Kapitel 63 Der goldene Käfig
Nach dieser kurzen Abwechslung war ich wieder an mein Quartier gefesselt. Zwar hatte der Maer das Schlimmste überstanden und befand sich, wie ich hoffte, auf dem Weg der Genesung, doch musste ich verfügbar sein, sollte sein Zustand sich verschlechtern und er mich rufen. Unter diesen Umständen durfte ich mir nicht einmal einen kurzen Ausflug in die Stadt erlauben, so gern ich auch in die Spenglerstraße zurückgekehrt wäre, um dort womöglich Denna zu begegnen.
Ich meldete mich also bei Bredon, und wir verbrachten einen angenehmen Nachmittag beim Tak. Wir spielten eine Partie nach der anderen, und ich verlor auf immer wieder neue, spannende Weise. Beim Abschied ließ Bredon das Spieltischchen bei mir stehen. Seine Diener, behauptete er, seien es leid, das Tischchen fortwährend zwischen unseren Räumen hin und her zu tragen.
Außer dem Tak mit Bredon und meiner Musik hatte ich eine weitere Beschäftigung, die mich freilich auch ermüdete. Caudicus zeigte sich offenbar nicht nur mir gegenüber höchst geschwätzig, und deshalb wusste schon bald der ganze Hof von meinen genealogischen Studien. Ich wurde von Besuchern überschwemmt, die mich nicht mehr nur nach meiner Person ausfragten, sondern auch die schmutzige Wäsche anderer bei mir ablegen wollten.
Ich versuchte sie mit allen Mitteln zu bremsen, und wo das nicht gelang, regte ich an, sie sollten die Geschichten aufschreiben und mir zusenden. Überraschend viele folgten meinem Vorschlag, und so wuchs auf einem Tisch in einem meiner ungenutzten Zimmer ein Stapel schriftlich verfasster Bosheiten und Verleumdungen.
Anrecht der Könige. Sein Gesicht hatte eine bemerkenswert gesunde Farbe angenommen, und seine Hände, mit denen er die Seiten umblätterte, zitterten nicht mehr. Er blickte nicht auf, als ich eintrat.
Stumm bereitete ich mit dem heißen Wasser, das auf dem Nachttischchen stand, eine neue Kanne Tee zu, schenkte eine Tasse ein und stellte sie auf das Tischchen neben seinem Sessel.
Anschließend sah ich nach dem goldenen Käfig im Nachbarzimmer. Die verspielten Flittiche flatterten so schwindelerregend schnell um die Futterspender, dass man sie nur schwer zählen konnte. Trotzdem meinte ich mit einiger Gewissheit zwölf zu erkennen. Dass die Vögel seit drei Tagen vergiftetes Futter fraßen, schien ihnen keineswegs geschadet zu haben. Ich hätte ihren Käfig am liebsten kräftig geschüttelt.
Zuletzt füllte ich das Lebertranfläschchen auf. Es war noch zu drei Vierteln voll, ein weiteres Zeichen meiner schwindenden Glaubwürdigkeit.
Wortlos sammelte ich meine Utensilien ein und schickte mich an zu gehen. Ich war noch nicht an der Tür angekommen, da blickte der Maer von seinem Buch auf. »Kvothe?«
»Ja, Euer Gnaden?«
»Ich habe doch nicht so viel Durst, wie ich dachte. Würdest du das bitte für mich trinken?« Er zeigte auf die Tasse auf dem Tischchen, die er noch nicht angerührt hatte.
»Auf Eure Gesundheit«, sagte ich und nahm einen Schluck. Ich verzog das Gesicht, fügte noch einen Löffel Zucker hinzu, rührte um und trank den Rest. Der Maer beobachtete mich dabei. Der Blick seiner Augen war ruhig, durchdringend und seltsam wissend. Ein Schauder lief mir über den Rücken.
Caudicus öffnete mir und bot mir denselben Stuhl an wie schon zuvor. »Entschuldigt mich einen Augenblick«, sagte er. »Ich muss noch
Aus Langeweile wandte ich mich wieder seiner Sammlung von Ringen zu. Man konnte mit Hilfe der Ringe die Stellung ihres Empfängers bei Hof recht genau einschätzen.
Ich überlegte gerade halb im Scherz, ob ich einen goldenen Ring klauen sollte, da kehrte Caudicus zurück.
»Ich wusste nicht, ob Ihr Eure Ringe wiederhaben wollt«, sagte er mit einer Handbewegung.
Ich drehte mich zu dem Tisch um und sah meine Ringe auf einem Tablett liegen. Seltsam, dass ich sie erst jetzt bemerkte. Ich sammelte sie ein und steckte sie in eine Innentasche meines Mantels. »Vielen Dank, sehr freundlich.«
»Bringt Ihr dem Maer auch heute wieder seine Arznei?«
Ich nickte und straffte mich wie vor Stolz.
Von der Bewegung des Nickens wurde mir ein wenig schwindlig, und ich begriff plötzlich, was mit mir los war: ich hatte eine ganze Tasse vom Tee des Maer getrunken. Zwar hatte ich nur wenig Laudanum hineingegeben – jedenfalls wenig für einen Patienten, der Schmerzen litt und sich von einer beginnenden Ophalum-Abhängigkeit entwöhnen musste.
Für jemanden wie mich aber war die Dosis beträchtlich. Ich spürte, wie mich nach und nach eine wohlige Mattigkeit überkam. Alles schien sich langsamer zu bewegen als sonst.
»Der Maer wartet heute besonders ungeduldig darauf«, sagte ich und gab mir Mühe, deutlich zu artikulieren. »Deshalb habe ich leider nicht viel Zeit zum Plaudern.« Noch länger den einfältigen Junker zu spielen, überstieg in diesem Zustand meine Kräfte.
Caudicus nickte ernst und trat an seinen Arbeitstisch. Ich folgte ihm wie immer mit einem Ausdruck unschuldiger Neugier.
Abwesend sah ich zu, wie Caudicus die Arznei mischte. Mein Verstand war vom Laudanum benebelt, und mit dem Rest, der mir noch zur Verfügung stand, ging ich anderen Dingen nach. Der Maer sprach kaum noch mit mir. Stapes hatte mir von Anfang an misstraut, und die Flittiche erfreuten sich bester Gesundheit. Am schlimmsten aber war, dass ich in meinem Quartier gefangen war, während Denna in
Ich merkte gerade noch, dass Caudicus mir eine Frage gestellt hatte, und hob den Kopf. »Entschuldigt, wie bitte?«
»Könntet Ihr mir die Säure reichen?«, wiederholte Caudicus. Er hatte soeben einige Blätter in den Mörser gegeben.
Ich nahm die gläserne Karaffe und wollte sie ihm schon geben, da fiel mir ein, dass ich als einfältiger Junker ja Salz nicht von Schwefel unterscheiden konnte und ganz gewiss keine Ahnung hatte, was eine Säure war.
Doch ich wurde weder rot noch begann ich zu schwitzen oder zu stottern. Ich bin ein Edema Ruh und selbst in betrunkenem und benebeltem Zustand noch durch und durch Schauspieler. Ungerührt erwiderte ich Caudicus’ Blick. »Die Karaffe kommt als Nächstes, richtig? Die mit der durchsichtigen Flüssigkeit.«
Caudicus musterte mich misstrauisch.
Ich grinste zufrieden. »Ich habe ein gutes Auge für solche Einzelheiten. Zweimal habe ich Euch jetzt zugesehen, und ich wette, ich könnte die Arznei des Maer schon selbst herstellen, wenn ich wollte.«
Ich legte den ganzen Stolz des Ahnungslosen in meine Stimme. Schließlich ist das Zeichen des wahren Adligen der unerschütterliche Glaube daran, dass er, wenn er nur will, alles kann: Leder gerben, ein Pferd beschlagen, Geschirr töpfern, ein Feld pflügen …
Caudicus musterte mich noch einen Moment unschlüssig und gab dann einige Tropfen der Säure in die Schale. »Bestimmt könntet Ihr das.«
Drei Minuten später befand ich mich auf dem Weg zu den Gemächern des Maer. Mit schweißnasser Hand umklammerte ich das warme Fläschchen mit der Arznei. Ob ich Caudicus auch diesmal erfolgreich getäuscht hatte, spielte im Grunde keine Rolle mehr. Entscheidend war, dass ich mit irgendetwas sein Misstrauen erregt hatte.
Auf dem Weg ins Schlafgemach spürte ich Stapes’ Blick wie ein Messer im Rücken. Der Maer hob nicht einmal den Kopf, als ich das neue Gift in die Futterspender der Schnipper schüttete. Das fröhliche Gezwitscher der schönen Vögelchen brachte mich in Rage.
Später am Abend, als ich einigermaßen sicher sein konnte, dass der Maer mich nicht mehr rufen würde, schlüpfte ich durch das Fenster meines Zimmers und sah mich gründlich im Garten um. So spät brauchte ich keine Wachen mehr zu fürchten, doch musste ich mich vor einem halben Dutzend Paare verstecken, die im Mondschein spazieren gingen. Zwei weitere Paare saßen in romantische Gespräche vertieft in einer Laube beziehungsweise einem Pavillon. Über ein letztes Paar wäre ich fast gestolpert, als ich mich durch eine Hecke zwängte. Die beiden machten keinen Spaziergang und kommunizierten auch nicht im herkömmlichen Sinn, waren einander aber auf zärtliche Weise verbunden. Sie bemerkten mich nicht.
Anschließend kletterte ich auf ein Dach. Von dort überblickte ich die Umgebung der Burg. Der Westen schied als Fluchtweg aus, da die Burgmauer dort mit der senkrechten Bastion abschloss, aber es musste eine andere Möglichkeit geben.
Ich nahm den Süden näher in Augenschein und bemerkte dabei, dass in einem der Türme noch Licht brannte. Durch ein Fenster schien das unverwechselbare Rot der Sympathielampen. Caudicus war noch wach.
Vorsichtig schlich ich über das Dach und spähte in das etwas tiefer gelegene Fenster des Turms. Caudicus arbeitete nicht, er unterhielt sich mit einem Besucher. Ich streckte den Hals, konnte die betreffende Person aber nicht sehen. Durch das in Blei gefasste Glasfenster drang kein Laut nach draußen.
Ich wollte schon zu einem anderen Fenster weiterschleichen, da
Stapes war aus irgendeinem Grund erregt. Sein Gesicht wirkte todernst, und er fuchtelte mit den Händen. Caudicus nickte einige Male zustimmend, dann öffnete er ihm die Tür.
Stapes hielt nichts in der Hand, als er ging. Er hatte also keine Arznei geholt und auch kein Buch ausgeliehen. Nein, er war mitten in der Nacht gekommen, um ungestört mit dem Mann zu sprechen, der den Maer töten wollte.