Kapitel 51 Die Furcht des Weisen
Ich ging ins EOLIAN, wo Threpe schon auf mich wartete, geradezu tänzelnd vor Ungeduld. Er sagte mir, er habe ein Schiff aufgetan, das in knapp einer Stunde zur Fahrt flussabwärts ablegen würde. Er habe auch bereits meine Passage bis Tarbean bezahlt, von wo aus es nicht schwierig sein würde, Richtung Osten weiterzureisen.
Wir hasteten zum Hafen, und als wir dort ankamen, war das Schiff schon ablegebereit. Threpe, der nach dem flotten Fußmarsch rot im Gesicht war und schnaufte, beeilte sich, mir innerhalb von drei Minuten Ratschläge für ein ganzes Leben zu erteilen.
»Der Maer entstammt einem uralten Adelsgeschlecht«, sagte er. »Nicht so wie die meisten niederen Adligen hier in der Gegend, die einem nicht mal sagen könnten, wer ihr Urgroßvater war. Behandle ihn also mit Respekt.«
Ich verdrehte die Augen. Wieso glaubten immer alle, ich wüsste mich nicht zu benehmen?
»Und denk dran«, sagte er. »Wenn es so aussieht, als ginge es dir vor allem ums Geld, wird man dich für provinziell halten, und dann nimmt dich keiner mehr ernst. Du bist dort, auf dass man Gefallen an dir findet. Das ist das Spiel, bei dem der Hauptgewinn winkt. Das Glück folgt dem, der zu gefallen weiß. Es ist, wie Teccam schrieb:
»So ein Brot ist billig zu haben,
drum begehrt es auch alle Welt …«
»… aber manches ist unbezahlbar:
Lachen und Liebe gibt’s nicht für Geld.«
»Heda!«, rief uns ein braungebrannter, bärtiger Mann von Deck aus zu. »Wir warten noch auf einen Nachzügler, und der Käpt’n ist wütend wie ’ne hässliche Nutte. Er schwört, er legt ab, wenn der Kerl in zwei Minuten nicht zur Stelle ist. Ihr solltet bis dahin auch an Bord gekommen sein.« Er ging, ohne eine Antwort abzuwarten.
»Sprich ihn mit ›Euer Gnaden‹ an«, fuhr Threpe fort, als wären wir nie unterbrochen worden. »Und denk dran: Wer wenig spricht, dessen Wort hat mehr Gewicht. Oh!« Er zog einen versiegelten Brief aus seiner Brusttasche hervor. »Hier ist dein Empfehlungsschreiben. Ich schicke ihm eine Abschrift davon mit der Post, nur damit er über dein Kommen unterrichtet ist.«
Ich schenkte ihm ein breites Lächeln und ergriff seinen Arm. »Vielen Dank, Denn«, sagte ich. »Für alles. Ich bin dir viel dankbarer als du ahnst.«
Threpe tat es mit einer Handbwegung ab. »Ich weiß doch, dass du dich dort blendend bewähren wirst. Du bist ein kluger Junge. Und denk dran, dir einen guten Schneider zu suchen, wenn du erst mal dort bist. Die Mode ist anders als hier. Und wie man so sagt: Eine Dame erkennt man an ihren Manieren, einen Herrn an seiner Kleidung.«
Ich bückte mich und klappte meinen Lautenkasten auf. Die Laute schob ich ein wenig beiseite und öffnete den Deckel des Geheimfachs. Dort steckte ich den versiegelten Brief hinein, und er gesellte sich damit zu dem Horn-Futteral mit Ninas Zeichnung und einem kleinen Beutel getrockneter Äpfel. Mit dem Dörrobst hatte es keine besondere Bewandtnis. Ich fand bloß, wenn man schon ein Geheimfach in seinem Lautenkasten hatte, wäre man doch nicht ganz bei Trost, wenn man es nicht nutzen würde.
Ich schloss den Kasten wieder, erhob mich, nahm mein Gepäck und war bereit, an Bord zu gehen.
Da hielt Threpe mich an der Schulter zurück. »Das hätte ich fast vergessen! Alveron hat in einem seiner Briefe erwähnt, dass sich einige junge Leute an seinem Hof dem Glücksspiel hingeben. Er hält
Ich sah jemanden durch den Hafen in unsere Richtung laufen. Es war der Mann mit dem verhärmten Gesicht, dem ich zuvor mit Elodin auf der Brücke begegnet war. Er trug ein Bündel unter dem Arm.
»Na, da kommt ja der fehlende Seeman«, sagte ich. »Dann gehe ich jetzt mal besser an Bord.« Ich schloss Threpe noch kurz in die Arme und wollte mich aus dem Staub machen, bevor er mich mit weiteren Ratschlägen eindecken konnte.
Doch als ich mich von ihm abwandte, hielt er mich noch einmal am Ärmel zurück. »Sei vorsichtig auf der Reise«, sagte er mit besorgter Miene. »Denk dran: Dreierlei fürchtet der Weise: Die See bei Sturm, die mondlose Nacht und den Zorn eines sanftmütigen Mannes.«
Der Mann lief an uns vorbei und im gleichen Tempo den Schiffssteg hinauf, ohne sich darum zu kümmern, dass er unter seinen Schritten mächtig zu schaukeln begann. Ich schenkte Threpe noch ein beruhigend gemeintes Lächeln und ging dem Mann dann hinterher. Zwei waschechte Seebären holten den Steg ein, und ich winkte Threpe noch ein letztes Mal zu.
Befehle wurden gebrüllt, und Männer eilten umher, und das Schiff setzte sich in Bewegung. Ich wandte mich flussabwärts, Richtung Tarbean, hin zum Meer.