67 Die Reise

Als die Festlichkeiten vorbei waren, erinnerte René den Shabundar an sein Versprechen, und schon am nächsten Tag erblickte er auf dem Kai vor seiner Slup drei Elefanten und ihre Führer. Der amerikanischen Besatzung vertraute René nicht genug, um die Runner of New York ihrer Obhut zu überlassen; wenn er hingegen Kernoch und seine sechs Bretonen auf dem Schiff zurückließ, konnte er sich auf den Hass zwischen den Nationen verlassen, was die Wachsamkeit betraf, und auf die bretonische Treue, falls es zu Handgreiflichkeiten kommen sollte. Aus diesem Grund nahm er nur François mit auf die Reise, seinen treuen Pariser.

Zwei Elefanten mit ihren Palankins, deren jeder bis zu vier Personen Platz bot, genügten für René und seine Begleiterinnen. Darüber hinaus nahm er zur Sicherheit die Zehn-Mann-Eskorte mit, zu denen der Shabundar ihm geraten hatte.

Jeder Mann und jedes Pferd würde ihn zehn Talks am Tag kosten; zwei zusätzliche Pferde für René und François würden mitgeführt werden, damit die beiden reiten konnten, wenn sie des Geschaukels in dem Palankin überdrüssig waren.

Der Führer der Eskorte rechnete mit einer dreitägigen Reise.

Da man unterwegs keine Dörfer besuchen würde, wurden zwei Pferde mit Vorräten beladen. Unterwegs wollte man durch die Jagd Abwechslung in den Speiseplan bringen.

Kernoch, dem die birmanischen Behörden für den Fall einer Auseinandersetzung mit seiner Mannschaft ihre Unterstützung zugesagt hatten, blieb zuversichtlich und beruhigt in Pegu zurück, während die kleine Karawane einem Nebenfluss des Pegu nach Osten folgte.

Am ersten Abend kampierte man vor dem Wald, in den man sich am Tag darauf wagen musste; noch war man in Nähe des Flusses, aus dem man sich mit Süßwasser für die weitere Reise versorgte.

Die Palankins konnten vom Rücken der Elefanten genommen und auf den Boden gestellt werden, wo sie als Zelte dienten, in denen die jungen Damen hinter ihren Moskitonetzen schlafen konnten.

Ein großes Feuer wurde entzündet, um Schlangen und andere gefährliche Tiere fernzuhalten. Der Führer der Eskorte behauptete, die Elefanten machten Wachen überflüssig, da diese klugen Tiere aus Instinkt Alarm schlügen, sobald irgendein Feind sich näherte.

René vertraute dieser Auskunft jedoch nicht, sondern wollte persönlich die Wache übernehmen; für die erste Hälfte der Nacht teilte er sich selbst ein, für die zweite François.

Die Fähigkeit der Elefanten, Gefahren zu wittern, war ihm allerdings nicht unbekannt.

Nach und nach machte René sich die zwei Kolosse gewogen, indem er ihnen frische Zweige voller Grün und apfelähnliche Früchte brachte, die sie sehr lieben. Diese intelligenten Tiere unterscheiden nach kürzester Zeit ohne Schwierigkeiten zwischen einem Menschen, der ihnen Nahrung bringt, weil er dafür zuständig ist und weil er ihr Elefantenführer ist, und einem Menschen, der ihnen aus Zuneigung den Luxus schenkt, der jedem denkenden Wesen unentbehrlich ist, so unentbehrlich, dass der Mensch ihn bisweilen dem Notwendigsten vorzieht. Da René keine Eifersucht wecken wollte, brachte er beiden Elefanten stets die gleiche Menge Leckereien.

Die Elefanten beäugten René zuerst mit einem gewissen Misstrauen, da ihnen die Beweggründe dieses Fremden für seine Zuwendung unerklärlich waren, doch sie ließen es sich schmecken. Dann führte René sie zu den beiden Schwestern, die ihnen ein paar frische Zuckerrohrhalme reichten, welche die Elefanten mit ihrem Rüssel gewandt entgegennahmen und mit sichtlichem Genuss verspeisten. Vor der Abreise hatte René einen kleinen Vorrat an Leckereien besorgen lassen, mit denen er sich die Zuneigung der Elefanten sichern wollte.

Die Nacht war ruhig; nur ab und zu kamen Panther ans Wasser, um zu trinken, und der eine oder andere Kaiman verließ den Dschungel auf der Suche nach Jagdglück; der wachhabende Elefant meldete diese Zwischenfälle zuverlässig, denn auch die Elefanten hatten sich die Nachtwache geteilt, ganz wie René und François, allerdings mit größerem Vertrauen in den Kameraden, als René es seinem Pariser Freund entgegenbrachte.

Um Mitternacht ging der Elefant, der bis dahin gewacht hatte, in die Knie und schlief ein, woraufhin sein Kamerad aufstand und die Wache übernahm.

Bei Tagesanbruch ließ der zweite Elefant ein Trompeten ertönen, das die Reisenden weckte.

In der Überzeugung, dass ihnen kein Ungemach widerfahren konnte, hatten die Schwestern so unbesorgt geschlafen, als wären sie zu Hause in ihrem Mädchenzimmer. Ausgeruht erhoben sie sich und atmeten die frische und duftende Morgenluft.

René trat zu ihnen; er hielt ein Büschel jener Pflanzen im Arm, an denen Elefanten sich besonders gern delektieren.

Hélène und Jane hatten sich den zwei riesigen Tieren bisher nicht ohne Furcht genähert, doch als sie sahen, wie freundlich die Tiere sie beäugten, verloren sie jede Furcht, ergriffen die Pflanzen, die René ihnen reichte, und fütterten die Elefanten, die mit genussvollem Grunzen fraßen. Als alles Grün vertilgt war, streichelten die Elefanten René mit ihren Rüsseln, denn sie hatten sehr wohl begriffen, dass er die Mädchen dazu gebracht hatte, ihnen die wohlschmeckenden Zweige zum Fressen zu geben.

Als die Kolosse gefressen hatten, blickten sie nach rechts und nach links, wie um anzudeuten, dass es noch an etwas fehle. Es handelte sich um das Zuckerrohr, das sie über alles liebten. Da sie völlig zu Recht danach verlangten, holte René die Halme und gab sie Hélène und Jane, damit diese die Elefanten bedienten, die genüsslich ihre Leckerei verzehrten.

Nach einem leichten Frühstück wurde die Tagesreise in zwei Abschnitte unterteilt: Die erste Pause sollte um elf Uhr vormittags an einem See erfolgen, wo man die größte Tageshitze abwarten wollte; die zweite Pause war für sieben Uhr abends an einer Lichtung vorgesehen, wo man die Nacht zu verbringen beabsichtigte.

Die zwei Schwestern stiegen wieder auf ihren Elefanten, der ob der Ehre, die ihm widerfuhr, sehr geschmeichelt wirkte. René und François bestiegen ihre Pferde, und François folgte René mit wenigen Schritten Abstand neben dem Elefanten der zwei Schwestern. Der Führer setzte sich an die Spitze der Gruppe, und die zehn berittenen Garden begleiteten ihre Schützlinge zur Linken und zur Rechten. Der zweite Elefant, auf dem nur sein Führer ritt, folgte dem ersten. In dem Wald war es so finster und die Atmosphäre war so bedrohlich, dass René sich um seine Freundinnen Sorgen machte, mochte alles andere ihm noch so gleichgültig sein. Er ließ den Führer kommen, der ein wenig Englisch sprach.

»Müssen wir in diesem Teil der Wälder«, fragte René, »mit Überfällen von Räubern rechnen?«

»Nein«, erwiderte der Führer, »in diesem Teil der Wälder gibt es keine Räuber.«

»Und welche Gefahren drohen uns hier?«

»Wilde Tiere.«

»Und was sind das für wilde Tiere?«

»Tiger, Panther und riesige Schlangen.«

»Gut«, sagte René, »reiten wir weiter.« Dann wandte er sich an François und sagte: »Hole mir zwei ordentliche Stücke Brot aus unseren Vorräten.«

François brachte ein in zwei Hälften geteiltes Brot.

Kaum wurden die Elefanten des Brots ansichtig, schienen sie zu wissen, dass es für sie bestimmt war.

Der Elefant mit dem leeren Palankin, der hinter dem anderen ging, näherte sich René, so dass dieser zwischen den zwei Kolossen gefangen war.

Die zwei Schwestern beugten sich voller Entsetzen aus ihrem Palankin. Noch ein Schritt eines der Elefanten, und René und sein Pferd würden zwischen den zwei Kolossen erdrückt.

René beruhigte die Mädchen mit einem Lächeln und zeigte ihnen die Brotstücke. Die Elefantenrüssel waren nicht bedrohlich erhoben, sondern umschlangen den jungen Mann zärtlich und liebevoll.

René ließ sich bitten wie eine Kokotte, die sich ziert, um die Gunst, die sie gewährt, kostbarer zu machen, und enthielt den Elefanten den leckeren Bissen einen Augenblick lang vor, bis er beiden das heißbegehrte Brotstück gab.

Dies war ein neuer Baustein zur Errichtung des Freundschaftstempels zwischen René und den riesigen Vierfüßlern.

»Was hat Ihnen unser Führer vorhin geantwortet?«, fragte Hélène.

»Jedem anderen als Ihnen würde ich sagen, er hätte behauptet, der Wald sei wildreich und wir müssten uns keine Sorgen ob unserer Verpflegung bis zum Land des Betels machen. Doch da Sie eine tapfere Reisegefährtin sind, will ich Ihnen die Wahrheit sagen, und die lautet, dass er uns empfiehlt, nachts kein Auge zuzumachen, es sei denn, verlässliche Augen wachten über uns. Sie können dennoch ruhig schlafen, denn ich werde über Sie wachen.«

Seit sie in dem Wald weilten, war ihnen, als wären sie in einer Kirche; die Reisenden senkten die Stimme, als fürchteten sie, belauscht zu werden. Das Tageslicht war entschwunden, als wäre es bereits sechs Uhr abends, der Blätterhimmel der Bäume war so dicht, dass kein Vogelgezwitscher zu vernehmen war, und man hätte meinen können, die Nacht bräche herein, allerdings ohne die gewohnten Geräusche der Tiere, die erwachen, wenn der Tag endet, und deren Sonnenschein die Finsternis ist, denn im Dunkeln lieben sie, fressen sie und trinken sie, tagsüber aber schlafen sie.

Wahrhaftig furchterregend war die Gewalt dieser Natur, wo ein Sturm eine Sandwüste zu einem Ozean aufwühlt, wo ein einziger Baum einen ganzen Wald ausmacht und wo in den finstersten Tiefen des Waldes, in die gewiss nie ein Lichtstrahl dringt, Blüten in schillerndsten Farben und betörende Düfte anzutreffen sind, indes andere Pflanzen, die im Schatten darben und nur in der Sonne gedeihen, dem Licht entgegenstreben, sich an jedem erstbesten Zweig festhalten, weiterklettern, den Baumwipfel erreichen und dort ihre Blüten öffnen, als wären es in Smaragd eingefasste Rubine oder Saphire; auf den ersten Blick könnte man sie für die Blüten der riesigen Bäume halten, so groß und mächtig wirken sie, doch wenn man ihren Stamm sucht, sieht man eine schmächtige Liane, so dünn wie eine Drachenschnur. In diesen Urwäldern ist alles geheimnisumwoben, doch diese Aura des Geheimnisvollen führt zur schwermütigsten aller Vorstellungen, der des Todes.

Denn der Tod ist dort allgegenwärtig. In jenem Gebüsch lauert der Tiger, auf jenem Ast kauert der Panther. Der weiche, gewundene Stengel, der aussieht wie ein sechs oder acht Fuß über dem Boden gekappter Baum, ist der Kopf einer Schlange mit zusammengerolltem Körper, die ihr Opfer über eine Entfernung von fünfzehn bis zwanzig Fuß erreicht, wenn sie losschnellt. Jener See dort, so ungetrübt wie ein großer Spiegel, beherbergt neben den uns bekannten tödlichen Bewohnern, den Kaimanen, Krokodilen und Alligatoren, auch den riesigen Kraken, den noch kein Fischer vom Grund des Sees an die Oberfläche zu ziehen vermochte und der ein Pferd samt Reiter verschlingen kann, wenn er das Maul aufreißt. Denn wir befinden uns nunmehr in Indien, in dem fruchtbarsten und tödlichsten Teil unseres Universums.

All diese Überlegungen stellte René an, während er unter dem stummen und dunklen Blätterdach voranschritt, das hin und wieder ein schwacher Sonnenstrahl mühsam durchdrang. Mit einem Mal gelangte man aus dem trübsten Dämmerlicht in die strahlendste Helligkeit, als höbe sich ein Vorhang: Die Reisenden waren in Sichtweite des Sees angekommen; um ihn zu erreichen, mussten sie eine Blumenwiese überqueren, wie man sie nur aus Träumen kennt – ein wahres Stück Paradies, das auf die Erde gefallen war. Dichte Blumenhecken, von keinem Botaniker je klassifiziert, verströmten einen so überwältigenden Duft, dass begreifbar wurde, dass man daran sterben konnte. Die Vögel erinnerten an Fabelwesen mit ihren unerhörten Schreien, ihrem smaragdgrünen, rubinroten und saphirblauen Gefieder, und am Horizont erstreckte sich der See wie ein azurblauer Teppich.

Ein Ausruf des Wohlbehagens entrang sich allen Reisenden, als sie nach dem finsteren Wald diese friedvolle Wiese und den prachtvollen See erblickten; die Brust weitete sich, man konnte wieder frei atmen.

Man überquerte die Wiese; schlängelnde Bewegungen im Gras verrieten, dass man Reptilien aufgescheucht hatte. Der Führer, immer auf der Hut, erschlug mit seinem Stock eine kleine Schlange von kaum einem Fuß Länge und mit einem Muster aus gelben und schwarzen Vierecken, deren Biss tödlich ist und die in birmanischer Sprache Schachbrettschlange heißt.

Der Führer erklärte den Reisenden eine Besonderheit des Bisses dieser Giftschlange: die nämlich, dass das Opfer unabhängig von der Tageszeit des Bisses entweder abends bei Sonnenuntergang oder morgens bei Sonnenaufgang stirbt.

Keiner der Reisenden und keines ihrer Reittiere wurde gebissen, und nicht viel später erreichten sie das Seeufer, an dem die Mittagsrast vorgesehen war.

Unterwegs hatte René im Gras Vögel geschossen, die aussahen wie Rebhühner, und Gazellen von Hasengröße. Als guter Pariser hatte François seine Kochkünste in der Vorstadt erworben und konnte mit Gazellen und Rebhühnern recht vernünftig umgehen.

Es erübrigt sich zu sagen, dass René wie gewohnt die Elefanten betreute; als er sah, wie gierig sie die Rüssel nach den Blättern eines Baums ausstreckten, dessen große weiße und rote Blüten wie Fuchsien aussahen, sie aber nicht erreichten, fragte er François, ob seine Ausbildung zum Pariser Gassenjungen ihn auch gelehrt habe, Bäume zu erklettern. Als der andere bejahte, drückte René ihm ein Gartenmesser in die Hand und bat ihn, so viele Zweige wie möglich zu schneiden.

Die Elefanten sahen diesem Vorgehen voller Freude zu, und sie streichelten liebkosend Renés Hände.

René hieß die zwei jungen Mädchen absteigen, und sie beobachteten mit großem Vergnügen die Herausbildung eines Instinkts, der dem menschlichen Denken so nahe kommt. Kaum hatten sie den Boden betreten, stürzten die Elefanten sich auf die Zweige und begannen zu schmausen, unterbrochen von genussvollem Schmatzen und liebevollen Blicken, mit denen sie René und seinen Freundinnen ihren Dank bezeigten.

Alle genossen die Mittagsmahlzeit und die Ruhepause, die sich anschloss, ohne jede bange Vorahnung. Unvorstellbar, dass an einem so schönen Tag in einer so schönen Umgebung irgendeine Gefahr lauern sollte.


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