Die Jagd

Wie erstarrt standen wir da. Die kleinen Wellen des glitzernden Teichs warfen helle Reflexe auf die schöne Gestalt Felurians. Sie saß dort nackt im Mondschein und sie sang:

cae-lanion luhial

di mari felanua

kreata tu ciar

tu alaran di

dirella. amauen.

loesi an delian

tu nia vor ruhlan

Felurian thae.

Mit ihrer Stimme hatte es eine seltsame Bewandtnis. Sie war so sanft und leise, dass wir sie eigentlich gar nicht hätten hören können, erst recht nicht durch das Murmeln des Wassers und das Rauschen der Blätter. Trotzdem hörte ich sie. Ihre Worte klangen so deutlich und süß wie die steigenden und fallenden Töne einer fernen Flöte. Sie erinnerten mich an etwas, das ich nicht benennen konnte.

Dedan hatte damals in seiner Geschichte dieselbe Melodie gesungen. Abgesehen von Felurians Namen in der letzten Zeile verstand ich kein Wort. Trotzdem fühlte ich mich auf unerklärliche Weise wie magnetisch davon angezogen, als greife mir eine unsichtbare Hand in die Brust und ziehe mich an meinem Herzen auf die Lichtung hinaus.

Ich widersetzte mich. Ich wandte den Blick ab und stemmte mich mit der Hand gegen den Baum neben mir.

Hinter mir hörte ich Marten fortwährend »nein« murmeln, als wolle er sich etwas ausreden. »Nein, nein, nein. Nicht für alles Geld der Welt.«

Ich sah mich zu ihm um. Er starrte mit fiebrig glänzenden Augen auf die Lichtung, doch schien seine Angst größer zu sein als seine Erregung. Auf Tempis sonst so unbewegtem Gesicht zeigte sich Überraschung. Dedan stand wie erstarrt und mit angespannter Miene da, während Hespe zwischen ihm und der Lichtung hin und her sah.

Dann begann Felurian erneut zu singen. Ihr Gesang klang wie das Versprechen eines warmen Feuers in einer kalten Nacht, wie das Lächeln eines Mädchens. Ich musste an Losi vom Wirtshaus ZUM GÜLDENEN PENNY denken, an ihren wilden feuerroten Lockenschopf, an ihre schwellenden Brüste und daran, wie sie mir mit der Hand über das Haar gestrichen hatte.

Felurian sang und ich fühlte einen Sog, der stark war, doch nicht so stark, dass ich ihm nicht hätte widerstehen können. Ich blickte wieder auf die Lichtung hinaus. Felurians Haut schimmerte silbrigweiß durch die Nacht. Mit der Anmut einer Tänzerin beugte sie sich vor und tauchte eine Hand in das Wasser des Teichs.

Plötzlich erfüllte mich eine große Klarheit. Wovor hatte ich Angst? Vor einem Märchen? Hier ging es um Magie, um wirkliche Magie, ja mehr noch, um die Magie des Gesangs. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn ich diese Gelegenheit nicht nutzte.

Ich wandte mich zu meinen Gefährten um. Marten zitterte sichtlich, Tempi wich langsam zurück, Dedan hatte die Hände an seiner Seite zu Fäusten geballt. Wollte ich mich wie sie von Furcht und Aberglauben beherrschen lassen? Nein, niemals. Ich gehörte dem Arkanum an, ich war ein Namenskundiger und ein Edema Ruh.

Wildes Lachen stieg in mir auf. »Wir sehen uns in drei Tagen im GÜLDENEN PENNY«, rief ich und betrat die Lichtung.

Ich spürte die Anziehungskraft Felurians jetzt noch stärker. Ihre Haut leuchtete im Mondlicht, ihr langes Haar hüllte sie wie ein Schatten ein.

»Verdammt«, hörte ich Dedan hinter mir sagen. »Wenn er geht, gehe ich auch …« Es folgte ein kurzes Handgemenge, das damit endete, dass etwas auf dem Boden aufschlug. Ich drehte mich um. Dedan lag mit dem Gesicht nach unten im niedrigen Gras. Hespe drückte ihm ein Knie ins Kreuz und hatte ihm einen Arm auf den Rücken gedreht. Dedan wehrte sich nur noch schwach, fluchte dafür aber umso lauter.

Tempi sah den beiden unbewegt zu, wie ein Schiedsrichter bei einem Ringkampf. Marten winkte mir wie von Sinnen. »Komm zurück, Junge!«, rief er aufgeregt. »Komm sofort zurück!«

Ich drehte mich wieder zum Teich um. Felurian hatte sich mir zugewandt. Trotz der Entfernung von etwa dreißig Metern sah ich den neugierigen Blick ihrer schwarzen Augen. Sie verzog die Lippen zu einem breiten, gefährlichen Lächeln, dann lachte sie in wildem Entzücken auf. Es war kein menschliches Lachen.

Flink wie ein Spatz und anmutig wie ein Reh flog sie über die Lichtung davon. Die Jagd begann. Trotz des schweren Reisesacks und des Schwerts an meiner Hüfte rannte ich so schnell, dass mein Mantel sich wie eine Fahne hinter mir blähte. Nie zuvor und auch nie danach bin ich so gerannt. Ein Kind rennt so, leichtfüßig und geschwind und ohne die geringste Angst zu fallen.

Felurian verschwindet vor mir in den Büschen. Ich erinnere mich vage an Bäume, den Geruch der Erde, das Grau der vom Mond beschienenen Felsen. Felurian lacht, weicht mir aus, tanzt, eilt voraus. Sie wartet, bis ich sie fast berühre, dann springt sie weg. Sie leuchtet im Mondlicht auf. Äste zerren an mir, Wasser spritzt mir ins Gesicht, warmer Wind weht mir entgegen …

Dann halte ich sie. Ihre Hände vergraben sich in meinen Haaren und ziehen mich näher. Ihr Mund kommt mir entgegen, ihre Zunge züngelt scheu, ihr Atem erfüllt meinen Mund, meinen Kopf. Ihre warmen Brustspitzen streifen meine Brust. Sie duftet nach Klee, nach Moschus, nach reifen zu Boden gefallenen Äpfeln …

Und dann gibt es kein Zögern mehr, keinen Zweifel. Ich weiß genau, was ich zu tun habe. Meine Hände streichen über ihren Nacken, ihr Gesicht, vergraben sich in ihren Haaren, gleiten an ihren glatten Schenkeln entlang, fassen sie fest an der Seite, umschließen ihre schmale Taille, heben sie hoch und legen sie hin …

Lustvoll windet sie sich unter mir und seufzt wohlig. Umschließt mich mit den Beinen, krümmt den Rücken, fasst mich mit warmen Händen an Schultern und Armen, packt mich am Kreuz …

Dann sitzt sie mit gegrätschten Beinen auf mir. Sie bewegt sich wild und ihre langen Haare gleiten über meine Haut. Sie wirft den Kopf in den Nacken, zittert am ganzen Leib und schreit etwas in einer Sprache, die ich nicht kenne. Ihre scharfen Nägel graben sich in die flachen Muskeln meiner Brust …

Und ich höre Musik: die wortlosen Schreie, mit denen sie sich hebt und senkt, ihre Seufzer, mein hämmerndes Herz. Ihre Bewegungen werden langsamer, und ich umklammere wie von Sinnen ihre Hüften. Unser Rhythmus ist wie ein stummes Lied, wie plötzlicher Donner, wie das unbewusst gehörte Rollen einer fernen Trommel …

Dann bleibt alles stehen. Mein Körper krümmt sich, ich bin gespannt wie eine Lautensaite. Zittere vor rasendem Sehnen. Ich bin zu straff gespannt und reiße …

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