich darauf reagieren sollte, leitete ich das Gespräch in sichereres Fahrwasser. »Ich fürchte, ich muss mir vier Talente leihen«, sagte ich.

»Ah«, sagte Devi und faltete mit einem Mal ganz geschäftsmäßig die Hände auf dem Tisch. »Und ich fürchte, ich habe kürzlich einige Änderungen an meinen Geschäftsbedingungen vorgenommen«, sagte sie. »Gegenwärtig vergebe ich nur Darlehen ab einem Mindestbetrag von sechs Talenten.«

Ich versuchte gar nicht erst, meine Bestürzung zu verbergen. »Sechs Talente? Devi, diese zusätzlichen Schulden werden mir wie ein Mühlstein am Halse hängen.«

Sie gab einen Seufzer von sich, der wenigstens ansatzweise bedauernd klang. »Wenn ich ein Darlehen vergebe, gehe ich damit gewisse Risiken ein. Ich riskiere, die investierte Summe zu verlieren, wenn mein Schuldner stirbt oder sich aus dem Staub zu machen versucht. Ich riskiere, dass man versucht, mich anzuzeigen. Ich riskiere, nach dem Eisernen Gesetz oder schlimmer noch von der Gilde der Geldverleiher vor Gericht gestellt zu werden.«

»Aber du weißt doch, dass ich so was nie machen würde, Devi.«

»Dennoch bleibt die Tatsache bestehen«, fuhr sie fort, »dass ich das gleiche Risiko eingehe, ganz egal, ob der Darlehensbetrag nun groß oder klein ist. Und wieso sollte ich mir das für ein kleines Darlehen antun?«

»Klein?«, entgegnete ich. »Von vier Talenten könnte ich ein ganzes Jahr lang leben!«

Sie pochte mit einem Finger auf den Tisch und verzog den Mund. »Sicherheiten?«

»Das Übliche«, sagte ich und schenkte ihr mein schönstes Lächeln. »Mein unermesslicher Charme.«

Devi schnaubte undamenhaft. »Für unermesslichen Charme und drei Tropfen Blut kann ich dir sechs Talente leihen, zu den üblichen Konditionen: Fünfzig Prozent Zinsen bei einer Laufzeit von zwei Monaten.«

»Gib ein Fest«, schlug sie vor. »Oder verbring einen ganzen Tag im Puff. Oder setz es beim Faro.«

»Faro«, sagte ich, »ist weiter nichts als eine Steuer für Leute, die keine Wahrscheinlichkeiten berechnen können.«

»Dann sei die Bank und kassiere du die Steuern«, sagte sie. »Kauf dir was Schönes zum Anziehen und trage es, wenn du mich das nächste Mal besuchen kommst.« Sie musterte mich. »Vielleicht bin ich dann bereit, dir eine Extrawurst zu braten.«

»Wie wär’s mit sechs Talenten für einen Monat, zu fünfundzwanzig Prozent?«, fragte ich.

Devi schüttelte den Kopf. »Kvothe, ich respektiere den Impuls zu feilschen, aber du hast mir einfach nichts anzubieten. Du bist hier, weil du in der Klemme steckst. Ich bin hier, um aus dieser Situation Kapital zu schlagen.« Sie breitete in einer Geste der Hilflosigkeit die Hände. »Damit verdiene ich meinen Lebensunterhalt. Dass du ein hübsches Gesicht hast, spielt dabei keine Rolle. Umgekehrt: Wenn du von irgendeinem Geldverleiher der Gilde mehr bekommen würdest als nur einen feuchten Händedruck, würde ich nicht von dir erwarten, dass du zu mir kommst, einfach nur, weil ich so hübsch bin und dir die Farbe meines Haars so gut gefällt.«

»Es ist eine wunderschöne Farbe«, sagte ich. »Wir Rotschöpfe sollten zusammenhalten.«

»Ja, das sollten wir«, erwiderte sie. »Und zwar zu fünfzig Prozent Zinsen über zwei Monate Laufzeit.«

»Also gut«, sagte ich und sackte auf meinem Stuhl zusammen. »Du hast gewonnen.«

Devi ließ ein liebreizendes Lächeln aufscheinen, das wieder ihre Grübchen zur Geltung brachte. »Gewinnen könnte ich nur, wenn wir vorher überhaupt gespielt hätten.« Sie öffnete eine Schreibtischschublade und holte ein kleines Fläschchen und eine lange Nadel daraus hervor. Doch statt sie mir über den Tisch zu schieben, hielt sie mit einem Mal nachdenklich inne. »Mir fällt da noch eine andere Möglichkeit ein.«

»Ich bin ein großer Freund anderer Möglichkeiten«, sagte ich.

Ich zögerte. »Ja, das habe ich angedeutet.«

»Diese Information wäre mir Einiges wert«, sagte sie betont beiläufig. Obwohl sie sich Mühe gab, es zu verbergen, sah ich die nackte Gier in ihren Augen.

Ich blickte auf meine Hände hinab und erwiderte nichts darauf.

«Ich würde dir jetzt auf der Stelle zehn Talente dafür zahlen«, sagte Devi. »Nicht als Darlehen. Ich würde diese Information von dir erwerben. Und falls sie mich im Magazin ertappen würden, hätte ich sie keinesfalls von dir.«

Ich dachte daran, was ich mit zehn Talenten alles machen konnte. Neue Kleider. Ein neuer Lautenkasten. Papier. Handschuhe für den nahen Winter.

Ich seufzte und schüttelte den Kopf.

»Zwanzig Talente«, sagte Devi. »Und den Zinssatz der Gilde für sämtliche künftige Darlehen.«

Mit zwanzig Talenten hätte ich mir ein halbes Jahr lang keine Sorgen mehr in puncto Studiengebühren machen müssen. Ich hätte im Handwerkszentrum meine eigenen Projekte verfolgen können, statt mich mit Decksleuchten abzuplagen. Ich hätte mir maßgeschneiderte Kleidung leisten können. Frisches Obst. Ich hätte meine Sachen in die Wäscherei geben können, statt mich selbst damit abzumühen.

Ich atmete zögernd ein. »Ich –«

»Vierzig Talente«, sagte Devi gierig. »Und Gildenkonditionen. Und ich geh mit dir ins Bett.«

Für vierzig Talente hätte ich Denna eine eigene kleine Harfe kaufen können. Ich hätte …

Ich hob den Blick. Devi starrte mich über den Tisch hinweg an. Ihre Lippen waren feucht, ihre hellblauen Augen blickten gespannt. Sie bewegte ganz langsam die Schultern hin und her, wie eine sprungbereite Katze.

Ich dachte an Auri, sicher und glücklich in ihrem Unterding. Was würde sie tun, wenn eine Fremde in ihr kleines Königreich eindrang?

Es folgte ein langer Moment der Anspannung. »Verdammt«, sagte Devi schließlich. »Das hört sich an, als würdest du die Wahrheit sagen.«

»Ja, so ist es«, sagte ich. »Tut mir leid.«

»Verdammt.« Sie sah mich finster an und schob mir nun doch das Fläschchen und die Nadel über den Tisch.

Ich piekste mir mit der Nadel in den Handrücken und sah zu, wie das Blut hervorquoll, an meiner Hand hinabrann und in das Fläschchen tropfte. Nach drei Tropfen stellte ich die Nadel in das Fläschchen.

Devi benetzte den Stöpsel mit Klebstoff und drückte ihn wütend drauf. Dann nahm sie einen Griffel mit Diamantnadel zur Hand. »Vertraust du mir?«, fragte sie und ritzte eine Nummer in das Glas. »Oder willst du, dass es versiegelt wird?«

»Ich vertraue dir«, sagte ich. »Und ich will, dass es versiegelt wird.«

Sie ließ etwas Siegelwachs schmelzen und auf den Verschluss des Fläschchens rinnen. Ich drückte mein Abzeichen aus dem EOLIAN hinein und hinterließ einen gut sichtbaren Abdruck.

Dann holte Devi aus einer anderen Schreibtischschublade sechs Talente hervor und ließ sie auf den Tisch klimpern. Die Bewegung hätte einfach nur gespielt trotzig wirken können, hätten ihre Augen nicht so wütend geblickt.

»Ich komme da rein, so oder so«, sagte sie, und ihre Stimme klang kalt. »Sprich mal mit deiner Freundin. Wenn du mir hilfst, da reinzukommen, soll es dein Schade nicht sein.«

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