61 Die Rückkehr (1)


Leconte de Lisle, der, wie es heißt, von der Académie Française als Kandidat in Betracht gezogen wird und der offenbar auf der Insel Bourbon, der Île de France oder in Indien gelebt hat, zeichnet uns in einer entzückenden Dichtung mit dem Titel »Le Manchi« das Bild einer jungen Frau, die in ihrer Sänfte spazieren getragen wird:


So kamst du aus den Bergen hinab zum Gottesdienst

Im sanften, milden Morgenlicht.

In deiner Jugendanmut Rosenduft,

Getragen von deinen Indern gemessenen Schritts.

Möge unser Leser sich nicht dazu versteigen zu glauben, der gemessene Schritt unserer Träger hätte das Geringste mit den Versen des Dichters gemein. Nichts ist weniger poetisch als ihre wilden Gesänge, nichts ist weniger melodisch als die Töne, in denen sie erklingen. Wenn der primitive Mensch eines in wenigen Worten ausgedrückten Gedankens und einer schlichten Melodie habhaft geworden ist, wiederholt er beides ohne Unterlass, und dies befriedigt seinen Geist und sein Ohr gleichermaßen. Hélènes und Janes Träger schöpften folglich keinerlei Inspiration aus der Schönheit der beiden Fremden und besangen nicht etwa die dunkleren Augen und Haare der einen oder die blonden Haare und blauen Augen der anderen, sondern begnügten sich mit einem Singsang, den ein Ausruf beendete, der nicht unähnlich dem Seufzer klang, mit dem der Bäcker sein Brot knetet:


Da Herrin geschafft

Bergauf … uff!!!

Wenn es bergab geht, müssen sie nur ein einziges Wort ändern, und sie singen:


Da Herrin geschafft

Bergab... uff!!!

Von Zeit zu Zeit wechselten die Ersatzträger mit den anderen Trägern den Platz; man setzte sich wieder in Bewegung, und der immer gleiche monotone und klagende Gesang ertönte, bis das Ziel erreicht war.

Es kommt vor, dass ein verliebter Dichter, der nach seiner Geliebten schmachtet, die gewohnten Grenzen des Liedes oder der Elegie zu sprengen versucht und den ersten vier Versen vier weitere hinzufügt. Ein anderer, in ähnlicher Gemütsverfassung, fügt abermals vier hinzu, ein dritter wiederum vier, und nach und nach wird aus dem Klagegesang des Ersten eine Dichtung, an deren Entstehung alle beteiligt sind, vergleichbar den homerischen Gesängen. Und das Gedicht erhält eine neue Bestimmung: Ob traurig oder fröhlich, wird es zu einem Tanzlied, das die Bamboula begleitet, den Cancan der Neger, der weniger Bein zeigt, aber aufreizender ist als unser Cancan.

Für gewöhnlich tanzen die Neger vor dem Tisch der Herrschaften, während diese speisen. An diesem Tisch befinden sich oft junge Mädchen, zwölf bis fünfzehn Jahre alt, was in den Kolonien einem Alter von achtzehn bis zwanzig Jahren in Europa entspricht. Für diese jungen Mädchen sind die Tänze unterhaltsam, ein heiterer Anblick, der keinen tiefen Eindruck hinterlässt und die Phantasie nicht erhitzt.

Als nach der Rückkehr vom Lataniers-Fluss der letzte Gang der Mahlzeit aufgetragen wurde, war auch die Zeit für den Negertanz gekommen; eine Kapelle wurde zusammengestellt, um den Tisch wurde ein Kreis freigehalten, und jeder Neger verwandelte sich in einen Kerzenleuchter, indem er einen Krummholzzweig in die Hand nahm – einem Rebstock nicht unähnlich, und dieses Holz brennt umso besser, je grüner es ist -, anzündete und mit dieser Fackel die Tanzfläche von dreißig Fuß Umfang und zehn Fuß Durchmesser beleuchtete. Dann betrat eine Negerin die freie Fläche und begann folgendes naive, vielleicht ein wenig zu naive Lied zu singen:


Tanzt Callada,

Zizim, bumm, bumm;

Tanzt Bamboula,

Heissassa, ja!

Alle Neger und Negerinnen wiederholten den Refrain, den die Vorsängerin gesungen hatte, und wiegten sich dazu, als tanzten sie auf der Stelle, genau wie die Solistin auf der Tanzfläche. Diese sang nun:


Die Sonntag in die Stadt ich geh

Und suche nette Zeitvertreib

Und hübsche junge Mann ich seh

Macht schöne Aug und gute Zeit.

Alle wiederholten den Refrain:


Tanzt Callada,

Zizim, bumm, bumm;

Tanzt Bamboula,

Heissassa, ja!

Und daraufhin sprangen die Neger auf die Tanzfläche und tanzten.

Bald war das Gedränge so dicht, dass den Tänzern Einhalt geboten werden musste. Sie gehorchten, verließen die Tanzfläche, und auch die Sängerin reihte sich ein; auf die leere Tanzfläche trat nun Bambou, Surcoufs schwarzer Diener, und sang in dem kreolischen Dialekt von Martiniqe:


Zizim, tralala,

Zizim, tralala,

Zizim, tralala.

Freunde, tanzt die Bamboula.


Kein Arbeit nix, ich mir nix denk,

Kein Schufte nix, ich mir nix denk,

Wenn Strafe setzt, ich mir nix denk,

Mein Schatz sein Schmatz, ich gerne denk.

Obwohl Bambou im Dialekt der Insel Martinique gesungen hatte, verstanden die Neger der Île de France ihn ohne Schwierigkeiten und wiederholten den Refrain und tanzten dazu noch leidenschaftlicher als zuvor. Mehrmals hatte René, der die Wendungen verstand und auch die Gesten, die jungen Mädchen gefragt, ob sie sich nicht zurückziehen wollten, doch diese sahen in dem Singen und Tanzen nur ein unterhaltsames Spektakel und baten, bleiben zu dürfen. Als aber die Nacht hereinbrach, wurden auf einen Befehl Renés die Sänften für die Damen und die Pferde für die Herren gebracht, und das Zeichen zum Aufbruch wurde gegeben.

Und nun beendete ein Schauspiel, auf das niemand gefasst war, den herrlichen Tag und krönte ihn mit einer prachtvollen Prozession. Die zwei- bis dreihundert Neger, die wie Raubtiere durch den Geruch des frischen Fleischs angelockt worden waren und sich mit den üppigen Jagdüberschüssen versorgt hatten, wollten ihre Dankbarkeit bezeigen, indem sie ihre Gastgeber zurückgeleiteten.

Jeder von ihnen versah sich mit einem Zweig jenes Holzes, in dessen Schein die entlaufenen Negersklaven Paul und Virginie zur letzten Ruhe bringen, und in Begleitung dieses Fackelzugs machten die Reisenden sich auf den Rückweg nach Port Louis.

Es lässt sich kaum etwas Malerischeres denken als diese wandelnde Illumination, die auf ihrem Weg die herrlichsten Landschaften in ihr Licht tauchte, Landschaften, die sich ununterbrochen veränderten: Im einen Augenblick bot sich dem Auge eine mit dichten Baumgruppen bestückte Ebene, im nächsten ragte ein Berg empor, über dem man das Kreuz des Südens funkeln sah, und im wieder nächsten gaben Berge und Wälder unversehens den Blick auf die endlose Weite des Meeres frei, dessen unbewegte Oberfläche den silbrigen Schein des Mondes wie ein Spiegel zurückwarf. Das Licht der Fackelträger störte mannigfaltiges Wild auf, Hirsche, Wildschweine, Hasen, bei dessen Anblick Freudenrufe laut wurden und die Fackeln die Jagdbeute einzukreisen versuchten, woraufhin diese vor ihren Verfolgern ausriss, so dass deren Fackeln ein langes Band aus Feuer bildeten; wenn das Tier ihnen dann entkam, verstreuten sich die einzelnen Flammen und sammelten sich wieder zum Gefolge der Reisenden; doch am vielleicht bemerkenswertesten an diesem Rückweg war, dass er mitten durch den Wohnort der Malabaren führte. Die Île de France, Zuflucht für Menschen aus ganz Indien, besaß auch eine malabrische Bevölkerung; diese Flüchtlinge von der südöstlichen Küste Indiens, die an das arabische Meer grenzt, haben sich zu einem eigenen Stadtteil zusammengefunden, in dem sie unter sich leben und sterben, wenn man es so nennen will. In einigen Häusern brannte noch Licht, doch in allen Fenstern und Türöffnungen zeigten sich die schönen olivbraunen Gesichter der Frauen mit ihren großen schwarzen Augen und seidigen Haaren. Fast ausnahmslos waren die Frauen in lange Gewänder aus Leinen oder Batist gekleidet, goldene oder silberne Armringe an den Armen und Ringe an den Zehen, so dass man sie mit ihren ebenmäßigen Zügen und in ihren langen weißen Gewändern für ausgegrabene römische oder griechische Statuen hätte halten können.

Vom Viertel der Malabaren ging es zurück in die Rue de Paris und von dieser in die Rue du Gouvernement, wo der Hotelier des Hôtel des Étrangers seine Gäste vor der Tür mit allen Ehrenbezeigungen empfing.

Die zwei jungen Mädchen waren sichtlich ruhebedürftig, denn so sanft die Bewegung der Sänfte ist, ermüdet sie den, der daran nicht gewöhnt ist, beträchtlich. Hélène und Jane verabschiedeten sich daher alsbald von René, nicht ohne ihm für den herrlichen Tag zu danken, den er ihnen verschafft hatte. In ihrem Zimmer nahm Hélènes Gesicht wieder den melancholischen Ausdruck an, den sie bislang unterdrückt hatte, und in einem Ton des Kummers, nicht des Vorwurfs, sagte sie zu ihrer Schwester: »Jane! Jane, ich glaube, es wäre an der Zeit, dass wir für unseren Vater beten.«

Jane schossen die Tränen aus den Augen, sie warf sich ihrer Schwester in die Arme, kniete dann neben ihrem Bett nieder, bekreuzigte sich und flüsterte: »O Vater, vergebt mir!«

Wovon sprachen diese Worte?

Zweifellos von einer neuen Empfindung, die in ihrem Herzen keimte und die im Verein mit ungewohnten Belustigungen und dem Ortswechsel die Erinnerung an ihren Vater überschattet hatte.


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