10 Zwei junge Mädchen

Im gleichen Augenblick, in dem die zwei Waffenbrüder sich zu Tisch begaben, wurden Madame Bonaparte die Gräfin von Sourdis und Mademoiselle Claire de Sourdis angekündigt.

Die Damen umarmten einander und bildeten für einen Moment ein elegantes Ensemble, indem sie sich, wie in der feinen Welt üblich, über tausenderlei Kleinigkeiten von ihrem Wohlergehen bis zum Wetter austauschten. Dann ließ Madame Bonaparte Madame Sourdis auf einer Chaiselongue neben sich Platz nehmen, während Hortense Claire entführte, die in ihrem Alter war, um ihr den Palast zu zeigen, den sie noch nicht kannte.

Die zwei jungen Mädchen bildeten einen reizenden Kontrast: Hortense war frisch wie eine Blume, samtig wie ein Pfirsich, mit goldenem Haar, das ihr gelöst bis zu den Knien reichte, Arme und Hände ein wenig mager, wie so oft bei jungen Mädchen, bevor die Natur letzte Hand an sie legt und sie zur Frau macht; in ihrer anmutigen Gestalt vereinigte sich französische Lebhaftigkeit mit kreolischer morbidezza, und blaue Augen von unendlicher Sanftmut vollendeten den liebreizenden Gesamteindruck.

Ihre Gefährtin stand ihr an Anmut und Schönheit in nichts nach; wie Hortense war auch sie Kreolin, von gleichem Liebreiz, jedoch von andersgearteter Schönheit. Claire war größer als ihre Freundin und hatte den samtigen Teint, mit dem die Natur ihre bevorzugten Schönheiten in Mittelmeerländern begünstigt, saphirblaue Augen, ebenholzschwarzes Haar, eine Taille, die man mit zwei Händen umspannen konnte, und entzückend kleine Hände und Füße.

Beide hatten eine hervorragende Erziehung genossen. Hortenses Erziehung war nach der Unterbrechung durch die erzwungene Lehrzeit und seit der Entlassung ihrer Mutter aus dem Gefängnis mit so wachem Verstand und unermüdlichem Fleiß fortgesetzt worden, dass von der Unterbrechung nichts zu merken war. Sie zeichnete gefällig, spielte ausgezeichnet Klavier und komponierte und verfasste Romanzen, von denen einige bis in unsere Tage überlebt haben, da sie ihre Beliebtheit nicht dem sozialen Rang der Verfasserin verdanken, sondern ihrem künstlerischen Wert.

Beide malten, beide musizierten, beide sprachen mehrere Fremdsprachen.

Hortense zeigte Claire ihr Atelier, ihre Kreidezeichnungen, ihr Musikzimmer, ihre Voliere.

Dann setzten sie sich in ein kleines, von Redouté ausgemaltes Boudoir neben der Voliere.

Das Gespräch kam auf die Abendgesellschaften, die zu jener Zeit prachtvoller denn je wiederauflebten, auf die Bälle, die voller Begeisterung besucht wurden, auf die schönen Tänzer – Monsieur de Trénis, Monsieur Laffitte, Monsieur d’Almivar, die zwei Messieurs de Caulaincourt. Beide beklagten bitter, dass sie auf den Bällen genötigt waren, mindestens eine Gavotte und ein Menuett zu tanzen. Und wie von allein kam es zu dem Austausch zweier Fragen.

Hortense fragte: »Kennen Sie den Citoyen Duroc, Aide de Camp bei meinem Stiefvater?« Und Claire fragte: »Begegnen Sie bisweilen dem Citoyen Hector de Sainte-Hermine?«

Claire kannte Duroc nicht, Hortense nicht Hector.

Hortense wäre fast in Versuchung geraten zu gestehen, dass sie Duroc liebte, denn ihr Stiefvater, der Duroc sehr schätzte, ermutigte diese Liebschaft.

In der Tat zählte Duroc zu jenen bezaubernden Generälen, die im Tuilerienpalast zu jener Zeit wie in einer Pflanzschule gediehen. Er war keine achtundzwanzig Jahre alt, von äußerst vornehmem Auftreten, mit großen, leicht hervorstehenden Augen, von überdurchschnittlicher Körpergröße und schlanker, eleganter Gestalt.

Ein Schatten aber lag über dieser Liebe: Bonaparte ermutigte sie, Joséphine hingegen begünstigte eine andere Verbindung. Joséphine wollte Hortense mit einem der jüngeren Brüder Bonapartes verheiraten, mit Louis.


Joséphine hatte in Bonapartes Familie zwei geschworene Feinde, Joseph und Lucien, deren Interesse an Joséphines Betragen weit über jede Indiskretion hinausging. Fast wäre es ihnen gelungen, Bonaparte nach seiner Rückkehr aus Ägypten zu einer Trennung von ihr zu bewegen. Sie drängten ihn ständig, sich scheiden zu lassen, unter dem Vorwand, ein männlicher Erbe sei für Bonapartes ehrgeizige Ziele unerlässlich, und sie hatten umso leichteres Spiel, als sie damit allem Anschein nach gegen ihre eigenen Interessen handelten.

Joseph und Lucien waren verheiratet, Joseph ehrbar und schicklich. Er hatte die Tochter eines Monsieur Clary geehelicht, eines reichen Händlers aus Marseille, und war so zum Schwager Bernadottes geworden. Eine dritte Tochter war noch zu vergeben gewesen, reizender sogar als ihre Schwestern, und Bonaparte hielt um ihre Hand an. »Meiner Treu, nein«, hatte der Vater gesagt, »ein Bonaparte in der Familie genügt mir.« Hätte er eingewilligt, wäre der ehrbare Händler aus Marseille eines schönen Tages Schwiegervater eines Kaisers und zweier Könige gewesen.

Lucien hingegen war eine Ehe eingegangen, wie man sie in der Gesellschaft als unausgewogen zu bezeichnen pflegte. 1774 oder 1795, als Bonaparte nur dafür berühmt war, Toulon erobert zu haben, wurde Lucien zum Magazinverwalter des Dörfchens Saint-Maximin ernannt. Als echter Republikaner, der sich selbst Brutus getauft hatte, konnte Lucien auf keinen Fall gestatten, dass ein Heiliger sich in seiner Umgebung aufhielt, und folglich hatte er Saint-Maximin analog zu sich selbst umgetauft, und zwar in Marathon.

Citoyen Brutus, wohnhaft in Marathon, das klang gut.

Miltiades hätte besser gepasst, aber als Lucien sich Brutus nannte, konnte er noch nicht ahnen, dass es ihn nach Saint-Maximin verschlagen würde.

Lucien-Brutus wohnte im einzigen Hotel von Saint-Maximin-Marathon. Dieses Hotel führte ein Mann, dem es niemals in den Sinn gekommen wäre, seinen Namen zu ändern, und der sich weiterhin Constant Boyer nannte.

Boyer hatte eine Tochter, ein bezauberndes Geschöpf namens Christine; es kommt vor, dass solche Blumen auf Misthaufen erblühen, solche Perlen sich im Kehricht finden.

In Saint-Maximin-Marathon gab es weder Unterhaltung noch Gesellschaft, doch weder das eine noch das andere entbehrte Lucien-Brutus, denn Christine Boyer ersetzte ihm beides.

Sie war jedoch ebenso klug wie schön; es gab keine Möglichkeit, sie zur Geliebten zu machen, und in einem Augenblick der Liebe und des Verdrusses heiratete Lucien sie, und Christine Boyer wurde nicht zu Christine Brutus, sondern zu Christine Bonaparte.

Der General des 13. Vendémiaire, der über seine Zukunft allmählich klar sah, war außer sich vor Zorn. Er schwor, dem Ehemann niemals zu verzeihen, die Ehefrau niemals kennenzulernen, und schickte das Paar nach Deutschland, wo er Lucien eine bescheidene Position gab.

Später wurde er milder, empfing die Ehefrau und hatte nichts dagegen, seinen Bruder Lucien-Brutus, der nunmehr Lucien-Antoine hieß, anlässlich des 18. Brumaire wieder in die Arme zu schließen.


Diese Brüder Bonapartes waren wie gesagt Joséphines Erzfeinde, weshalb sie Louis auf ihre Seite ziehen und als Bollwerk gegen die anderen benutzen wollte, indem sie ihn mit Hortense verheiratete.

Hortense wehrte sich gegen dieses Vorhaben mit aller Macht. Louis war zu jener Zeit ein hübscher junger Mann mit sanftem Blick und freundlichem Lächeln; er glich seiner Schwester Caroline, die vor Kurzem Murat geheiratet hatte, und war fast noch ein Kind mit seinen knapp zwanzig Jahren. Er liebte Hortense nicht, er verabscheute sie nicht, sondern tat, was man ihn hieß.

Hortense wiederum verabscheute nicht Louis, sondern liebte Duroc.

Was sie Claire de Sourdis anvertraute, machte dieser Mut, sich ihr ebenfalls zu öffnen. Leider hatte sie nicht viel zu erzählen.

Sie liebte, wenn man es so nennen will – besser gesagt, sie schwärmte für einen schönen jungen Mann von drei- oder vierundzwanzig Jahren. Er war blond, hatte schöne schwarze Augen, für einen Mann etwas zu ebenmäßige Züge, kleine Hände und Füße wie eine Frau und war alles in allem so vollendet beschaffen, von solcher Harmonie und Ausgewogenheit, dass man wohl ahnen konnte, dass diese dem Anschein nach so zerbrechliche Hülle geradezu herkulische Kräfte barg: Zu einer Zeit, als Chateaubriand und Byron noch nicht den Typus eines René oder Manfred in Mode gebracht hatten, war die bleiche Stirn des jungen Hector von einem seltsam schwermütig stimmenden Schicksal gezeichnet, denn in seiner Familie wurde von schrecklichen Überlieferungen gemurmelt, über die niemand Genaueres wusste und die sich hinter dem jungen Mann abzeichneten wie Blutspuren, obwohl er noch nie übertriebene Trauer um jene Verwandten bezeigt hatte, die der Republik zum Opfer gefallen waren, und auf jenen Bällen und geselligen Veranstaltungen, die den Grimm der Verstorbenen besänftigen sollten, noch nie seinen Schmerz und Kummer zur Schau gestellt hatte. Zudem hatte er es nicht nötig, durch exzentrisches Gebaren Blicke auf sich zu ziehen, wenn er sich in Gesellschaft begab, denn wie von allein hefteten sich aller Blicke auf ihn. Nie war es seinen Gefährten – nicht unbedingt im Vergnügen, sondern eher Jagd- und Reisegefährten – gelungen, ihn zu einer der Unternehmungen junger Leute zu verlocken, auf die sich selbst die Sprödesten wenigstens einmal im Leben einlassen, und niemand konnte sich entsinnen, ihn jemals auch nur lächeln gesehen zu haben, geschweige denn offen und fröhlich lachen.

Früher einmal waren die Sainte-Hermines den Sourdis verwandtschaftlich verbunden gewesen, und wie es in großen Häusern üblich ist, war die Erinnerung an diese Verbindung beiden Familien teuer geblieben. Und so hatte der junge Sainte-Hermine, wenn er sich zufällig in Paris aufhielt, es nie versäumt, Madame de Sourdis nach ihrer Rückkehr aus den Kolonien einen förmlichen Höflichkeitsbesuch abzustatten.

Seit einigen Monaten begegneten die jungen Leute einander in der Gesellschaft, doch außer Grüßen, wie die Etikette sie verlangte, hatten sie keine weiteren Worte gewechselt, und die knappen Begrüßungen wurden insbesondere seitens des jungen Mannes mit auffallender Nüchternheit geäußert. Blieben die Münder auch stumm, hatten die Augen doch umso beredter gesprochen. Hector hatte seine Blicke nicht annähernd so im Zaum wie seine Worte, und jedes Mal wenn er Claire begegnete, sagten seine Blicke ihr, wie schön und wie begehrenswert sie ihm erschien.

Bei den ersten Begegnungen hatten diese seelenvollen Blicke Claire im Innersten berührt, und da Sainte-Hermine ihr als vollendeter Kavalier erschien, hatte sie unwillkürlich begonnen, ihn ebenfalls selbstvergessen zu betrachten; dann hatte sie gehofft, er werde beim ersten Ball mit ihr tanzen und ein Wort oder Händedruck werde seinen so sprechenden Blicken zu Hilfe kommen. Doch merkwürdigerweise und für diese Zeit ungewöhnlicherweise war Sainte-Hermine, dieser elegante Kavalier, der sich mit Saint-Georges im Kampf übte, der mit Pistolen schoss wie Junot oder Fournier, kein Tänzer.

Dies war eine weitere Besonderheit neben all den anderen; auf den Bällen, die er besuchte, stand Sainte-Hermine kühl und unbewegt in einer Fensternische oder in einer Ecke des Salons, Gegenstand der Verwunderung aller tanzwütigen jungen Leute, die sich fragten, welches Gelübde ihnen einen so eleganten Tänzer vorenthalten mochte, der immer mit so vollendetem Geschmack nach der neuesten Mode gekleidet war.

Noch unverständlicher war Claire die halsstarrige Zurückhaltung des Grafen von Sainte-Hermine ihr gegenüber, zumal ihre Mutter den jungen Mann ganz besonders ins Herz geschlossen zu haben schien und nur Gutes über seine von der Revolution dezimierte Familie und über ihn selbst zu sagen hatte. Geld konnte kein Hindernis für eine Ehe zwischen ihnen sein. Beide waren Einzelkinder, und ihrer beider Vermögen waren ungefähr gleich groß.

Man kann sich denken, welchen Eindruck im Herzen dieses kreolischen jungen Mädchens eine solche Verbindung körperlicher und seelischer Eigenschaften bewirken musste, wie sie der geheimnisvolle schöne junge Mann besaß, dessen Bild Claires Erinnerung heimsuchte und im Begriff war, sich ihres Herzens zu bemächtigen.

Hortense hatte ihre Wünsche und Hoffnungen schnell genug offenbart: Duroc zu heiraten, den sie liebte, und Louis Bonaparte, den sie nicht liebte, nicht zu heiraten – so war das Geheimnis beschaffen, das sie ihrer Freundin anzuvertrauen hatte, was sie in wenigen Worten auch tat. Claires romantische Schwärmerei war nicht so leicht abzutun. Ausführlich schilderte sie ihrer Freundin Hectors Erscheinung und drang in das Geheimnis, das ihn umgab, so weit vor, wie sie konnte; erst als ihre Mutter zweimal nach ihr gerufen hatte und sie bereits aufgestanden war und Hortense zum Abschied umarmt hatte, sagte sie – ganz im Stil Madame de Sévignés, die der Ansicht war, das Postskriptum sei der wichtigste Teil eines Briefes – gewissermaßen als Postskriptum und als komme ihr der Gedanke in ebendiesem Moment: »Apropos, liebe Hortense, ich vergaß, Sie etwas zu fragen.«

»Und was?«

»Es heißt, Madame de Permon werde einen großen Ball geben.«

»Ja, Loulou hat mich mit ihrer Mutter besucht und hat uns persönlich eingeladen.«

»Werden Sie hingehen?«

»Aber gewiss.«

»Meine liebe Hortense«, sagte Claire im allerzärtlichsten Ton, »ich möchte Sie um einen Gefallen bitten.«

»Um einen Gefallen?«

»Ja. Können Sie mir und meiner Mutter eine Einladung verschaffen? Wäre das möglich?«

»Aber sicherlich, das hoffe ich jedenfalls.«

Claire tat vor Freude einen Luftsprung.

»Oh, vielen Dank!«, sagte sie. »Wie werden Sie es anstellen?«

»Ich könnte Loulou um eine Einladung bitten, aber ich will es lieber über Eugène bewerkstelligen, denn er ist mit dem Sohn Madame de Permons eng befreundet und wird ihn um alles bitten, was Sie verlangen können.«

»Und ich werde zu dem Ball Madame de Permons eingeladen?«, rief Claire beglückt.

»Gewiss«, erwiderte Hortense; dann sah sie ihre Freundin aufmerksam an und fragte: »Wird er hingehen?«

Claire wurde kirschrot, senkte den Blick und flüsterte: »Ich glaube ja.«

»Du zeigst ihn mir, nicht wahr?«, sagte Hortense, zum vertraulichen »Du« wechselnd.

»Oh, du wirst ihn auch ohne Hilfe sofort erkennen, liebe Hortense! Habe ich dir nicht gesagt, dass man ihn in der größten Menschenmenge sofort bemerkt?«

»Wie ich es bedaure, dass er nicht tanzt!«, sagte Hortense.

»Und ich erst!«, seufzte Claire.

Die zwei jungen Mädchen umarmten einander zum Abschied, wobei Claire Hortense ermahnte, ihre Einladung nicht zu vergessen.

Drei Tage später erhielt Claire Sourdis das ersehnte Schreiben.


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