Kapitel 68 Brot gibt es nicht umsonst

Die folgenden Tage vergingen auf sehr angenehme Weise. Die sonnigen Stunden verbrachte ich mit Denna. Gemeinsam erkundeten wir Stadt und Umgebung. Wir ritten, schwammen, sangen oder plauderten den ganzen Nachmittag. Ich überschüttete Denna mit Schmeicheleien, ohne mir die geringsten Hoffnungen zu machen, denn nur ein Narr konnte hoffen, sie zu gewinnen.

Anschließend kehrte ich in mein Quartier zurück und brachte den Brief zu Papier, der im Laufe des Tages in mir gereift war. Oder ich komponierte im Überschwang der Gefühle Lieder. In meinen Briefen und Liedern sagte ich all die Dinge, die ich Denna tagsüber nicht zu sagen gewagt hatte: Dinge, mit denen ich sie, wie ich wusste, nur vertrieben hätte.

Hatte ich einen Brief oder ein Lied fertiggestellt, schrieb ich mein Werk noch einmal ab. Ich glättete noch einige Kanten und entfernte die eine oder andere zu offene Wendung. In dieser Weise bearbeitete ich es, bis es Meluan Lackless so angegossen passte wie ein Handschuh aus Kalbsleder.

Es war eine sorgenfreie Zeit. In Severen konnte ich Denna viel leichter finden als je in Imre. Wir verbrachten oft mehrere Stunden miteinander und trafen uns manchmal sogar mehrmals am Tag oder an drei oder vier Tagen hintereinander.

Obwohl ich der Ehrlichkeit halber sagen muss, dass nicht alles nur eitel Sonnenschein war. Die Decke hatte auch ein paar rauhe Stellen, wie mein Vater zu sagen pflegte.

Da war zum einen ein junger Herr namens Gerred, der Denna bei einem unserer ersten Treffen in der Unterstadt begleitete. Er kannte

Auch Gerreds Gesicht trug jenen verlorenen, mir inzwischen zu Genüge vertrauten Ausdruck. Er kannte Denna lange genug, um sich in sie verliebt zu haben, und nun dämmerte ihm die Erkenntnis, dass seine Zeit sich dem Ende näherte.

Ich sah ihn dieselben Fehler machen wie seine Vorgänger. Er legte besitzergreifend den Arm um Denna und schenkte ihr einen Ring. Wenn ihr Blick auf unserem Spaziergang durch die Stadt länger als drei Sekunden auf einem Gegenstand ruhte, erbot er sich, ihn ihr zu kaufen. Sie sollte ihm versprechen, dass sie ihn zu weiteren Veranstaltungen begleiten würde. Vielleicht zu einem Tanzvergnügen in der Villa der DeFerres? Oder zu einem Abendessen im GOLDENEN BRETT? Und morgen wurde übrigens von der Truppe des Grafen Abelard der König für zehn Pennys gegeben …

Für sich genommen wäre gegen keine dieser Anfragen etwas einzuwenden gewesen. Sie hätten sogar einen gewissen Charme gehabt. Doch zusammengenommen verrieten sie, was dahinter steckte: reinste Verzweiflung. Gerred klammerte sich an Denna wie ein Ertrinkender an einer Holzplanke.

Er warf mir böse Blicke zu, wenn Denna nicht hersah, und als sie sich am Abend von uns verabschiedete, war sein Gesicht so eingefallen und wächsern, als sei er bereits zwei Tage tot.

Die zweite rauhe Stelle war schlimmer. Nachdem ich dem Maer zwei Spannen lang bei seiner Brautwerbung geholfen hatte, verschwand Denna plötzlich spurlos und ohne Vorwarnung, ohne einen Abschiedsbrief oder eine Entschuldigung. Ich wartete drei Stunden vor dem Mietstall, an dem wir verabredet waren. Anschließend begab ich mich zu ihrer Herberge und musste erfahren, dass sie am Abend zuvor mitsamt Gepäck abgereist war.

Ich ging zu dem Park, in dem wir am Vortag zu Mittag gegessen hatten, und zu einem Dutzend anderer Orte, an denen wir uns öfter getroffen hatten. Es war fast Mitternacht, als ich mit dem Aufzug an der Bastion hinauffuhr. Ich hoffte gegen alle Wahrscheinlichkeit, dass sie oben ungeduldig auf mich warten und mir wieder in die Arme fliegen würde.

Am Tag darauf irrte ich stundenlang verzweifelt und gekränkt durch die Stadt. Nach meiner Rückkehr in meine Unterkunft am späten Abend bedeckte ich schwitzend und fluchend zwanzig Blätter mit Entwürfen, bis ich endlich drei kurze, halbwegs erträgliche Absätze verfasst hatte. Ich überbrachte sie dem Maer zu seiner freien Verfügung.

Am darauffolgenden Tag saß mir das Herz wie ein Stein in der Brust. Ich wollte ein Lied fertigstellen, das ich für den Maer geschrieben hatte, brachte aber nichts Gescheites zustande. Zuerst klangen die Noten, die ich spielte, bleiern und leblos, dann regelrecht misstönend. Ich zwang mich weiterzuspielen, bis meine Laute nur noch klirrende Geräusche von sich gab, wie ein Messer, das gegen die Zähne schlägt.

Endlich ließ ich das arme Instrument ruhen. Mir war eingefallen, was mein Vater vor langer Zeit gesagt hatte: »Lieder wählen sich ihre Zeit und Stunde. Wenn deine Melodie nicht klingt, hat das einen Grund. Eine Melodie entspringt aus dem Herzen, aber aus einem trüben Brunnen kann man kein klares Wasser schöpfen. Warte, bis der Schlamm sich gesetzt hat, sonst klingst du stumpf wie eine zerbrochene Glocke.«

Ich wusste, dass er recht hatte, und legte die Laute in den Kasten. Ich brauchte einige Tage Pause, bevor ich weiter im Auftrag des Maer um Meluan freien konnte. Man konnte eine so heikle Arbeit nicht erzwingen oder ohne innere Beteiligung ausführen.

Andererseits wusste ich, dass der Maer über eine Verzögerung nicht erfreut sein würde. Ich brauchte Ablenkung, aber ich musste einen halbwegs unverfänglichen Grund dafür haben, da der Maer mir sonst auf die Schliche kommen würde.

Ich spürte den verräterischen Luftzug, der anzeigte, dass der Maer die geheime Tür in meinem Ankleidezimmer geöffnet hatte. Als er mein Zimmer betrat, wanderte ich bereits ruhelos auf und ab.

Ich sah ihn an. »Nein, Euer Gnaden. Ich habe etwas erfahren, das wichtiger ist als das Lied.«

»Für dich ist nichts wichtiger«, erwiderte der Maer bestimmt und zupfte an seinem Ärmelaufschlag. »Wie ich von verschiedenen Leuten gehört habe, hat Meluan sich über die ersten beiden Lieder sehr gefreut. Du solltest deine ganze Kraft darauf konzentrieren.«

»Euer Gnaden, mir ist völlig klar, dass …«

»Heraus damit«, sagte Alveron mit einem ungeduldigen Blick auf das Zifferblatt der mechanischen Standuhr in der Zimmerecke. »Ich habe heute noch anderes vor.«

»Euch droht weiter Gefahr von Caudicus.«

Ich muss zugeben, der Maer hätte das Zeug zum Schauspieler gehabt. Die einzige Reaktion, die ich ihm entlocken konnte, war ein kurzes Innehalten, während er seinen anderen Ärmelaufschlag zurechtzupfte. »Inwiefern?«, fragte er scheinbar unbesorgt.

»Er kann Euch nicht nur mit Gift schaden, sondern auch aus der Ferne Verschiedenes bewirken.«

»Du meinst, durch einen bösen Zauber? Könnte er mich dadurch verhexen?«

Bei Tehlu, böse Zauber und verhexen. Man vergaß so leicht, dass dieser intelligente und ansonsten gebildete Mann in arkanen Dingen wenig mehr als ein Kind war. Wahrscheinlich glaubte er auch an Feen und lebende Tote.

Doch ihn eines Besseren belehren zu wollen wäre mühsam gewesen und hätte zu nichts geführt. »Es wäre zumindest möglich, Euer Gnaden. Aber es kommen auch direktere Bedrohungen in Frage.«

Er wirkte nun doch ein wenig erschrocken und sah mich an. »Was könnte direkter sein als ein solcher Zauber?«

Der Maer gehörte zu den Menschen, die man nicht durch Worte allein beeindrucken konnte. Ich nahm also einen Apfel aus einer

Er nahm ihn misstrauisch. »Was hast du vor?«

Ich ging zu meinem schönen roten Mantel an der Wand und holte aus einer der vielen Taschen eine Nadel. »Ich will Euch zeigen, zu was Caudicus alles fähig wäre, Euer Gnaden.« Ich streckte die Hand nach dem Apfel aus.

Der Maer gab ihn mir wieder. Ich hielt ihn ins Licht, betrachtete ihn eingehend und sah, worauf ich gehofft hatte: einen Fleck auf der glänzenden Schale. Ich murmelte eine Bindung, konzentrierte mein Alar und stach die Nadel in den Abdruck, den der Zeigefinger des Maer auf der Schale hinterlassen hatte.

Alveron zuckte zusammen, stieß einen verblüfften Laut aus und starrte auf seine Hand, als hätte ihn überraschend eine Nadel in den Finger gestochen.

Ich machte mich auf einen Tadel gefasst, doch Alveron blieb stumm. Bleich und ein wenig verwirrt sah er mich an. Dann beobachtete er nachdenklich, wie ein Tropfen Blut aus seiner Fingerkuppe quoll.

Er leckte sich die Lippen und schob den Finger in den Mund. »Aha«, sagte er leise. »Und man kann sich davor schützen?« Es klang nicht wie eine Frage.

Ich nickte gewichtig. »Bis zu einem gewissen Grad ja, Euer Gnaden. Ich glaube, ich könnte Euch durch einen … einen Talisman schützen. Es tut mir nur leid, dass ich nicht schon früher daran gedacht habe, aber ich hatte so viel zu tun …«

»Schon gut.« Der Maer bedeutete mir mit einem Wink, zu schweigen. »Was benötigst du dafür?«

Die Frage war mehrschichtig. Oberflächlich gesehen fragte er nach den Stoffen, die ich dafür brauchte. Aber als realistischer Mensch wollte er gleichzeitig den Preis wissen, den ich dafür verlangte.

»In Caudicus’ Labor im Turm müsste ich alles Nötige finden, Euer Gnaden. Die Dinge, die er nicht hat, könnte ich gewiss in der Stadt auftreiben.«

Ich machte eine Pause und dachte über die zweite Bedeutung der Frage nach und an die vielen hundert Dinge, die ich vom Maer bekommen

Der Maer konnte mir jederzeit eine solche Laute beschaffen.

Das und natürlich noch viel mehr. Er konnte mir Zugang zu hundert privaten Bibliotheken ermöglichen. Ihn als festen Schirmherrn zu haben wäre ein Glücksfall. Sein Name würde mir so viele Türen öffnen wie der des Königs.

»Es gibt noch einige Dinge, über ich gern mit Euch gesprochen hätte, Euer Gnaden«, sagte ich langsam. »Ich habe mir eine Aufgabe gestellt, zu deren Verwirklichung ich Hilfe benötige. Und eine Freundin von mir, eine begabte Musikerin, könnte einen gutsituierten Gönner gebrauchen …« Ich verstummte vielsagend.

Alveron nickte und bedeutete mir mit einem Blick, dass er mich verstanden hatte. Er war kein Narr und wusste, dass es Brot nicht umsonst gab. »Stapes wird dir die Schlüssel zu Caudicus’ Turm aushändigen«, sagte er. »Wie lange wird es dauern, diesen Talisman herzustellen?«

Ich tat, als müsste ich überlegen. »Mindestens vier Tage, Euer Gnaden.« Bis dahin hatte der Schlamm, der meine Schaffenskraft trübte, Zeit, sich zu setzen. Oder Denna war von dem Auftrag zurückgekehrt, der sie so unerwartet zur Abreise veranlasst hatte. »Vielleicht auch früher, aber dazu muss ich erst wissen, was Caudicus in seinen Vorräten hat. Und ich muss vorsichtig zu Werke gehen. Ich weiß nicht, durch welche faulen Zauber er sein Labor vor seiner Flucht geschützt hat.«

Alveron runzelte die Stirn. »Wirst du daneben deine gegenwärtige Arbeit fortsetzen können?«

»Nein, Euer Gnaden. Die Herstellung eines solchen Talismans ist sehr kräftezehrend und zeitraubend. Zumal es doch bestimmt in Eurem Sinne ist, wenn ich bei der Beschaffung der Materialien in der Stadt diskret vorgehe.«

Ich musste diese Überlegung im Keim ersticken, denn ich wollte den Lohn für die Brautwerbung mit niemandem teilen. »Ich glaube nicht, dass Ihr einen anderen Schreiber hinzuziehen müsst, Euer Gnaden. Vor sieben oder acht Tagen wäre es vielleicht noch nötig gewesen. Aber jetzt haben wir, wie Ihr selbst sagt, das Interesse der Dame geweckt. Sie wartet gespannt auf Euren nächsten Brief. Bleibt er aus, wird sie enttäuscht sein. Dafür wird die Sehnsucht steigen.«

Der Maer strich sich nachdenklich mit der Hand über den Bart. Ich überlegte kurz, ob ich die Brautwerbung mit dem langwierigen Einholen eines Fisches an einer Angel vergleichen sollte, bezweifelte aber, dass der Maer sich je mit einer so niederen Tätigkeit wie dem Fischen abgegeben hatte. »Mit Verlaub, Euer Gnaden, aber habt Ihr in jüngeren Jahren schon einmal versucht, die Zuneigung einer Frau zu gewinnen?«

Alveron lächelte über meine vorsichtige Wortwahl und nickte.

»Welche Frauen fandet Ihr interessanter? Die, die euch geradewegs in die Arme liefen, oder die, die sich sperrten, die zögerten oder Eurem Werben womöglich sogar mit Gleichgültigkeit begegneten?« Der Maer versuchte sich zu erinnern, und seine Augen nahmen einen abwesenden Ausdruck an. »Dasselbe gilt aus der Sicht der Frauen. Manche können es nicht ertragen, wenn ein Mann sie zu sehr bedrängt. Und alle Frauen wissen es zu schätzen, wenn man ihnen Raum für ihre eigene Entscheidung lässt. Man kann sich nur schwer nach jemandem sehnen, der die ganze Zeit anwesend ist.«

Alveron nickte. »Da magst du recht haben. Abwesenheit stärkt das Verlangen.« Er nickte wieder, diesmal entschlossener. »Also gut, drei Tage.« Er warf einen Blick auf die Standuhr. »Jetzt muss ich aber …«

»Noch ein Letztes, Euer Gnaden«, sagte ich hastig. »Der Talisman, den ich herstellen werde, muss auf Euch abgestimmt werden. Dazu brauche ich Eure Mitwirkung.« Ich räusperte mich. »Genauer gesagt, etwas von Euren …« Ich räusperte mich wieder. »… Stoffen.«

»Drücke dich klar aus.«

Der Maer kniff auch tatsächlich misstrauisch die Augen zusammen. »Ich bin in derlei Dingen unerfahren«, sagte er langsam, »doch zählst du genau die Substanzen auf, die ich nur ungern hergebe. Wie kann ich dir vertrauen?«

Ich hätte ihm meine Ergebenheit beteuern, an meine vergangenen Dienste erinnern oder ihn darauf aufmerksam machen können, dass ich ihm schon einmal das Leben gerettet hatte. Doch im vergangenen Monat hatte ich die Denkweise des Maer besser kennen gelernt.

Ich lächelte nur wissend. »Ihr seid ein kluger Mensch, Euer Gnaden. Ihr kennt die Antwort gewiss schon, ohne dass ich sie Euch sagen muss.«

Er erwiderte mein Lächeln. »Tu mir trotzdem den Gefallen.«

Ich zuckte die Schultern. »Tot könnt Ihr mir nichts mehr nützen, Euer Gnaden.«

Er betrachtete mich einen Augenblick lang forschend, dann nickte er zufrieden. »Du hast recht. Benachrichtige mich, wenn du die Dinge brauchst.« Er wandte sich zum Gehen. »Drei Tage.«

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