Der Blutlose

Eine letzte Überraschung erwartete mich noch bei meiner Rückkehr an die Universität.

Ich war schon ein paar Tage wieder da, als ich schließlich an meinen Arbeitsplatz im Handwerkszentrum zurückkehrte. Zwar brauchte ich das Geld nicht mehr unbedingt, aber die Arbeit fehlte mir. Mit eigenen Händen etwas herzustellen hat etwas zutiefst Befriedigendes. Ein gutes Werkstück gleicht einem guten Lied. Es ist ein Schöpfungsakt.

So ging ich also ins dortige Lager und wollte mit etwas Leichtem beginnen, da ich ja aus der Übung war. Als ich ans Fenster trat, sah ich ein altbekanntes Gesicht. »Hallo, Basil«, sagte ich. »Was hast du denn diesmal ausgefressen, dass du hier Dienst schieben musst?«

Er blickte zu Boden. »Unsachgemäßer Gebrauch von Reagenzien«, murmelte er.

Ich lachte. »Na, das ist ja nicht so schlimm. Dann bist du ja in ein oder zwei Spannen wieder hier raus.«

»Ja.« Er sah mich an und lächelte ein wenig betreten. »Ich hab schon gehört, dass du wieder da bist. Kommst du wegen deines Guthabens?«

Ich stutzte. »Wie bitte?«

Basil neigte den Kopf seitwärts. »Dein Guthaben«, sagte er. »Für den Blutlosen.« Er sah mich einen Moment lang an, und dann dämmerte es ihm. »Ach so, du weißt ja noch gar nichts davon.« Er verschwand kurz und kam dann mit einem Gegenstand wieder, der wie eine achtseitige Eisen-Laterne aussah.

Dieser Pfeilfänger war anders als der, den ich gebaut hatte. Meiner war ein Prototyp gewesen und hatte Ecken und Kanten gehabt. Dieser war makellos und elegant. Die Einzelteile fügten sich perfekt ineinander, und das Gehäuse war mit einer dünnen, klaren Schicht aus alchemischer Emaille überzogen, die das Gerät vor Regen wie vor Rost schützen würde. Eine clevere Idee, auf die ich eigentlich auch selbst hätte kommen können.

Einerseits war ich geschmeichelt, dass jemandem meine Konstruktion so gut gefiel, dass er sie kopiert hatte, hauptsächlich aber war ich verstimmt, einen Pfeilfänger zu sehen, der viel ausgefeilter wirkte als mein Original. Ich bemerkte die verräterische Ebenmäßigkeit der Einzelteile. »Hat etwa jemand Gussformen dafür angefertigt?«, fragte ich.

Basil nickte. »Ja klar. Schon vor einer Ewigkeit. Gleich zwei vollständige Sätze.« Er lächelte. »Ich muss schon sagen, das ist ein cleveres Ding. Ich hab ’ne Weile gebraucht, um zu kapieren, wie der Auslöser funktioniert, aber seitdem ich das verstanden habe …« Er tippte sich an die Stirn. »… habe ich selbst auch schon zwei Stück davon gebaut. Man kommt dabei auf einen ganz anständigen Stundensatz. Ist auf jeden Fall sehr viel besser als Decksleuchten.«

Damit rang er mir ein Lächeln ab. »Alles ist besser als Decksleuchten«, sagte ich und nahm das Gerät zur Hand. »Ist das hier von dir?«

Er schüttelte den Kopf. »Meine wurden schon vor einem Monat verkauft. Die stehen hier nicht lange herum. Es war klug von dir, den Preis so niedrig anzusetzen.«

Ich drehte das Gerät hin und her und entdeckte eine Inschrift. Die Blockbuchstaben waren so tief ins Metall eingekerbt, dass sie von der Gussform herrühren mussten. »Der Blutlose« stand da.

Ich sah Basil an. Er lächelte. »Du bist abgereist, ohne dem einen richtigen Namen zu geben«, sagte er. »Dann hat Kilvin den Bauplan formalisiert und in unser Archiv aufgenommen. Um es zu verkaufen, brauchten wir schließlich einen Namen dafür.« Sein Lächeln schwand ein wenig. »Doch zu dieser Zeit kam die Nachricht, dass du auf See verschollen seist. Und deshalb hat Kilvin Meister Elodin hinzugezogen …«

»Auf dass er diesem Ding einen passenden Namen gibt«, sagte ich und drehte es immer noch in den Händen hin und her. »Schon klar.«

»Kilvin hat ziemlich gemurrt«, sagte Basil. »Hat es als melodramatischen Schwachsinn bezeichnet. Aber bei dem Namen ist es geblieben.« Er zuckte die Achseln, bückte sich, kramte herum und kam schließlich mit einem Buch wieder zum Vorschein. »Jedenfalls: Willst du dein Guthaben jetzt ausbezahlt bekommen?« Er blätterte in dem Buch. »Da hat sich mittlerweile ganz schön was angesammelt. Diese Geräte wurden viel gebaut.«

Er fand die richtige Seite und fuhr mit einem Finger an den Zeilen entlang. »Da ist es ja. Achtundzwanzig Stück haben wir bisher verkauft.«

»Basil«, sagte ich. »Ich verstehe wirklich nicht, wovon du sprichst. Kilvin hat mir das erste Exemplar, das ich gebaut habe, doch längst bezahlt.«

Er runzelte die Stirn. »Es geht um deine Provision«, sagte er und fügte, als er meinen verständnislosen Blick sah, hinzu: »Wenn wir etwas verkaufen, bekommt das Handwerkszentrum davon dreißig Prozent, und der Urheber des Bauplans erhält zehn Prozent.«

»Und ich dachte immer, das Zentrum kriegt die ganzen vierzig Prozent«, sagte ich, vollkommen perplex.

Er zuckte die Achseln. »Ja, meistens schon. Die älteren Baupläne gehören ja auch größtenteils dem Zentrum. Die meisten Dinge wurden nun mal schon vor langer Zeit erfunden. Aber bei neueren Konstruktionen …«

»Das hat Manet nie erwähnt«, sagte ich.

Basil setzte eine entschuldigende Miene auf. »Der gute alte Manet ist ein Arbeitspferd«, sagte er höflich. »Aber der Einfallsreichste ist er nicht. Wie lange ist er schon hier? Dreißig Jahre? Ich bin mir ziemlich sicher, dass kein einziger Bauplan von ihm stammt.« Er blätterte in dem Buch herum und überflog die Seiten. »Die meisten ernsthaften Handwerkskünstler entwickeln wenigstens einen neuen Gegenstand, nur aus Stolz heraus, auch wenn es irgendwas ziemlich Nutzloses ist.«

Zahlen wirbelten mir durch den Kopf. »Also jeweils zehn Prozent von acht Talenten«, murmelte ich und hob dann wieder den Blick. »Hier liegen zweiundzwanzig Talente für mich bereit?«

Basil nickte und sah noch einmal in dem Buch nach. »Zweiundzwanzig Talente, vier Jots«, sagte er und nahm sich einen Bleistift und einen Zettel. »Soll ich dir gleich alles auszahlen?«

Ich grinste.

Als ich nun nach Imre aufbrach, war mein Geldbeutel so schwer, dass ich fürchtete, ich würde anfangen zu humpeln. Ich holte vorher noch meinen Reisesack aus dem ANKER’S und hängte ihn mir über die andere Schulter, und das stellte das Gleichgewicht wieder her.

Dann streifte ich durch die Stadt und ging dabei an all den Orten vorüber, an denen ich mich früher einmal mit Denna getroffen hatte. Und ich fragte mich, wo sie wohl gerade war.

Nachdem diese gewohnheitsmäßige Suche abgeschlossen war, ging ich in eine Gasse, in der es nach ranzigem Fett stank, und stieg eine schmale Treppe hinauf. Ich klopfte an Devis Tür, wartete eine Minute lang und klopfte dann noch einmal lauter.

Ich hörte, wie ein Riegel beiseite gezogen und die Tür aufgeschlossen wurde. Dann öffnete sie sich einen Spalt breit, und ein blassblaues Auge spähte heraus. Ich lächelte.

Die Tür öffnete sich langsam weiter. Devi stand vor mir und sah mich ausdruckslos an.

Ich hob eine Augenbraue. »Was denn?«, fragte ich. »Gar kein geistreiches Geplänkel?«

»Ich mache keine Geschäfte an der Haustür«, erwiderte sie tonlos. »Du musst schon reinkommen.«

Ich wartete, aber sie blieb in der Tür stehen. Aus ihrem Zimmer roch es nach Zimt und Honig.

»Devi?«, sagte ich. »Alles in Ordnung mit dir?«

»Du bist …«, erwiderte sie und verstummte. Sie starrte mich weiterhin an, und ihre Stimme war immer noch vollkommen tonlos. »Du bist doch angeblich tot.«

»In dieser wie in vieler anderer Hinsicht lege ich es darauf an, Erwartungen zu enttäuschen«, erwiderte ich.

»Ich war mir ganz sicher, dass er es getan hat«, fuhr Devi fort. »Die Baronie seines Vaters wird ja auch ›die Pirateninsel‹ genannt. Ich war mir sicher, dass er es getan hat, weil wir das Feuer in seinen Gemächern gelegt haben. Das Feuer habe ja eigentlich ich gelegt, aber das konnte er ja nicht wissen. Du warst der Einzige, den er gesehen hat. Du und dieser Kealde.«

Devi sah mich an und blinzelte ins Licht. Die Geldverleiherin mit dem Elfengesicht hatte von Natur aus einen hellen Teint, doch nun sah ich sie zum ersten Mal kreidebleich. »Du bist so groß«, sagte sie. »Ich hatte ganz vergessen, wie groß du bist.«

»Und ich hätte fast vergessen, wie hübsch du bist«, erwiderte ich. »Aber es ist mir dann doch nicht gelungen.«

Devi stand immer noch blass in der Tür und starrte mich an. Mit besorgter Miene trat ich einen Schritt vor und legte ihr eine Hand auf den Arm. Halbwegs erwartete ich, dass sie vor mir zurückweichen würde, doch stattdessen starrte sie einfach nur meine Hand an.

»Ich warte immer noch auf einen witzigen Spruch«, neckte ich sie. »Normalerweise bist du schneller.«

»Ich glaube, ich bin dir gerade nicht gewachsen, was witzige Sprüche angeht«, erwiderte sie.

»Gewachsen warst du mir nie«, sagte ich. »Aber ein kleines Geplänkel haben wir doch immer noch hingekriegt.«

Devi zeigte die Andeutung eines Lächeln, und in ihre Wangen kehrte ein wenig Farbe zurück. »Du bist doch echt ein Dummschwätzer vor dem Herrn«, sagte sie.

»Na bitte, geht doch«, sagte ich aufmunternd und zog sie aus der Tür ins helle Licht des Herbstnachmittags. »Wusste ich’s doch, dass du das noch kannst.«

Wir gingen in ein Wirtshaus um die Ecke, und mit Hilfe eines kleinen Biers und eines üppigen Mittagessens erholte sich Devi von dem Schock, mich lebend gesehen zu haben. Bald war sie wieder so scharfzüngig wie eh und je, und beim Glühwein nahmen wir unser übliches Geplänkel wieder auf.

Anschließend spazierten wir zurück zu ihren Räumen über der Metzgerei, wo Devi feststellte, dass sie komplett vergessen hatte, ihre Tür abzuschließen.

»Grundgütiger Tehlu«, sagte sie, als wir drinnen waren, und schaute sich hektisch um. »Das ist mir wirklich noch nie passiert.«

Ich ließ ebenfalls den Blick durch den Raum schweifen und stellte fest, dass sich dort seit meinem letzten Besuch nicht viel verändert hatte. Bloß das zweite Bücherregal war nun fast schon zur Hälfte gefüllt. Ich überflog die Titel, während Devi in den anderen Zimmern nachsah, ob etwas fehlte.

»Möchtest du dir irgendwas davon ausleihen?«, fragte sie, als sie wiederkam.

»Nein, ich habe eher dir etwas mitgebracht«, antwortete ich.

Ich stellte meinen Reisesack auf ihren Schreibtisch und zog ein flaches, rechteckiges Päckchen daraus hervor, das in Öltuch eingeschlagen und mit Bindfaden verschnürt war. Dann verfrachtete ich den Reisesack wieder auf den Fußboden, legte das Päckchen auf den Schreibtisch und schob es Devi hin.

Sie kam mit skeptischem Blick an den Tisch, setzte sich und öffnete das Päckchen. Es enthielt die Ausgabe des Celum Tinture, die ich aus Caudicus’ Bibliothek entwendet hatte. Dieses Buch war zwar keine große Rarität, aber für eine Alchemistin, die keinen Zugang zur Universitätsbibliothek besaß, ein durchaus sehr nützliches Hilfsmittel. Nicht dass ich irgendetwas von Alchemie verstand.

Devi betrachtete das Buch. »Und wofür ist das?«, fragte sie.

Ich lachte. »Das ist ein Geschenk.«

Sie musterte mich mit zusammengekniffenen Augen. »Wenn du glaubst, dass ich dir deshalb dein Darlehen verlängere …«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich dachte bloß, es würde dir gefallen«, sagte ich. »Und was das Darlehen angeht …« Ich zog meinen Geldbeutel hervor und zählte ihr neun Talente auf den Tisch.

»Na so was«, sagte Devi verblüfft. »Da scheint ja jemand eine gewinnbringende Reise gemacht zu haben.« Sie sah mich an. »Willst du damit nicht lieber warten, bis du deine Studiengebühren bezahlt hast?«

»Das ist bereits erledigt«, sagte ich.

Devi machte keine Anstalten, das Geld anzunehmen. »Ich möchte aber nicht, dass du vollkommen pleite ins neue Trimester gehst«, sagte sie.

Ich wog meinen Geldbeutel in der Hand. Er war immer noch prall gefüllt und gab ein geradezu melodisch klingendes Klimpern von sich.

Devi zückte einen Schlüssel, öffnete damit eine Schreibtischschublade und zog mein Exemplar von Rhetorik und Logik, mein Abzeichen aus dem EOLIAN, meine Sympathielampe und Dennas Ring daraus hervor.

Sie legte alles nebeneinander auf den Tisch, rührte die Münzen aber immer noch nicht an. »Dir bleiben noch zwei Monate, erst dann sind ein Jahr und ein Tag vergangen«, sagte sie. »Bist du wirklich sicher, dass du nicht lieber noch abwarten willst?«

Verwundert sah ich das Geld auf dem Tisch an und blickte mich dann im Raum um. Mir ging etwas auf, als würde sich in meinem Geist ein Blütenkelch entblättern. »Hier geht es überhaupt nicht um Geld, nicht wahr?«, sagte ich und war sehr erstaunt darüber, dass ich so lange gebraucht hatte, das zu begreifen.

Devi neigte den Kopf zur Seite.

Ich deutete auf die Bücherregale, auf das große Himmelbett mit den Samtvorhängen und schließlich auf Devi selbst. Ich hatte das nie bemerkt, aber ihre Kleider waren zwar nicht modisch, was Schnitt und Stoff anging jedoch so fein wie die einer Adligen.

»Es geht gar nicht um Geld«, sagte ich noch einmal. Ich sah hinüber zu ihren Büchern. Ihre Sammlung musste mindestens fünfhundert Talente wert sein. »Das Geld gebrauchst du nur als Köder. Du leihst es Leuten, die sich in einer Notlage befinden und die dir später einmal nützlich sein könnten, und dann hoffst du, dass sie es dir nicht zurückzahlen können. In Wirklichkeit handelst du mit Gefälligkeiten.«

Devi lachte. »Geld ist ja ganz nett«, sagte sie mit funkelnden Augen. »Aber die Welt ist voller Dinge, die nicht käuflich sind. Gefälligkeiten und Verpflichtungen sind viel, viel wertvoller.«

Ich sah zu den neun Talenten hinüber, die schimmernd auf ihrem Schreibtisch lagen. »Du hast gar keinen Mindestdarlehensbetrag, nicht wahr?«, fragte ich, obwohl ich die Antwort bereits kannte. »Das hast du mir nur gesagt, damit ich mich noch mehr bei dir verschulden musste. Du hast gehofft, dass ich mich so tief in diese Sache hineinreite, dass ich niemals in der Lage wäre, es dir zurückzuzahlen.«

Devi lächelte strahlend. »Willkommen in meinem Spiel«, sagte sie und begann die Münzen einzusammeln. »Und vielen Dank, dass du bis hierhin mitgespielt hast.«

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