Im Verlauf der darauffolgenden Woche hatten auch alle überregionalen Zeitungen über das Verschwinden von Angela Brickell berichtet. Obwohl in allen Blättern zwei Monate zuvor etwas über den Tod von Olympia in Shel-lerton zu lesen gewesen war, zog niemand konkrete Schlüsse aus den Fakten.
Ich erfuhr, daß Angela mit fünf anderen Mädchen, die sie als >launisch< bezeichneten, in einem Quartier bei den Stallungen wohnte. Ein unscharfes Foto von ihr zeigte das Gesicht eines Kindes, nicht das einer jungen Frau. Der Aufforderung >Finden Sie dieses Mädchen< war wohl von Anfang an nicht sehr viel Aussicht auf Erfolg beschieden, wenn die Leser sich darauf verlassen mußten, das Mädchen aufgrund des Zeitungsbildes zu erkennen.
Ich fand keinerlei Nachricht, daß man sie gefunden hätte, und nach ungefähr einer Woche versiegten die Zeitungsausschnitte zu ihrem Fall. Für den Juli existierten überhaupt keine Schnipsel, es schien, als hätte zu dem Zeitpunkt die Bruderschaft der Jagdrennen geschlossen Urlaub genommen; im August jedoch ging es gleich mit mehreren Berichten über die Eröffnung der neuen Saison in Devon los. >Vickers siegt weiter!<
Nolan hatte einen Sieg auf einem von Fionas Pferden heimgeholt:»Der überaus bekannte Amateur, der zur Zeit auf Kaution frei ist und einer Verhandlung wegen tätlichen Angriffs mit Todesfolge entgegensieht.«
Anfang September tauchte Nolan erneut in den Nachrichten auf, diesmal als Entlastungszeuge für Tremayne, der vom Jockey Club beschuldigt wurde, eines seiner Pferde gedopt zu haben.
Sogar nach dieser kurzen Zeit unserer Bekanntschaft schien mir Tremayne der letzte zu sein, der seine ganze Existenz wegen einer solchen Bagatelle aufs Spiel setzte, und so las ich ungläubig, daß eines seiner Pferde positiv auf einen Test reagiert hatte, der Spuren der Stimulansmittel Theobromin und Koffein nachwies, verbotene Substanzen also.
Das betreffende Pferd hatte im Mai ein Amateurrennen gewonnen. Nolan, der es für die Besitzerin, Fiona, geritten hatte, sagte aus, er habe nicht die geringste Vorstellung, wie die Drogen hätten verabreicht werden können. Er selbst war an diesem Tag für das Pferd verantwortlich gewesen, da Tremayne das Rennen nicht besucht und das Tier in die Obhut seines Futtermeisters und eines Stallmädchens gegeben hatte. Weder der Aufseher noch Tremayne wußten etwas darüber, wie die Drogen zu dem Tier gelangt waren. Auch Mrs. Fiona Goodhaven konnte keine Erklärung abgeben, obwohl sie und ihr Mann beim Rennen anwesend waren.
Der Urteilsspruch des Clubs lautete dahingehend, daß es keine Möglichkeit gab, herauszufinden, wer dem Pferd das Mittel auf welchem Wege verabreicht hatte, da man das Mädchen, das für das Pferd verantwortlich gewesen war, nicht befragen konnte, weil sie, Angela Brickell, nicht aufzufinden war.
Angela Brickell. Du meine Güte, dachte ich.
Ungeachtet dessen war Tremayne der Anklage für schuldig erklärt und zu einem Bußgeld von fünfzehnhundert Pfund verurteilt worden. Nicht mehr als eine Kopfnuß, wie mir schien.
Beim Verlassen der Anhörung hatte Tremayne mit den Schultern gezuckt und gesagt:»So was kommt vor.«
Die Droge Theobromin, wußte ein Reporter zu berichten, läßt sich, ebenso wie Koffein, in ganz gewöhnlicher Schokolade aufspüren. So, so, so, dachte ich, langweilig darf es beim Rennsport wohl auch nie zugehen.
Der Rest des Jahres erwies sich im Vergleich eher als Talsohle, obwohl es auch da eine lange Reihe bemerkenswerter Siege zu verzeichnen gab. >Der Stall in Höchst-form< oder >Noch mehr Schwung bei Vickers< oder >Glo-ria Vicktoria<, je nachdem, welches Blatt oder welches Magazin man zu Rate zog.
Ich brachte das Jahr zu Ende und saß nachdenklich vor den Schachteln, als Tremayne mit einem Mantel voll kühler Heideluft hereingestürmt kam.
«Na, wie geht’s?«fragte er.
Ich zeigte auf den Stapel Ausschnitte neben der leeren Schachtel.»Ich habe mich durch das letzte Jahr gelesen, mit all seinen Siegern.«
Er strahlte.»Ich konnte einfach nichts falsch machen. Unglaublich. Manchmal läuft alles nach Plan. Dann gibt es wieder Jahre, in denen geht ein Virus um: Pferde brechen zusammen, Eigentümer sterben, eine furchtbare Zeit. Spielerglück, wie es so schön heißt.«
«Ist Angela Brickell jemals wieder aufgetaucht?«
«Wer? Ach, die. Nein. Weiß Gott, wo dieses dumme kleine Luder geblieben ist. Jeder Blödmann im Renngeschäft weiß, daß man Pferden beim Training keine Schokolade geben darf. Leider mögen die meisten Schokolade über alles. Jeder weiß auch, daß hier und da ein Riegel Mars einem Pferd nicht gleich zum Sieg verhilft, aber was will man machen, nach den Bestimmungen ist Schokolade eben ein Stimulans, Pech gehabt.«
«Hätte das Mädchen großen Ärger bekommen, wenn sie geblieben wäre?«
Er lachte.»Von mir bestimmt. Ich hätte sie rausgeschmissen, doch sie war schon weg, bevor ich erfuhr, daß das Pferd positiv getestet worden war. Ein reiner Routinetest. Fast jeder Sieger wird getestet. «Er unterbrach sich, setzte sich auf einen Stuhl mir gegenüber auf der anderen Seite des Tisches und starrte nachdenklich auf einen Stapel Ausschnitte.»Wissen Sie, es hätte jeder gewesen sein können, jeder hier vom Hof. Sogar Nolan selbst, obwohl ich nicht wüßte, warum er so etwas hätte tun sollen. Wie auch immer«, er zuckte die Achseln,»das passiert öfter, seitdem die Testverfahren so hochentwickelt sind. Gott sei Dank mahnen sie nicht gleich, so wie früher, bei jeder Unregelmäßigkeit automatisch den Trainer ab. Es muß schon kraß kommen, jenseits von Zufall oder Auslegung. Trotzdem lebt jeder Trainer mit einem hohen Risiko. Man ist irgendwelchen Schurken ausgeliefert, der puren Boshaftigkeit. Man trifft alle möglichen Vorkehrungen, aber dann hilft nur noch Beten.«
«Das würde ich gerne zitieren, wenn es Ihnen recht ist.«
Er blickte mich prüfend an.»Ich habe wohl doch einen guten Autor erwischt, was?«
Ich schüttelte den Kopf.»Sie haben einen, der sein Bestes geben wird.«
Sein Lächeln schien Zufriedenheit auszudrücken, und nach dem Mittagessen (Rindfleisch-Sandwiches) machten wir uns daran, seine frühen Jahre, die er mit dem exzentrischen Vater verbracht hatte, auf Band aufzunehmen. Allem Anschein nach hatte sich Tremayne unbeschwert über einige psychologische Lappalien hinweggesetzt wie etwa die Erfahrung, als Steigbügelbursche und Zaumzeugpfleger an eine Familie, die in Leicestershire die Fuchsjagd betrieb, vermietet zu werden und ein Jahr später als Stallbursche an einen Polospieler in Argentinien.
«Aber das war Kindesmißhandlung«, protestierte ich.
Tremayne kicherte ungerührt.»Man hat mich nicht belästigt, falls Sie das meinen. Mein Vater vermietete mich, strich das Geld ein, das ich verdiente, und zog mir eins mit dem Spazierstock über, wenn ich sagte, das sei nicht fair. Natürlich war es nicht fair. Er sagte, das wäre eine wertvolle Lektion, zu erfahren, daß das Leben nicht fair ist. Erwarte niemals und von niemandem Fairneß. Ich sage Ihnen, was er mir damals sagte, aber Sie dürfen sich glücklich schätzen, daß es Ihnen nicht eingeprügelt wird.«
«Werden Sie mich denn bezahlen?«
Er lachte herzhaft.»Darum wird sich bestimmt Ronnie Curzon kümmern. «Er amüsierte sich prächtig.»Hat Ihr Vater Sie jemals geschlagen?«
«Nein, er hielt nichts davon.«
«Ich auch nicht, so wahr mir Gott helfe. Ich habe weder Perkin noch Gareth jemals geschlagen. Es ging nicht. Ich erinnerte mich zu gut daran, wie ich mich dabei gefühlt hatte. Aber auf der anderen Seite nahm er mich mit nach Argentinien, um die ganze Welt. Ich habe mehr gesehen als die meisten englischen Jungs. Ich habe in der Schule eine Menge versäumt. Er war verrückt, keine Frage, aber er verpaßte mir eine unbezahlbare Erziehung, und ich würde nichts daran ändern wollen.«
«Sie hatten einen ziemlich starken Willen«, sagte ich.
«Klar. «Er nickte.»Den braucht man im Leben.«
Bestimmt kann man ihn gut gebrauchen, ging es mir durch den Kopf, aber ein starker Wille gehört nicht zur Grundausstattung. Viele Kinder wären zerbrochen, hätten sie das durchgemacht, was Tremayne als seine Erziehung bezeichnete. Ich gewöhnte mich allmählich an Tremayne und seinen Stoizismus.
Am späten Nachmittag, nachdem wir die Bandaufnahmen beendet hatten, lieh er mir seinen Volvo, damit ich am Bahnhof von Didcot mein Päckchen mit den Büchern abholen und den Einkauf erledigen konnte; dabei gab er mir den guten Rat, nach Möglichkeit nicht in einen der vielen Straßengräben zu rutschen. Die Straßen waren jetzt auch etwas besser und die Luft war nicht mehr so gnadenlos kalt, obwohl die Wetterfrösche noch mehr Frosttage voraussagten. Ich kaufte mit der Sorglosigkeit des Luxus Lebensmittel ein, holte die Bücher ab und war wieder zu Hause, als Tremayne noch draußen in den Ställen bei der abendlichen Inspektion war.
Er kehrte zusammen mit Mackie zurück, und beide hauchten sich in die Fäuste und trampelten mit den Füßen, während sie das Befinden der einzelnen Pferde diskutierten.
«Du reitest morgen am besten Selkirk«, sagte Tremayne zu ihr.»Er ist in letzter Zeit ein bißchen zu keck für seinen Stallburschen.«
«In Ordnung.«
«Außerdem habe ich vergessen, Bob zu sagen, daß die Burschen den Tieren zwei Decken überwerfen sollen, wenn sie nur Trabübungen machen.«
«Ich erinnere ihn daran.«
«Schön.«
Er sah, wie ich in der Küche gerade die letzten Einkäufe verstaute, und fragte mich, ob die Bücher angekommen seien. Ich bejahte.
«Großartig. Bringen Sie sie mit ins Familienzimmer. Los komm, Mackie, Gin Tonic.«
Die großen Scheite im Kamin des Familienzimmers gingen nie ganz aus; Tremayne schob die Glut geschickt mit dem Fuß zusammen, warf ein paar trockene Äste und ein Stück Birkenholz obendrauf und entfachte ein neues Feuer. Der Abend spulte sich genauso ab, wie schon zweimal zuvor, als Perkin auf die Sekunde genau eintraf und sich eine Cola holte.
Mit schmeichelhafter Neugier öffnete Tremayne das Bücherpaket und verteilte einige davon an Mackie und Perkin. Die Büchlein, die mir so vertraut waren, schienen einen großen Eindruck auf die anderen zu machen, obwohl ich mir nicht recht erklären konnte, weshalb.
Sie waren kaum größer als Taschenbücher und sahen eher aus wie Videokassetten, mit weißen Hochglanzeinbänden und mehrfarbigen, schwarz unterlegten Schriftzügen: Überleben im Dschungel in Grün, Überleben in der Wüste in Orange, Überleben auf See in Blau, Überleben im Eis in Violett, Überleben auf Safari in Rot und Überleben in der Wildnis in kräftigem Rotbraun.
«Hol’s der Teufel«, entfuhr es Tremayne.»Richtige Bücher.«
«Was haben Sie denn erwartet?«fragte ich.
«Na… Heftchen vielleicht, dünne Taschenbücher.«
«Die Reisefirma wollte sie auffällig gestalten«, erklärte ich,»außerdem sollten sie praktisch sein.«
«Das muß Ihnen einen Haufen Arbeit bereitet haben«, stellte Mackie fest, die in Eis herumblätterte und sich die Illustrationen betrachtete.
«Ehrlich gesagt, so einiges wiederholt sich da schon«, sagte ich.»Ich meine, viele Überlebenstechniken kann man überall anwenden, egal wo man sich befindet.«
«Was zum Beispiel?«wollte Tremayne mit dem vertrauten herausfordernden Klang in der Stimme wissen.
«Feuer anmachen, Wasser finden, einen Unterschlupf bauen. So was in der Art.«
«Die Bücher sind faszinierend«, sagte Mackie, inzwischen mit Auf See beschäftigt,»aber wie viele Menschen stranden heutzutage noch auf einsamen Inseln?«
Ich mußte grinsen.»Nicht viele. Die Leute sind aber von der Vorstellung des Überlebens fasziniert. Es gibt Schulen, in denen Leute Ferienkurse im Überleben absolvieren. Tatsächlich gehört zu den tödlichsten Situationen, in die man geraten kann, der Aufenthalt in den britischen Bergen, wenn ein kalter Nebel aufzieht und man nicht die richtige Kleidung dabei hat. Jedes Jahr gibt es eine nicht unbeträchtliche Zahl von Menschen, die das nicht überleben.«
«Sie würden es überleben?«fragte Perkin.
«Ja, aber vor allem würde ich nie mit der falschen Ausrüstung dort herumkraxeln.«
«>Das Überleben fängt bereits an, bevor Sie unterwegs sind<«, zitierte Tremayne aus den ersten Seiten von Dschungel. Er blickte amüsiert auf und ergänzte:»»Überleben ist eine Geistesverfassung.««
«Stimmt.«
«Ich besitze sie«, sagte er.
«Das ist richtig.«
Die drei lasen mit offensichtlichem Interesse weiter in den Büchern, tauchten in zufällig aufgeschlagene Kapitel ein, überblätterten manche Seite und lasen sich wieder fest. Ich dachte, daß sie die Überzeugung der Reisefirma aufs schönste bestätigten, daß nämlich die Grundbegriffe des Überlebens vor allem auf die hochkultivierten, ultraverhätschelten Leute einen unwiderstehlichen Reiz ausübten — solange sie sie nicht unter bitterernsten Bedingungen in die Praxis umsetzen mußten.
Gareth platzte in die friedliche Szene hinein wie ein Poltergeist bei der Generalprobe.»Na, alle so beschäftigt?«fragte er, und dann erblickte er die Bücher auf dem Tisch.»Jungejunge! Sie sind da!«Er grabschte sich Überleben in der Wildnis und stürzte sich sofort hinein; ich saß da mit meinem Glas Wein und fragte mich, ob ich jemals drei Leute bei der Lektüre von Zuhause ist weit erwischen würde.
«Das geht aber gut zur Sache«, meinte Mackie nach einer Weile und legte ihr Buch zur Seite.»Tiere abziehen und ausnehmen, bäh.«
«Wenn du am Verhungern wärst, würdest du es tun«, sagte Tremayne.
«Ich würde es für dich tun«, rief Gareth.
«Ich auch«, meldete sich Perkin.
«Dann muß ich aufpassen, daß ich nirgendwo ohne euch beide ausgesetzt werde. «Sie scherzte liebevoll mit ihren Beschützern.
«Und ich bleibe dann im Camp und mahle das Korn. «In gespieltem Schrecken schlug sie sich die Hand vor den Mund.»Gütiger Himmel, die Feministinnen mögen mir verzeihen.«
«Das ist ja ganz schön langweilig, mit den Impfungen und so«, beschwerte sich Gareth, der sich nicht für geschlechtsspezifische Rollenverteilungen interessierte.
«>Lieber die Impfungen als die Krankheiten<, steht hier«, konterte Tremayne.
«Na denn.«
«Die Tetanusspritze hast du ja schon.«
«Hoffentlich«, sagte Gareth zustimmend. Er schaute mir in die Augen.»Haben Sie all diese Impfungen über sich ergehen lassen?«»Klar.«
«Tetanus?«
«Ganz besonders Tetanus.«
«Da steht unheimlich viel über erste Hilfe«, sagte er dann beim Weiterblättern.»>Wie man Blutungen zum Stoppen bringt… Druckverbände.< Eine ganze Karte mit Arterien. >Was tun bei Vergiftung?… schlucken Sie Holzkohle\< Meinen Sie das im Ernst?«
«Sicher«, antwortete ich.»Man zerstößt ein bißchen in Wasser und trinkt es. Das Karbon hilft dabei, gewisse Gifte ohne schlimme Folgen durch die Därme zu transportieren.«
«Großer Gott«, sagte Tremayne.
Sein jüngster Sohn las weiter.»Hier steht, daß man Urin trinken kann, wenn man ihn destilliert.«
«Gareth!«rief Mackie angewidert.
«Hier steht es jedenfalls so. >Urin ist steril und kann keine Krankheiten verursachen. Kochen Sie ihn auf und kondensieren Sie den Dampf, der nichts anderes ist als reines destilliertes Wasser, das Sie absolut gefahrlos trinken kön-nen.<«
«John, also wirklich!«protestierte Mackie.
«Es stimmt«, sagte ich mit einem Lächeln.»Wassermangel ist ein furchtbarer Killer. Wenn Sie ein Feuer haben, aber kein Wasser, dann wissen Sie jetzt, was zu tun ist.«
«Das könnte ich nie.«
«Überleben ist eine Geistesverfassung«, wiederholte Tremayne.»Man weiß nie, wozu man fähig ist, solange man nicht dazu gezwungen ist.«
Perkin wandte sich an mich:»Haben Sie es jemals getrunken?«
«Destilliertes Wasser?«
«Sie wissen schon, was ich meine.«
Ich nickte.»Ja, habe ich. Um es für die Bücher auszuprobieren. Ich habe noch ganz andere Dinge destilliert. Brackiges Dschungelwasser; nassen Schlamm; besonders Meerwasser. Solange die Grundflüssigkeit wasserhaltig und noch nicht vergoren ist, entsteht aus dem Dampf reines H2O. Wenn Meerwasser verdampft, bleibt Salz übrig, was auch ganz nützlich ist.«
«Was geschieht, wenn die Grundflüssigkeit vergoren ist?«
«Dann ist der Dampf Alkohol.«
«Ach ja, ich glaube, das haben wir schon in der Schule gehabt.«
«Gin Tonic in der Wildnis?«schlug Tremayne vor.
«Ich könnte Sie ohne Probleme in der Wildnis betrunken machen«, sagte ich gutgelaunt,»aber für richtigen Gin braucht man Wacholderbüsche, und für Tonic Chinchona-bäume wegen des Chinins, und ich befürchte, die wachsen nicht beide am gleichen Ort; aber wer weiß. «Ich überlegte kurz.»Eiswürfel könnten im Regenwald etwas problematisch werden.«
Tremayne lache dröhnend.»Mußten Sie jemals auf all den Kram zurückgreifen, um Ihr Leben zu retten?«
«Nicht ganz. Ich habe mehrere Wochen hintereinander mit Hilfe dieser Methoden gelebt, aber es wußte immer jemand so ungefähr, wo ich mich befand. Ich hatte immer die Möglichkeit, die Sache abzubrechen. Grundsätzlich erprobte ich praktikable, durchführbare, sinnvolle Möglichkeiten in den Gebieten, in denen unsere Reisefirma Abenteuerurlaube veranstalten wollte. Aber ich mußte nie beispielsweise nach einem Flugzeugabsturz im Gebirge überleben.«
Im Jahre 1972 mußten sich ein paar Leute nach einem Flugzeugunglück in den Anden dadurch am Leben erhalten, daß sie andere Menschen aßen. Ich hielt es für besser, Mackie nichts davon zu erzählen.
«Ist denn jemals etwas schiefgegangen?«wollte sie dennoch wissen.
«Hin und wieder.«
«Was zum Beispiel?«
«Na ja, Insektenstiche, und hin und wieder mußte ich Sachen essen, die sich nicht so recht mit meinem Magen vertragen wollten. «Sie sahen alle so aus, als wären das alltägliche Erfahrungen, aber ich bin tatsächlich einige Male so krank gewesen, daß ich mich nur ungern daran erinnerte.
Wahrheitsgemäß fügte ich hinzu:»Einmal, in Kanada, wurde mein Lager von einem Bären verwüstet; der Kerl trieb sich noch tagelang in der Nähe herum. Ich kam nicht mehr an meine Ausrüstung heran. Das war nicht ganz ungefährlich, damals.«
«Wirklich?«Gareth hörte mir mit offenem Mund zu.
«Es ist nichts passiert«, sagte ich.»Der Bär hat sich davongemacht.«
«Hatten Sie nicht Angst, daß er zurückkommt?«
«Ich habe schleunigst zusammengepackt und bin woanders hingegangen.«
«Toll!«
«Bären sind Menschenfresser«, wies Perkin seinen Bruder zurecht.»Nicht daß du auf die Idee kommst, es John nachzumachen.«
Tremayne betrachtete seine beiden Söhne nachsichtig.»Habt ihr noch nichts von Ersatzbefriedigung gehört?«
«Nein«, sagte Gareth.»Was ist das?«»Träumereien«, tippte Mackie.
Perkin sagte:»Wenn andere Leute sich für einen abplagen.«
«Laßt Gareth ruhig träumen«, sagte Tremayne und nickte nachdenklich.»Das ist normal. Ich glaube keine Sekunde daran, daß er auf die Bärenjagd gehen will.«
«Jugendliche stellen die blödsinnigsten Sachen an, Gareth ist da keine Ausnahme.«
«Hey«, rief Gareth protestierend,»das sagt gerade der Richtige. Wer ist denn aufs Dach geklettert und konnte dann nicht mehr herunter?«
«Halt die Klappe«, sagte Perkin.
«Hört auf damit«, stöhnte Mackie.»Warum müßt ihr beide euch immerzu streiten?«
«Im Vergleich zu Lewis und Nolan sind wir Waisenknaben«, meinte Perkin.»Die können richtig bösartig werden.«
«Seit Olympias Tod haben sie sich nicht mehr gestritten«, sagte Mackie ernst.
«Nicht wenn wir dabeiwaren«, pflichtete ihr Perkin bei,»aber wir wissen nicht, was sie sich in ihren eigenen vier Wänden an den Kopf werfen.«
Vorsichtig, da es mich eigentlich nichts anging, fragte ich:
«Weswegen streiten sie sich denn?«
«Warum streiten sich die Leute?«sagte Tremayne.»Diese beiden sind neidisch aufeinander. Sie haben sie doch gestern abend kennengelernt. Nolan ist der gutaussehende Draufgänger und Lewis der betrunkene Schlaukopf. Nolan besitzt Mut und ist schwer von Begriff, Lewis ist körperlich gesehen eine Katastrophe, nüchtern jedoch ist er geradezu ein Finanzkünstler. Nolan ist ein Gewinnertyp, Lewis haut überall daneben. Lewis wäre gerne der strahlende Amateurjockey, und Nolan würde gerne stinkreich die gesellschaftliche Erfolgsleiter hinaufschweben. Keiner von ihnen wird sein Ziel erreichen, was dem Neid allerdings keinen Abbruch tut.«
«Du gehst zu hart mit ihnen ins Gericht«, murmelte Mackie.
«Du weißt, daß ich recht habe.«
Sie stritt es nicht ab, sagte aber:»Vielleicht hat sie die Geschichte mit Olympia zusammengebracht.«
«Du bist eine liebenswerte junge Frau«, entgegnete Tremayne.
«Du siehst in allen nur das Gute.«
«Hände weg von meiner Frau«, schaltete sich Perkin ein, was spaßig oder schon ernsthaft gemeint sein konnte. Tremayne nahm die Bemerkung von der lustigen Seite, und ich dachte mir, er müsse die besitzergreifende Art seines Sohnes gewöhnt sein.
Er wandte sich von Perkin zu mir und wechselte das Thema ohne Überleitung:»Wie gut können Sie reiten?«
«Äh… ein Rennpferd habe ich noch nie geritten.«
«Sondern?«
«Mietgäule, Touristenklepper, Ponywanderungen, arabische Heißblüter in der Wüste.«
«Hm. «Er überlegte.»Hätten Sie Lust, morgen früh mein altes Arbeitspferd mit den anderen auszuführen?«
«Okay. «Anscheinend hörte ich mich sehr halbherzig an, denn er fragte noch einmal nach.
«Möchten Sie wirklich?«
«Ja, sehr gern.«
Er nickte zufrieden.»Na schön. Mackie, richte Bob bitte aus, er soll Touchy für John satteln, falls du vor mir auf dem Hof bist.«
«In Ordnung.«
«Touchy hat den Cheltenham Gold Cup gewonnen«, informierte mich Gareth.
«Tatsächlich? Schönes Arbeitspferd.«
«Keine Bange«, lächelte mir Mackie zu,»er hat inzwischen fünfzehn Jahre auf dem Buckel und ist schon fast ein Gentleman.«
«Normalerweise schmeißt er die Leute nur freitags runter«, beruhigte mich Gareth.
Am nächsten Morgen, einem Freitagmorgen, angetan mit Reithosen, Stiefeln, Anorak und Handschuhen, ging ich nicht ohne Beklemmungen zu den Stallungen hinüber. Ich hatte schon beinahe zwei Jahre auf keinem Pferd mehr gesessen, und egal was Mackie sagen mochte, meine Vorstellung von einer behutsamen Rückkehr in den Sattel sah nicht gerade vor, in dem eines erstklassigen Jagdpferdes, pensioniert oder nicht pensioniert, zu landen. Touchy war ein Koloß mit ausgeprägten Muskeln; die brauchte er auch, fiel mir ein, um Tremaynes Gewicht auszuhalten. Bob Watson begrüßte mich mit einem Helm in der Hand und einem Grinsen; er half mir in den Sattel. Von dort oben war der sichere Erdboden ziemlich weit entfernt.
Also gut, dachte ich. Viel Spaß. Ich habe gesagt, ich kann reiten. Jetzt ist die Zeit der Wahrheit gekommen. Tremayne, der mich aufmunternd mit schräggestelltem Kopf beobachtete, riet mir, mich hinter Mackie zu halten, die die Führung der Gruppe übernehmen würde. Er selbst kam mit dem Traktor hinterher. Ich könne Touchy in strammem Trab auf der Allwetterstrecke ausreiten, sobald die anderen fertig seien.
«Alles klar«, sagte ich.
Er lächelte versteckt und ging davon, und ich faßte die Zügel und ein paar entschlossene Gedanken und versuchte, mich nicht selbst zum Clown zu machen.
Bob Watson erschien noch einmal an meinem Ellenbogen.
«Halten Sie ihn zurück, wenn er losgaloppieren will«, teilte er mir mit,»sonst reißt er Ihnen die Arme ab.«
«Danke sehr«, sagte ich, doch er war schon wieder weg.
«Heraus mit euch!«rief er, und schon kamen sie alle aus ihren Boxen, stampften im Lampenlicht, drehten sich mit dampfenden Nüstern, als Bob die Burschen in die Sättel hievte, alles wie gehabt, nur war ich jetzt ein Teil davon, war mitten auf der Leinwand, wie in einem lebenden Gemälde von Munnings, unglaublich.
Ich folgte Mackie zum Hof hinaus, über die Straße auf den Heideweg und fand schnell heraus, daß Touchy aus Gewohnheit sehr wohl wußte, was er zu tun hatte, und daß er auf Fersendruck besser reagierte als auf kräftige Anweisungen mit den Zügeln in seinem zähen alten Maul.
Mackie drehte sich mehrmals um, um sich zu vergewissern, daß ich mich nicht in Luft aufgelöst hatte, und sie beobachtete mich, als ich mit den anderen im Kreise ritt, während wir auf Tremaynes Ankunft warteten und es allmählich heller wurde.
Sie kam neben mich und fragte:»Wo haben Sie reiten gelernt?«
«In Mexiko.«
«Dann hat Sie ein Spanier unterrichtet!«
«Ja, stimmt.«
«Ließ er Sie mit verschränkten Armen reiten?«
«Ja, woher wissen Sie das?«»Habe ich mir gedacht. Bei Touchy sollten Sie die Ellenbogen lieber anlegen.«
«Danke.«
Sie lächelte und ritt davon, um die Reihenfolge zu bestimmen, in der die einzelnen Gruppen auf die Galoppstrecke gehen sollten.
Noch immer war alles von einer dünnen Schneedecke bestäubt; es war wieder ein klarer Morgen, beißend kalt und wunderschön. Ein winterlicher Sonnenaufgang in den Downs; einmal erlebt, nie vergessen.
Eine Gruppe nach der anderen verschwand auf der mit Sägespänen bestreuten Strecke, bis zuletzt nur noch Mackie und ich übrig waren.
«Ich halte mich zu Ihrer Rechten«, sagte sie, schräg versetzt hinter mir.»So kann Tremayne sehen, wie Sie reiten.«
«Heißen Dank«, sagte ich ironisch.
«Sie schaffen das schon.«
Plötzlich schwankte sie im Sattel, und ich streckte meine Hand aus, um sie zu stützen.
«Geht es Ihnen nicht gut?«fragte ich besorgt.»Sie hätten sich nach diesem Schlag gegen den Kopf länger schonen sollen. «Sie war blaß und hatte die Augen weit aufgerissen. Beunruhigend.
«Nein… ich…«Sie schnaufte unregelmäßig.»Mir war nur auf einmal. oh. oh.«
Sie schwankte wieder und sah aus, als würde sie ohnmächtig werden. Ich beugte mich zu ihr hinüber und legte meinen rechten Arm um ihre Taille; ich hielt sie fest, damit sie nicht vom Pferd fallen konnte. Sie sackte zusammen und hing schlaff in meinem Arm, bis ich sie richtig stützen konnte. Da sie eine Hand in die Zügel geschlungen hatte, blieb ihr Pferd dicht bei meinem stehen, die Köpfe der Tiere berührten sich beinahe.
Ich nahm ihre Zügel in meine Linke, hielt sie mit der Rechten fest gepackt, und als ihr Pferd den Rumpf leicht zur Seite bewegte, rutschte sie vollends aus dem Sattel und lag sodann, nur von meinem Griff gehalten, halb auf meinem Knie und halb auf Touchys Schulter.
Ich durfte sie nicht fallen lassen, und ich konnte auch nicht absteigen, ohne daß sie mir aus dem Arm geglitten wäre, und so zog ich sie mit beiden Händen weiter herauf, bis sie schließlich halb auf Touchys Sattel saß, halb lag, und von meinen Armen gehalten wurde. Touchy war davon nicht sehr begeistert, und Mackies Pferd hatte einen Satz zur Seite gemacht, so weit ihm das die Zügel erlaubten; es war kurz davor, sich loszureißen. Ich überlegte mir, ob ich es nicht einfach loslassen sollte, trotz der eisigen Gefahren, die hier draußen überall auf es lauerten. Vielleicht würde es mir gelingen, den doppelt beladenen Touchy zurück zum Stall zu bringen, womit ein schlimmeres Unglück als Mackies Bewußtlosigkeit verhindert wäre. Die Dringlichkeit, Hilfe für sie herbeizuschaffen, eröffnete mehr Möglichkeiten, als ich mir hätte vorstellen können.
Touchy bekam ein unmißverständliches Zeichen von meinem Schenkel und machte sich gehorsam auf den Heimweg. Ich entschloß mich, Mackies Pferd so lange am Zügel mitzuführen, wie es sich das gefallen ließ, und wie durch ein Wunder verstand es, daß es wieder nach Hause ging und sträubte sich nicht länger.
Wir hatten ungefähr drei Schritte auf diese Weise zurückgelegt, als Mackie aufwachte und sofort voll da war, als hätte jemand das Licht wieder angeschaltet.
«Was ist passiert..?«»Sie sind ohnmächtig geworden und hier herübergekippt.«
«Das kann doch nicht sein. «Sie mußte jedoch einsehen, daß es sehr wohl geschehen war.»Lassen Sie mich bitte herunter. Mir ist furchtbar schlecht.«
«Können Sie stehen?«Ich war besorgt.»Oder soll ich Sie besser so nach Hause bringen?«
«Nein. «Sie drehte sich auf den Bauch und ließ sich hinabrutschen, bis sie mit den Füßen den Boden berührte.»Wie dumm von mir«, sagte sie.»Mir geht es wieder besser, wirklich. Geben Sie mir bitte meine Zügel.«
«Mackie.«
Plötzlich drehte sie sich von mir weg und erbrach sich, von Krämpfen geschüttelt, in den Schnee.
Ich sprang mit beiden Zügeln in den Händen ab und versuchte, ihr zu helfen.
«O je«, sagte sie mit schwacher Stimme und suchte nach einem Taschentuch,»Ich muß irgend etwas Mieses gegessen haben.«
«Meine Kochkünste können es nicht gewesen sein.«
«Nein. «Sie fand das Tuch und lächelte gequält. Sie und Perkin waren am Vorabend nicht zum Essen — es gab Brathähnchen — geblieben.»Ich fühle mich schon seit einigen Tagen nicht wohl.«
«Gehirnerschütterung«, vermutete ich.
«Nein, schon vorher. Vielleicht die Anspannung wegen der Verhandlung. «Sie atmete einige Male tief durch und putzte sich die Nase.»Ich bin wieder in Ordnung. Das verstehe ich nicht.«
Sie blickte mich verwirrt an, und ich sah ganz deutlich, wie ihr ein Gedanke in den Kopf fuhr, der ihren Gesichtsausdruck von Erstaunen in Hoffnung und dann. in Freude verwandelte.
«Oh!«stieß sie verzückt aus.»Denken Sie, daß… ich meine, ich habe mich schon die ganze Woche morgens nicht so gut… aber nach zwei Jahren hatte ich schon nicht mehr zu hoffen gewagt, und außerdem wußte ich nicht, daß es einem gleich am Anfang so schlecht wird… ich meine, ich hatte nicht den geringsten Verdacht… bei mir ist es immer sehr unregelmäßig. «Sie lachte.»Verraten Sie Tremayne nichts davon; auch Perkin nicht. Ich will erst noch ein bißchen warten, um sicher zu sein. Aber ich bin mir sicher. Es erklärt eine ganze Reihe eigenartiger Dinge, die mir in der letzten Woche passiert sind. Meine Brustwarzen haben gespannt, meine Hormone verrückt gespielt. Ich kann es noch nicht glauben. Ich platze gleich vor Freude.«
Ich dachte, ich hätte noch nie zuvor jemanden so uneingeschränkt und aus tiefstem Herzen glücklich gesehen, und ich freute mich außerordentlich für sie.
«Was für eine Offenbarung!«rief sie.»Als hätte es gerade ein Engel verkündet… wenn das nicht allzu blas-phemisch klingt.«
«Steigern Sie sich nicht zu sehr hinein.«
«Seien Sie nicht albern. Ich bin sicher. «Auf einmal schien ihr wieder einzufallen, wo wir uns befanden.»Tremayne wird sich aufregen, wenn wir ihn so lange warten lassen.«
«Ich reite zu ihm und erzähle ihm, daß Sie nach Hause sind, weil Sie sich nicht wohl fühlten.«
«Nein, auf keinen Fall. Ich fühle mich wieder gut. Ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nicht besser gefühlt. Es geht mir außerordentlich und unübertroffen gut. Helfen Sie mir in den Sattel.«
Ich sagte ihr, sie müsse sich ausruhen, doch sie widersprach mir energisch, und zu guter Letzt beugte ich mich ihrem Willen, hob sie in den Sattel und kletterte selbst wieder auf Touchys breiten Rücken. Sie nahm die Zügel, als wäre nichts geschehen, und ritt in leichtem Galopp die Strecke hinauf, wobei sie sich umschaute, ob ich ihr auch folgte. Ich schloß mich ihr an, in der Erwartung, den ganzen Weg in diesem gemächlichen Tempo zurückzulegen, doch kaum hatte ich sie eingeholt, wurde sie erheblich schneller, und ich konnte schlecht zurückbleiben und sagen, Augenblick mal, ich bin schon lange nicht mehr geritten und könnte leicht vom Pferd fallen. Statt dessen legte ich, wie mir gesagt worden war, die Ellenbogen an und verließ mich auf mein Glück.
Kurz vor dem Ziel spornte Mackie ihr Pferd zum vollen Galopp an, und in genau diesem Tempo rasten wir an Tremayne vorbei. Ich nahm ihn schemenhaft wahr, wie er breitbeinig auf dem kleinen Beobachtungshügel stand, aber meine ganze Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf mein Gleichgewicht, die Zügel und auf das, was sich da vor mir zwischen Touchys Ohren abspielte.
Als Mackie ihr Tempo verlangsamte, wurde auch Touchy Gott sei Dank langsamer und kam gütigerweise zum Stehen, ohne seinen Reiter abzuwerfen, Freitag hin, Freitag her. Ich war außer Atem und erregt und konnte mir gut vorstellen, mich nach ein oder zwei weiteren solcher Übungen an Touchy zu gewöhnen.
«Wo zum Teufel seid ihr gewesen?«wollte Tremayne, der bei uns und dem Rest der Reiter angekommen war, von mir wissen.
«Ich dachte schon, Sie hätten gekniffen.«
«Wir haben uns nur unterhalten«, sagte Mackie.
Tremayne sah in ihr vor Aufregung glühendes Gesicht und zog womöglich falsche Schlüsse daraus, sagte aber nichts. Er befahl allen, im Schritt zurück auf die Bahn zu gehen, dort abzusteigen und die Pferde wie sonst auch den letzten Teil des Weges am Zügel zurückzuführen.
Mackie, die wieder an der Spitze ritt, fragte mich, ob ich die Nachhut übernehmen wollte, um sicherzugehen, daß alle wohlbehalten daheim ankamen; ich übernahm die Aufgabe gerne. Tremaynes Traktor folgte uns langsam in angebrachter Entfernung.
Etwas später stampfte er in die Küche, wo ich mir gerade Orangensaft aus dem Kühlschrank angelte, und polterte ohne Vorwarnung los:»Was hatten Sie denn mit Mackie zu besprechen?«
«Das wird sie Ihnen noch erzählen«, sagte ich lächelnd.
«Mackie kommt für Sie nicht in Frage«, sagte er angriffslustig.
Ich setzte den Orangensaft ab und richtete mich auf; ich wußte zuerst nicht, was ich sagen sollte.
«Wenn Sie wissen wollen, ob mir Mackie gefällt«, sagte ich dann doch,»dann antworte ich Ihnen: Ja, sie gefällt mir, sie ist ein tolles Mädchen. Aber ich habe kapiert, daß sie nicht in Frage kommt. Wir haben nicht geflirtet, Süßholz geraspelt oder wie Sie es sonst ausdrücken wollen. Absolut nicht!«
Er grummelte eine Weile vor sich hin und sagte dann:»Gut, in Ordnung«, und ich dachte mir, daß er Mackie auf seine Weise nicht weniger für sich beanspruchte als Perkin.
Kurz darauf, als er den Toast kaute, den ich für ihn zubereitet hatte, schien er den Vorfall schon vergessen zu haben.
«Wenn Sie möchten«, sagte er,»können Sie jeden Morgen ausreiten.«
Er bemerkte, wie sehr ich mich darüber freute.»Das würde ich sehr gerne tun.«
«Dann ist es beschlossene Sache.«
Der Tag verging nach dem Muster, das sich inzwischen eingeschliffen hatte: Zeitungsschnipsel, Rindfleisch
Sandwiches, Tonbandaufnahmen, Drinks am Abend, Gareth’ Ankunft, Abendessen kochen. Dee-Dee hatte ihr Mißtrauen mir gegenüber verloren, Perkin hingegen nicht. Tremayne hatte anscheinend meine Versicherung vom Morgen akzeptiert, und Mackie grinste in ihren Tonic ohne Gin hinein, wobei sie es vermied, meinem Blick zu begegnen; sie befürchtete, jemand könnte entdecken, daß wir ein kleines Geheimnis miteinander hatten.
Am Samstagmorgen ritt ich Touchy wieder, aber Mackie war nirgends zu sehen. Sie hatte Tremayne angerufen und ihm gesagt, sie fühle sich nicht wohl, doch beim Frühstück erschien sie mit Perkin in der Küche, er hatte den Arm um ihre Schulter gelegt, noch besitzergreifender als sonst.
«Wir müssen dir etwas mitteilen«, sagte Perkin zu Tre-mayne.
«So, was denn?«fragte Tremayne, der mit irgendwelchen Papieren beschäftigt war.
«Dann hör mal zu. Wir bekommen ein Baby.«
«Das glauben wir jedenfalls«, fügte Mackie hinzu.
Tremayne war augenblicklich die Aufmerksamkeit selbst und sofort tief ergriffen. Er, der nicht gerade ein Mann war, der seine Gefühle offen zeigte, sprang zwar nicht von seinem Stuhl auf, um die beiden zu umarmen, aber er schnurrte buchstäblich wie ein Katze und schlug mit der Faust auf die Tischplatte. Sohn und Schwiegertochter dechiffrierten diese Signale ohne Schwierigkeiten und sahen rundum zufrieden mit sich und der Welt aus. Sie setzten sich an den Tisch, tranken einen Kaffee mit uns und rechneten aus, daß die Geburt im September stattfinden würde, über das genaue Datum waren sie sich nicht einig.
Mackie warf mir ein verstohlenes Lächeln zu, das mir Perkin verzieh. Sie wirkten jetzt beide viel verliebter und viel entspannter, als wäre ein großes Gewicht, das sich durch die vergebliche Liebesmühe auf sie getürmt hatte, plötzlich von ihnen gefallen.
Nach dieser Aufregung arbeitete ich den ganzen Morgen über an den Zeitungsausschnitten, ohne Unterstützung von Dee-Dees Kaffee, da sie samstags nicht arbeitete. Gareth ging Samstag morgens zur Schule und hatte einen zweiten Zettel an die Korktafel gepinnt: NACHMITTAGS FUSSBALLSPIEL; der Zettel mit ZUM FUTTERN WIEDER DA wurde deswegen nicht entfernt. Tremayne verfluchte die noch immer andauernde Flaute im Pferderennsport, die sogar auf die Fernsehsendungen übergegriffen hatte, und sprach die Saga seiner frühen Lebensjahre auf Band, bis zu der Zeit, als er seinen Vater in ein Bordell begleitete.
«Mein Vater wollte keine andere haben als die Madame. Sie sagte, sie habe sich schon lange aus dem aktiven Geschäft zurückgezogen, doch zu guter Letzt entsprach sie seinen Wünschen doch. Sie konnte ihm einfach nicht widerstehen, dem verrückten alten Charmeur.«
Am Abend kochte ich für uns drei Junggesellen Lammkoteletts mit Erbsen und ungeschälten Kartoffeln, und am Sonntagmorgen besuchten Fiona und Harry die Ställe, um nach ihren Pferden zu sehen und sich anschließend mit Tremayne im Familienzimmer einen Schluck zu genehmigen. Nolan begleitete sie, aber ohne Lewis. Eine Tante von Harry, auch eine Mrs. Goodhaven, war ebenfalls mit von der Partie. Mackie, Perkin und Gareth stießen dazu, wie bei einem gängigen Ritual.
Mackie konnte die frohe Neuigkeit nicht länger für sich behalten, und Fiona und Harry umarmten sie herzlich, während Perkin eine wichtige Miene aufsetzte und Nolan halbherzig seine Glückwünsche loswurde. Tremayne spendierte Champagner.
Ungefähr zur gleichen Zeit, zehn Meilen entfernt im tiefen Forst, stieß ein Wildhüter auf das, was von Angela Brik-kell übriggeblieben war.