Am Montagmorgen saß ich wieder in der ersten Gruppe auf Drifter.
«Er ist übermorgen für ein Rennen in Worcester angemeldet«, sagte Tremayne, als wir in der Morgendämmerung zu den Ställen gingen.»Heute findet sein letzter Trainingsgalopp statt, also fallen Sie nicht wieder runter. Der Tierarzt ist heute früh schon hiergewesen, um sein Blut zu untersuchen.«
Tremaynes Tierarzt nahm von jedem Pferd aus dem Stall vor jedem letzten Trainingsgalopp vor dem Rennen kleine Blutproben, deren detaillierte Analyse alles mögliche aussagte, angefangen beim erhöhten Auftreten von Lymphozyten bis hin zu Enzymabsonderungen aufgrund von Muskelschäden. Gab es zuviele Kontraindikationen im Blutbild, dann teilte der Arzt Tremayne mit, daß das Pferd aller Voraussicht nach nicht gut laufen oder gar gewinnen werde. Tremayne war der Ansicht, daß diese Regelung die Besitzer vor unnötigen Ausgaben für sinnlose Boxenmieten sowie Jockey honorare bewahrte und ihm selbst eine Menge unerklärlicher und ärgerlicher Enttäuschungen ersparte.
«Gehen Sie selbst mit nach Worcester?«fragte ich ihn.
«Wahrscheinlich. Vielleicht schicke ich Mackie. Weshalb?«
«Äh… eventuell könnte ich mitgehen und Drifter laufen sehen.«
Er drehte sich um und starrte mich an, als könne er momentan nicht verstehen, was mich daran interessierte, doch dann, als er verstanden hatte, sagte er, ich könne selbstverständlich mitgehen, wenn ich Lust dazu hätte.
«Danke.«
«Sie können heute morgen Fringe reiten, zweite Gruppe.«
«Nochmals danke.«
«Ihnen vielen Dank dafür, daß Sie Gareth gestern einen so schönen Tag bereitet haben.«
«Hat mir viel Spaß gemacht.«
Wir waren bei den Ställen angekommen und schauten wie gewöhnlich den letzten Vorbereitungen zu.
«Es war eine gute Kamera«, sagte Tremayne bedauernd.»So ein dummer Junge.«
«Ich hole sie zurück.«
«Auf dieser zweifelhaften Spur?«Er war skeptisch.
«Kann gut sein. Aber ich hatte gestern eine Landkarte und einen Kompaß dabei; ich weiß ziemlich genau, wo wir gewesen sind.«
Er schüttelte lächelnd den Kopf:»Sie sind wirklich außerordentlich umsichtig. Wie Fiona schon sagte, Sie holen uns ständig aus der Patsche.«
«Leider klappt das nicht immer.«
«Lassen Sie Drifter ordentlich galoppieren.«
Wir gingen in die Downs, und wenigstens dieses Mal blieb ich im Sattel; tatsächlich fühlte ich mich zum ersten Mal heimisch dort oben, als gehörte ich dorthin. Das Ungewohnte und Schwierige wurde zur zweiten Natur; genauso war es mir ergangen, als ich den Flugschein gemacht hatte. Sowohl bei Rennpferden als auch bei Heliko-ptern bedurfte es sensibler Hände für die ankommenden Signale, und beide taten normalerweise genau das, was man wollte, solange man die richtigen Signale zurückschickte.
Drifter flog in einem geschmeidigen, schnellen Rhythmus die Galoppbahn hinauf, und Tremayne meinte, er hätte gute Aussichten in Worcester, wenn mit seinem Blut alles in Ordnung sei.
Als ich das Pferd in den Stall gebracht hatte und zum Frühstück erschien, traf ich dort Mackie und Sam Yaeger. Sie saßen mit Tremayne am Tisch und besprachen die Rennen des Tages in Nottingham. Das Pferd, das Tremayne nominiert hatte, lahmte plötzlich, und ein anderer von Sams Starts war zurückgezogen worden, weil die Frau des Besitzers gestorben war.
«Jetzt bleibt mir nur eine Krücke übrig«, meckerte Sam.»Es hat gar keinen Sinn, überhaupt hinzugehen. Ich glaube, ich kriege eine Erkältung und arbeite am Boot weiter. «Ohne lange zu zögern ging er zum Telefon, krächzte seine Entschuldigung und heimste unverdientes Mitleid ein. Als er den Hörer auflegte, grinste er mich an.»Wo bleibt der Toast?«
«Schon unterwegs.«
«Wie man so hört, haben Sie gestern mit Gareth und Coconut quer durch die Berkshires Cowboy und Indianer gespielt.«
«Neuigkeiten reisen schnell«, entgegnete ich resigniert.
«Ich habe es ihm erzählt«, sagte Mackie lächelnd.»Haben Sie etwas dagegen?«
Ich schüttelte den Kopf und fragte, wie sie sich fühlte. Sie ritt nicht mehr mit der ersten Gruppe hinaus, da ihr nach dem Erwachen oft schlecht war, und Tremayne drängte sie nicht, wieder einzusteigen, im Gegenteil.
«Mir ist schlecht«, antwortete sie auf meine Nachfrage.»Gottseidank.«
«Leg dich ein bißchen hin«, schlug Tremayne vor.
«Ihr macht alle viel zu viel Aufhebens davon.«
Sam wandte sich an mich:»Doone war den ganzen Samstag nachmittag über draußen auf der Werft.«
«Ich dachte, er hätte dienstfrei.«
«Wie es aussieht, hat er von Ihnen eine Botschaft erhalten.«
«Mm. Ich habe eine für ihn hinterlassen.«
«Was für eine Botschaft?«wollte Tremayne wissen.
«Keine Ahnung«, sagte Sam.»Doone rief mich gestern an, um mir mitzuteilen, daß er draußen gewesen ist und ein paar Sachen mitgenommen hat, für die er mir einen Beleg ausstellen will.«
«Was für Sachen?«fragte Tremayne.
«Wollte er nicht sagen. «Sam schaute mich an.»Wissen Sie, um was es sich handelt? Sieht so aus, als hätten Sie ihn darauf gestoßen. Er machte einen ziemlich aufgeregten Eindruck.«
«Was war das für eine Botschaft?«fragte mich jetzt Mackie.
«Ähm… ich fragte ihn, warum die Fußbodenbretter nicht an der Oberfläche herumgeschwommen sind.«
Tremayne und Mackie waren eher verdutzt, doch Sam verstand sofort und war wie vom Donner gerührt.
«Teufel noch mal, wie sind Sie denn darauf gekommen?«
«Weiß nicht«, sagte ich.»Es fiel mir plötzlich ein.«
«Erklären Sie doch bitte«, bettelte Mackie.
Ich sagte ihr das gleiche, das ich schon Erica beim Dinner gesagt hatte, und auch, daß es uns womöglich nicht weiterbrachte.
«Aber es könnte immerhin weiterhelfen«, meinte Mac-kie.
«Wenn Sie mich nicht davon abgehalten hätten«, sagte Sam nachdenklich zu mir,»hätte ich das Gitter heraufgezogen, um mit dem Boot ins Dock zu paddeln, und das ganze Zeug unter Wasser hätte es hinausgespült, und niemand hätte mehr seine Schlüsse daraus ziehen können.«
«Fiona ist sicher, daß John schneller als Doone herauskriegt, wer Harry in die Falle gelockt hat«, sagte Mackie.
Ich schüttelte den Kopf.»Ich weiß nicht, wer es getan hat. Schön wär’s.«
«Nur eine Frage der Zeit«, sagte Tremayne zuversichtlich. Er schaute auf seine Armbanduhr.»Apropos Zeit: zweite Gruppe.«
Er stand auf.»Sam, ich will ein Testrennen zwischen dem neuen Pferd, Roydale, und Fringe. Du reitest Royda-le, und John reitet Fringe.«
«Okay«, sagte Sam einfach.
Tremayne drehte sich zu mir:»John, versuchen Sie nicht, Sam zu schlagen, wie bei einem richtigen Rennen. Ich möchte lediglich ein paar Dinge herausfinden. Ich will sehen, welches Pferd von Natur aus schneller ist. Reiten Sie so schnell wie möglich, aber sobald Sie spüren, daß Fringe nachläßt, halten Sie ihn zurück, treiben Sie ihn nicht weiter an.«
«In Ordnung.«
«Mackie, unterhalte dich ein bißchen mit Dee-Dee oder unternimm sonst was. Ich nehme dich nicht dafür mit, daß du mir dort oben in den Landrover reiherst.«
«Oh, Tremayne, als würde ich so etwas tun.«»Wir gehen kein Risiko ein«, sagte er mürrisch.»Ich will nicht, daß du auf diesem Holperweg durchgeschüttelt wirst.«
«Ich bin doch nicht invalide«, protestierte sie, aber sie hätte ebensogut mit einem Felsbrocken streiten können. Er ließ sie unnachgiebig zurück und fuhr Sam und mich auf die Galoppstrecke.
Unterwegs sagte Sam trocken zu mir:»Normalerweise reitet Nolan alle Testrennen; der wird schön sauer sein.«
«Oh, reizend.«
«Ich habe Nolan gesagt«, sagte Tremayne herrisch,»er werde so lange nicht im Training reiten, bis er sich abgeregt hat.«
Sam zog die Augenbrauen in gespieltem Schrecken nach oben:
«Möchten Sie, daß John erschossen wird? Nolan ist ein meisterhafter Schütze.«
«Red keinen Stuß«, sagte Tremayne leicht besorgt und rumpelte mit dem Landrover über die ausgefahrenen Spuren auf das weiche Hochlandgras, bevor er den Wagen anhielt.»Konzentrier dich auf Roydale. Er gehört einem neuen Besitzer. Ich möchte mich auf dein Urteil verlassen können. Roydale ist nicht in der allerbesten Verfassung, aber der Trainer, von dem er kommt, auch nicht. Ich will wissen, woran wir sind.«
«Sicher«, sagte Sam.
«Bleib so lange neben Fringe, wie du kannst.«
Sam nickte. Wir holten Fringe und Roydale bei den Stallburschen ab, und als Tremayne sich auf dem kleinen Hügel postiert hatte, legten wir auf der Ganzjahresbahn so schnell los, wie ich noch nie zuvor geritten war. Fringe, der sofort auf Renngeschwindigkeit ging, entwickelte eine Wildheit, die ich nicht so recht kontrollieren konnte; ich vermutete, daß er dieser Eigenschaft seine vielen Siege zu verdanken hatte. Immer wenn Roydale seine Nase nach vorne schob, legte Fringe noch einen Zahn zu, doch die beiden nahmen sich nicht viel, und als das Ende der Sägespäne in Sicht kam, war noch alles offen. Ich sah, wie Sam sich im Sattel vorbeugte, um den Druck zu verringern, und automatisch machte ich es ihm nach, fast schon zu spät für meine geplagten Muskeln und durchgewalkten Lungen. Am Ziel war ich buchstäblich außer Atem, während Sam ganz lässig bremste und zu Tremayne zurücktrottete, um ihm mit lauter Stimme Bericht zu erstatten.
«Ein unerfahrenes Früchtchen haben wir da«, verkündete er.
«Er hat ein Maul wie aus Elefantenhaut; er scheut vor seinem eigenen Schatten zurück, und er ist stur wie ein Esel. Abgesehen davon ist er schnell, wie Sie gesehen haben.«
Tremayne hörte ungerührt zu.»Hat er Mumm?«
«Kann man nicht genau sagen, solange er nicht auf der Bahn war.«
«Ich melde ihn für Samstag an. Dann wird sich’s herausstellen. Vielleicht gehst du morgen mit ihm mal über die Hürden.«
«Okay.«
Wir gaben die Pferde ihren Betreuern zurück und fuhren mit Tremayne den Hügel hinunter. Unten wartete Doone in seinem Auto auf uns.
«Bei dem Kerl läuft’s mir immer eiskalt den Buckel runter«, sagte Sam, als wir ausstiegen. Der graue, aber unnachgiebige Chefinspektor schälte sich bei unserer Ankunft aus dem Wagen wie eine Schildkröte aus ihrem Panzer. Er war erneut allein gekommen, kein schweigsamer Notizenmacher begleitete ihn.
«Wen von uns wollen Sie?«blaffte ihn Tremayne an.
«So gefragt, Sir…«Die Singsangstimme löste jede offene Bedrohung in Nichts auf, und doch lag etwas in der Luft, das einen denken ließ, jeden Augenblick könnten die Handschellen zuschnappen.»Ich brauche Sie alle, wenn es Ihnen nichts ausmacht, Sir. «Und wenn doch, dann ändert das auch nichts, wollte er damit sagen.
«Kommen Sie besser mit ins Haus«, bot ihm Tremayne achselzuckend an.
Doone begleitete uns in die Küche, zog seinen grauen Tweedmantel aus und setzte sich in seinem ziemlich strapazierten grauen Anzug an den Tisch. Er fühlt sich in Küchen wohl, dachte ich. Tremayne schlug halbherzig vor, einen Kaffee zu trinken, und ich machte für jeden eine große Tasse.
Mackie kam nach dem Frühstück mit Perkin herüber und wollte wissen, wie das Testrennen gelaufen war. Als sie Doone erblickte, reagierte sie weniger erstaunt als vielmehr schicksalsergeben. Ich machte ihr ebenfalls einen Kaffee, und sie setzte sich hin und schaute zu, während Doone ein Blatt Papier aus seiner Brusttasche zog und es Sam reichte.
«Eine Quittung, Sir«, sagte er,»für drei Stück Bodenbretter aus dem Dock in Ihrem Bootshaus.«
Sam faltete das Blatt auseinander und starrte es an.
«Warum sind sie nicht oben geschwommen?«fragte Tremayne frisch von der Leber weg.
«Ah. Na, dann wissen ja wohl bereits alle Bescheid. «Doone schien enttäuscht zu sein.
«John hat es uns vorhin erzählt«, bestätigte Tremayne.
Doone warf mir einen besorgten Blick zu, aber ich hatte nicht daran gedacht, daß er diese Tatsache vielleicht geheimhalten wollte.
«Sie sind nicht oben geschwommen, Sir, weil sie beschwert wurden.«
«Mit was denn?«fragte Sam.
«Mit Stücken von Pflastersteinen. Auf Ihrem Grundstück liegt eine Menge solcher Steinbrocken herum.«
«Pflastersteine?«Sam sah verwirrt aus. Dann sagte er zweifelnd:»Meinen Sie diese zerbrochenen Stücke, aus rosa und grauem Marmor?«
«Ist das wirklich Marmor, Sir?«Doone kannte sich anscheinend mit Marmor nicht so gut aus.
«Ich glaube schon.«
Doone dachte nach, traf eine Entscheidung, ging hinaus zu seinem Wagen und kam mit einem Brett von anderthalb Meter Länge zurück, das er quer über den Küchentisch legte. Obwohl es immer noch etwas feucht war, sah das alte graue Holz gut aus, als könne es seinen Zweck noch immer ebensogut erfüllen wie seine Kameraden, die im Bootshaus nach wie vor als Fußboden dienten; es schien in keinster Weise untauglich zu sein. An einem Ende der Planke, auf der Seite, die jetzt auf dem Tisch nach oben zeigte, befand sich ein länglicher, dunkler Brocken, den ich wahrscheinlich als rohen Granit bezeichnet hätte.
«Ja«, sagte Sam nach einem kurzen Blick.»Das ist Marmor.«
Er streckte die Hand aus und wollte den Brocken aufheben, doch das Brett ging einige Zentimeter in die Höhe. Sam stutzte und ließ es wieder fallen.
«Es klebt fest«, sagte Doone nickend.»Nach den anderen Steinbrocken zu schließen, die dort herumliegen, ist eine Seite, die, die am Holz festklebt, gerade und glattpoliert.«
«Ja«, bestätigte Sam.
«Wir sind der Meinung«, sagte Doone,»daß Sekundenkleber stark genug für so was ist.«
«Viele Plastikkleber schaffen das«, nickte Sam.
«Und wie kommt es, daß Sie lauter Marmorbrocken herumliegen haben?«fragte Doone, nicht ganz so bedrohlich.
«Die kamen mit einer ganzen Wagenladung Kram, den ich einer Abrißfirma abgekauft habe«, erklärte Sam, ohne ins Schwitzen zu geraten.»Mir ging es um die Wandvertäfelungen, die ich gerne für ein Boot gehabt hätte, an dem ich gerade bastelte, außerdem ein paar antike Badezimmerarmaturen. Ich mußte einen Haufen anderes Zeug mitübernehmen, zum Beispiel den Marmor. Das stammt alles aus einem Herrenhaus, das von der Firma abgerissen wurde. Sie verkaufen einzelne Sachen weiter, wissen Sie. Kamine, Türen, alles mögliche.«
Doone fragte wie nebenbei:»Haben Sie den Marmor an die Bretter geklebt, Sir?«
«Nein, ich habe es verflucht noch mal nicht getan!«explodierte Sam.
«Auf die Unterseite der Bodenbretter«, sagte ich ergänzend.
«Als ich mit Harry in den oberen Raum im Bootshaus kam, waren keine Marmorbrocken zu sehen. Ich denke, wenn da noch andere Stücke unter den Dielen kleben, können Sie sie von unten sehen, vom Dock aus.«
Widerstrebend gab Doone zu, daß sich zu beiden Seiten des Loches je ein weiteres Brett befand, an dem ein Stück Marmor klebte. Das Brett auf dem Tisch war ungefähr zwanzig Zentimeter breit. Harry hatte drei davon mit in die Tiefe gerissen; insgesamt waren also fünf Bretter präpariert worden. Die Falle mit dem fehlenden Stück Balken hatte also einen Durchmesser von gut einem Meter gehabt. Harry, der den Briefköder aufheben wollte, war genau in der Mitte hindurchgebrochen.
«Haben Sie jetzt genug auf meinem Grundstück herum-geschnüffelt?«fragte Sam, und Doone schüttelte den Kopf.
«Ich will an meinem Boot weiterarbeiten«, protestierte Sam.
«Jederzeit, Sir. Kümmern Sie sich einfach nicht um meine Männer — falls welche dort sind.«
«Na schön. «Sam schnellte hoch, energiegeladen wie selten ein Patient, den plötzlich die Grippe niedergestreckt hatte.»Wiedersehn, Tremayne. Wiedersehn, Mackie. Bis dann, John.«
Er stapfte in der fürchterlich grellen Jacke zu seinem Auto und fuhr laut hupend davon. Die Küche kam einem ohne Sam gleich viel lebloser vor.
«Ich hätte gerne mit Mr. Kendall allein gesprochen!«sagte Doone gelassen.
Tremaynes Augenbraue wanderte nach oben, doch er hatte anscheinend nichts dagegen einzuwenden. Er schlug vor, ich solle mit Doone ins Eßzimmer gehen, während er Mackie von Roydales Galopp berichten wolle. Doone folgte mir brav mit dem Brett unter dem Arm.
Die nüchterne Einrichtung des Eßzimmers schien seine lockere Art zunächst in Steifheit zu verwandeln, doch nach kurzer Zeit kam es mir eher vor, als bereite ihm die Unsicherheit Kummer, nicht zu wissen, auf welcher Seite ich inzwischen stand, auf ihrer oder auf unserer.
Die Entscheidung fiel zugunsten unserer Seite, wobei >uns< die Polizei — oder zumindest die, die nach Fakten suchten — bedeutete. Er räusperte sich und erzählte mir, daß seine Leute mit den Stangen und Fangeisen zunächst nichts hatten finden können, was wohl daran lag, daß die Bretter nicht magnetisch sind. Ob wohl der Fallensteller, wollte er von mir wissen, den Magnetismus in seine Überlegungen miteinbezogen hatte?
Ich runzelte die Stirn.»Das wäre wohl ein bißchen überzogen«, sagte ich.»Ich denke, daß er sich nach etwas Schwerem umgeschaut hat, das man mit Klebstoff festkleben konnte, und bei all dem Krempel, der dort herumliegt, mußte auf jeden Fall etwas Passendes dabei sein. Andererseits war das ganze Ding so sorgfältig geplant, daß ich es nicht mit Sicherheit ausschließen kann.«
«Wissen Sie, wer es getan hat?«fragte er ohne Umschweife.
«Nein«, antwortete ich wahrheitsgemäß.
«Sie haben doch bestimmt Ihre Vermutungen. «Er rutschte auf seinem Stuhl herum und ließ seinen Blick im Zimmer umherschweifen.»Ich würde sie gerne hören.«
«Sie sind eher negativer als positiver Natur.«
«Das ist oft genauso wertvoll.«
«Ich würde mal vermuten, der Fallensteller war Gast bei Sam Yaegers Bootshaus-Party«, fing ich an.»Sie haben mich allerdings davor gewarnt, irgendetwas zu vermuten.«
«Vermuten Sie weiter«, sagte er lächelnd und selbstzufrieden.
«Außerdem würde ich vermuten«, fuhr ich fort,»daß es sich um die gleiche Person handelt, die auch Angela Brik-kell umgebracht hat und die Schuld ein für allemal Harry in die Schuhe schieben wollte, indem sie ihn verschwinden ließ, nur leider…«
«Vermuten Sie«, spornte er mich an.
«Jeder könnte Angela Brickell umgebracht haben, es waren allerdings nur ungefähr hundertfünfzig Leute auf Sams Party, und davon waren die Hälfte Frauen.«
«Glauben Sie, eine Frau hätte so eine Falle nicht vorbereiten können?«fragte er platt.
«Klar, eine Frau hätte es sich ausdenken und die Schreinerarbeiten ausführen können. Aber welche Frau sollte Angela Brickell verführt und dazu überredet haben, mitten im Wald sämtliche Kleider auszuziehen?«
Er nagte an seinen Lippen.
«Also gut«, sagte er,»ich stimme mit Ihnen überein: Sie ist von einem Mann umgebracht worden. «Kurze Pause.»Motiv?«
«Um ein Geheimnis zu wahren, vermutlich. Angenommen, sie war schwanger. Angenommen, sie geht mit… ihm in den Wald, und sie wollen sich lieben… oder haben es gerade getan… und sie sagt: >Ich bin schwanger, du bist der Vater, was wirst du jetzt unternehmen?< Sie steckte voller verquaster religiöser Schuldvorstellungen, doch sie war selbst die Verführerin. «Ich überlegte einen Moment.»Vielleicht wurde sie umgebracht, weil sie zuviel verlangte… und weil sie nicht abtreiben wollte.«
Er gab ein Geräusch von sich, das sich wie ein Schnurren in seiner Kehle anhörte.
«Also gut«, sagte er wieder.»Methode: Strangulation. Klappt unter Garantie, wie alle hier nach dem Tod dieses anderen Mädchens, Olympia, wußten.«
«Richtig.«
«Gelegenheit?«fragte er.
«Keiner kann sich daran erinnern, was er an dem Tag gemacht hat, an dem Angela Brickell verschwand.«
«Mit Ausnahme des Mörders«, gab er zu bedenken.»Wie sieht es mit Gelegenheiten aus an dem Tag, an dem Mr. Goodhaven durch den Boden brach?«
«Es war jemand dort, um seinen Wagen wegzufahren… ich vermute: keine Fingerabdrücke?«
«Handschuhe«, sagte er kurz und bündig.»Außerdem sind noch viel zuviel von Mr. Goodhavens eigenen Abdrücken da. Beispielsweise kein Abdruck einer Handfläche auf dem Schalthebel. Ich weiß nicht, ob wir uns darum gekümmert hätten, wenn wir der Meinung gewesen wären, er hätte die Fliege gemacht. Es war ein kalter Tag, nicht zu vergessen; er hätte selbst Handschuhe anhaben können.«
«Vielleicht hätten Sie ein abgekartetes Spiel vermutet«, schlug ich vor.
«Haben Sie schon einmal daran gedacht, bei der Polizei zu arbeiten?«
«Diese Art Disziplin bekommt mir nicht.«
«Sie lassen sich nicht gerne befehlen, Sir?«
«Ich erteile mir meine Befehle lieber selbst.«
Er grinste, aber nicht verächtlich.»Sie würden nichts taugen in Uniform.«
«Nicht die Bohne.«
Ich vermutete, er hatte seine Gründe für diese kleine Exkursion zur Erforschung meines Charakters; und wenn er selbst sich in Uniform so wohl gefühlt hätte, würde er vermutlich jetzt noch in einer herumlaufen.
Im Türrahmen erschien Perkin, der seinen Overall anhatte.
«Ist Mackie hier irgendwo?«fragte er.»Ich kann sie nicht finden.«»In der Küche, bei Tremayne«, sagte ich.
«Danke. «Er warf einen Blick auf Doone und das Brett und bemerkte dann ironisch:»Fest am Aussortieren, was?«
Doone sagte eine Idee zu heftig:»Mr. Kendall ist immer sehr hilfsbereit«, und Perkin verzog das Gesicht und ging zu Mackie.
«Noch einmal zu Harrys Wagen«, sagte ich zu Doone.»Da gibt es noch ein kleines logistisches Problem. Ich meine, vielleicht hat unser Mann sein eigenes Auto auf dem Bahnhofsparkplatz in Reading abgestellt, ist dann mit dem Zug nach Maidenhead und vom dortigen Bahnhof mit dem Bus bis in die Nähe des Flusses gefahren; von dort aus ist er zu Fuß zum Bootshaus gegangen… ist das denn wahrscheinlich?«
«Könnte wohl sein, aber bislang haben wir noch niemanden gefunden, der etwas Brauchbares bemerkt hat.«
«Das Ticket vom Parkplatz?«
«Im Auto war keins. Wir wissen nicht, wann das Auto auf dem Parkplatz abgestellt wurde. Es könnte am Mittwoch auch an einem anderen Ort gestanden haben und erst umgesetzt worden sein, nachdem unser Mann erfahren hat, daß Mr. Goodhaven noch lebt.«
«Hm. Das wiederum würde bedeuten, daß unser Mann eine Menge Zeit zum Manövrieren hatte.«
«Die Rennleute haben flexible Arbeitszeiten«, gab er zu bedenken,»und nachmittags meistens frei.«
«Ich vermute, es besteht keinerlei Hoffnung, daß meine Jacke und meine Stiefel noch im Auto waren«, erkundigte ich mich.
«Keine Spur davon. Tut mir leid. Liegen wahrscheinlich auf irgendeiner Müllkippe. «Er schaute sich erneut im
Zimmer um, dann ließ er die Katze aus dem Sack:»Diese Reiseführer von Ihnen… ich würde sie gern mal sehen.«
Sie lagen im Familienzimmer. Ich ging hinüber, um sie zu holen, kam jedoch lediglich mit Dschungel, Safari und Eis zurück. Die anderen mochten sonstwo sein, erklärte ich Doone, weil alle darin herumschmökerten.
Er schlug Dschungel auf und blätterte schnell durch die Anfangskapitel, die aus schlichten Hinweisen für gutausgerüstete Ferien im Dschungel bestanden: >Niemals barfuß gehen. Nur mit Sandalen duschen. Nehmen Sie vor dem Schlafen Ihre Schuhe mit unter das Moskitonetz. Niemals unbehandeltes Wasser trinken… nie die Zähne damit putzen… niemals Früchte oder Gemüse damit abwaschen, meiden Sie verdächtige Eiswürfel.<
«>Lassen Sie es nicht bis zur Erschöpfung kommen
«Erschöpfte Menschen kümmern sich nicht mehr ausreichend um die lebensnotwendigen Routinehandlungen. Wenn Sie sich nicht allzusehr überfordern, steigen Ihre Chancen zu überleben. Wenn Sie beispielsweise einen weiten Weg zurückzulegen haben, ist es besser, langsam ans Ziel zu gelangen, als überhaupt nicht.«
«Ein schwacher Tip«, sagte er kopfschüttelnd.
Ich wollte mich nicht mit ihm streiten; doch Jahr für Jahr sterben viele Menschen, weil sie den Grad ihrer Schwäche unterschätzen. Es ist besser, etwas früher Rast zu machen, solange man noch Energie genug hat, ein Zelt aufzustellen, ein Iglu zu graben, eine Plattform oben im Baum zu bauen. Sich ohne Schutzmaßnahmen vor Erschöpfung einfach fallen zu lassen, könnte dem Ausdruck >todmüde< eine neue Bedeutung geben.
«>Nahrung<«, las Doone vor.»>Fischen, Jagen, Fallen-stellen.<«
Er überblätterte ein paar Seiten.»>Im Dschungel hängt man Angelhaken auf, um Vögel zu fangen. Köder nicht vergessen. Man braucht immer einen Köder.<«Er blickte auf.»Dieser Briefumschlag war der Köder, habe ich recht?«
Ich nickte.»Ein guter Köder.«
«Wir haben ihn nicht gefunden. Das Wasser ist wie flüssiger Schlamm. Man kann keine Handbreit sehen, sagen meine Leute.«
«Da haben sie recht.«
Er starrte mich einen Augenblick lang an.»Ach ja. Ich hatte vergessen, daß Sie drin waren. «Er vertiefte sich wieder in das Buch.»>Wild kann man mit einem Speer oder Pfeil und Bogen erlegen, doch bedarf es dazu beträchtlicher Übung und erfordert, daß man stundenlang auf der Lauer liegen muß. Eine Falle kann Ihnen das Warten abnehmen…<«Er las weiter.»>Die klassische Falle für große Tiere ist eine Grube mit angespitzten Stöcken, die nach oben zeigen. Bedecken Sie die Grube mit unverdächtig aussehender Vegetation und Erde, und legen Sie den Köder direkt obendrauf.<«Er schaute mich an.»Sehr anschauliche Anweisungen, sogar mit Illustrationen.«
«Ja, leider.«
Er blickte wieder auf die Seite und las weiter:»>Alle angespitzten Stöcke, die in Fallen verwendet werden (aber auch Speere und Pfeile), können gehärtet werden, um ihre Durchschlagskraft zu erhöhen. Das geschieht, indem man sie in heißer Asche kurz ankohlt, ein Prozeß, der die Holzfasern festigt und härtet.<«Doone hörte auf zu lesen und bemerkte:»Sie erwähnen hier nichts von angefeilten Fahrradrahmen und Treppengeländern.«
«Im Dschungel kommen einem nicht sehr viele Fahrradrahmen unter. Äh… sie waren angefeilt?«
Er seufzte.»Nicht nachträglich. «Dann las er weiter.»>Falls das Ausheben oder Auskratzen einer Fallgrube sich als unpraktikabel erweist, weil die Erde zu hart oder zu feucht ist, probieren Sie es mit einem Netz. Legen Sie das Netz so aus, daß sich das Wild darin verfängt, sobald es in die Falle tappt. Zur Herstellung eines starken Netzes eignen sich feste Pflanzenfasern.<«Er las einige Seiten leise weiter, schüttelte ab und zu den Kopf, doch nicht, wie ich bemerkte, weil er die Anleitungen anzweifelte, sondern aus Sorge darüber, wie leicht sich dies bewerkstelligen ließ.
«>Wie man eine Schlange röstet««, las er vor.»Großer Gott.«
«Geröstete Klapperschlange schmeckt so ähnlich wie Hühnchen.«
«Haben Sie so was schon gegessen?«
Ich nickte.»Gar nicht mal so schlecht.«
«>Erste Hilfe. Wie man starke Blutungen zum Stillstand bringt. Druckpunkte… Um klaffende Wunden zu schließen, benutzt man Nadel und Faden. Spinnweben auf der Wunde sorgen dafür, daß das Blut schneller gerinnt.< Spinnweben! Das kann ich nicht glauben.«
«Sie sind organisch«, sagte ich,»und deshalb steriler als das meiste Verbandmaterial.«
«Ohne mich, vielen Dank. «Er legte Dschungel wieder auf den Tisch und blätterte in Safari und Arktis herum. Viele der Anleitungen zum Bau von Fallen kamen in allen Büchern vor, jeweils dem betreffenden Terrain angepaßt.
«>Essen Sie niemals die Leber eines Eisbären««, zitierte Doone höchst erstaunt,»>sie enthält genug Vitamin A, um einen Menschen zu töten.««Er lachte kurz auf.»Das wäre mal eine neue, originelle Mordmethode.«
Man fange sich einen Eisbären…
«Tja, Sir«, sagte Doone und legte die Bücher zur Seite,»wir können zwar die Ideen für die Falle aufspüren, aber wer hat sie Ihrer Meinung nach in die Praxis umgesetzt?«
Ich schüttelte den Kopf.
«Wenn ich Ihnen Namen an den Kopf werfe«, schlug er vor,»äußern Sie die Gründe, pro oder contra.«
«Na schön«, sagte ich bedächtig.
«Mr. Vickers.«
«Tremayne?«Ich muß sehr erstaunt geklungen haben.»Alles Contra.«
«Weshalb, genau?«
«Na ja, so etwas könnte er nie tun.«
«Ich habe Ihnen bereits gesagt, ich kenne diese Leute nicht so gut wie Sie. Nennen Sie bitte Ihre Gründe.«
Ich überlegte kurz.»Tremayne Vickers ist energisch, ein bißchen altmodisch, geradeheraus und meistens sehr nett. Angela Brickell wäre nicht nach seinem Geschmack gewesen. Falls — und meiner Überzeugung nach ist das ein kolossales falls — falls es ihr gelungen wäre, ihn zu verführen, und sie ihm dann gesagt hätte, er sei der zukünftige Vater, dann hätte es eher seinem Stil entsprochen, sie zu ihren Eltern zurückzuschicken und sie den Umständen entsprechend zu versorgen. Er drückt sich nicht vor der Verantwortung. Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, daß er mit einer Frau in den Wald geht, um mit ihr zu schlafen. Unmöglich. Und was den Mordversuch an Harry betrifft…«
Mir fehlten die Worte.
«In Ordnung«, sagte Doone. Er holte ein Notizbuch hervor und schrieb general stabsmäßig KENDALLS
EINSCHÄTZUNGEN oben auf die Seite. Darunter schrieb er Tremayne Vickers, versehen mit einem Kreuz, und unter Tremayne Nolan Everard.
«Nolan Everard«, sagte er.
Schon schwieriger.»Nolan ist forsch. Er ist dynamisch und entschlossen… und gewalttätig.«
«Und er hat damit gedroht, Sie umzubringen«, sagte Doone platt.
«Wer hat Ihnen das erzählt?«
«Die ganze Rennszene hat ihm dabei zugehört.«
Ich seufzte und klärte ihn über meine Reitergeschichten auf.
«Als er Sie attackierte, hoben Sie ihn wie ein Baby vor allen Leuten in die Luft«, sagte Doone.»Manche Männer vergessen so was nie.«
«Wir sprechen von Angela Brickell und Harry«, erinnerte ich ihn.
«Dann sprechen Sie von Nolan Everard. Zuerst pro.«
«Pro… Er hat Olympia umgebracht, nicht absichtlich, aber immerhin hat er ihr Leben aufs Spiel gesetzt. Er konnte sich keinen zweiten Skandal leisten, während er noch auf das erste Verfahren wartete. Falls ihn Angela Brickell verführt hat — oder umgekehrt — und ihm mit einer schmutzigen Vaterschaftsklage drohte… ich weiß nicht. Auch hier ein großes falls, aber nicht so unwahrscheinlich wie bei Tremayne. Nolan und Sam Yaeger treiben es anscheinend oft mit dem gleichen Mädchen, mehr oder weniger, um sich gegenseitig auszustechen. Nolan reitet normalerweise Chickweed, das Pferd, um das sich Angela Brickell zu kümmern hatte, und bei den Rennen hätte es wohl schon Gelegenheiten für Sex gegeben, zum Beispiel in einer der Pferdeboxen, wenn er das Risiko nicht gescheut hätte. Für diese Aussagen könnte er mich wegen Verleumdung verklagen.«
«Er wird nichts davon erfahren«, sagte Doone entschieden.
«Das ist eine Unterhaltung zwischen Ihnen und mir. Sollte jemand nachfragen, dann streite ich ab, mit Ihnen diesen Fall jemals besprochen zu haben.«
«Nicht mehr als fair. «Ich überlegte einen Moment.»Was die Falle für Harry angeht, so wäre Nolan geistig und körperlich dazu in der Lage.«
«Aber? Ich hörte da ein aber.«
Ich nickte. »Contra: Er ist Fionas Vetter, und die beiden stehen sich sehr nahe. Er braucht Fionas Pferde, um seinen Amateurstatus zu halten. Er könnte nicht sicher sein, ob Fiona noch Rennpferde laufen hätte, wenn sie annehmen müßte, daß Harry ein Mörder ist… wenn sie dächte, er hätte sie ohne Vorwarnung verlassen, ohne eine Erklärung, wenn sie sich aus Sorge um ihn so sehr grämen würde und sie andererseits der Gedanke an Harry und Angela Brickell verfolgen würde.«
«Würde sich Everard über all das überhaupt Gedanken machen?«fragte Doone zweifelnd.
«Die Falle war sehr gut ausgetüftelt.«
Doone malte ein Fragezeichen hinter Nolans Namen.
«Hat denn niemand ein solides Alibi für Mittwoch nachmittag?«fragte ich.»Das ist genau die Zeit, die unser Mann mit einer guten Erklärung aus der Welt schaffen muß.«
«Glauben Sie nicht, daß wir das nicht auch wüßten«, nickte Doone.»Die wenigsten Männer, die etwas mit Shellerton House zu tun haben, können jede einzelne Stunde dieses Nachmittags nachweisen, die Frauen schon.
Wir sind heute vormittag schon sehr fleißig mit unseren Ermittlungen gewesen. Mrs. Goodhaven war bei einem Treffen ihres Wohlfahrtsvereins und genau um drei Uhr zurück, als Sie anriefen. Mrs. Perkin Vickers war beim Rennen in Ascot, was dadurch verbürgt ist, daß sie ein Pferd für das Drei-Meilen-Rennen gesattelt hat. Die Sekretärin von Mr. Vickers, Dee-Dee, tätigte mehrere Anrufe hier vom Büro aus, und Mrs. Ingrid Watson war mit ihrer Mutter in Oxford zum Einkaufen und kann Rechnungen dazu vorlegen.«
«Ingrid?«
«Sie kann nicht bestätigen, was ihr Mann gemacht hat.«
Er schrieb Bob Watson unter Nolan.
«Was dafür sprechen könnte, daß er unser Mann ist«, sagte ich unschlüssig,»ist Ingrid selbst. Sie würde sich ein Techtelmechtel mit Angela Brickell nicht gefallen lassen. Aber ob Bob jemanden umbringen würde, um mit Ingrid verheiratet zu bleiben…«Ich schüttelte den Kopf.»Ich weiß nicht. Er ist ein guter Aufseher. Tremayne vertraut ihm, aber für seine Loyalität würde ich meine Hand nicht ins Feuer legen. Außerdem ist er ein außerordentlich geschickter Zimmermann, wie Sie selbst gesehen haben. Er hat bei der Party, auf der Olympia starb, die Getränke serviert. Er war als Gast auf der Bootshaus-Party.«
«Contra?«
Ich zögerte.»Der Mord an Angela Brickell kann aus einer momentanen Panik heraus geschehen sein. Die Falle für Harry vorzubereiten erforderte Verschlagenheit und starke Nerven. Ich kenne Bob Watson nicht gut genug, um eine richtige Meinung über ihn zu haben. Ich kenne ihn nicht so gut wie die anderen.«
Doone nickte und setzte auch hier ein Fragezeichen hinter den Namen.
Dann schrieb er Gareth Vickers.
Ich mußte grinsen.»Er kann’s nicht sein.«
«Warum nicht?«, wollte Doone wissen.
«Angela Brickells Geschlechtlichkeit hat ihn verschreckt. Er wäre niemals mit ihr in den Wald gegangen. Abgesehen davon hat er keinen Führerschein und war am Mittwochnachmittag in der Schule.«
«Tatsächlich ist jedoch bekannt, daß er durchaus sehr geschickt mit dem Jeep seines Vaters in den Downs herumkurvt, und meine Männer haben herausgefunden, daß er am vergangenen Mittwoch nicht in der Schule, sondern bei einem Ausflug zum Windsor Safari Park gewesen ist. Der verantwortliche Lehrer war ganz aufgeregt, weil so viele Jungs abgehauen sind, um sich etwas zu essen zu kaufen.«
Ich versuchte mir Gareth als Mörder vorzustellen.»Sie wollten wissen, was ich von diesen Leuten weiß. Gareth kann einfach nicht unser Mann sein.«
«Wieso sind Sie so sicher?«
«Ich bin einfach sicher.«
Er versah Gareth’ Namen mit einem Kreuz und fügte nach kurzem Zögern ein Fragezeichen hinzu.
Ich schüttelte den Kopf. Unter Gareth’ Namen schrieb er Perkin Vickers.
«Wie sieht’s mit ihm aus?«
«Perkin…«:, seufzte ich.»Die meiste Zeit über lebt er in einer anderen Welt. Er arbeitet sehr viel. Pro würde ich sagen: Er stellt Möbel her, er kennt sich mit Holz aus. Ich weiß nicht recht, ob man es als pro oder contra werten soll, daß er in seine Frau vernarrt ist. Er ist sehr besitzergreifend, auf eine gewisse Art wie ein kleines Kind. Sie liebt ihn und kümmert sich um ihn. Contra. er hat kaum etwas mit den Pferden zu tun. Er geht nie zum Rennen. Er erinnerte sich nicht einmal daran, wer Angela Brickell war, an dem Morgen, als Sie zum ersten Mal hier waren.«
Doone preßte bedächtig die Lippen zusammen, nickte dann und malte ein Kreuz hinter Perkin und dann wiederum ein Fragezeichen.
«Sie lassen alle Optionen offen?«fragte ich trocken.
«Man kann nie wissen, was wir noch nicht wissen«, sagte er.
«Wie tiefgründig.«
«Es ist wohl vernünftig anzunehmen, daß Mr. Goodhaven sich die Falle nicht selbst gestellt hat, um mich von seiner Unschuld zu überzeugen«, sagte er und schrieb Harry Goodhaven auf die Liste.
«Hundertprozentig«, pflichtete ich ihm bei.
«Wie auch immer, er hat Sie als Zeugen mitgenommen. «Er machte eine kleine Pause.»Nehmen wir nur mal an, er hat es geplant. Nehmen wir an, er brauchte Sie, damit Sie bezeugen konnten, daß er in eine Falle gegangen ist.«
«Unmöglich.«
Ungerührt setzte er auch hinter Harry ein Fragezeichen.
«Wer hat dann seinen Wagen weggefahren?«fragte ich leicht aggressiv.
«Ein gewöhnlicher Dieb.«
«Das glaube ich nicht.«
«Sie mögen ihn«, sagte Doone.»Sie sind unzuverlässig.«
«Die Überschrift auf Ihrem Blatt lautet: KENDALLS EINSCHÄTZUNGEN«, protestierte ich.»Meine Einschätzung von Harry erfordert ein dickes Kreuz.«
Er schaute auf seine Notizen, zuckte mit den Schultern und machte aus dem Fragezeichen ein Kreuz. Dann setzte er weiter rechts in dieselbe Zeile ein Fragezeichen.»Meine Einschätzungen«, sagte er.
Ich lächelte etwas gequält und fragte nachdenklich:»Haben Sie schon herausgefunden, wann die Falle gestellt wurde? Die Bodenbretter abdecken, den Marmor suchen und festkleben, den Balken absägen — ich möchte wetten, dieses Stück ist den Fluß hinuntergetrieben — daran denken, die untere Tür abzuschließen… Das alles dauert so seine Zeit.«
«Wann ist das denn Ihrer Meinung nach erledigt worden?«Er gab sich nicht die geringste Blöße.
«Entweder am Dienstag oder am Mittwochmorgen, würde ich sagen.«
«Und wie kommen Sie darauf?«
«Die öffentliche Anti-Harry Stimmung hatte am Montag, Dienstag und Mittwoch ihren Höhepunkt erreicht, doch schon am Samstag vorher hatten Sie Ihre Nachforschungen weiter ausgedehnt. was unserem Mann einen fürchterlichen Schrecken eingejagt haben muß. Sam Yaeger verbrachte den ganzen Montag auf seinem Grundstück, weil er auf ärztliche Anweisung nach einem Sturz aussetzen mußte, doch schon am Dienstag nahm er wieder an den Rennen teil, und am Mittwoch ritt er in Ascot, also war das Bootshaus den ganzen Dienstag über und auch Mittwochvormittag unbewacht.«
Doone blickte mich schräg von unten an.
«Etwas vergessen Sie dabei«, sagte er und fügte seiner Liste den Namen Sam Yaeger hinzu.