Kapitel 18 Wein und Blut
Wil und Sim schafften es schließlich mit Müh und Not, mich aus der Bibliothek loszueisen. Ich sträubte mich und beschimpfte sie, aber sie blieben hartnäckig, und so trotzten wir drei schon bald dem kalten Wind auf der Straße nach Imre.
Wir gingen ins EOLIAN und belegten einen Tisch in der Nähe des östlichen Kamins, von wo aus man einen guten Blick auf die Bühne hatte und sich gleichzeitig den Rücken wärmen konnte. Nach ein, zwei Gläschen spürte ich, wie meine Büchergier allmählich nachließ. Wir unterhielten uns und spielten Karten, und irgendwann fing ich an, mich zu vergnügen, obwohl ich wusste, dass Denna wahrscheinlich irgendwo dort draußen war und an Ambroses Arm hing.
Einige Stunden später hing ich auf meinem Stuhl, schläfrig von der Kaminwärme, während Wil und Sim darüber zankten, ob der Hochkönig von Modeg ein richtiger Herrscher oder nur eine Repräsentationsfigur sei. Ich war schon fast eingeschlafen, als unsanft eine schwere Flasche auf unserem Tisch abgestellt wurde, gefolgt von dem zarten Klimpern von Weingläsern.
Denna stand an unserem Tisch. »Spielt mit«, sagte sie leise. »Ihr habt auf mich gewartet. Ich hab mich verspätet, und ihr seid ärgerlich.«
Mit schläfrigen Augen richtete ich mich auf und mühte mich, richtig wach zu werden.
Sim ging sofort auf diese Herausforderung ein. »Eine Stunde!«, sagte er, funkelte sie wütend an und pochte mit zwei Fingern auf den Tisch. »Und du glaubst doch wohl nicht, dass du das mit einer Flasche Wein ungeschehen machen kannst. Ich verlange eine Entschuldigung!«
Ich sah hinüber, fürchtete Ambrose dort zu erblicken, wie er mich mit seinem verdammten Hut auf dem Kopf selbstgefällig ansah. Doch da stand nur ein Kealde mit schütterem Haar. Er verbeugte sich knapp in unsere Richtung, eine seltsame Mischung aus Bekenntnis und Entschuldigung.
Sim blickte ihn finster an, wandte sich dann wieder Denna zu und deutete mit einer widerwilligen Geste auf den freien Stuhl mir gegenüber. »Also gut. Spielen wir jetzt Corners, oder was?«
Denna setzte sich und saß nun mit dem Rücken zum Saal. Sie beugte sich zu Simmon hinüber und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. »Perfekt«, sagte sie.
»Ich hab ihn auch böse angesehen«, sagte Wilem.
Denna schob ihm die Flasche hinüber. »Und dafür darfst du einschenken.« Sie stellte uns die Gläser hin. »Ein Geschenk meines äußerst hartnäckigen Verehrers.« Sie seufzte. »Immer müssen sie einem irgendwas schenken.« Sie sah mich an. »Du bist ja so still.«
Verlegen rieb ich mir das Gesicht. »Ich hatte nicht damit gerechnet, dich heute Abend zu sehen«, sagte ich. »Ich war gerade schon fast eingenickt.«
Wilem kredenzte uns den hellroten Wein, und Denna begutachtete das Etikett der Flasche. »Cerbeor«, sagte sie nachdenklich, trank einen Schluck und nickte. »Nicht schlecht. Steht er immer noch am Tresen?«
»Ja«, sagte ich, ohne hinzusehen.
»Na dann«, sagte sie und lächelte, »müsst ihr mich wohl noch ein Weilchen erdulden.«
»Hast du schon mal Corners gespielt?«, fragte Simmon hoffnungsfroh.
»Leider nicht«, sagte Denna. »Aber ich lerne schnell.«
Sim erklärte ihr, mit Wils und meiner Hilfe, die Regeln. Denna stellte ein paar Fragen, die erkennen ließen, dass sie das Spiel in seinen Grundzügen verstanden hatte. Ich freute mich. Da sie mir gegenüber saß, würde sie meine Spielpartnerin sein.
»Worum spielt ihr denn normalerweise?«, fragte sie.
»Dann pro Runde«, sagte Denna. »Wie viel?«
»Wir können ja erst mal eine Übungsrunde machen«, sagte Sim und strich sich das Haar aus den Augen. »Da du ja noch eine blutige Anfängerin bist.«
Denna kniff die Augen zusammen. »Ich will keine Extrawurst.« Sie griff in eine Tasche und legte eine Münze auf den Tisch. »Ist ein Jot zu viel für euch?«
Es war zu viel für mich, zumal mit einer Partnerin, die das Spiel gerade erst lernte. »Nimm dich in Acht vor den beiden«, sagte ich. »Die spielen um Blut.«
»In Wirklichkeit«, sagte Wilem, »habe ich für Blut keinerlei Verwendung und spiele vielmehr um Geld.« Er suchte in seinem Geldbeutel, bis er einen Jot fand, den er dann mit Nachdruck auf den Tisch legte. »Ich wäre auch bereit, eine Übungsrunde zu spielen, aber wenn ihr der Gedanke kränkend erscheint, werde ich sie vernichtend schlagen und ihr alles abnehmen, was sie auf den Tisch legt.«
Denna grinste. »Du gefällst mir, Wil.«
Das erste Spiel verlief einigermaßen gut. Denna vertat sich bei einem Stich, aber da wir miese Karten hatten, hätten wir ohnehin nicht gewonnen. Beim zweiten Spiel aber machte sie schon beim Reizen einen Fehler. Als Sim sie darauf hinwies, wurde sie nervös und reizte übertrieben weiter. Dann spielte sie versehentlich eine Karte aus, als sie noch gar nicht dran war. Das war an sich kein allzu schlimmer Fehler, doch da es sich um den Herzbuben handelte, wussten nun alle ganz genau, was sie sonst noch auf der Hand hatte. Als ihr das klar wurde, hörte ich sie etwas ganz und gar Undamenhaftes vor sich hin murmeln.
Wie von Wil angekündigt, stürzten sich die beiden förmlich auf sie. Angesichts der mauen Karten, die ich auf der Hand hatte, blieb mir nichts übrig als dazusitzen und mitanzusehen, wie sie die nächsten beiden Stiche für sich entschieden und ihr wie hungrige Wölfe immer näher rückten.
Bloß dass es ihnen nicht gelang. Denna überraschte uns alle und zog den Herzkönig, was keinen Sinn ergab, da sie zuvor versucht
Kurz vor Wil und Sim ging mir auf, dass ihre unbeholfen wirkenden Spielfehler eine Finte gewesen waren. Es gelang mir, keine Miene zu verziehen, bis ich sah, dass es ihnen ebenfalls zu dämmern begann. Da lachte ich laut los.
»Sei mal nicht so selbstgefällig«, sagte Denna zu mir. »Dich hatte ich auch eingewickelt. Als ich den Buben gezogen habe, sahst du aus, als würde dir gleich schlecht.« Sie hielt sich eine Hand vor den Mund und blickte großäugig und unschuldig drein. »Ojemine, ich hab noch nie Corners gespielt. Könnt ihr mir das beibringen? Stimmt es, dass da manchmal sogar um Geld gespielt wird?«
Denna knallte noch eine Karte auf den Tisch und machte damit den Stich. »Also bitte. Ihr solltet froh sein, dass ich euch nur eine kleine Klatsche verpasse und euch nicht ausnehme wie Weihnachtsgänse, wie ihr das eigentlich verdient habt.«
Denna holte nun einen Stich nach dem anderen, und das verschaffte uns einen solchen Vorsprung, dass wir mit diesem Spiel die ganze Runde für uns entschieden. Sie legte eine solche Gerissenheit und ein solches spielerisches Können an den Tag, dass Manet dagegen schwerfällig wie ein Ackergaul erschien.
»Das wird mir eine Lehre sein«, sagte Wil, als er Denna seinen Jot hinschob. »Und jetzt muss ich erst mal meine Wunden lecken.«
Denna hob ihr Glas. »Auf die Leichtgläubigkeit der Hochgebildeten!«
Wir stießen an und tranken.
»Ihr habt euch in letzter Zeit rar gemacht«, sagte sie. »Fast zwei Spannen lang hab ich vergebens nach euch Ausschau gehalten.«
»Wieso das?«, fragte Sim.
Denna bedachte die beiden mit einem berechnenden Blick. »Ihr seid doch Studenten an der Universität, nicht wahr? Dieser besonderen Universität, an der Magie gelehrt wird?«
»Ja, das stimmt«, sagte Sim. »Wir kennen alle möglichen verborgenen Geheimnisse.«
»Und befassen uns mit dunklen Mächten«, fügte Wil unbekümmert hinzu.
Denna nickte ernst und beugte sich aufmerksam vor. »Und ihr drei wisst doch bestimmt, wie das meiste davon funktioniert.« Sie sah uns an. »Also, sagt mir: Wie funktioniert das?«
»Das?«, fragte ich.
»Die Magie«, erwiderte sie. »Die echte Magie.«
Wil, Sim und ich tauschten Blicke.
»Das lässt sich nicht so einfach erklären«, sagte ich.
Denna zuckte die Achseln und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. »Ich habe alle Zeit der Welt«, sagte sie. »Und ich muss wissen, wie das funktioniert. Zeigt es mir. Tut etwas Magisches.«
Wir drei rutschten unbehaglich auf unseren Sitzen hin und her. Denna lachte.
»Das dürfen wir nicht«, sagte ich.
»Was?«, erwiderte sie. »Würde das etwa das kosmische Gleichgewicht stören?«
»Es würde die Polizei stören«, erwiderte ich. »Die sehen so etwas auf dieser Seite des Flusses nicht allzu gern.«
»Die Meister der Universität haben auch etwas dagegen«, sagte Wil. »Sie achten sehr auf den Ruf ihrer Institution.«
»Also bitte«, sagte Denna. »Ich habe gerüchteweise gehört, dass unser Kvothe einen Dämonen-Wind herbeigerufen hat.« Sie wies mit dem Daumen auf den Haupteingang. »Und zwar direkt hier vor dem Haus.«
Hatte Ambrose ihr davon erzählt? »Es war nur ein Wind«, sagte ich. »Mit irgendwelchen Dämonen hatte das nichts zu tun.«
»Und er wurde dafür ja auch ausgepeitscht«, sagte Wil.
Denna sah ihn an, als könnte sie sich nicht recht entscheiden, ob er das ernst meinte oder nicht. Dann zuckte sie die Achseln. »Also, ich will natürlich niemanden in Schwierigkeiten bringen«, sagte sie. »Aber ich bin schrecklich neugierig. Und ich kenne ebenfalls Geheimnisse, die ich euch im Gegenzug verraten würde.«
Da spitzte Sim die Ohren. »Was denn für Geheimnisse?«
»Die mannigfaltigen Geheimnisse des weiblichen Geschlechts«, sagte sie mit einem Lächeln. »Wie es sich trifft, weiß ich einige Dinge, die euren Beziehungen zur Damenwelt erheblich auf die Sprünge
Ich räusperte mich beklommen. »Es wird nicht gern gesehen, wenn wir irgendwelche Geheimnisse des Arkanums ausplaudern. Es verstößt zwar nicht direkt gegen die Regeln der Universität, aber –«
»Doch, das tut es«, unterbach mich Simmon mit entschuldigendem Blick. »Und zwar gleich gegen mehrere.«
Denna seufzte dramatisch und blickte zur Saaldecke empor. »Hab ich’s mir doch gedacht«, sagte sie. »Das ist alles nur Geschwafel. Gebt’s zu, ihr könntet nicht mal Rahm in Butter verwandeln.«
»Ich weiß zufällig, dass Sim das durchaus kann«, sagte ich. »Er macht es nur nicht gern, weil er so faul ist.«
»Ich verlange ja nicht, dass ihr mir die Magie beibringt«, sagte Denna. »Ich will bloß wissen, wie das funktioniert.«
Sim sah zu Wil hinüber. »Das fiele nicht unter ›ungebilligte Enthüllung‹, oder?«
»Unzulässige Offenbarung«, erwiderte Wil.
Denna beugte sich mit Verschwörermiene vor und stützte die Ellenbogen auf den Tisch. »Ich wäre gegebenenfalls auch bereit, ein die ganze Nacht währendes Trinkgelage zu finanzieren, weit über diese schlichte Flasche hinaus, die ihr hier vor euch seht.« Sie wandte sich an Wilem. »Einer der Barmänner hat kürzlich im hiesigen Weinkeller eine verstaubte Steinflasche entdeckt. Es handelt sich dabei nicht nur um erlesenen alten Scutten, das Getränk der Könige der Kealden, sondern sogar um einen Merovani.«
Wilems Gesichtsausdruck blieb unverändert, seine Augen aber erstrahlten.
Ich sah mich in dem weitgehend leeren Saal um. »Am Orden-Abend ist hier doch immer wenig los. Da dürften wir eigentlich keine Schwierigkeiten bekommen, wenn wir uns einigermaßen still verhalten.« Ich sah zu meinen beiden Kommilitonen hinüber.
Sim hatte sein jungenhaftes Grinsen aufgesetzt. »Klingt doch gut. Ein Austausch von Geheimnissen.«
»Wenn es tatsächlich ein Merovani ist«, sagte Wilem, »wäre ich bereit, das Risiko einzugehen.«
»Also gut«, sagte Denna mit breitem Grinsen. »Ihr fangt an.«
Ich sprang ein. »Du weißt ja, wie ein Flaschenzug einem dabei helfen kann, etwas anzuheben, das einem sonst zu schwer wäre, nicht wahr?«
Denna nickte.
»Die Sympathie erfüllt eine ähnliche Funktion«, sagte ich. »Bloß ohne die ganzen umständlichen Seile und Rollen.«
Wilem legte zwei Eisendeute auf den Tisch und murmelte eine Bindung. Dann stupste er den rechten Deut mit dem Finger an, und der linke glitt gleichzeitig, in synchroner Bewegung, über die Tischplatte.
Denna guckte erstaunt. Ihr blieb zwar nicht die Luft weg, aber sie atmete tief durch die Nase ein. Erst da wurde mir klar, dass sie so etwas wahrscheinlich noch nie gesehen hatte. Angesichts meiner Studien vergaß ich leicht, dass man ganz in der Nähe der Universität leben und dennoch nie mit der Sympathie in Berührung gekommen sein konnte.
Doch alle Achtung: Denna überwand ihre Verblüffung sofort. Ohne das mindeste Zögern streckte sie einen Finger aus, um eine der beiden Münzen zu berühren. »So also funktionierte diese Glocke auf meinem Zimmer«, sagte sie nachdenklich.
Ich nickte.
Wil schob ihr den Deut hin, und sie hob ihn auf. Der andere Deut erhob sich ebenfalls vom Tisch und schwebte in der Luft. »Er ist schwer«, sagte Denna und nickte. »Ja, klar, es ist ja wie bei einem Flaschenzug. Ich hebe sie beide hoch.«
»Wärme, Licht und Bewegung – das ist alles nur Energie«, sagte ich. »Und Energie können wir weder erschaffen noch vernichten. Die Sympathie aber ermöglicht uns, sie zu verlagern oder eine andere Form annehmen zu lassen.«
Denna legte den Deut wieder auf den Tisch, und der andere senkte sich ebenfalls herab. »Und für was ist das nützlich?«
Wil grunzte belustigt. »Ist ein Wasserrad nützlich?«, fragte er. »Oder eine Windmühle?«
Sie nickte.
Ich schob meine kleine »Diebeslampe« über den Tisch zu ihr hinüber. »Die funktionieren nach dem gleichen Prinzip. Sie wandeln Wärme in Licht um. Sie verwandeln eine Form von Energie in eine andere.«
»So ähnlich wie ein Geldwechsler«, sagte Wil.
Denna drehte die kleine Lampe neugierig in den Händen hin und her. »Und woher bekommt sie die Wärme?«
»Die ist im Metall enthalten«, erklärte ich. »Wenn du die Lampe längere Zeit anlässt, wirst du irgendwann spüren, dass das Metall allmählich kälter wird. Wenn es zu kalt wird, funktioniert die Lampe nicht mehr. Die hier habe ich selbst gebaut, und sie ist ziemlich effizient. Die Wärme deiner Hand allein müsste ausreichen, um sie in Betrieb zu halten.«
Denna betätigte den Schalter, und aus einem kurzen Lichtbogen erstrahlte ein sanfter, rötlicher Schein. »Ich verstehe, inwiefern Wärme und Licht miteinander zu tun haben«, sagte sie nachdenklich. »Die Sonne ist hell und warm. Ebenso wie eine Kerze.« Sie runzelte die Stirn. »Aber Bewegung passt da irgendwie nicht rein. Ein Feuer kann doch nichts anstoßen.«
»Denk an Reibung«, meldete sich Sim zu Wort. »Wenn du etwas reibst, wird es warm.« Er demonstrierte das, indem er sich mit der Hand energisch über das obere Hosenbein rieb. »So wie das hier.«
Er rieb sich weiter geradezu begeistert den Oberschenkel, ohne zu bemerken, dass diese Geste, da er sie unter dem Tisch ausführte, mehr als nur ein wenig obszön wirkte. »Es ist alles nur Energie. Wenn du das lange genug machst, spürst du irgendwann, wie es warm wird.«
Denna gelang es irgendwie, keine Miene zu verziehen. Wilem aber brach in Gelächter aus und hielt sich eine Hand vors Gesicht, als wäre es ihm peinlich, mit Sim an einem Tisch zu sitzen.
Simmon erstarrte und wurde knallrot.
Ich sprang ihm bei. »Das ist ein gutes Beispiel. Die Nabe eines Wagenrads wird ebenfalls warm. Diese Wärme kommt von der Bewegung des Rads. Ein Sympathiker vermag die Energie auch in die
»Also gut«, sagte Denna. »Ihr seid also gewissermaßen Geldwechsler der Energie. Aber wie bringt ihr das fertig?«
»Es gibt eine spezielle Disziplin des Denkens, Alar genannt«, sagte Wilem. »Dabei glaubt man so fest an etwas, dass es schließlich Wirklichkeit wird.« Er hob einen Deut empor, und der andere vollzog die Bewegung nach. »Ich glaube, dass diese beiden Münzen miteinander verbunden sind, und dementsprechend ist es so.« Plötzlich fiel der zweite Deut auf die Tischplatte. »Jetzt habe ich aufgehört, daran zu glauben, und dementsprechend ist es nicht mehr so.«
Denna nahm die Münze in die Hand. »Dann ist es also eine Frage des Glaubens?«, fragte sie skeptisch.
»Eher der Willenskraft«, sagte Sim.
Denna neigte den Kopf zur Seite. »Und wieso nennt ihr es dann nicht einfach Willenskraft?«
»Weil Alar besser klingt«, sagte Wilem.
Ich nickte. »Wenn wir keine eindrucksvoll klingenden Namen für diese Dinge hätten, würde uns doch keiner ernst nehmen.«
Denna nickte, und um ihren wunderschönen Mund spielte ein Lächeln. »Und das ist es also? Energie und Willenskraft?«
»Und die sympathetische Verbindung«, sagte ich. »Wils Vergleich mit dem Wasserrad trifft es gut: Die Verbindung gleicht dem Rohr, das zu dem Wasserrad führt. Und eine schlechte Verbindung gleicht einem löchrigen Rohr.«
»Und wie bekommt man eine gute Verbindung?«, fragte Denna.
»Je ähnlicher sich zwei Dinge sind, desto besser die Verbindung.
So wie das hier.« Ich goss einen Schluck Wein in mein Glas und tunkte einen Finger hinein. »Das ist eine perfekte Verbindung zu dem Wein«, sagte ich. »Ein Tropfen von dem Wein selbst.«
Ich stand auf und ging zum Kamin. Ich murmelte eine Bindung und ließ einen Tropfen Wein von meinem Finger auf den heißen eisernen Feuerbock fallen, der die brennenden Holzscheite zusammenhielt.
Ich nahm wieder Platz, und der Wein in meinem Glas begann erst zu dampfen, dann zu brodeln.
Denna sah Wilem an, dann wieder mein Glas, und erbleichte.
»Verdammt noch mal, Wil«, sagte Simmon mit entsetztem Blick. »Was sagst du denn da für Sachen?« Er schaute Denna an. »Kein Sympathiker würde je so etwas tun«, erklärte er ganz ernst. »Das wäre ein sogenanntes Sympathievergehen, und so etwas tun wir nicht. Niemals.«
Denna rang sich ein Lächeln ab. »Und wieso gibt es ein Wort dafür, wenn das keiner jemals tut?«
»Früher kam so was mal vor«, sagte ich. »Aber das ist schon lange her. Mindestens hundert Jahre.«
Ich löste die Bindung, und der Wein in meinem Glas hörte auf zu brodeln. Denna berührte die Weinflasche. »Und wieso kocht dieser Wein nicht?«, fragte sie verwirrt. »Es ist doch derselbe Wein.«
Ich pochte mir an die Schläfe. »Das Alar. Mein Geist gibt den Fokus und die Richtung vor.«
»Wenn das eine gute Verbindung war«, sagte sie, »wie sieht dann eine schlechte aus?«
»Das kann ich dir zeigen.« Ich zückte meinen Geldbeutel, da ich annahm, dass nach Wilems Bemerkung Münzen weniger beängstigend wirken würden. »Sim, hast du einen harten Penny?«
Er hatte, und ich legte vor Denna zwei Reihen Münzen auf dem Tisch. Dann zeigte ich auf zwei nebeneinander liegende Eisendeute und murmelte eine Bindung. »Heb ihn hoch«, sagte ich.«
Sie hob einen Deut an, und der andere folgte der Bewegung.
Ich wies auf das zweiten Münzenpaar: ein Deut und mein letztes verbliebenes Silbertalent. »Und jetzt das.«
Denna hob den zweiten Deut an, und das Talent folgte ihm in die Höhe. Denna bewegte beide Hände auf und ab, wie die Schalen einer Waage. »Der zweite ist schwerer.«
Ich nickte. »Es sind unterschiedliche Metalle. Da ihre Ähnlichkeit geringer ist, muss mehr Energie hineingesteckt werden.« Ich deutete auf das dritte Paar – ein Deut und der Silberpenny – und murmelte die entsprechende Bindung.
und es ein anderes Metall ist.«
»Genau«, sagte ich mit Blick auf das vierte und letzte Paar: ein Deut und ein Kreidestummel.
Denna hätte fast nicht die Finger unter den Deut bekommen, um ihn hochzuheben. »Der ist schwerer als alle anderen zusammen«, sagte sie. »Der wiegt mindestens drei Pfund.«
»Eisen und Kreide bilden eine miserable Verbindung«, sagte Wilem. »Eine ganz schlechte Übertragungsrate.«
»Aber du hast doch gesagt, Energie ließe sich weder erschaffen noch vernichten«, sagte Denna. »Wenn ich so viel Kraft aufwenden muss, um dieses kleine Stück Kreide anzuheben, wohin geht dann die ganze zusätzliche Energie?«
»Nicht schlecht«, sagte Wilem. »Ich hab ein Jahr gebraucht, bis ich angefangen habe, mir solche Fragen zu stellen.« Er sah sie voller Bewunderung an. »Einiges von dieser Energie entweicht in die Luft. Es verpufft.« Er machte eine entsprechende Handbewegung. »Ein Teil geht in die betreffenden Gegenstände ein, und ein anderer Teil geht in den Körper des Sympathikers ein, der die Verbindung lenkt.« Er runzelte die Stirn. »Und das kann gefahrenvoll werden.«
»Gefährlich«, berichtigte Simmon.
Denna sah mich an. »Du glaubst also jetzt im Moment, dass jeder dieser Deute jeweils mit dem anderen Ding verbunden ist?«
Ich nickte.
Sie bewegte die Hände hin und her. Die Münzen und der Kreidestummel flogen durch die Luft. »Ist das nicht … anstrengend?«
»Doch, das ist es«, sagte Wilem. »Aber unser Kvothe ist ein kleiner Angeber.«
»Deshalb bin ich so still gewesen«, sagte Sim. »Ich wusste nicht, dass du vier Bindungen gleichzeitig aufrechterhalten kannst. Das ist echt beeindruckend.«
»Wenn’s sein muss, schaffe ich auch fünf«, sagte ich. »Aber da stoße dann selbst ich an eine Grenze.«
Nichts geschah.
»Los«, sagte Sim in wehleidigem Ton. »Ich will ihr nur was zeigen.«
»Dann zeig’s ihr doch«, sagte ich selbstgefällig und lehnte mich auf meinem Stuhl zurück.
Sim holte tief Luft und starrte angestrengt auf den Kreidestummel – der daraufhin zu zittern begann.
Wil beugte sich zu Denna hinüber und erklärte: »Ein Sympathiker kann sich dem Alar eines anderen Sympathikers entgegenstemmen. Er muss nur ganz fest daran glauben, dass ein Deut eben nicht dasselbe ist wie ein Silberpenny.«
Wil zeigte auf den Penny, und der fiel prompt auf die Tischplatte.
»Foul!«, protestierte ich lachend. »Zwei gegen einen, das ist nicht fair.«
»Doch, in diesem Fall schon«, sagte Simmon, und das Kreidestück begann erneut zu zittern.
»Also gut«, sagte ich und holte tief Luft. »Dann lasst mal sehen, was ihr draufhabt.«
Der Kreidestummel fiel recht bald auf den Tisch hinab, gefolgt von dem Deut. Das Silbertalent aber schwebte weiterhin in der Luft.
Sim lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Das ist ja geradezu unheimlich«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Also gut, du hast gewonnen.« Wilem nickte und entspannte sich ebenfalls.
Denna sah mich an. »Dann ist dein Alar also stärker als das der beiden zusammen?«
»Nein, wahrscheinlich nicht«, sagte ich gnädig. »Wenn sie mehr Übung beim Zusammenwirken hätten, könnten sie mich wahrscheinlich schlagen.«
Ihr Blick schweifte über die verstreut daliegenden Münzen. »Das ist es also?«, fragte sie, und es klang ein wenig enttäuscht. »Das ist alles so ähnlich wie Geldwechselei – bloß mit Energie?«
»Es gibt da auch noch andere Künste«, sagte ich. »Sim betreibt beispielsweise Alchemie.«
»Wohingegen ich«, sagte Wilem, »mich darauf konzentriere, gut auszusehen.«
»Das ist Sygaldrie«, sagte ich. »Wie bei der Glocke auf deinem Zimmer. Das ist gewissermaßen dauerhafte Sympathie.«
»Aber es ist auch nur Geldwechselei, nicht wahr?«, fragte sie. »Auch nur Energie?«
Ich nickte.
Denna wirkte verlegen, als sie fragte: »Und was würdet ihr sagen, wenn euch jemand erzählen würde, dass er eine Art von Magie kennt, die mehr als das kann? Eine Art von Magie, bei der man Dinge irgendwie niederschreibt, und was auch immer man da schreibt, wird wahr?«
Sie senkte nervös den Blick, und ihre Finger fuhren in Mustern über die Tischplatte. »Und wenn dann jemand diese Schrift erblickt, wird das für ihn wahr – selbst wenn er es gar nicht lesen kann. Er denkt etwas Bestimmtes oder tut etwas, je nach dem, was da geschrieben stand.« Sie hob den Blick, und ihr Gesichtsausdruck war eine sonderbare Mischung aus Neugier, Hoffnung und Unsicherheit.
Wir drei sahen uns gegenseitig an. Wilem zuckte die Achseln.
»Klingt jedenfalls um einiges besser als Alchemie«, sagte Simmon. »Ich würde lieber das machen, als den ganzen Tag lang Prinzipien zu entbinden.«
»Es klingt eher nach Zauberei aus dem Märchenbuch«, sagte ich. »Ich habe jedenfalls an der Universität noch nie von so etwas gehört.«
Denna senkte den Blick wieder auf die Tischplatte hinab, wo ihre Finger immer noch Muster zogen.
Ich hätte nicht sagen können, ob sie enttäuscht war oder einfach nur nachdachte. »Weshalb fragst du?«
Sie sah mich an und setzte schnell ein schiefes Lächeln auf. Dann tat sie die Frage mit einem Achselzucken ab. »Ich hab da bloß so was gehört«, sagte sie. »Ich fand auch, es klang zu phantastisch, um wahr zu sein.«
Sie blickte sich um. »Ich habe die Geduld meines so überaus geduldigen Verehrers offenbar erschöpft«, sagte sie.
»Ich werde mit dem Barmann sprechen, bevor ich gehe«, sagte Denna, und ihre Augen irrlichterten von Belustigung. »Und was das Geheimnis angeht: Hinter dir sitzen zwei Damen. Sie versuchen schon den halben Abend, Blickkontakt zu euch aufzunehmen. Die in Grün steht wohl auf Sim, wohingegen die Blondine offenbar ein Faible für kealdische Männer hat, die sich darauf konzentrieren, gut auszusehen.«
»Die haben wir längst bemerkt«, sagte Wilem, ohne sich umzusehen. »Doch leider befinden sie sich bereits in der Gesellschaft eines jungen modeganischen Herrn.«
»Sie sind mit ihm aber keineswegs verbandelt«, sagte Denna. »Während die Damen ein Auge auf euch beide geworfen haben, hat der Herr überdeutlich zu erkennen gegegeben, dass er Rothaarige bevorzugt.« Sie legte mir mit besitzergreifender Geste eine Hand auf den Arm. »Aber da hat er Pech gehabt, denn hiermit melde ich ältere Rechte an.«
Ich kämpfte gegen den Drang an, mich dorthin umzusehen. »Ist das dein Ernst?«, fragte ich.
»Keine Sorge«, sagte sie zu Wil und Sim. »Ich werde Deoch losschicken, um den Modeganer abzulenken. Dann könnt ihr beide in die Bresche springen.«
»Was soll Deoch denn tun?«, fragte Simmon und lachte. »Jonglieren etwa?«
Denna sah ihn freimütig an.
»Was denn?«, fragte Simmon. »Deoch ist doch einfach nicht gerissen genug für so was.«
Denna zwinkerte ihm kurz zu. »Stanchion und er sind die gemeinschaftlichen Inhaber des EOLIAN«, sagte sie. »Wusstest du das nicht?«
»Ja, ihnen gehört der Laden«, sagte Sim. »Aber deshalb sind sie doch noch lange nicht, na ja, du weißt schon, zusammen.«
Denna lachte. »Selbstverständlich sind sie das.«
»Aber Deoch hat doch immer an jeder Hand fünf Frauen«, protestierte Simmon. »Der … der … kann doch einfach nicht …«
Wilem zuckte die Achseln. »Ich hatte davon keine Kenntnis. Aber es wundert mich nicht, dass er ein Bascha ist. Er ist ja durchaus sehr attraktiv.« Er hielt inne und runzelte die Stirn. »Bascha. Wie nennt man hier solche Leute? Ein Mann, der sowohl mit Frauen als auch mit Männern intimen Umgang pflegt.«
»Glückspilz?«, schlug Denna vor. »Beidhänder? Ambidexter?«
»Bisexueller«, berichtigte ich.
»Das klingt doch allzu farblos und fade«, rügte mich Denna. »Wenn wir keine eindrucksvoll klingenden Namen für diese Dinge hätten, würde uns doch keiner ernst nehmen.«
Sim guckte sie ungläubig an, konnte es offenbar immer noch nicht fassen.
»Schau mal«, sagte Denna langsam, als spräche sie zu einem Kind. »Es ist alles nur Energie. Und wir können diese Energie in verschiedene Bahnen lenken.« Dann lächelte sie mit einem Mal strahlend, als wäre ihr die perfekte Methode eingefallen, es ihm zu erklären. »Das ist so, wie wenn du das machst«, sagte sie und rieb, ihn nachahmend, mit einer Hand energisch auf ihrem Oberschenkel auf und ab. »Es ist alles nur Energie.«
Wilem verbarg mittlerweile sein Gesicht hinter seinen Händen, und seine Schultern bebten vor unterdrücktem Gelächter. Sim guckte immer noch ungläubig und verwirrt, aber jetzt wurde er dazu noch wütend und lief rot an.
Ich stand auf und nahm Denna beim Ellenbogen. »Lass den armen Jungen in Ruhe«, sagte ich und entschwand mit ihr in Richtung Ausgang. »Er ist aus Atur. Da sind die Leute ein bisschen verklemmt.«