Kapitel 4

Die Menge Blut, die ich daraufhin produzierte, hätte einer ganzen Reihe von Blutspendern wohl angestanden. Es floß über meine blaßgrüne Seidenbluse und machte große, unregelmäßige Flecken auf die weißen Breeches. Große Tropfen fielen auf die Bank und den Boden. Ich verschmierte mir die Hände, als ich versuchte, mir den Mund abzuwischen.

»Legt ihn doch um Gottes willen auf den Rücken«, sagte einer der Burschen. Sein Rat war eigentlich unnötig, weil ich schon lag, halb auf dem Boden, halb auf der Bank. Der eine Schlag hatte mich, da ich nicht ganz fest auf den Beinen gestanden hatte, wie einen Baum gefällt.

Grant stand vor mir und machte ein überraschtes Gesicht; ich hätte lachen müssen, wenn ich nicht so angestrengt damit beschäftigt gewesen wäre, mein eigenes Blut hinunterzuschlucken.

Mike schob mir einen Sattel unter die Schulter und kippte meinen Kopf nach hinten. Einen Augenblick später preßte er mir ein kaltes, nasses Handtuch auf die Nase und langsam hörte die Blutung auf.

»Bleiben Sie lieber noch ein bißchen liegen«, empfahl Mike.

»Ich hol’ schnell einen Sanitäter.«

»Lassen Sie nur«, sagte ich. »Lassen Sie’s gut sein, es geht schon wieder.«

Er kehrte unentschlossen um und blieb neben mir stehen.

»Warum haben Sie das getan, Herrgott noch mal?« sagte er zu Grant.

Ich hätte seine Antwort auch gerne gehört, aber Grant schwieg. Er starrte mich finster an, drehte sich auf dem Absatz um und drängte sich durch die von dem letzten Rennen zurückkehrenden Jockeis hinaus. Die Liste der Axminster-Pferde flatterte hinter ihm zu Boden. Mike hob sie auf und drückte sie mir in die Hand.

Tick-Tock warf seinen Sattel auf die Bank, schob seinen Helm ins Genick und stemmte die Fäuste in die Hüften. »Was soll denn das sein? Ein Blutbad?«

»Nasenbluten«, sagte ich.

»Was du nicht sagst.«

Die anderen drängten sich um mich, und ich fand, daß ich lange genug am Boden gelegen hatte. Ich nahm das Handtuch von meinem Gesicht und stand vorsichtig auf. Alles ging gut. Die Blutung hatte aufgehört.

»Grant hat ihn niedergeschlagen«, sagte einer der Jok-keis, der die ganze Zeit hiergewesen war.

»Warum denn?«

»Frag mich was anderes«, sagte ich, »oder frag Grant.«

»Du solltest das der Rennleitung melden.«

»Lohnt sich nicht«, meinte ich. Ich machte mich sauber, zog mich um und ging mit Tick-Tock zum Bahnhof.

»Du mußt doch wissen, warum er dich niedergeschlagen hat«, sagte er, »oder wollte er nur üben?«

Ich gab ihm Axminsters Liste. Er las sie durch und gab den Zettel zurück.

»Ja, verstehe. Haß, Neid und Eifersucht. Du steigst in die Schuhe, für die er zu klein war. Er hat seine Chance gehabt und sie vermasselt.«

»Was war denn los?« erkundigte ich mich. »Warum hat ihn Axminster ausgebootet?«

»Ich weiß es wirklich nicht«, sagte Tick-Tock, »da fragst du wohl besser Grant, damit du weißt, welche Fehler du nicht machen darfst.« Er grinste. »Deine Nase sieht ja gut aus.«

»Fürs Fernsehen reicht’s«, lächelte ich. Ich erzählte ihm von Maurice Kemp-Lores Einladung.

»Mein hoher Herr«, sagte er, zog seinen Tirolerhut und verbeugte sich tief. »Ich bin beeindruckt.«

»Du bist ein Trottel«, sagte ich grinsend.

»Gott sei Dank.«

Wir gingen unserer Wege, Tick-Tock zu seiner Wohnung in Berkshire und ich nach Kensington. Die Wohnung war leer, wie immer am Samstagabend, der idealen Zeit für Konzerte. Ich nahm die Hälfte der Eiswürfel aus dem Kühlschrank, tat sie in eine Plastiktüte, umwickelte sie mit einem Handtuch und legte mich mit dem Eisbeutel auf der Stirn ins Bett. Meine Nase fühlte sich an wie Mus. Grants Faust hatte die Gewalt ernsthafter seelischer Störungen in sich gehabt.

Ich schloß die Augen und dachte über die beiden nach, Grant und Art; zwei innerlich zerfallene Menschen. Der eine war dazu getrieben worden, sich selbst zu töten, der andere begegnete seiner Umwelt mit Gewalt. Arme Kerle, dachte ich, ein bißchen zu selbstzufrieden. So sieht es aus, wenn man nicht stabil genug ist, mit unangenehmen Dingen fertigzuwerden.

Am darauffolgenden Mittwoch erschien Peter Cloony überglücklich auf der Rennbahn. Das Baby war ein Junge, seiner Frau ging es gut, alles erschien ihm im rosigsten Licht. Er schlug uns begeistert auf die Schultern und erklärte uns, daß wir nicht wüßten, was wir da alles versäumten. Das Pferd, das er an diesem Nachmittag zu reiten hatte, war favorisiert und leistete wenig, aber das dämpfte seine Begeisterung nicht.

Am nächsten Tag mußte er im ersten Rennen reiten, kam aber zu spät. Schon bevor er eintraf, wußten wir, daß er die Gelegenheit verpaßt hatte, denn fünf Minuten vor dem letzten Meldetermin schickte sein Trainer einen Funktionär in den Umkleideraum, der nachsehen sollte, ob Cloony da war. Er war es natürlich nicht.

Ich stand vor dem Wiegeraum, als Peter endlich eintraf, vierzig Minuten vor dem ersten Rennen. Er hastete über den Rasen, schon von weitem war Angst in seinem Gesicht zu lesen. Sein Trainer trat aus der Gruppe von Leuten, mit denen er sich unterhalten hatte, und stellte sich ihm in den Weg. Satzfetzen wehten von dort zu mir herüber.

»Ist das für Sie eine Stunde vor dem ersten . ? Ich habe mir einen anderen Jockei besorgen müssen . sehr dumm von Ihnen . das zweitemal in einer Woche . unverantwortlich ... so kann es nicht weitergehen, wenn Sie in Zukunft bei mir arbeiten wollen ...« Und er stakte davon.

Peter ging an mir vorbei, bleich, zitternd, deprimiert. Als ich kurze Zeit später in den Umkleideraum zurückkam, saß er auf einer Bank, das Gesicht in den Händen vergraben.

»Was war denn diesmal los?« fragte ich. »Ist mit Ihrer Frau alles in Ordnung? Geht’s dem Baby gut?« Ich vermutete, daß er sich den beiden zu sehr gewidmet und vergessen hatte, auf die Uhr zu schauen.

»Alles in Ordnung«, sagte er bedrückt. »Meine Schwiegermutter wohnt zur Zeit bei uns und kümmert sich um die beiden. Ich bin nicht zu spät weggefahren, höchstens fünf Minuten, aber ...«, er stand auf und sah mich mit seinen großen, feuchten Augen an, »... Sie werden’s nicht glauben, aber da stand wieder was auf der Straße, und ich mußte einen Riesenumweg machen, schlimmer noch als das letztemal ...« Er verstummte, als ich ihn ungläubig anstarrte.

»Doch nicht wieder ein Tanktransporter?« fragte ich verblüfft.

»Nein, ein Pkw. Ein uralter, riesiger Jaguar. Er stand mit dem Kühler in der Hecke und einem Vorderrad im Graben. Es war einfach kein Durchkommen.«

»Hätten Sie denn dem Fahrer nicht helfen können, den Wagen herauszuschieben?« fragte ich.

»Es war kein Fahrer da, überhaupt niemand. Er hatte die Türen abgesperrt, die Handbremse angezogen und den ersten Gang eingelegt, der Mistkerl.« Peter gebrauchte selten solche Ausdrücke. »Hinter mir war ein anderer Wagen den Berg heraufgekommen. Wir versuchten gemeinsam, den Jaguar wegzuschieben, aber es war aussichtslos. Wir mußten weit zurück, er als erster, aber er fuhr ganz langsam. Er hatte einen neuen Wagen und wollte den Lack nicht verkratzen.« - »Das nenn’ ich Pech«, sagte ich lahm.

»Pech!« fauchte er, den Tränen nahe. »Das ist mehr als Pech - es ist - es ist schrecklich. Ich kann es mir gar nicht leisten, ich brauche das Geld ...« Er verstummte, schluckte ein paarmal und atmete tief ein. »Wir haben eine große Hypothek aufgenommen und müssen sie abzahlen, und ich hab’ gar nicht gewußt, daß ein Baby soviel kostet. Meine Frau mußte mit der Arbeit aufhören, damit hatten wir auch nicht gerechnet ... wir wollten gar nicht so schnell ein Kind.«

Ich erinnerte mich lebhaft an den neuen kleinen Bungalow mit dem billigen blauen Linoleum, den selbstgemachten Teppichen, dem bescheidenen Mobiliar. Überdies hatte er einen Wagen, den er unbedingt brauchte, und jetzt noch ein Kind. Ich sah ein, daß der Verlust von zehn Pfund eine Katastrophe war.

Er war an diesem Tag sonst für kein Rennen eingeteilt und trieb sich die ganze Zeit im Wiegeraum herum, in der Hoffnung, irgendeinem Trainer aufzufallen, der dringend einen Jockei brauchte. Er machte ein verzweifeltes, gequältes Gesicht, und ich wußte, daß das allein jeden Trainer abgeschreckt hätte. Kurz vor dem fünften Rennen ging er, unbeschäftigt und deprimiert, nachdem er sich bei allen Trainern in ein schlechtes Licht gesetzt hatte.

Ich sah ihn zum Parkplatz schlurfen, als ich zu meinem einzigen Rennen an diesem Tag zum Paradezirkel ging, und ich war plötzlich ärgerlich auf ihn. Warum konnte er nicht ein bißchen heucheln, sein Unglück auf die leichte Schulter nehmen? Und warum, in Dreiteufelsnamen, fuhr er nicht jedesmal ein bißchen früher weg, wenn er doch wußte, daß ihn jede Verspätung soviel kosten konnte? Eine Reifenpanne, eine von einem hochgeschleuderten Stein zertrümmerte Windschutzscheibe, es gab hundert Möglichkeiten, aufgehalten zu werden. Es brauchte ja gar nicht etwas so Unvorhersehbares wie ein Tanktransporter oder ein abgesperrter Jaguar zu sein. Wirklich ein scheußlicher Zufall, daß so etwas zweimal in einer Woche passierte. James Axminster begrüßte mich im Paradezirkel mit seinem merkwürdigen, kantigen Lächeln und stellte mich dem Besitzer des Pferdes vor, das ich reiten sollte. Er gab mir die Hand, und wir ergingen uns in den üblichen Redensarten. Das nicht mehr ganz junge Pferd, das schläfrig im Kreis herumstapfte, war das dritte Pferd Axminsters, das ich in dieser Woche ritt, und ich hatte schon gelernt, die Präzision und Schnelligkeit seiner Organisation zu genießen. Seine Pferde waren gut trainiert und ausgezeichnet gepflegt, nirgends wurde gespart oder mit Kompromissen gearbeitet. Aus jeder mit seinen Initialen versehenen Pferdedecke, jedem erstklassigen Zaumzeug, jeder Bürste und Bandage, jedem Eimer, die zu den

Rennen gebracht wurden, ließen sich Erfolg und Wohlhabenheit ablesen.

In den beiden ersten Rennen dieser Woche hatte ich die zweitklassigen Pferde des Stalls geritten, während Axminsters Jockei Pip Pankhurst sich wie üblich auf die besseren Pferde setzte. Das Handikap-Hürdenrennen an diesem Donnerstag gehörte jedoch mir allein, weil Pip das erforderliche Gewicht nicht zu bringen vermochte.

»Alles, was unter 68 Kilo ist, gehört Ihnen«, sagte er mir fröhlich, als ich ihn traf und er erfuhr, daß ich für Axminsters Stall ritt. »Das lohnt sich ja sowieso meistens nicht.«

Durch starke Einschränkung in Essen und Trinken war es mir gelungen, mein Gewicht die ganze Woche bei 63 Kilo zu halten. Das entsprach einem reinen Körpergewicht von 61 Kilo, für meine Größe etwas wenig, aber nachdem Pip mir die Chance nicht zu neiden schien, war ich zufrieden.

»Am vierten Hindernis müßten Sie ungefähr in der Mitte sein«, sagte James Axminster. »Am dritten Hindernis vor dem Ziel sollten Sie den vierten Platz halten, wenn es einigermaßen geht. Er braucht eine Weile, bis er ganz aufwacht, also müssen Sie ihn vor dem vorletzten Hindernis antreiben. Machen Sie Fahrt, versuchen Sie vor dem letzten Hindernis das führende Pferd zu erreichen, und dann werden Sie schon sehen, wieviel sich da aufholen läßt. Das Pferd springt großartig, kann aber im Finish nichts zulegen. Sehen Sie eben zu, was sich machen läßt.« Er hatte mir noch nie derart präzise Anweisungen gegeben, und zum erstenmal erklärte er mir auch, was am letzten Hindernis zu tun sei. Ich war ziemlich aufgeregt. Endlich durfte ich ein Pferd reiten, dessen Trainer nicht verblüfft sein würde, falls es gewann.

Ich hielt mich genau an die Befehle und trieb meinen alten Gaul mit aller Kraft an, als ich das letzte Hindernis gemeinsam mit zwei anderen Pferden erreichte. Er reagierte mit einem gewaltigen Sprung, der ihn mitten in der Luft die anderen Pferde überholen ließ und uns zwei Längen einbrachte. Ich hörte das Klappern an den Hindernissen, als die anderen die oberste Stange streiften, und hoffte, daß sie weniger geschickt gelandet waren als wir. Daß mein alter Wallach nicht schneller werden konnte, stimmte. Ich nahm ihn auf und trieb ihn geradewegs zum Ziel, kaum die Peitsche verwendend, weil ich mich hauptsächlich darauf konzentrierte, stillzusitzen und ihn nicht zu stören. Er lief prima durch und hatte immer noch eine halbe Länge Vorsprung, als wir am Pfosten vorbeigingen. Es war ein wunderbarer Augenblick.

»Gut gemacht«, sagte Axminster gelassen. Siege waren für ihn nichts Ungewöhnliches. Ich schnallte den Sattel ab, klemmte ihn unter den Arm und tätschelte meinem Pferd den Hals. Der Besitzer war begeistert. »Großartig, großartig«, sagte er abwechselnd zum Pferd, zu Axminster und zu mir. »Ich hätte nie gedacht, daß er es schafft, James, obwohl ich mir Ihren Rat zu Herzen genommen und auf ihn gewettet habe.«

Ich sah schnell zu Axminster hinüber. Seine durchdringenden blauen Augen beobachteten mich fragend.

»Wollen Sie den Job?« fragte er. »Als regulärer zweiter Mann hinter Pip?«

Ich nickte, atmete tief ein und sagte: »Ja.«

Es klang wie ein Krächzen.

Der Besitzer lachte. »Finn hat diese Woche wohl eine Glückssträhne. John Ballerton erzählte mir, daß Maurice ihn morgen abend in seiner Sendung interviewt.«

»Wirklich?« fragte Axminster. »Das werd’ ich mir ansehen.«

Ich ging zum Wiegen und Umziehen. Als ich herauskam, gab mir Axminster eine neue Liste von vier Pferden, die ich in der folgenden Woche reiten sollte.

»Von jetzt an möchte ich, daß Sie keine Ritte annehmen, ohne zuerst mich gefragt zu haben, ob ich Sie brauche. Einverstanden?«

»Jawohl, Sir«, sagte ich und bemühte mich, von meiner kindischen Freude nicht allzuviel durchscheinen zu lassen. Aber er wußte Bescheid. Er war zu lange beim Fach, um das übersehen zu können. In seinen Augen funkelten Verständnis, Sympathie und ein Versprechen für die Zukunft.

Ich rief Joanna an.

»Wie wär’s mit einem Ausgang, ich möchte feiern.«

»Was denn?« fragte sie vorsichtig.

»Einen Sieg. Einen neuen Job. Ich könnte die ganze Welt umarmen«, sagte ich.

»Das klingt ja, als hättest du schon gefeiert!«

»Nein«, sagte ich. »Die Trunkenheit in meiner Stimme kommt daher, daß mir ein Brocken Glück auf den Kopf gefallen ist.«

Sie lachte. »Na schön. Wo?«

»Bei Hennibert«, sagte ich. Das war ein kleines Restaurant in der St. James Street, dessen Küche und Preise der vornehmen Gegend entsprachen.

»O ja«, bejahte Joanna. »Soll ich in meiner goldenen Kutsche kommen?«

»Im Ernst«, sagte ich. »Ich habe diese Woche vierzig Pfund verdient. Ich will was ausgeben davon. Und außerdem hab’ ich Hunger.«

»Wir bekommen keinen Tisch«, sagte sie.

»Schon bestellt.«

»Also gut«, sagte sie, »ich bin um acht da.«

Sie kam in einem Taxi an, ein Kompliment für mich, weil sie sonst am liebsten zu Fuß ging. Sie trug ein Kleid, das ich noch nie gesehen hatte, ein einfaches, enges Ding aus blauer Seide, die im Licht schimmerte. Ihr lockiges, dunkles Haar fiel elegant in den Nacken, und die schrägen, spitz auslaufenden Striche, die sie auf ihre Lider gemalt hatte, ließen ihre schwarzen Augen größer, tiefer und geheimnisvoller erscheinen. Alle Männer drehten sich um, als wir das Lokal betraten, dabei war sie nicht schön, nicht einmal besonders elegant angezogen zu nennen. Sie sah ... ich überraschte mich selbst mit dem Wort ... intelligent aus.

Wir aßen Avocado-Birnen mit französischer Salatwürze und Boeuf Stroganoff mit Pilzen, späte Erdbeeren mit Schlagsahne, und ein pikantes, würziges Gericht aus Speck und gedünsteten Pflaumen. Für mich war das nach so vielen Hungertagen ein wahres Fest. Wir ließen uns Zeit, tranken eine Flasche Wein und unterhielten uns beim Kaffee mit der Zwanglosigkeit einer Freundschaft, die bis in die Kindheit zurückreichte. Nach so viel Übung konnte ich die nicht allzu vetternhaften Gefühle für Joanna vor ihr verbergen. Das war notwendig, weil ich aus Erfahrung wußte, daß sie nervös zu werden und meinem Blick auszuweichen begann, sobald ich auf das Thema Liebe zu sprechen kam. Ich pflegte dann sehr schnell abzubrechen. Wenn ich mich ihrer Gesellschaft erfreuen wollte, mußte es zu ihren Bedingungen geschehen.

Sie schien sich über meine neue Anstellung bei Axminster ehrlich zu freuen. Obwohl der Rennsport sie nicht interessierte, erkannte sie deutlich, was er mir bedeutete.

»Das ist wie an dem Tag, als mich der Musikdirektor der Händel Society aus dem Chor herausnahm, um mich das erste Rezitativ singen zu lassen. Ich kam mir vor wie im Paradies.« »Das steigt einem ja wirklich zu Kopf«, sagte ich. In meinem ganzen Leben war mir noch nie so wohl gewesen.

Ich erzählte ihr von der Fernsehsendung.

»Morgen?« fragte sie. »Prima, ich glaube, da habe ich Zeit, daß ich mir das ansehe. Du gehst gleich immer aufs Ganze, was?«

Ich grinste. »Das ist erst der Anfang«, sagte ich. Beinahe glaubte ich daran.

Wir gingen den ganzen Weg zu Joannas Studio zu Fuß. Es war eine klare, ein bißchen kühle Nacht, mit einem ster-nenbesetzten, schwarzen Himmel. Wir blieben in der dunklen Gasse vor Joannas Tür stehen und sahen hinauf. »Das rückt wieder alles ins Lot«, meinte sie, »nicht wahr?«

Ich fragte mich, was für sie ins Lot gerückt werden mußte. Ich sah sie an. Das war ein Fehler. Das hochgereckte Gesicht, in dessen dunklen Augen sich die Sterne spiegelten, das dunkle, vom Wind zerzauste Haar, der schlanke Hals trieben mich gnadenlos in den Aufruhr, den ich den ganzen Abend hindurch unterdrückt hatte.

»Vielen Dank fürs Mitkommen«, sagte ich plötzlich. »Gute Nacht, Joanna.«

Überrascht sagte sie: »Magst du nicht noch eine Tasse Kaffee ... oder sonst etwas?«

Oder sonst etwas, ja.

»Ich bin bis obenhin voll. Außerdem ... da wäre ja noch Brian .«

»Brian ist in Manchester, auf einer Konzertreise«, sagte sie. Aber das war nur eine Feststellung, keine Einladung.

»Oh. Na ja, ich brauch’ trotzdem meinen Schlaf«, sagte ich.

»Also gut«, erwiderte sie ungerührt. »Es war ein wunderschöner Abend, Rob. Vielen Dank.«

Sie legte mir kurz die Hand auf die Schulter und lächelte mich an. Sie steckte den Schlüssel ins Schloß, öffnete und winkte mir schnell zu, als ich mich umdrehte und die Straße hinunterging.

Sie machte die Tür zu.

Ich fluchte, nicht ganz leise. Viel Erleichterung brachte das nicht. Ich sah zum Himmel hinauf. Die Sterne schienen auch kein Mitleid mit mir zu haben.

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