105 Die Jagd

Fra Diavolo ist in Frankreich bekannter durch die Operette der Herren Scribe und Auber als durch den langen Briefwechsel, den er zwischen Kaiser Napoleon und seinem Bruder König Joseph veranlasst hatte.

Er hieß Michele Pezza; er war in dem Dorf Itri geboren als Sohn einer armen Tagelöhnerfamilie, die mit zwei Maultieren einen bescheidenen Ölhandel mit den Nachbardörfern betrieb; seine Landsleute hatten ihm den Spitznamen Fra Diavolo gegeben, weil er die Gerissenheit des Mönchs mit der Bosheit des Teufels vereinigte.

Er hatte Geistlicher werden sollen, doch nachdem er den Priesterrock weggeworfen hatte, wurde er Lehrling bei einem der Wagner, die Packsattel für Maultiere und Pferde herstellen.

Nach einer lautstarken und heftigen Auseinandersetzung mit seinem Meister suchte er das Weite, und am Tag darauf tötete er ihn mit einem Gewehrschuss, als der Meister mit Gästen in seinem Garten speiste.

Diesen Mord beging der junge Mann im Jahr 1797, als er neunzehn Jahre alt war.

Wie stets in solchen Fällen flüchtete er in die Berge.

Als 1799 die Revolution nach Italien kam und Championnet das neapolitanische Territorium besetzte, übte er seit zwei Jahren das Gewerbe des Straßenräubers aus.

Daraufhin kam ihm die Erleuchtung, dass er Anhänger der Bourbonen sei und Royalist und infolgedessen zum Sanfedista werden müsse, um seine Untaten zu sühnen und sich der Verteidigung des gottgegebenen Rechts zu widmen. Er war somit einer der Ersten, die dem Ruf König Ferdinands folgten, sich gegen die Franzosen zu erheben.

Zuerst sammelte er seine drei Brüder um sich, ernannte sie zu seinen Leutnants, verdreifachte, vervierfachte, verfünffachte seine Bande mit Freiwilligen und bewies von Anfang an seinen Patriotismus mit den Taten, die er auf der Landstraße zwischen Rom und Neapel vollbrachte.

Seine Hinrichtung durch Erhängen war für die gefangenen Banditen umso interessanter, als er seine Laufbahn dort begonnen hatte, wo sie gefasst worden waren, denn kaum eine Meile von Itri entfernt hatten sie den Reisenden aufgelauert, von denen sie überwältigt worden waren.

Auf seinem ersten Feldzug tat Fra Diavolo sich durch mehrere Morde hervor: Der Adjutant General Championnets namens Claye, zu General Lemonie entsandt, war so unvorsichtig, einen Führer zu nehmen, den er nicht kannte, und dieser Führer brachte ihn mitten in die Bande Fra Diavolos, der ihn in Stücke hauen ließ.

Nach dem Angriff auf die Brücke über den Fluss Garigliano wurden Adjutant Gourdel, ein Bataillonschef der leichten Infanterie und ein weiteres Dutzend Offiziere und Soldaten von Fra Diavolo und seiner Bande auf dem Schlachtfeld überwältigt, an Bäumen mit grünem Laub festgebunden und langsam geröstet, während die Bauern der benachbarten Dörfer, Männer, Frauen und Kinder, diese Scheiterhaufen umtanzten und riefen: »Es lebe Fra Diavolo!«

Championnet, der mit Fra Diavolo zu tun gehabt hatte und dem es fast gelungen wäre, dessen Räuberbande zu vernichten, bevor sie ihm abermals entkam, räumte ohne zu zögern ein, dass dieser Räuberhauptmann ihm mehr zu schaffen gemacht hatte als manch ein General, der reguläre Streitkräfte befehligte.

Dies führte dazu, dass Fra Diavolo König Ferdinand und Königin Caroline nach Sizilien folgte, wo sie die Reaktion vorbereiteten, und aus ihrem erhabenen Mund seine Instruktionen erhielt, was hieß, dass er nicht nur kein Niemand war, sondern jemand, den man als Freund empfing. König und Königin bereiteten ihm einen wahrhaft königlichen Empfang. Der König verlieh ihm das Hauptmannspatent, und die Königin beschenkte ihn mit einem kostbaren Ring, der zwischen zwei Saphiren seine Initialen aus Diamanten aufwies.

Fra Diavolos Sohn, Cavaliere Pezza, bewahrt diesen Ring heute noch andächtig auf, falls er nicht gestorben ist; als sein Vater den Galgen bestieg, hinterließ er ihm seinen Adelstitel, und kraft des Bündnisses zwischen Vergangenheit und Gegenwart erhält der Sohn heute noch von König Victor Emmanuele die Pension, die König Ferdinand seinem Vater gewährt hatte.

Fra Diavolo kehrte in seine Heimat zurück und ging zwischen Capua und Gaeta mit einer Bande von vierhundert Mann an Land.

Während er der königlichen Sache unschätzbare Dienste erwies, ließ Fra Diavolo sich zu solchen Exzessen hinreißen, dass Kardinal Ruffo ihm verbot, Gaeta zu betreten, und es für ratsam befand, dies König Ferdinand mitzuteilen.

Der König schrieb eigenhändig zurück: »Ich heiße gut, dass Sie Fra Diavolo verwehrt haben, Gaeta zu betreten, wie er es wünschte; ich stimme mit Ihnen überein, dass er ein Anführer von Straßenräubern ist, doch andererseits sehe ich mich genötigt, Ihnen zu gestehen, dass er mir gute Dienste geleistet hat; man muss ihn benutzen und darf ihn nicht vergrämen, doch zugleich muss man ihn mit wohlgesetzten Worten davon überzeugen, dass er seine Leidenschaften zügeln und seinen Männern Disziplin auferlegen muss, wenn er sich in meinen Augen wahre und beständige Verdienste erwerben will.«

Doch mochten die Exzesse, denen Fra Diavolo sich hingab, ihm diesen väterlichen Tadel seitens Ferdinands einbringen, schadeten sie seinem Ansehen in Carolines Augen nicht im Geringsten, denn nach der erfolgten Rückeroberung Neapels geruhte sie, ihm in einem handschriftlichen Brief zu verkünden, dass er zum Obersten ernannt worden war. Dem Brief, der ihm diese Beförderung verkündete, war ein Armband beigelegt, in das eine Haarlocke der Königin eingeflochten war; zudem wurde er zum Herzog von Cassano ernannt, verbunden mit einer lebenslänglichen Rente von dreitausend Dukaten (dreizehntausendzweihundert Francs), und mit diesem Titel und im Rang eines Brigadekommandeurs sehen wir ihn 1806 und 1807 die Franzosen bekriegen.

Die Usurpation des Throns der Bourbonen durch König Joseph bot Fra Diavolo eine ausgezeichnete Gelegenheit, König Ferdinand und Königin Caroline neue Beweise seiner Treue zu liefern.

Er reiste nach Palermo, wurde von der Königin empfangen, die ihn mit größten Huldbezeigungen in die Abruzzen zurückschickte; doch ebenso wie der König vergaß sie, ihm aufzutragen, über die Disziplin seiner Soldaten zu wachen.

Fra Diavolo befolgte die Anweisungen der Königin Caroline so gewissenhaft, dass König Joseph zu dem Schluss gelangte, es sei höchste Zeit, sich von einem Gegner zu befreien, der vielleicht weniger gefährlich war als Lord Stuart und dessen Engländer, zweifellos aber unbequemer.

Daraufhin ließ der König Major Hugo zurückrufen.

In die Tapferkeit und die Treue dieses Majors setzte König Joseph uneingeschränktes Vertrauen; Hugo war ein Mann wie aus der Feder Plutarchs. Seine Loyalität war ihn teuer zu stehen gekommen. Er hatte unter Moreau gedient, schätzte ihn, verehrte ihn, bewunderte ihn. Als Bonaparte den Thron bestieg, wurden Glückwünsche an Bonaparte aufgesetzt, und Hugo unterzeichnete sie wie die Übrigen; als man ihn jedoch dazu bringen wollte, Lügengeschichten über Moreau zu unterschreiben, die Moreau in den Prozess gegen Cadoudal verwickeln sollten, weigerte er sich rundheraus.

Bonaparte erfuhr von dieser Weigerung, und Napoleon entsann sich dessen.

Jeder weiß, wie nachtragend Bonaparte sein konnte. Major Hugo erfuhr eines Morgens, dass er zu der Armee eingeteilt war, die nach Neapel aufbrach, das heißt aus den Augen des Kaisers entfernt. Der Kaiser aber sah und belohnte nur jene, die in dem Kreis kämpften, den sein Blick erfasste.

Major Hugo konnte sich einstweilen das spanische Wort zur Devise nehmen, das seinem Sohn eine Zeit lang als Signatur diente: hierro (»Eisen«). Nach Obigem erübrigt es sich wohl zu sagen, dass der Major schon damals der Vater unseres großen Dichters Victor Hugo war.

Sein Sohn hat ihn in wenigen Zeilen voller Mitleid und Zorn verewigt:


Mein Vater, dieser Held mit mildem Lächeln,

Gefolgt von dem Husaren, den er liebte

Für dessen Tapferkeit und dessen Körpergröße,

Ritt eines Abends nach einem Gefecht

Über das Schlachtfeld voller Toten in der Dämmerung,

Und ihm war, als vernähm er einen leisen Laut.

Ein Spanier der geschlagenen Armee, die flüchtete,

Kroch blutend, röchelnd, keuchend und fast tot

Über die Walstatt und rief flüsternd: »Wasser, Wasser!«

Mein Vater reichte mitleidig seinem treuen Husaren

Die Feldflasche mit Rum von seinem Sattel

Und sprach: »Gib diesem armen Mann zu trinken.«

Und als der Reiter sich zu dem Verletzten beugte,

Griff dieser, der ein Mohr war, zu seiner Pistole,

Zielte auf meines Vaters Stirn und rief: »Caramba!«

Der Schuss verfehlte ihn um Haaresbreite,

Nahm seinen Hut mit, und sein Pferd bäumte sich auf,

»Gib ihm trotzdem zu trinken«, sprach mein Vater.


Загрузка...