Kapitel 15

Fast den ganzen nächsten Tag verbrachte ich in Joannas Bett. Sie gab mir eine Tasse Kaffee zum Frühstück, dazu ein liebes Lächeln und den Befehl, jetzt zu schlafen. Ich schlüpfte in den Schlafanzug, den sie mir gekauft hatte, träumte von ihr auf ihrem eigenen Kissen und unternahm nichts Anstrengenderes, als gelegentlich meinen Blutdruck zu steigern, indem ich an Kemp-Lore dachte.

Ich war am Abend zuvor in leicht demoliertem Zustand an ihrer Schwelle eingetroffen, nachdem ich Tick-Tock und seine Freundin mit dem Taxi zum >White Bear< in Uxbridge gebracht hatte, wo, wie ich richtig vermutete, der Mini-Cooper auf dem Parkplatz stand. Ich war überzeugt davon gewesen, daß Kemp-Lore in seinem eigenen Wagen zum >White Bear< gefahren war, den Mini-Cooper für seinen Ausflug zu der verlassenen Stallung benützt und nach der Rückkehr wieder in sein eigenes Auto umgestiegen war. Trotzdem erleichterte es mich, den kleinen Mini unbeschädigt wiederzufinden.

Tick-Tocks Bemerkungen über meine Nachlässigkeit mit Besitztümern, die ich mit anderen zu teilen hätte, verstummten, als er meine Armbanduhr, die Brieftasche und alle anderen Sachen aus meinen Taschen im Handschuhfach, meinen Sakko, den Mantel und ein weißes Nylonseil auf dem Rücksitz fand.

»Warum, zum Teufel, hast du deine Sachen hiergelassen?« sagte er langsam. »Ein Wunder, daß man sie nicht gestohlen hat, und den Wagen dazu.«

»Das liegt am Nordostwind«, antwortete ich ernsthaft.

»Wie beim Mond, verstehst du? Ich mach’ nur verrückte Sachen, wenn der Nordostwind weht.«

»Von wegen.« Er grinste, nahm Sakko und Mantel und trug sie in das wartende Taxi. Dann schob er zu meiner Überraschung die kleineren Sachen in meine Hosentaschen und gab mir die Uhr.

»Du magst ja alle anderen Leute hereingelegt haben«, sagte er leichthin, »aber für mich hast du den ganzen Tag ausgesehen wie ein Geist, und das hängt mit deinen Händen zusammen. Die Handschuhe sind neu . du trägst doch sonst keine. Was war los?«

»Zerbrich dir nur den Kopf«, sagte ich liebenswürdig und stieg ins Taxi, »wenn du nichts Besseres zu tun hast.« Ich sah zu seiner kleinen Freundin hinüber, er lachte, schnippte mit den Fingern und ging hinüber, um ihr in den Mini-Cooper zu helfen.

Der Taxi chauffeur, guter Stimmung, weil er auf drei Sieger gesetzt hatte, fuhr mich ohne die geringste Beschwerde über den Umweg zu Joanna. Als ich bezahlte und ihm ein dickes Trinkgeld gab, sagte er: »Haben Sie auch auf einen Sieger gesetzt?«

»Ja«, sagte ich. »Template.«

»Komisch«, sagte er. »Ich hab’ auch auf ihn gewettet, weil Sie gesagt haben, daß man nicht alles glauben soll, was man so hört. Sie hatten sogar recht, was? Dieser Finn ist noch lange nicht erledigt. Ein tolles Rennen. Ich glaub’, auf den setz’ ich wieder.« Er legte den Gang ein und fuhr davon.

Während ich seinen über die Pflastersteine dahinhoppelnden Heckleuchten nachsah, fühlte ich mich unsinnig glücklich und wieder ganz im Einklang mit mir selbst. Mein Sieg im Rennen war den Einsatz wert gewesen. Und der Taxichauffeur hatte mir, ohne zu wissen, wen er vor sich hatte, noch eine Prämie geschenkt, nämlich daß ich, was die Anhänger des Rennsports anging, wieder im Geschäft war. Restlos erschöpft, aber zufrieden, lehnte ich mich an Joannas Türpfosten und läutete.

Das war aber noch nicht ganz das Ende der anstrengendsten vierundzwanzig Stunden meines Lebens. Meine teilnahmsvolle Cousine, die zu Recht voraussah, daß ich mich weigern würde, noch einen Arzt aufzusuchen, hatte gleich einen mitgebracht. Er wartete schon auf mich, als ich die Wohnung betrat, ein barscher Schotte mit buschigen Brauen und drei Warzen am Kinn.

Mein aufgebrachter Protest, daß ich nicht in der Verfassung sei, seine Behandlungsmethoden über mich ergehen zu lassen, begegnete tauben Ohren. Sie setzten mich in einen Stuhl. Wieder mußte ich mich ausziehen, die Lederhandschuhe und die seidenen, die ich nach dem Rennen nicht abgelegt hatte, dann den Anorak, das Hemd meines Vaters, den Unterjersey und die Gazestücke, die mir Joanna am Morgen aufgeklebt hatte, und schließlich die blutdurchtränkten Verbände an den Handgelenken. Gegen Ende dieser recht unbarmherzigen Entkleidungsszene begann sich das Zimmer um mich zu drehen, und ich kippte bedauerlicherweise auf den Boden, einer Ohnmacht näher als je zuvor.

Der Schotte hob mich auf, setzte mich wieder in den Stuhl und befahl mir, mich zusammenzunehmen und ein Mann zu sein.

»Sie haben nur ein ganz klein bißchen Haut verloren«, sagte er streng.

Ich begann erschöpft zu lachen, was auch nicht besonders gut aufgenommen wurde. Er war keine Frohnatur. Als ich auf seine Fragen den Kopf schüttelte und mich weigerte zu erzählen, was mir zugestoßen war, preßte er die Lippen zusammen, bis die Warzen zitterten. Aber er verband mich geschickt und gab mir ein paar Schmerztabletten, die sich als sehr wirksam erwiesen. Als er gegangen war, stieg ich in Joannas Bett und versank dankbar in Schlummer.

Joanna arbeitete fast den ganzen nächsten Tag an ihrem Porträt. Als ich aufwachte, saß sie vor der Leinwand und sang leise. Nicht die ausgefallenen Lieder, auf die sie spezialisiert war, sondern eine gälische Ballade, sanft und traurig. Ich lag da und lauschte mit geschlossenen Augen, weil ich wußte, daß sie aufhören würde, sobald sie mich wach sah. Sie sang die Ballade zu Ende und begann mit einer neuen. >I know where I’m going and I know, who’s going with me; I know who I love, but the dear knows, who’ll I marry. Some say he’s black, but I know he’s bonny ...< Sie verstummte plötzlich und sagte: »Verdammt noch mal!« Ich hörte sie die Palette und den Pinsel wegwerfen und in die Küche gehen.

Nach einer Weile setzte ich mich auf und rief: »Joanna?«

»Ja?«

»Ich bin am Verhungern.«

»Oh.« Ich hörte ein ersticktes Lachen, dann rief sie: »Gut. Ich koch’ dir was.«

Und sie kochte: Brathuhn mit grünen Maiskolben, Ananas und Speck. Während der appetitanregende Geruch aus der Küche hereinströmte, stand ich auf, zog mich an und zog ihr Bett ab. Im Bettkasten lag frische Wäsche. Ich überzog Decke und Kopfkissen und breitete ein sauberes Laken aus.

Sie brachte ein Tablett mit Tellern und Besteck herein, sah die gebrauchte Wäsche und das frischgemachte Bett.

»Was tust du denn da?«

»Das Sofa ist nicht gut für dich. Offenbar hast du schlecht geschlafen, deine Augen sind gerötet.« »Damit hat es nichts ...«, begann sie, überlegte es sich aber anders.

»Es liegt nicht am fehlenden Schlaf?« fragte ich.

Sie schüttelte den Kopf. »Essen wir.«

»Was ist denn dann los?« wollte ich wissen.

»Nichts, nichts. Sei still und iß.«

Ich gehorchte. Schließlich hatte ich einen Mordshunger. Sie sah mir zu, als ich restlos alles aufaß. »Du fühlst dich besser«, erklärte sie.

»Oh, ja. Viel besser. Das verdanke ich dir.«

»Und du schläfst heute nicht hier?«

»Nein.«

»Du kannst es mit dem Sofa versuchen«, meinte sie leise. »Damit du weißt, was ich für dich erduldet habe.«

Ich reagierte nicht sofort, und sie fügte impulsiv hinzu: »Ich möchte, daß du bleibst, Rob. Bleib!«

Ich sah sie prüfend an. Bestand die leiseste Chance, daß ihre traurigen Lieder, die Tränen in der Küche und jetzt ihr Widerstreben gegen mein Fortgehen zu bedeuten hatten, daß sie unsere, wenn auch entfernte Verwandtschaft unangenehmer fand, als sie erwartet hatte? Mir war immer klar gewesen, daß sie sich nicht mehr zurechtfinden würde, falls, sie mich jemals liebgewinnen sollte, wie ich es mir vorstellte, und es ihr nicht gleichzeitig gelang, ihr starres Vorurteil gegen unsere Verwandtschaft aufzugeben. Wenn sie sich jetzt damit auseinandersetzen mußte, durfte ich sie nicht im Stich lassen.

»Also gut«, sagte ich lächelnd, »vielen Dank. Ich bleibe. Auf dem Sofa.«

Sie wurde plötzlich sehr lebendig und gesprächig und erzählte mir mit allen Einzelheiten, wie das Rennen und das anschließende Interview im Fernsehen gewirkt hatten.

»Zu Anfang sagte er, dein Name müsse durch einen Irrtum auf der Ansagetafel erschienen sein, weil er gehört habe, daß du nicht da seist; ich begann mir schon Sorgen zu machen, ob du unterwegs zusammengebrochen sein könntest. Aber du warst natürlich dort ... und nachher saht ihr wie enge Freunde aus, er mit dem Arm um deine Schultern und du mit deinem strahlenden Lächeln. Wie hast du das nur fertiggebracht? Aber er wollte dich ärgern, nicht wahr? Ich hatte so ein Gefühl, aber das lag vielleicht daran, daß ich wußte ...« Sie verstummte plötzlich und sagte in ganz anderem, ernsten Tonfall: »Was fängst du mit ihm an?«

Ich erzählte es ihr. Es dauerte eine Weile. Sie war entsetzt. »Das kannst du nicht tun«, sagte sie.

Ich lächelte sie an, schwieg aber.

»Er hat nicht gewußt, worauf er sich einläßt, wie er mit dir anbinden wollte.«

»Hilfst du mir?« fragte ich. Ohne ihre Hilfe ging es nicht.

»Willst du es dir nicht lieber überlegen und zur Polizei gehen?« fragte sie ernsthaft.

»Nein.«

»Aber das, was du vorhast, ist grausam.«

»Ja«, gab ich zu.

»Und kompliziert, anstrengend und teuer.«

»Ja. Rufst du für mich an?«

Sie seufzte und sagte: »Du meinst nicht, daß du nachgiebiger wirst, wenn die Schmerzen aufhören?«

»Ich bin ganz sicher«, sagte ich.

»Ich überleg’ es mir«, erwiderte sie, stand auf und räumte das Geschirr zusammen. Beim Abwaschen wollte sie sich nicht helfen lassen, also ging ich zur Staffelei, um zu sehen, woran sie den ganzen Tag gearbeitet hatte; mit ei-nigem Erstaunen sah ich, daß es ein Bild meiner Mutter am Flügel war.

Ich starrte das Bild immer noch an, als sie zurückkam.

»Es ist nicht sehr gut geworden«, meinte sie und blieb neben mir stehen. »Beim Flügel stimmt die Perspektive nicht.«

»Weiß Mutter, daß du sie malst?«

»O nein«, sagte sie.

»Wann hast du damit angefangen?«

»Gestern nachmittag«, überlegte sie.

Es blieb eine Weile still, dann sagte ich: »Es nützt dir gar nichts, dir einreden zu wollen, daß deine Gefühle für mich mütterlicher Natur sind.«

Sie zuckte überrascht zusammen.

»Ich will nicht bemuttert werden«, rief ich, »ich will eine Frau.«

»Ich kann nicht ...«:, sagte sie gepreßt.

Ich drehte mich um, weil ich das Gefühl hatte, sie zu früh gedrängt zu haben. Joanna nahm einen in Terpentin getränkten Lappen und verwischte ihre Arbeit.

»Du siehst zuviel«, sagte sie. »Mehr als ich selbst begriffen habe.«

Ich lächelte sie an, und nach einer Weile lächelte sie auch mühsam. Sie wischte sich die Finger mit dem Lappen ab und hängte ihn an die Staffelei. »Ich mach’ das mit dem Anruf«, sagte sie. »Du kannst anfangen, mit dem - was du vorhast.«

Am nächsten Vormittag, dem Montag, nahm ich mir einen Leihwagen und suchte Grant Oldfield auf.

Der starke Nachtfrost, der an diesem Tag auch keine Rennen zuließ, hatte Hecken und Bäume mit Reif überzuckert. Ich genoß die Fahrt, obwohl ich mit einem kalten Empfang rechnete. Ich hielt vor der Gartentür, ging zum Haus und läutete.

Mir war gerade aufgefallen, daß die Messingplatte frisch poliert war, als die Tür aufging und eine hübsche, dunkelhaarige junge Frau in einem grünen Wollkleid mich fragend ansah.

»Ich komme ...«, sagte ich, »ich wollte ... äh ... können Sie mir vielleicht sagen, wo ich Grant Oldfield finde?«

»Im Haus«, sagte sie. »Er wohnt hier. Ich bin seine Frau. Einen Moment, ich hol’ ihn gleich. Wie heißen Sie, bitte?«

»Rob Finn«, sagte ich.

»Oh«, sagte sie überrascht und lächelte freundlich. »Kommen Sie doch ‘rein. Grant wird sich so freuen!«

Ich bezweifelte es, trat aber in den schmalen Korridor. Sie schloß die Tür hinter mir. Alles war peinlich sauber; es schien nicht dasselbe Haus zu sein, in dem ich schon gewesen war. Sie führte mich zur Küche und öffnete die Tür. Auch hier strahlte alles vor Sauberkeit. Grant saß am Tisch und las die Zeitung. Er hob den Kopf, als seine Frau hereinkam, und als er mich sah, begann auch er, breit zu lächeln. Er stand auf. Er sah magerer und älter aus und schien auf undefinierbare Weise eingeschrumpft zu sein, aber er war wieder, oder würde es bald sein, ein ganzer Mann.

»Wie geht’s, Grant«, sagte ich unsicher, weil ich nicht verstand, warum sie so freundlich waren.

»Viel besser, danke«, antwortete er. »Ich bin jetzt schon vierzehn Tage zu Hause.«

»Er war im Krankenhaus«, erklärte seine Frau. »Sie haben ihn, am Tag, nachdem Sie ihn heimbrachten, eingeliefert. Dr. Parnell schrieb mir einen Brief, daß Grant krank sei und nichts dafür könne. Ich bin zurückgekommen.« Sie lächelte Gram an. »Und jetzt geht es uns wieder ordentlich. Grant hat eine Stellung. Er fängt in zwei Wochen an, als Spielwarenverkäufer.«

»Spielwaren?« sagte ich erstaunt.

»Ja«, sagte sie. »Die Ärzte meinten, es wäre besser für ihn, nichts mehr mit Pferden zu tun zu haben, damit er nicht wieder darüber nachbrütet.«

»Wir haben Ihnen viel zu verdanken, Rob«, sagte Grant.

»Dr. Parnell sagte mir«, meinte seine Frau, als sie meine Überraschung bemerkte, »daß Sie durchaus berechtigt gewesen wären, ihn der Polizei zu übergeben, statt ihn hierher zu bringen.«

»Ich hab’ versucht, Sie umzubringen«, sagte Grant verwundert, als könne er nicht mehr verstehen, was er getan hatte. »Ich habe wirklich versucht, Sie umzubringen, wissen Sie.«

»Dr. Parnell meinte, Grant hätte in einer Heilanstalt landen können, wenn Sie anders reagiert hätten.«

Ich sagte verlegen: »Dr. Parnell scheint mir ein bißchen zu viel zu reden.«

»Er machte mir klar«, fuhr sie lächelnd fort, »daß Sie Grant noch eine Chance gegeben haben und ich verpflichtet wäre, das auch zu tun.«

»Macht es Ihnen etwas aus«, sagte ich zu Grant, »wenn ich Sie frage, wie es zu dem Zerwürfnis mit Axminster kam?«

Mrs. Oldfield trat neben ihren Mann. »Fangen Sie bitte nicht wieder davon an«, bat sie besorgt, »das tut ihm nicht gut.«

»Mach dir keine Sorgen, Liebling«, sagte Grant und legte den Arm um ihre Hüften, »fragen Sie.«

»Ich glaube, Sie haben die Wahrheit gesagt, als Sie Ax-minster erklärten, Lubbock, diesem Berufswetter, keine Informationen verkauft zu haben«, meinte ich. »Aber Lubbock bekam Informationen und bezahlte dafür. Die Frage ist, wem hat er das Geld gegeben, wenn er glaubte, es Ihnen zu bezahlen?«

»Sie täuschen sich, Rob«, sagte Grant. »Ich habe damals dauernd darüber nachgedacht und bin sogar bei Lubbock gewesen und hab’ ihm ziemlich deutlich die Meinung gesagt ...«, er lächelte bedrückt. »Lubbock sagte, daß er sich, bevor er James Axminster darauf angesprochen habe, nicht im klaren darüber gewesen sei, von wem er die Informationen kaufte. Er habe angenommen, daß ich es sei, meinte er. Aber er sagte, ich hätte ihm die Tips per Telefon gegeben, und das Geld habe er mir auf den Namen Robinson postlagernd in London überwiesen. Er glaubte mir natürlich nicht, daß ich von der Sache nichts wußte. Er nahm an, daß ich mich nicht ausreichend gedeckt hätte und jetzt versuchen wollte, mich reinzuwaschen.« Seiner Stimme war keine Bitterkeit anzumerken. Der Aufenthalt in der Nervenklinik oder seine Krankheit selbst schienen ihn von Grund auf umgewandelt zu haben.

»Können Sie mir Lubbocks Adresse geben?« fragte ich.

»Er wohnt in Solihull«, erklärte er. »Das Haus würde ich vielleicht wieder erkennen, aber ich weiß nicht, wie die Straße heißt.«

»Ich finde schon hin«, meinte ich.

»Was haben Sie denn davon?« fragte er.

»Wäre es für Sie von Bedeutung, wenn ich beweisen könnte, daß Sie die ganze Zeit die Wahrheit gesagt haben?«

Seine Miene belebte sich. »Na und ob«, sagte er. »Sie können sich nicht vorstellen, was das für ein Gefühl war, die Stellung zu verlieren, obwohl ich nichts getan hatte.«

Ich sagte ihm nicht, daß ich das sehr gut nachfühlen konnte.

»Schön, dann werde ich mein Bestes tun«, meinte ich.

»Aber du fängst nicht wieder mit dem Reiten an?« fragte seine Frau besorgt. »Du fängst nicht wieder von vorne an?«

»Nein, Liebling, mach dir keine Sorgen«, beruhigte er sie. »Es macht mir bestimmt Spaß, Spielzeug zu verkaufen. Wer weiß, vielleicht machen wir uns nächstes Jahr selbständig, sobald ich im Geschäft bin.«

Ich legte die fünfzig Kilometer nach Solihull zurück, suchte Lubbocks Namen im Telefonbuch und rief bei ihm an. Eine Frau meldete sich. Sie sagte, er sei nicht zu Hause, aber wenn ich ihn dringend sprechen müsse, könne ich ihn wahrscheinlich im Queens-Hotel in Birmingham finden, weil der dort zu Mittag esse.

Nachdem ich mich zweimal verirrt hatte, fand ich wie durch ein Wunder vor dem Hotel einen Parkplatz und ging hinein. Ich schrieb auf dem Briefpapier des Hotels einen kleinen Brief, in dem ich Mr. Lubbock, den ich ja nicht einmal vom Sehen kannte, bat, ob er so freundlich sein und mir ein paar Minuten gönnen könne. Ich klebte den Umschlag zu und bat den Empfangschef, Mr. Lubbock den Brief von einem Pagen überbringen zu lassen.

»Er ist erst vor ein paar Minuten mit einem anderen Herrn in den Speisesaal gegangen«, sagte er. »Hier, Dickie, bring das Mr. Lubbock.« Dickie brachte die auf die Rückseite des Briefes gekritzelte Antwort: Mr. Lubbock wollte sich um zwei Uhr fünfzehn mit mir im Foyer treffen.

Mr. Lubbock erwies sich als ein älterer Mann mit rötlichem Schnurrbart und schütterem Haar. Er ließ sich von mir einen großen Kognak und eine dicke Zigarre mit einem Ausdruck so überraschter Ironie spendieren, daß ich nicht im Zweifel sein konnte, daß er normalerweise die Jockeis mit solchen Dingen zu bedenken pflegte, nicht umgekehrt.

»Ich will über Grant Oldfield Bescheid wissen«, begann ich ohne Umschweife.

»Oldfield?« murmelte er, die Zigarre anzündend. »O ja, ich erinnere mich, Oldfield.« Er warf mir einen Blick zu. »Sie ... äh ... Sie arbeiten immer noch für dieselbe Firma, wie? Sie wollen mitmachen? Nun ja, warum nicht. Sie werden an jedem Sieger beteiligt, für den Sie mir einen Tip geben. Fairer geht es nicht.«

»War das auch die Abmachung mit Oldfield?«

»Ja.«

»Haben Sie ihm das Geld persönlich gegeben?«

»Nein«, sagte er. »Aber er hat mich ja auch nicht persönlich darum gebeten. Er machte alles telefonisch aus. Er tat sehr geheimnisvoll, behauptete, er heiße Robinson, bat mich, mit Scheck zu zahlen und ihn jeweils an ein Postamt zu schicken.«

»An welches?« fragte ich.

Er trank einen Schluck und sah mich forschend an.

»Warum wollen Sie das wissen?«

»Klingt ganz vernünftig«, meinte ich leichthin.

Er hob die Schultern. »Ich kann mich nicht erinnern«, antwortete er. »Es ist doch unwichtig, welches Postamt das war. Irgendwo in einem Londoner Vorort, das weiß ich noch, aber genau kann ich mich nicht entsinnen. NE7? N12? Irgend so etwas.«

»Sie haben darüber keine Unterlagen?«

»Nein«, sagte er entschieden. »Warum fragen Sie Oldfield nicht selbst, wenn Sie das wissen müssen.«

Ich seufzte. »Wie oft hat er Ihnen Tips gegeben?« fragte ich.

»Er hat mir insgesamt fünf Pferde genannt, glaube ich; drei davon gewannen, und ich habe ihm dann jeweils das Geld geschickt.«

»Sie wußten nicht, daß es Oldfield war, der Ihnen die Tips gab, nicht wahr?« fragte ich.

»Das kommt darauf an, was Sie mit >wissen< meinen«, sagte er.

»Ich war mir ziemlich sicher. Wer sollte es sonst gewesen sein? Aber genau, >wußte< ich es nicht. Axminster sagte, >ich habe gehört, daß Sie von meinem Jockei Tips bekommene Und ich gab es zu.«

»Sie haben vorher also niemandem erzählt, daß Oldfield Ihnen Informationen gab?«

»Natürlich nicht.«

»Keinem Menschen?«

»Nein, selbstverständlich nicht.« Er starrte mich durchdringend an. »So etwas plaudert man nicht aus, in meiner Branche nicht. Vor allem dann nicht, wenn man nicht hundertprozentig Bescheid weiß. Was soll denn das alles?«

»Nun ...«:, sagte ich, »es tut mir sehr leid, daß ich Sie getäuscht habe, Mr. Lubbock, aber ich will mit solchen Dingen nichts zu tun haben. Ich bemühe mich nur, Grant aus dem Schlamassel zu helfen.«

Zu meiner Überraschung lachte er.

»Wissen Sie«, sagte er, »wenn Sie mitgemacht hätten, wäre ich recht vorsichtig gewesen. Mit manchen Jockeis kommt man zu Rande, mit anderen nicht. Und in meinem Beruf bekommt man einen Instinkt für so etwas. Sie ...« Er wies mit der Zigarre auf mich, »sind nicht der Typ.« »Danke«, murmelte ich.

»Schön dumm«, meinte er nickend. »Es ist ja nicht verboten.«

Ich grinste.

»Mr. Lubbock«, sagte ich. »Oldfield war nicht Robinson, aber seine Laufbahn und seine Gesundheit sind zerrüttet worden, weil Sie und Mr. Axminster dazu verleitet wurden, ihn dafür zu halten.«

Er fuhr sich mit Daumen und Zeigefinger über den Schnurrbart.

»Oldfield hat das Reiten endgültig aufgegeben«, fuhr ich fort, »aber es wäre für ihn trotzdem sehr wichtig, sich von dem Verdacht befreien zu können. Würden Sie dazu beitragen wollen?«

»Wie?« sagte er.

»Würden Sie eine schriftliche Erklärung abgeben, wonach Sie zu keiner Zeit einen Beweis für Ihre Vermutung hatten, daß Sie, wenn Sie Robinson bezahlten, das Geld tatsächlich Oldfield gaben, und daß Sie zu keiner Zeit, bevor James Axminster sich an Sie wandte, irgendeinem Menschen Ihren Verdacht bezüglich Robinsons Identität verraten haben?«

»Ist das alles?« fragte er.

»Ja.«

»Na schön«, meinte er, »das kann ja nicht schaden. Aber ich glaube, daß Sie sich irren. Niemand als ein Jockei würde sich so viel Mühe geben, seine Identität zu verbergen. Warum auch, wenn die Stellung nicht davon abhängt? Aber ich kann Ihnen geben, was Sie wollen.«

Er nahm einen Füllfederhalter aus der Brusttasche, schrieb die Erklärung auf ein Blatt Papier, unterzeichnete, ergänzte den Brief mit dem Datum und las ihn durch.

»So«, sagte er. »Ich sehe aber immer noch nicht ein, was das nützen soll.«

Ich las, was er geschrieben hatte, faltete das Blatt zusammen und steckte es in die Brieftasche.

»Jemand hat Mr. Axminster erzählt, daß Oldfield Ihnen Informationen verkaufe«, sagte ich. »Wenn Sie zu keinem Menschen davon gesprochen haben - wer wußte es dann?«

»Oh.« Er riß die Augen auf. »Aha, ja, ich verstehe. Robinson wußte Bescheid. Aber Oldfield hätte sie nie verraten ... also war Oldfield nicht Robinson.«

»So ungefähr«, meinte ich und stand auf. »Herzlichen Dank für Ihre Hilfe, Mr. Lubbock.«

»Gern geschehen.« Er wedelte mit der Zigarre und lächelte breit. »Wir sehen uns auf dem Rennplatz.«

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