Gerechter Lohn

Am folgenden Morgen war ich gerade dabei, mich anzukleiden, als ein Laufjunge einen dicken Umschlag mit Alverons Siegel überbrachte. Ich setzte mich ans Fenster. Der Umschlag enthielt gleich mehrere Briefe. Der zuoberst lautete:

Lieber Kvothe,

ich habe nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass Deine Abstammung in Anbetracht der Dienste, die Du mir erwiesen hast, gering wiegt.

Doch gehört mein Herz einem anderen Menschen, dessen Wohl mir wichtiger ist als mein eigenes. Ich hatte gehofft, Dich weiterhin in meinen Diensten behalten zu können, doch das geht nicht. Da Deine Anwesenheit meiner Frau beträchtliches Unwohlsein verursacht, muss ich Dich außerdem bitten, mir meinen Ring zurückzugeben, und Severen zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu verlassen.

Ich hörte auf zu lesen, stand auf und öffnete die Tür zu meinen Räumen. Im Gang draußen salutierten zwei von Alverons Wachen.

»Herr?«, fragte der eine, als er mich in halb angekleidetem Zustand sah.

»Ich wollte nur etwas nachsehen«, sagte ich und schloss die Tür wieder.

Ich kehrte an meinen Platz zurück und nahm den Brief erneut zur Hand.

Was die Angelegenheit betrifft, die dieser unglücklichen Enthüllung vorausging, so glaube ich, dass Du im besten Interesse von mir und ganz Vintas gehandelt hast. Erst heute Morgen wurde mir berichtet, ein rothaariger »Edelmann« namens Kvothe habe zwei Mädchen zu ihren Familien in Levinshir zurückgebracht.

Als Belohnung für Deine vielen Dienste biete ich Dir folgendes an:

Erstens einen vollen Straferlass in Bezug auf die von Dir in der Nähe von Levinshir getöteten Banditen.

Zweitens eine Zahlungsanweisung, mit deren Hilfe Du die Gebühren für den Unterricht an der Universität aus meinen Mitteln bezahlen kannst.

Drittens ein Berechtigungsschreiben, welches Dir das Recht gibt, innerhalb meiner Länder nach Belieben zu reisen und aufzutreten.

Und schließlich meinen Dank.

Maershon Lerand Alveron

Ich saß einige lange Minuten nur da und beobachtete die Vögel, die im Garten vor meinem Fenster hin und her flogen. Der weitere Inhalt der Schreiben entsprach genau der Ankündigung Alverons. Die Anweisung war ein Kunstwerk, unterzeichnet und an vier Stellen gesiegelt von Alveron und seinem Schatzkanzler.

Das Berechtigungsschreiben war fast noch schöner anzusehen. Es war auf feinstes, cremeweißes Pergament geschrieben, vom Maer persönlich unterzeichnet und trug sein persönliches Siegel und sein Familiensiegel.

Doch begründete es kein Verhältnis zu Alveron als meinem Schirmherrn. Ich las es sorgfältig durch. Aus verschiedenen Auslassungen ging deutlich hervor, dass ich nicht in den Diensten des Maer stand und wir einander in keiner Weise verpflichtet waren. Trotzdem garantierte es mir das Recht, unter seinem Namen ungehindert zu reisen und aufzutreten.

Ich hatte mich gerade fertig angekleidet, da klopfte es erneut an der Tür. Ich seufzte, halb in der Erwartung, weitere Wachen vorzufinden, die mich aus meinen Räumen scheuchen wollten.

Doch vor der Tür stand erneut ein Bote mit einem Brief auf einem silbernen Tablett. Diesmal trug der Brief das Siegel der Lackless. Daneben lag ein Ring. Ich nahm ihn und drehte ihn erstaunt hin und her. Er bestand nicht aus Eisen, wie ich erwartet hatte, sondern aus einem hellen Holz. Seitlich war in groben Buchstaben Meluans Name eingebrannt.

Ich bemerkte, dass der Laufbote mit aufgerissenen Augen zwischen dem Ring und mir hin und her sah. Noch auffälliger war, dass die Wachen den Ring nicht ansahen, ganz absichtlich nicht. Es war die Art von Nichthinsehen, wie wenn einen etwas ganz besonders interessiert.

Ich gab dem Boten meinen silbernen Ring. »Bring den zu Bredon«, sagte ich. »Aber beeil dich.«

Bredon sah gerade an den Wachen hinauf, als ich ihm aufmachte. »Weiter so, Jungs«, sagte er und klopfte der einen scherzhaft mit seinem Spazierstock an die Brust. Der silberne Wolfskopf schlug mit einem glockenähnlichen Klang an den Brustpanzer der Wache, und Bredon lächelte onkelhaft. »Wir fühlen uns alle sicherer, wenn ihr uns bewacht.«

Er schloss die Tür hinter sich und sah mich mit erhobenen Augenbrauen an. »Mein Gott, Junge, du steigst aber schnell auf. Ich wusste, dass du fest in der Gunst der Maer stehst, aber dass er dir jetzt auch noch zwei persönliche Leibwächter zuweist?« Er drückte die Hand ans Herz und seufzte dramatisch. »Bald wirst du zu beschäftigt sein, um noch Zeit für den armen, alten Bredon zu haben.«

Ich lächelte schwach. »Die Lage ist nicht ganz so einfach.« Ich hielt den hölzernen Ring hoch. »Ihr müsst mir sagen, was dieser Ring bedeutet.«

Bredons leutseliges Lächeln erlosch mit einem Mal, als hätte ich ein blutiges Messer gezogen. »Gütiger Himmel«, rief er. »Sag, dass du ihn von einem Bauern aus der Provinz bekommen hast, der noch im vergangenen Jahrhundert lebt.«

Ich schüttelte den Kopf und gab ihm den Ring.

Er drehte ihn in den Händen hin und her. »Meluan?«, fragte er leise. Er gab ihn mir zurück, sank in einen nahen Sessel und legte sich den Spazierstock über die Knie. Sein Gesicht hatte einen grauen Farbton angenommen. »Die neue Frau des Maer hat ihn dir geschickt? Als Einladung?«

»Nichts weniger als das«, erwiderte ich. »Sie hat auch einen charmanten Brief dazu geschrieben.« Ich hielt den Brief mit der anderen Hand hoch.

Bredon streckte die Hand aus. »Darf ich ihn lesen?«, fragte er, doch dann zog er die Hand rasch wieder zurück. »Verzeihung, was für eine unhöfliche Frage …«

»Aber Ihr könntet mir keinen größeren Gefallen tun«, erwiderte ich und drückte ihm den Brief in die Hand. »Ich muss unbedingt wissen, was Ihr davon haltet.«

Bredon nahm den Brief und begann zu lesen, wobei er die Lippen leicht bewegte. Je länger er las, desto blasser wurde er.

»Die Dame hat eine Begabung für geschliffene Formulierungen«, sagte ich.

»Unbestreitbar«, antwortete Bredon. »Sie hätte diesen Brief genauso gut mit Blut schreiben können.«

»Ich glaube, das hätte sie gerne getan. Aber für die zweite Seite hätte sie sich umbringen müssen.« Ich hielt ihm die Seite hin.

Bredon nahm sie und las weiter. Er wurde noch bleicher. »Gütiger Gott«, murmelte er. »Gibt es das Wort ›Exkreszenz‹ überhaupt?«

Ich nickte.

Bredon las die zweite Seite zu Ende, kehrte zum Anfang zurück und las den Brief langsam ein zweites Mal. Endlich blickte er auf. »Wenn es eine Frau gäbe, die mich auch nur mit einem Zehntel der Leidenschaft liebte, mit der diese Frau dich hasst, würde ich mich für den glücklichsten Menschen halten.«

»Was bedeutet der?« Ich hielt den Ring hoch. Er roch nach Rauch. Meluan hatte ihren Namen wohl erst an diesem Morgen in das Holz gebrannt.

»Von einem Bauern?« Bredon zuckte mit den Schultern. »Alles mögliche. Es hängt vom Holz ab. Aber in diesem Fall? Von einer adligen Dame?« Er schüttelte den Kopf, offenbar um Worte verlegen.

»Ich dachte, es gäbe am Hof nur drei Arten von Ringen«, sagte ich.

»Nur drei, die man verwendet«, erwiderte Bredon. »Die man sich schickt und zur Schau stellt. Früher ließ man mit einem hölzernen Ring Diener kommen. Aber das ist lange her. Später galt es als schreckliche Kränkung, jemandem bei Hof einen solchen Ring zu schicken.«

»Mit einer Kränkung kann ich leben«, sagte ich erleichtert. »Mich haben schon Bessere gekränkt als Meluan.«

»Aber das ist auch schon hundert Jahre her«, wandte Bredon ein. »Inzwischen gilt es nicht mehr. Sobald nämlich die hölzernen Ringe als Kränkung galten, fühlten sich auch einige Diener durch sie gekränkt. Niemand will aber seinen Stallmeister kränken, also schickt man ihm keinen hölzernen Ring. Wenn aber er keinen mehr bekommt, dann ist auch dein Schneider durch einen solchen Ring gekränkt.«

Ich sagte nachdenklich: »Und so weiter, bis zuletzt alle gekränkt sind.«

Bredon nickte. »Ein kluger Mensch hält sich seine Diener gewogen. Sogar der Bote, der dir das Essen bringt, kann einen Groll gegen dich hegen, und noch dem geringsten Diener stehen tausend unsichtbare Möglichkeiten der Rache zur Verfügung. Hölzerne Ringe werden inzwischen überhaupt nicht mehr verwendet. Wahrscheinlich wären sie vollkommen vergessen, wenn sie nicht in einigen Theaterstücken noch eine Rolle spielten.«

Ich betrachtete den Ring. »Ich bin also weniger wert als der Diener, der die Nachttöpfe leert.«

Bredon räusperte sich verlegen. »Sogar viel weniger.« Er zeigte auf den Ring. »In ihren Augen bist du nicht einmal eine Person und verdienst es nicht, Mensch genannt zu werden.«

»Aha«, sagte ich. »So ist das also.«

Ich steckte mir den Ring auf den Finger und ballte die Hand zur Faust. Er passte übrigens gut.

»Man trägt so einen Ring nicht«, sagte Bredon unbehaglich. »Ganz im Gegenteil.« Er sah mich neugierig an. »Du hast Alverons Ring wahrscheinlich nicht mehr?«

»Er hat ihn zurückgefordert.« Ich nahm den Brief des Maer vom Tisch und gab ihn ebenfalls Bredon.

»Zum frühestmöglichen Zeitpunkt«, las Bredon vor und lachte trocken. »Das sagt einiges.« Er senkte den Brief. »Trotzdem ist es wahrscheinlich besser so. Wenn er dich bleiben ließe, würden die beiden ihren Streit auf deinem Rücken austragen. Du wärst das Pfefferkorn zwischen ihrem Mörser und seinem Stößel, und sie würden dich im Zank zermahlen.«

Sein Blick kehrte zu dem hölzernen Ring an meiner Hand zurück. »Sie hat ihn dir vermutlich nicht persönlich überreicht?«, fragte er hoffnungsvoll.

»Sie schickte ihn durch einen Boten.« Ich seufzte leise. »Die Wachen haben ihn auch gesehen.«

Es klopfte. Ich machte auf, und ein Laufbote übergab mir einen Brief.

Ich schloss die Tür und betrachtete das Siegel. »Von Lord Praevek.«

Bredon schüttelte den Kopf. »Ich schwöre, dieser Mann ist jeden wachen Moment seines Lebens damit beschäftig, an einem Schlüsselloch zu lauschen oder jemandem in den Hintern zu kriechen.«

Ich grinste, riss den Brief auf und überflog ihn. »Auch er will seinen Ring zurück«, sagte ich. »Die Tinte ist verschmiert, er hat sie nicht einmal trocknen lassen.«

Bredon nickte. »Die Neuigkeit breitet sich aus. Das wäre an sich nicht so schlimm, wenn Meluan nicht einen so starken Einfluss auf Alveron hätte. Doch den hat sie, und sie hat ihre Meinung klar ausgedrückt. Wer dich besser als einen Hund behandelt, fällt der Verachtung anheim, die sie für dich empfindet. Und mit einer solchen Verachtung ist nicht zu spaßen.«

Bredon zeigte auf die Schale mit den Ringen und ließ ein trockenes, freudloses Lachen hören. »Wo du doch gerade die ersten silbernen Ringe bekommen hast.«

Ich ging zu der Schale, suchte seinen Ring heraus und hielt ihn ihm hin. »Auch Ihr solltet den Euren zurücknehmen.«

Bredon sah mich gequält an, machte aber keine Anstalten, den Ring zu nehmen.

»Ich werde bald abreisen«, sagte ich. »Und es wäre mir ein schrecklicher Gedanke, wenn Euch durch den Umgang mit mir Nachteile entstünden. Ich kann Euch gar nicht genug für Eure Hilfe danken, aber ich kann wenigstens dazu beitragen, den Schaden für Euren Ruf möglichst gering zu halten.«

Bredon zögerte, schloss die Augen und seufzte. Mit einem resignierten Schulterzucken nahm er den Ring.

»Halt«, sagte ich, denn mir war plötzlich noch etwas anderes eingefallen. Ich ging zu dem Stapel mit Klatschgeschichten und zog die Seiten heraus, auf denen das heidnische Treiben Bredons beschrieben wurde. »Das amüsiert Euch vielleicht«, sagte ich und gab ihm die Blätter. »Jetzt solltet Ihr wohl gehen. Zu lange hier zu sein ist für Euch bestimmt nicht gut.«

Bredon seufzte wieder und nickte. »Es tut mir leid, dass es hier zu einem so unerfreulichen Ende für dich kommt. Wenn du je in diese Gegend zurückkehrst, lass es mich bitte wissen. Solche Verstimmungen legen sich nach einiger Zeit wieder.« Sein Blick kehrte zu dem hölzernen Ring an meinem Finger zurück. »Aber du solltest den Ring wirklich nicht tragen.«

Nachdem er gegangen war, suchte ich Stapes’ silbernen und Alverons eisernen Ring aus der Schale heraus und trat in den Gang.

»Ich will Stapes einen Besuch abstatten«, sagte ich höflich zu den beiden Leibwächtern. »Wollt ihr mich begleiten?«

Der größere der beiden warf einen verstohlenen Blick auf den Ring an meinem Finger, dann sah er seinen Gefährten an und nickte. Ich ging los und die beiden folgten mir.

Stapes schob mich in sein Wohnzimmer und schloss die Tür hinter mir. Seine Räume waren noch prächtiger als meine und entschieden wohnlicher. Auf einem Tisch stand eine große Schale mit Ringen, alle aus Gold. Der einzige eiserne Ring war der von Alveron, und der steckte an Stapes’ Finger.

Stapes mochte aussehen wie ein Krämer, aber seinem scharfen Blick entging nichts. Er bemerkte den Ring an meinen Finger sofort. »Sie hat ihn Euch also geschickt«, sagte er kopfschüttelnd. »Ihr solltet ihn wirklich nicht tragen.«

»Ich schäme mich nicht für das, was ich bin«, erwiderte ich. »Wenn das der Ring eines Edema Ruh ist, werde ich ihn tragen.«

Stapes seufzte. »Es ist nicht so einfach.«

»Ich weiß. Ich bin auch nicht gekommen, um Euch das Leben schwer zu machen. Könnt Ihr das für mich dem Maer zurückgeben?« Ich reichte ihm Alverons Ring.

Stapes steckte ihn ein.

»Außerdem möchte ich diese beiden Ringe zurückgeben.« Ich reichte ihm die Ringe, die ich von ihm bekommen hatte, den aus Silber und den aus Bein. »Es soll nicht zu Verstimmungen zwischen Euch und der jungen Frau Eures Herrn kommen.«

Stapes nickte und nahm den silbernen Ring. »Ich käme tatsächlich in Schwierigkeiten, wenn Ihr den behalten hättet. Da ich in Diensten des Maer stehe, muss ich die Spielchen des Hofes mitspielen.«

Doch dann nahm er meine Hand und legte den beinernen Ring wieder hinein. »Dieser Ring dagegen hat nichts mit meiner Verpflichtung dem Maer gegenüber zu tun. Er steht für eine Schuld zwischen zwei Menschen. Die Sitten und Gebräuche des Hofes haben darauf keinen Einfluss.« Stapes sah mir in die Augen. »Und ich bestehe darauf, dass Ihr ihn behaltet.«

In meinen Räumen nahm ich ein spätes Abendessen ein. Die Wachen warteten immer noch geduldig draußen, während ich den Brief des Maer zum fünften Mal las. Ich hoffte, doch noch eine versteckte versöhnliche Formulierung zu finden, aber vergebens.

Auf dem Tisch lagen die Dokumente, die der Maer geschickt hatte. Daneben leerte ich meine Börse aus. Ich verfügte über zwei Goldroyals, vier Silbernobel, achteinhalb Pennys und seltsamerweise einen einzelnen modeganischen Strehlaum, obwohl ich mich beim besten Willen nicht daran erinnern konnte, woher ich den hatte.

Insgesamt verfügte ich damit über knapp acht Talente. Ich stapelte die Münzen neben Alverons Papieren. Acht Talente, ein Straferlass, eine Auftrittsgenehmigung als Schauspieler und die Bezahlung sämtlicher Universitätsgebühren, insgesamt kein schlechter Lohn.

Trotzdem fühlte ich mich zu kurz gekommen. Ich hatte Alveron vor dem Gift gerettet, einen Verräter an seinem Hof entlarvt, ihm eine Frau gewonnen und seine Straßen von mehr Banditen gesäubert, als ich zu zählen Lust hatte.

Dennoch hatte ich nach wie vor keinen Schirmherrn. Schlimmer noch, in Alverons Brief war weder von den Amyr die Rede noch von der Hilfe, die er mir für meine Suche nach ihnen versprochen hatte.

Doch sich darüber zu beschweren nützte nichts, es konnte mir hingegen sehr wohl schaden. Also füllte ich die Börse wieder und steckte Alverons Briefe in das Geheimfach meines Lautenkastens.

Außerdem steckte ich drei Bücher ein, die ich aus Caudicus’ Bibliothek entliehen hatte, von denen aber niemand wusste, dass ich sie hatte. Die Ringe aus der Schale kippte ich in einen kleinen Beutel. In meinem Kleiderschrank hingen zwei Dutzend maßgeschneiderter Garnituren. Sie waren einiges Geld wert, ich konnte sie allerdings nicht mitnehmen. Ich wählte zwei besonders schöne aus und ließ den Rest hängen.

Zuletzt schnallte ich noch Caesura um und machte aus meinem Schattenmantel einen langen Umhang. Wenigstens diese beiden Dinge gaben mir das Gefühl, dass meine Zeit in Vintas nicht ganz umsonst gewesen war. Ich hatte sie mir allerdings selbst erworben, ohne die Hilfe Alverons.

Ich schloss die Tür von innen ab, löschte die Lampen und kletterte durch das Fenster in den Garten. Mit einem gebogenen Draht schloss ich das Fenster von außen, anschließend schloss ich auch die Fensterläden.

Kleinliche Rachsucht? Vielleicht, aber ich wollte auf keinen Fall von den Wachen des Maer hinausbegleitet werden. Außerdem musste ich bei der Vorstellung lachen, wie sie über mein Verschwinden rätseln würden, und Lachen ist gut für die Verdauung.

Ohne dass mich jemand sah, verließ ich die Burg. Mein Schattenmantel erwies sich für derlei heimliche nächtliche Unternehmungen als bestens geeignet. Ich ging eine Stunde lang suchend durch die Unterstadt, bis ich einen Buchbinder gefunden hatte.

Es handelte sich um einen abstoßenden Menschen mit der Moral eines streunenden Hundes, aber er interessierte sich sehr für den Stapel von Klatschgeschichten, den die verschiedenen Adligen mir geschickt hatten. Er bot mir vier Reel dafür und versprach mir außerdem zehn Pennys Beteiligung an jedem gedruckten Exemplar, das verkauft wurde. Ich handelte ihn auf sechs Reel hoch und begnügte mich mit einer Beteiligung von sechs Pennys pro Buch. Wir gaben uns die Hand, und ich verließ seinen Laden, verbrannte den Vertrag und wusch mir zweimal die Hände. Das Geld behielt ich.

Anschließend verkaufte ich noch die beiden Kleidergarnituren und mit einer Ausnahme alle Bücher von Caudicus. Ich steckte das Geld ein, begab mich zum Hafen und suchte einige Stunden lang, bis ich ein Schiff gefunden hatte, das am folgenden Tag nach Junpui auslaufen sollte.

Bei Einbruch der Nacht streifte ich durch die Oberstadt in der Hoffnung, Denna zu begegnen. Das war natürlich nicht der Fall. Ich spürte, dass sie längst weg war. Eine Stadt, in der Denna sich aufhält, fühlt sich anders an und Severen kam mir so leer vor wie ein ausgelaufenes Ei.

Nach einigen Stunden vergeblicher Suche begab ich mich schließlich in ein Bordell am Hafen, setzte mich in den Schankraum und trank etwas. Es herrschte nur wenig Betrieb, und die Damen langweilten sich. Also gab ich eine Runde für alle aus und wir kamen ins Gespräch. Ich erzählte einige Geschichten und sie hörten zu. Dann spielte ich einige Lieder und sie klatschten. Dann bat ich sie um einen Gefallen und sie wollten sich ausschütten vor Lachen.

Also schüttete ich den Beutel mit Ringen in eine Schale und stellte diese auf den Tresen. Sofort probierten die Damen sie an und stritten, wer die silbernen bekommen sollte. Ich gab noch eine Runde aus, dann ging ich. Meine Laune hatte sich ein wenig gebessert.

Danach streifte ich ziellos durch die Gegend und gelangte schließlich in einen kleinen öffentlichen Park auf der Bastion mit Blick über die Unterstadt. Die Laternen drunten leuchteten orangefarben, und hier und da flackerte eine Gas- oder Sympathielampe grünlich blau oder tiefrot. Der Anblick war so atemberaubend wie beim ersten Mal.

Ich gab mich ihm eine Weile hin, bis ich bemerkte, dass ich nicht allein war. Ein älterer Mann lehnte einige Schritte entfernt an einem Baum und betrachtete wie ich das Lichtermeer unter uns. Er roch ganz schwach und nicht unangenehm nach Bier.

»Eine schöne Stadt, nicht wahr?«, fragte er mit dem Akzent eines Hafenarbeiters.

Ich nickte. Stumm betrachteten wir die funkelnden Lichter. Ich zog den hölzernen Ring vom Finger und überlegte, ob ich ihn über den Rand des Felsens werfen sollte. Doch jetzt, wo ich einen Zuschauer hatte, kam es mir irgendwie kindisch vor.

»Es heißt, ein Adliger könnte von hier oben auf halb Severen pinkeln«, sagte der Hafenarbeiter im Plauderton.

Ich steckte den Ring in eine Tasche meines Schattenmantels. Als Andenken und Mahnung. »Nur die Versager«, antwortete ich. »Die, die ich kenne, pissen noch viel weiter.«

Загрузка...