Kapitel 4

Als ich am nächsten Morgen hinunterging, fand ich das Gemeinschaftszimmer dunkel vor; in der Küche brannte jedoch Licht.

Die Küche war nicht ganz so hochherrschaftlich eingerichtet wie die von Fiona, doch immerhin gab es hier einen großen Tisch mit Stühlen ringsum, ebenso einen soliden Gasherd, dessen Wärme den frühmorgendlichen Frost ohne Schwierigkeiten verscheuchte. Ich hatte mir schon überlegt, daß ich von Tremayne einen Mantel ausleihen mußte, wenn ich mir die Pferde ansehen ging, doch auf einem der Stühle lagen meine Stiefel, die Handschuhe und der Skianzug, an dem mit einer Sicherheitsnadel festgesteckt ein Zettel hing:»Mit herzlichstem Dank zurück.«

Ich mußte grinsen, nahm den Zettel ab und zog mir gerade Anzug und Stiefel an, als Tremayne in gefüttertem Mantel, mit Mütze und gelbem Schal hereinkam, sich in die bloßen Fäuste hauchte und den Nordpol mit in die Küche brachte.

«Ah, da sind Sie ja«, sagte er schnaufend.»Bob Watson hat vor dem Füttern Ihre Sachen vorbeigebracht. Fertig?«

Ich nickte.

«Ich muß nur rasch meine Handschuhe holen. «Er vergewisserte sich, daß auch ich welche dabei hatte.»Es ist so kalt, wie ich es noch nie erlebt habe. Wir werden nicht sehr lange draußen bleiben, der Wind ist gräßlich. Kommen Sie.«

Während wir durch die Diele nach draußen gingen, erkundigte ich mich nach dem Füttern.

«Bob Watson kommt um sechs«, sagte er kurz gefaßt.»Sämtliche Pferde, die im Training stehen, bekommen frühmorgens eine Ration. Sehr proteinhaltig. Hält sie warm. Gibt Energie. Ein Vollblut entwickelt bei Proteindiät eine Menge Hitze. Auch bei diesem Wetter. Sie werden selten in einer Pferdebox einen zugefrorenen Wassereimer finden, ganz gleich, wie kalt es draußen ist. Merken Sie sich eins«, sagte er,»wir tun unser Möglichstes, damit es nicht durch die Türen zieht, aber die Tiere müssen frische Luft haben. Andernfalls, wenn Sie sie zu sehr verhätscheln, haben die Viren freie Bahn.«

Wir machten ein paar Schritte vor die Tür, und schon verschluckte der Wind seine letzten Worte und saugte uns den Atem aus den Lungen. Ich schätzte, daß wir immer noch mindestens zehn Grad minus hatten, plus Wind, also die gleichen Bedingungen wie am Abend vorher. Wahrscheinlich würde der Frost nicht so lange anhalten wie 1963, dachte ich. Damals hatten wir den kältesten Winter seit 1740 erlebt.

Nach wenigen Schritten erreichten wir die Stallungen. Am Abend vorher waren sie im Dunkeln kaum zu sehen gewesen, jetzt war alles hellerleuchtet und schwirrte vor Betriebsamkeit.

«Bob Watson ist kein gewöhnlicher Futtermeister. Er kann einfach alles und ist auch stolz darauf. Egal, was es ist — tischlern, klempnern, betonieren, alles, was den Zustand des Hofs oder die Arbeitsbedingungen angeht — er macht Verbesserungsvorschlage und erledigt die Arbeiten auch größtenteils selbst.«

Derjenige, dem dieser Lobgesang galt, kam auf uns zu, registrierte, daß ich den Skianzug anhatte und nahm meinen Dank entgegen.

«Alles fertig, Boss«, sagte er zu Tremayne.

«Schön. Laß sie heraus, Bob. Und dann machst du dich besser auf den Weg, wenn du nach Reading willst.«

Bob nickte und gab ein Signal, woraufhin aus vielen offenen Türen Pferde herausgeführt wurden. Die Reiter trugen Hartschalenhelme und die Pferde warme Decken. Inmitten der Lichter und der umgebenden Dunkelheit weckten diese riesigen, elementaren Kreaturen, die weiße Atemwolken ausstießen, im Kreis herum geführt wurden und das Eis unter ihren Hufen zermalmten, in mir ein jähes Gefühl von Freude und Ergriffenheit, so daß ich zum ersten Mal wirkliche Begeisterung für die Aufgabe empfand, der ich mich nun mal verschrieben hatte. Ich wünschte mir, malen zu können, doch keine Leinwand, nicht einmal ein Film hätte diesen Eindruck von bodenständigem Leben oder das Prickeln oder den Geruch des gefrorenen Hofes einfangen können.

Bob bewegte sich durch die Szene, half jedem der Burschen in die Steigbügel. Dann bildeten sie eine lange Reihe, vielleicht zwanzig an der Zahl, und zogen durch einen weiter entfernten Ausgang davon. Die Pferde schritten auf langen, kräftigen Beinen, die Reiter kauerten mit nickenden Köpfen obenauf.

«Wunderschön«, sagte ich beinahe schwärmerisch zu Tremayne.

Er sah mir ins Gesicht.»Sie haben etwas für Pferde übrig, nicht wahr?«

«Sie auch? Nach all der Zeit?«

Er nickte und sagte:»Ich liebe sie«, als wäre das eine völlig normale Aussage, und fuhr in der gleichen Tonlage fort:»Da der Jeep im Graben liegt, müssen wir uns auf dem Traktor zur Galoppstrecke begeben. Einverstanden?«

«Aber ja«, gab ich zurück und erhielt kurz darauf, hoch über den kettenbewehrten Rädern des Traktors meine Einführung in das Trainieren von Pferden für Hindernisrennen. Wie mir Tremayne mitteilte, war der Platzwart an diesem Morgen schon einmal mit dem Traktor oben in den Downs gewesen, um die Strecke für die Pferde zu präparieren. Tremayne setzte sich mit der Selbstverständlichkeit langjähriger Gewohnheit selbst hinter das Steuer, blickte jedoch nicht in die Richtung, in die er fahren wollte, sondern ließ seinen Blick über alles andere wandern, was ringsumher zu erkennen war.

Sein Haus und die Stallungen lagen, wie ich jetzt sah, genau am Rand des grasbewachsenen Hochlands, so daß die Pferde nur eine einzige öffentliche Straße überqueren mußten und sogleich auf einem Heideweg waren, dessen Oberfläche mit einem nicht näher zu identifizierenden Zeug bestreut war, damit sie auf dem Eis besser treten konnten.

Um die Tiere nicht zu erschrecken, wartete Tremayne, bis die ganze Reihe sicher drüben angekommen war, bevor er ihnen in gebührendem Abstand folgte. Kurz darauf schritten sie nach rechts weg, wir hingegen rumpelten weiter den ausgefahrenen Weg mit seinen gefrorenen Schlammspuren hinauf, einem Horizont entgegen, der sich allmählich aus der nachlassenden Dunkelheit schälte.

Durch das Heulen des Windes rief mir Tremayne zu, in dieser ausgedehnten Heidelandschaft, die sich in westöstlicher Richtung durch Wiltshire und Berkshire erstreckte, sei ein absolut windstiller Morgen so selten anzutreffen wie ein ehrlicher Bettler. Dessen ungeachtet brach ein schöner klarer Tag an. Hinter den sanft geschwungenen, schneebestäubten Hügeln färbte sich der blaßgraue Himmel strahlend blau. Als Tremayne den Traktor anhielt und die Stille und die Abgeschiedenheit alle Sinne betörten, kam man schnell auf den Gedanken, daß es hier oben schon seit Tausenden von Jahren so aussah, daß diese urwüchsige Landschaft, die da vor unseren Augen lag, schon lange vor Menschengedenken dagewesen ist.

Tremayne teilte mir ganz prosaisch mit, daß wir schon hinter der nächsten Biegung nicht mehr weit von den Trainingsplätzen entfernt waren, wo seine Pferde über Hürden und andere Hindernisse springen lernten. Heute würden sie jedoch nur mit halbem Tempo auf die Allwetterstrecke gehen, und er führte mich zu Fuß ein Stück des mit Pulverschnee bedeckten Weges vom Traktor weg zu einer kleinen Bodenerhebung, von wo aus wir ein langes dunkles Band präparierter Erde sehen konnten.

Es zog sich am Fuße des Hügels entlang und machte an seinem Ende, irgendwo außerhalb unserer Sicht, eine Kehre.

«Sie kommen hier zu uns herauf«, sagte er.»Der Allwetterbelag besteht aus Sägespänen. Erzähle ich Ihnen gerade etwas, das Sie schon wissen?«

«Nein«, antwortete ich.»Erklären Sie mir alles.«

Er grunzte unverbindlich und setzte einen Feldstecher an die Augen, der stark genug war, um den Reitern direkt ins Gehirn zu sehen. Ich schaute in die Richtung, in die er blickte, aber es dauerte sehr lange, bis ich die drei dunklen Umrisse ausgemacht hatte, die sich da unten über die dunkle Bahn bewegten. Es schien, als brauchten sie unglaublich lange, bis sie auf unserer Höhe angekommen waren, doch die Langsamkeit war pure Illusion. Sobald sie näher heran waren und an uns vorbeisausten, legten sie eine lebhafte, quirlige Schnelligkeit an den Tag; Muskeln streckten sich, und Hufe trommelten auf die stille Oberfläche.

Sie kamen alle an uns vorbei, immer zwei oder drei auf einmal.

«Die beiden gehören Fiona«, kommentierte Tremayne hinter seinem Fernglas, als ein Paar herrlicher Füchse vorüberstob, und kurz darauf:»Der ganz links, in der nächsten Dreiergruppe, ist mein Grand-National-Gewinner, Top Spin Lob.«

Interessiert beobachtete ich, wie der Stolz des Reitstalls an uns vorüberzog und oben auf dem Hügel die Geschwindigkeit minderte, doch Tremayne neben mir zuckte plötzlich vor Schreck zusammen und sagte:»Was zum Teufel…?«

Ich schaute in die Richtung, in die sein Fernglas zeigte, den Hügel hinunter, sah dort aber nur die nächsten drei Pferde herangaloppieren, zwei vorneweg, eines etwas zurückgefallen. Erst als sie beinahe auf unserer Höhe waren, fiel mir auf, daß das letzte Pferd ohne Reiter ankam.

Die drei Pferde liefen an uns vorbei und wurden dann langsamer.»Scheiße«, sagte Tremayne voller Inbrunst.

«Ist der Bursche runtergefallen?«fragte ich nicht gerade sehr intelligent.

«Zweifellos«, wies mich Tremayne zurecht, angestrengt durch das Fernglas starrend,»aber es ist keiner von meinen.«

«Wie meinen Sie das?«

«Ich meine«, sagte Tremayne,»das ist nicht mein Pferd. Schauen Sie doch mal hin. Das ist keine von meinen Dek-ken. Das Pferd ist nicht gesattelt und hat kein Zaumzeug. Sehen Sie das nicht?«

Nachdem er mir gesagt hatte, auf was ich achten sollte, fiel auch mir auf, was er meinte. Tremaynes Pferde hatten rehbraune Decken mit horizontalen roten und blauen Streifen; Überwürfe, die die Seiten und die Hinterteile bedeckten, den Beinen jedoch vollen Bewegungsspielraum ließen. Der Überwurf des reiterlosen Pferdes war graubraun, viel dicker und mit Riemen unter dem Bauch und vorne über die Schulter festgezurrt.

«Vermutlich halten Sie mich für übergeschnappt«, sagte ich zu Tremayne,»aber vielleicht ist das hier das Pferd, das gestern abend auf der Straße herumlief, bei unserem Unfall. Ich habe es ja nur einen kurzen Augenblick gesehen, aber es sah genauso aus wie dieses hier. Dunkel und mit so einer Decke.«

«So gut wie alle Rennpferde tragen nachts, im Winter, diese Decken«, sagte Tremayne.»Ich will damit nicht behaupten, Sie hätten unrecht; ich werde es aber gleich herausfinden.«

Er ruckte mit dem Fernglas herum und betrachtete in aller Ruhe ein weiteres Paar aus seinem Stall, das dort unten herankam. Erst dann kam er auf das fremde Pferd zurück.

«Das waren die letzten«, sagte er, als sie an uns vorüberpreschten.»Jetzt werden wir sehen, was los ist.«

Er ging neben der Bahn in die Richtung, in die die Pferde verschwunden waren. Schon bald kamen wir über die kleine Anhöhe, hinter der die gesamte Gruppe auf dem verschneiten Gras weite Kreise zog. Nach der Anstrengung stießen die Tiere den Atem in weißen Wolken aus den Mäulern. Ihre Silhouetten zeichneten sich gegen die aufsteigende Sonne ab, schwarz, aber auch strahlend. Bewegung, Frost, das Glitzern: ein unvergeßlicher Morgen.

Linker Hand, ein Stück von der Gruppe entfernt, blies das reiterlose Pferd seine eigenen sonnendurchfluteten Atemwolken in den Himmel. Seine Nervosität war unübersehbar: der Herdeninstinkt trieb es zu seinesgleichen, aber sein wildes Wesen signalisierte Flucht.

Tremayne war bei seinen Stalljungen angekommen und unterhielt sich mit ihnen.

«Weiß jemand, wessen Pferd das ist?«

Sie schüttelten den Kopf.

«Dann reitet zurück zum Hof. Nehmt den Weg über die Allwetterstrecke, sie wird heute morgen nicht mehr benutzt. Paßt auf, wenn ihr die Straße überquert.«

Sie nickten und stellten sich wie vorher vor den Ställen wieder in einer Reihe auf und schritten in einer Wolke aus selbstproduziertem Nebel auf der Bahn davon.

Tremayne kam zu mir:»Würden Sie bitte zum Traktor zurückgehen? Vermeiden Sie abrupte Bewegungen, die das Tier erschrecken könnten. «Seine Augen wanderten in die Richtung des entlaufenen Pferdes.»Im Führerhaus finden Sie einen Strick. Bringen Sie ihn her. Gehen Sie langsam, wenn Sie in Sichtweite kommen.«

«In Ordnung«, gab ich zurück.

Er nickte kurz, und als ich mich auf den Weg machte, sah ich, wie er die Hand in eine Tasche steckte, einige Würfel Spezialfutter herausholte, sie dem Pferd auf der Bahn entgegenstreckte und anfing, auf das Tier einzureden.

«Na komm schon, alter Knabe. Schön ruhig. Komm schon her, du hast bestimmt Hunger…«Seine Stimme war sanft und beruhigend, ohne jede Drohung.

Ich ging gemächlich davon, fand den Strick im Traktor, und als ich vorsichtig wieder über den Hügel in Tremaynes Blickfeld geriet, stand er bereits dicht bei dem Pferd und fütterte es aus der linken Hand, während die rechte einen Büschel Mähne gepackt hielt.

Ich blieb stehen, ging dann langsam weiter. Das Pferd fing an zu beben, wandte mir den Kopf zu, seine Witterung übertrug sich wie Elektrizität. Mit vorsichtigen Bewegungen formte ich eine Schlinge mit Knoten aus einem Ende des geschmeidigen Stricks. Dann ging ich langsam vorwärts, den Strick immer vor mich haltend, und zwar nicht mit einer kleinen Schlaufe, die das Pferd eher erschreckt hätte, sondern in einer weiten Schlinge, die mir fast bis zum Knie reichte.

Tremayne beobachtete mich, redete weiter besänftigend auf das Pferd ein und gab ihm ab und zu einen Futterwürfel zu fressen. Ich arbeitete mich äußerst vorsichtig näher, vermied alles, was nach Zögern oder Angst aussah, und blieb erneut etwa ein oder zwei Schritt von dem Tier entfernt stehen.

«Ja, braver Kerl«, sagte Tremayne zu dem Pferd, und ohne die Stimme zu verändern, forderte er mich auf:»Wenn Sie ihm die Schlinge über den Kopf ziehen können, dann tun Sie es.«

Ich legte die letzten beiden Schritte zurück und stellte mich ohne zu zögern auf der anderen Seite von Tremayne neben das Pferd, so daß es seinen Kopf beinahe wie von selbst durch die schaukelnde Schlinge streckte. Tremayne hatte die Hand mit dem Futter gerade so lange von dem dunklen Pferdemaul weggezogen, daß der Strick vorbeikonnte. Abrupte Bewegungen noch immer vermeidend, zog ich die Schlinge nach und nach enger, bis der Knoten fest, aber nicht zu fest am Hals des Tieres anlag.

«Gut«, sagte Tremayne.»Geben Sie mir den Strick. Ich bringe das Pferd zu meinem Hof. Können Sie den Traktor fahren?«

«Ja.«

«Warten Sie, bis ich dort unten nicht mehr zu sehen bin. Ich möchte nicht, daß er vor Angst durchgeht. Dann könnte auch ich ihn nicht mehr halten.«

«In Ordnung.«

Tremayne fischte erneut einige Futterwürfel aus der Tasche, und während er sie dem Pferd hinhielt, zog er gleichzeitig sanft am Strick. Fast als hätte es sich freiwillig für Futter und Gefangenschaft entschieden, setzte sich das riesige Tier mit ihm in Bewegung. Die beiden schritten hinab auf die dunkle Spur der Sägespäne und trotteten Richtung Stallungen davon.

Futter und ein warmes Plätzchen, kam es mir in den Sinn. Vielleicht hatte ich mit diesem Pferd eine Menge gemeinsam. Hatte ich mich nicht auch mit einer Art von Gefangenschaft abgefunden?

Wie auch immer: Was geschehen ist, ist geschehen, wie Tremayne sagen würde. Ich ging zum Traktor, fuhr auf dem gleichen Weg wieder zurück und stellte ihn dort ab, wo wir ihn am Morgen geholt hatten.

In der jetzt sonnendurchfluteten Küche stand Tremayne neben dem Tisch und redete mürrisch ins Telefon.

«Sie meinen also, wenn jemandem ein Pferd abhanden gekommen wäre, hätte er sich schon bei Ihnen gemeldet!«Er lauschte den Worten am anderen Ende und sagte dann:»Wie auch immer, ich habe hier eins zuviel, also geben Sie mir dann Bescheid.«

Ärgerlich knallte er den Hörer auf.»Bei der Polizei hat sich niemand gemeldet, es ist nicht zu fassen!«

Er zog Mantel, Schal und Mütze aus und hängte alles an den einzigen vorhandenen Haken. Darunter kam ein Golfpullover mit Rautenmuster und ein buntkariertes Hemd mit offenem Kragen zum Vorschein. Der gleiche schrille Geschmack, der auch die Einrichtung des Gemeinschaftsraums prägte.

«Kaffee?«fragte er, bereits auf dem Weg zum Herd.»Es macht Ihnen doch nichts aus, sich selbst um Ihr Frühstück zu kümmern? Sehen Sie sich um, nehmen Sie alles, was Sie möchten. «Er schob den schweren Kessel auf die Kochplatte und ging dann zum Kühlschrank, der Brotscheiben, eine Schale mit gelblicher Butter und einen Topf Marmelade ausspie.»Toast?«fragte er, wobei er zwei Scheiben in einen Halter aus Drahtgeflecht steckte, der sodann hinter einer Luke im Herd verschwand.»Sie können auch Cornflakes haben, wenn Ihnen das lieber ist. Oder kochen Sie sich ein Ei.«

Ich sagte ihm, daß ich mit Toast vollauf zufrieden sei, und wurde dazu delegiert, aufzupassen, daß er nicht verbrannte. Tremayne führte währenddessen zwei weitere Telefongespräche, aus denen ich nicht schlau wurde.

Er zeigte auf einen Schrank:»Teller. «Dort fand ich außerdem Kaffeebecher und in einer Schublade Messer, Gabeln und Löffel.»Hängen Sie Ihre Jacke in die Garderobe, gleich nebenan.«

Er redete weiter in den Hörer hinein: selbstsicher, entschlossen. Ich hängte meine Jacke weg, machte Kaffee und noch mehr Toast. Er knallte den Hörer erneut auf die Gabel und ging in die Diele hinaus.

«Dee-Dee«, rief er laut.»Kaffee.«

Dann kam er zurück, setzte sich an den Tisch und winkte mich neben sich. Ich kam seiner Aufforderung nach, und kurz darauf erschien eine braunhaarige Frau, die Jeans und einen riesenhaften grauen Pullover trug, der ihr bis an die Knie reichte.

«Dee-Dee«, sagte Tremayne zwischen zwei Bissen Toast,»das ist John Kendall, mein Schriftsteller. «Für mich fügte er hinzu:»Dee-Dee ist meine Sekretärin.«

Ich wollte mich höflich erheben, doch sie bedeutete mir ohne ein Lächeln, ich solle sitzenbleiben. Mein erster Eindruck von ihr, als sie zum Kochherd ging, um sich einen Kaffee einzuschenken, war der einer Katze: ultra-samtpfotig, mit fließenden Bewegungen und absolut unabhängig.

Tremayne beobachtete, wie ich sie ansah, und lächelte amüsiert.»Sie werden sich an Dee-Dee gewöhnen. Ich wäre ohne sie aufgeschmissen.«

Sie nahm das Kompliment kommentarlos entgegen und setzte sich auf eine Stuhlkante, als sei sie auf dem Sprung und müsse sowieso gleich wieder gehen.

«Rufen Sie einige Leute an und fragen Sie nach, ob jemand ein Pferd vermißt«, trug ihr Tremayne auf.»Falls jemand in Panik gerät, das Pferd ist hier. Unverletzt. Wir haben ihm Futter und Wasser gegeben. Sieht so aus, als hätte es sich die ganze Nacht draußen in den Downs herumgetrieben. Da wird wohl jemand einen ordentlichen Tritt in den Arsch kriegen.«

Dee-Dee nickte.

«Der Jeep liegt südlich von der A 34 im Graben. Mackie ist da gestern abend reingeschlittert. Niemand verletzt. Die Werkstatt soll ihn herausfischen.«

Dee-Dee nickte.

«Unser Freund John wird im Eßzimmer arbeiten. Geben Sie ihm alles, was er braucht. Wenn er etwas wissen will, sagen Sie es ihm.«

Dee-Dee nickte.

«Der Schmied soll nach den beiden Pferden schauen, die heute morgen beim Galopp Eisen verloren haben. Die Burschen haben die Eisen wiedergefunden, wir brauchen keine neuen.«

Dee-Dee nickte.

«Sollte ich nicht hier sein, wenn der Tierarzt kommt, sagen Sie ihm, er soll sich Waterbourne mal ansehen, sobald er das Fohlen geholt hat; ihre linke vordere Fessel ist ziemlich heiß.«

Dee-Dee nickte.

«Fragen Sie beim Lieferdienst noch mal nach, damit sie das Heu rechtzeitig liefern. Wir sind schon knapp dran. Die sollen mit keinen faulen Ausreden kommen.«

Dee-Dee lächelte, was auf eine dreieckige Art ebenfalls sehr katzenhaft aussah, wenn auch nicht gerade wie ein Schmusekätzchen. Ich mußte flüchtig an Krallen denken.

Tremayne aß seinen Toast und erteilte sporadisch weitere Instruktionen, die sich Dee-Dee anscheinend problemlos merken konnte. Als die Redeflut versiegte, erhob sie sich, nahm ihre Tasse und sagte, sie würde ihren Kaffee im Büro zu Ende trinken, während sie weiterarbeitete.

«Absolut zuverlässig«, sagte Tremayne, kaum daß sie draußen war.»Mindestens zehn Trainer wollen sie mir abspenstig machen. «Er senkte die Stimme.»Ein kleiner Scheißkerl von Amateurjockey hat sie wie den letzten Dreck behandelt. Sie ist noch nicht ganz darüber hinweg. Ich nehme darauf Rücksicht. Wenn sie ab und zu weint, dann liegt es daran.«

Sein Mitgefühl erstaunte mich, und ich spürte, daß ich schon früher hätte erkennen müssen, wie viele Schichten von Tremayne unter dem lauten, befehlshaberischen Äußeren verborgen lagen: nicht nur seine Liebe zu den Pferden, nicht nur das Bedürfnis, sein Leben schriftlich festzuhalten, noch nicht einmal seine versteckte Freude an Gareth, sondern noch andere, intimere Seiten, zu denen ich mit der Zeit vielleicht vordringen würde, vielleicht auch nicht.

Die nächste halbe Stunde verbrachte er am Telefon, teils Anrufe entgegennehmend, teils rief er selbst an. Wie ich später herausfand, waren Trainer zu dieser Tageszeit am ehesten zu Hause anzutreffen. Nachdem er seinen Toast gegessen und den Kaffee getrunken hatte, holte er sich eine Zigarette aus einer Packung auf dem Tisch und zog ein Einwegfeuerzeug aus der Hosentasche.

«Rauchen Sie?«Er schob die Schachtel in meine Richtung.

«Hab’s nie angefangen.«

«Ist gut für die Nerven«, meinte er und sog den Rauch tief ein.

«Ich hoffe, Sie sind kein militanter Gegner.«

«Ich mag den Rauch sogar.«

«Gut. «Das schien ihm zu genügen.»Wir werden gut miteinander auskommen.«

Er teilte mir mit, daß er um zehn Uhr, wenn die erste Gruppe mit Heu und Wasser versorgt war und auch die Stallburschen gefrühstückt hatten, mit dem Traktor zurück zur Bahn fahren würde, um sich die zweite Gruppe anzusehen. Ich müßte mich darum nicht kümmern, sondern könnte mich im Eßzimmer so einrichten, wie es mir zum Arbeiten am liebsten sei. Da momentan wegen des Frosts keine Rennen stattfänden, würde er, wenn ich einverstanden wäre, den Nachmittag mit mir verbringen und von seiner Kindheit erzählen. Wenn erst die Rennen wieder losgingen, hätte er nicht mehr soviel Zeit.

«Gute Idee«, stimmte ich zu.

Er nickte.»Dann kommen Sie mit. Ich zeige Ihnen, wo alles ist.«

Wir gingen hinaus in die getäfelte Diele, und er zeigte auf den gegenüberliegenden Eingang.

«Das ist das Familienzimmer, wie Sie bereits wissen. Direkt neben der Küche…«- er öffnete die nächste Tür — »… ist mein Eßzimmer. Wir benutzen es nicht sehr oft. Sie müssen erst mal die Heizung aufdrehen, schätze ich.«

Ich warf einen Blick in das Zimmer, das ich schon bald besser kennenlernen sollte: ein weitläufiger Raum mit Mahagonimöbeln, protzigen karmesinroten Vorhängen, gediegen beige und gold gestreiften Tapeten und einem schlichten dunkelgrünen Teppich. Bestimmt nicht Tremaynes Wahl, dachte ich. Viel zu gut aufeinander abgestimmt.

«Ist doch prima«, sagte ich zuvorkommend.

«Schön. «Er machte die Tür wieder zu und blickte auf die Treppe, die wir gestern zu den Schlafzimmern hinaufgestiegen waren.»Die Treppe haben wir einziehen lassen, nachdem das Haus geteilt wurde. Der Durchgang direkt daneben führt zur Hälfte von Perkin und Mackie. Kommen Sie mit, ich zeige es Ihnen. «Wir gingen einen breiten, mit blaßgrünem Teppich ausgelegten Korridor entlang, in dem links und rechts an den Wänden Bilder von Pferden hingen, und öffneten am anderen Ende eine weißgestrichene Doppeltür.

«Hier entlang kommt man zur Eingangshalle«, sagte er.»Der älteste Teil des Hauses.«

Wir gelangten in einen großen, mit Parkett ausgelegten Raum, von dem aus sich zwei Freitreppen anmutig zu einer Galerie emporschwangen. Unter der Galerie, zwischen den Treppen, befanden sich zwei weitere Türen, die Tremayne ohne große Worte öffnete. Dahinter bot sich unseren Blicken ein Bild aus goldenen und blauen Möbeln im gleichen Stil wie im Eßzimmer.

«Hier haben wir den Großen Salon«, sagte er.»Wir teilen ihn uns. Eigentlich benutzen wir ihn kaum. Beim letzten Mal feierten wir hier diese verdammte Party…«Er unterbrach sich.»Na ja, wie Mackie schon sagte, ich weiß nicht, wann wir wieder einmal hier feiern werden.«

Schade, dachte ich. Das Haus war wie geschaffen für Parties. Tremayne machte die Tür zum Salon wieder zu und zeigte auf die gegenüberliegende Seite der Eingangshalle.

«Das ist der Vordereingang, und die Türflügel dort rechts führen zu Perkins und Mackies Hälfte. Wir haben für sie eine neue Küche einbauen lassen und auch eine neue Treppe. Das Ganze ist gedacht als zwei eigenständige Häuser mit diesem großen Gemeinschaftsteil dazwischen.«

«Es ist toll«, sagte ich, um ihm eine Freude zu machen, doch es gefiel mir wirklich.

Er nickte.»Es ließ sich recht gut aufteilen. Wer braucht heutzutage noch so große Häuser? Viel zuviel Heizkosten. «Es war tatsächlich frisch in der Eingangshalle.»Der größte Teil wurde so um neunzehnhundertsechs gebaut. Edwardianisch. Landsitz der Familie Windberry, falls Sie schon mal was von ihnen gehört haben.«

«Nein. «Ich mußte passen.

«Mein Vater hat das Anwesen für einen Appel und ein Ei gekauft, in der Depressionszeit. Ich habe mein ganzes Leben hier verbracht.«

«Ist Ihr Vater ebenfalls Trainer gewesen?«

Tremayne lachte.»Um Himmels willen, nein. Er hat ein Vermögen geerbt, keinen einzigen Tag je gearbeitet. Er ging gerne zum Pferderennen, und so kaufte er ein paar Springer, brachte sie in die Ställe, die seit der Zeit, als die Kutschen durch Automobile ersetzt worden waren, nicht mehr benutzt wurden, und engagierte einen Trainer für sie. Als ich größer wurde, übernahm ich einfach seine Pferde. Später baute ich einen zweiten Hof mit Stallungen an. Heute habe ich fünfzig Boxen, alle belegt.«

Er ging wieder voran in seine eigenen Gemächer und machte hinter uns die Türen zu.»Das ist mehr oder weniger alles«, sagte er,»mit Ausnahme des Büros.«

Sobald wir in seiner eigenen Diele angekommen waren, stürmte er durch die letzte der verbliebenen Türen in einen weiteren großen Raum, in dem Dee-Dee hinter einem riesigen Schreibtisch ziemlich verloren aussah.

«Das war früher einmal das Billardzimmer der Windberrys«, sagte Tremayne.»Als ich noch ein Kind war, war es unser Spielzimmer.«

«Sie hatten Geschwister?«

«Eine Schwester«, sagte er kurz angebunden, mit einem Blick auf die Armbanduhr.»Ich überlasse Sie jetzt Dee-Dee. Bis später.«

Er stürmte energisch aus dem Zimmer, und nach der kurzen Zeit, die er benötigte, um Mantel, Mütze und Schal anzuziehen, knallte die Haustür zu. Er war von Natur aus ein Türenknaller, dachte ich mir, er mußte dazu nicht wütend sein.

«Wie kann ich Ihnen behilflich sein?«fragte Dee-Dee ohne allzu viel Enthusiasmus.

«Sie halten wohl nicht viel von dem Biographieprojekt?«fragte ich.

Sie blinzelte.»Das habe ich nicht gesagt.«

«Sie sehen aber ganz so aus.«

Sie wühlte emsig in irgendwelchen Papieren herum, ohne mich dabei anzusehen.

«Er ist schon seit Monaten damit beschäftigt«, sagte sie schließlich.»Es ist sehr wichtig für ihn. Ich finde… wenn Sie es schon wissen wollen… er hätte sich um einen besseren.«- sie zögerte — »… oder vielmehr um einen bekannteren Autor bemühen sollen. Kaum hat er Sie kennengelernt, sind Sie auch schon hier, ich finde, das ging zu schnell. Ich hatte ihm vorgeschlagen, erst Erkundigungen über Sie einzuziehen, aber er war der Meinung, Ronnie Curzons Wort sei Empfehlung genug. Und jetzt sind Sie hier. «Plötzlich schaute sie mich mit wildem Blick an.

«Er verdient den allerbesten«, sagte sie.

«Ah.«

«Was meinen Sie mit Ah?«

Ich antwortete nicht sofort, sondern ließ meinen Blick in dem gigantischen Büro umherschweifen. Ich entdeckte Überreste des klassischen Einrichtungsstils, überlagert von einer Flut moderner Bücherregale und Aktenschränke, von Kopierer, Fax, Computer, Telefonen, Bürosafe, Fernsehapparat, Dutzenden von Videobändern, Pappschachteln, kniehohen Zeitungsstapeln und einem weiteren Korkbrett mit roten Reißzwecken und aufgespießten Zetteln. Außerdem stand dort ein antiker Schreibtisch mit Ledersessel, eindeutig Tremaynes Territorium. Auf dem Boden lagen kreuz und quer und in allen Mustern und Farben übereinandergeschichtet persische Teppiche, die den Großteil des alten grauen Bodenbelages verdeckten. Die Wände waren voll mit Bildern von Pferden, die über die Ziellinie galoppierten, und einer bunten Reihe seidener, von Häkchen herabhängender Schleifen.

Ich beendete die Besichtigung dort, wo ich angefangen hatte, auf Dee-Dees Gesicht.»Je mehr Sie mithelfen, um so größer ist seine Chance«, sagte ich.

«Wie denn das?«Sie preßte störrisch die Lippen zusammen.

«Dann andersherum: Je mehr Sie mich behindern, um so schlechter stehen seine Chancen.«

Sie starrte mich mit noch immer unverhohlener Abneigung an; ihr Gemüt ließ sich von Logik nicht so schnell überrumpeln.

Sie mochte so um die Vierzig sein, schlank, aber nicht gerade mager, sofern sich das bei dem Pullover mit einiger Gewißheit feststellen ließ. Gepflegte Haut, kurzgeschnittenes, glattes Haar, unauffällige Gesichtszüge, rosa Lippenstift, kein Schmuck, kleine, kräftig wirkende Hände. Allgemeiner Eindruck: reserviert, zurückhaltend. Vielleicht war das nur berufliches Gehabe; vielleicht das Werk eines Scheißkerls von Amateurjockey, der sie wie Dreck behandelt hatte.

«Wie lange arbeiten Sie schon hier?«fragte ich mit unbeteiligter Stimme, betont geschäftlich.

«Acht Jahre, so in etwa. «Schnörkellose Antwort.

«Was ich hauptsächlich brauche«, sagte ich,»sind die Ordner mit den Zeitungsausschnitten.«

Sie lächelte beinahe:»Gibt’s nicht.«

Ich protestierte energisch:»Es müssen welche existieren. Er sprach von Zeitungsausschnitten.«

«Die sind nicht in Ordnern, sondern in Schachteln aufbewahrt. «Sie drehte den Kopf und zeigte mit dem Kinn in die Richtung.»Dort drüben, in dem Schrank. Bedienen Sie sich.«

Ich ging hinüber, öffnete die weißgestrichene Tür und erblickte eine stattliche Reihe von Pappschachteln, ordentlich in Regale eingeräumt, die vom Fußboden bis in Kopfhöhe reichten. Die Schachteln erinnerten an Hemdenkartons, nur zirka acht Zoll tief, und an den Frontseiten war mit Tusche jeweils ein Datum vermerkt.

«Ich habe sämtliche Ausschnitte vor drei oder vier Jahren neu sortiert«, sagte Dee-Dee.»Die alten Schachteln fielen allmählich auseinander. Das Zeitungspapier ist inzwischen vergilbt und brüchig. Sie werden ja sehen.«

«Darf ich alles mit rüber in den Eßraum nehmen?«

«Aber gerne doch.«

Ich lud mir vier Schachteln auf und machte mich auf den Weg. Nach einer Minute kam sie mir hinterher.

«Einen Moment«, sagte sie,»Mahagoni ist schnell zerkratzt.«

Sie ging zu einem Sideboard, holte aus einer der Schubladen eine große, grüne, bestickte Tischdecke heraus und drapierte sie über die ganze Fläche des riesigen, ovalen Tisches.

«Hierauf können Sie arbeiten.«

«Vielen Dank.«

Ich setzte die Schachteln ab und holte mir die nächste Ladung, pendelte hin und her, bis ich die Sammlung vollständig umgelagert hatte. Unterdessen war Dee-Dee an ihren Schreibtisch und zu ihrer Arbeit zurückgekehrt, die in der Hauptsache aus Telefonieren bestand. Ich hörte sie hin und wieder reden, während ich die Schachteln mit den Zeitungsausschnitten chronologisch ordnete und dann den Deckel der ersten abnahm. Der Datumsvermerk verriet mir, daß ihr Inhalt noch weit vor Tremaynes Zeit zurückreichen mußte; es sei denn, er hatte schon als Baby mit dem Pferdetrainieren angefangen. Gelbe, zerfetzte Zeitungsschnipsel informierten mich darüber, daß Mr. Loxley Vickers aus Shellerton House, Berkshire, ein Rennpferd namens Triple Subject, einen sechs Jahre alten Wallach, gekauft hatte, und zwar für die Rekordsumme von zwölfhundert Guineen. Ein Haus, schrieb ein erstaunter Reporter, war schon für weniger zu haben.

Ich blickte mit einem Grinsen auf und erblickte Dee-Dee an der Tür, auf deren Schwelle sie zögernd stehen geblieben war.

«Ich habe mit Fiona Goodhaven telefoniert«, sagte sie unverhofft.

«Wie geht es ihr?«

«Soweit gut. Dank Ihnen, wie es scheint. Weshalb haben Sie mir nichts von Ihrer Rettungsaktion erzählt?«»Es kam mir nicht so wichtig vor.«

«Sind Sie verrückt?«

«Ich meine, es ist im Zusammenhang mit Tremaynes Biographie nicht wichtig, hat nichts damit zu tun, ob ich sie gut oder schlecht zu schreiben vermag.«

«Allmächtiger. «Sie ging weg, kam aber kurz darauf wieder.

«Wenn Sie dort an dem Thermostat drehen, wird es hier drin wärmer.«

Sie war schon wieder draußen, bevor ich mich bei ihr bedanken konnte, doch ich hatte das Friedensangebot verstanden; zumindest waren die Feindseligkeiten bis auf weiteres eingestellt.

Tremayne kam rechtzeitig zurück. Er führte im Büro ein lautes Telefongespräch und kam dann in das Eßzimmer gestürmt, wo er mir mitteilte, endlich habe jemand gemerkt, daß in seinem Stall ein Pferd zu wenig stand.

«Es stammt aus einem Dorf auf der anderen Seite des Hügels. Sie schicken einen Transporter und holen es ab. Wie kommen Sie voran?«

«Ich lese gerade über Ihren Vater.«

«Ein Verrückter. Er war reinweg besessen von der Vorstellung, wie die Dinge, die er aß, hinterher in seinem Magen aussahen. Er ließ seinen Butler eine Extraration von allen Speisen, die er essen sollte, in einen Eimer füllen, und mischte es durcheinander. Wenn ihm der Anblick nicht gefiel, verzichtete er auf sein Essen. Er brachte den Koch auf die Palme.«

Ich mußte lachen.

«Und Ihre Mutter?«

«Die war damals schon hinüber. Als sie noch lebte, war es mit ihm nicht so schlimm. Erst danach ist er weggetreten.«

«Wie alt waren Sie, als sie… äh… hinüber…?«

«Zehn. Genauso alt wie Gareth, als sich seine Mutter davonmachte. Man könnte sagen, ich weiß, wie Gareth sich fühlt. Mit der Ausnahme, daß seine Mutter noch am Leben ist und er sie manchmal sieht. Ich kann mich an die meine nicht sehr gut erinnern, wenn ich ehrlich bin.«

Nach einer kurzen Pause sagte ich:»Was darf ich Sie alles fragen?«

«Fragen Sie, was Sie wollen. Wenn ich nicht antworten will, teile ich Ihnen das mit.«

«Also. Sie sagten, Ihr Vater erbte ein Vermögen. Hat er. äh. Ihnen etwas davon hinterlassen?«

Tremayne lachte kehlig.»Ein Vermögen von vor siebzig oder achtzig Jahren ist heutzutage keines mehr. Aber trotzdem, er hinterließ mir einiges. Dieses Haus beispielsweise. Er lehrte mich, wie man Landbesitz verwaltet, was er wiederum von seinem Vater gelernt hatte, auch wenn er kaum etwas davon umsetzte. Mein Vater hat ausgegeben, mein Großvater angehäuft. Ich komme eher nach meinem Großvater, auch wenn ich ihn nie kennengelernt habe. Manchmal sage ich Gareth, daß wir uns dies oder jenes nicht leisten können, obwohl es nicht stimmt. Ich möchte vermeiden, daß ein Verschwender aus ihm wird.«

«Und was ist mit Perkin?«

«Perkin?«Einen Moment lang machte Tremayne einen entgeisterten Eindruck.»Perkin kann überhaupt nicht mit Geld umgehen. Er lebt in einer völlig eigenen Welt. Es hat keinen Zweck, mit Perkin über Geld zu reden.«

«Und was tut er da«, fragte ich,»in seiner eigenen Welt?«

Tremayne sah aus, als hielte er die Beweggründe seines Ältesten für unergründliche Geheimnisse, doch ich spürte auch eine Art trotzigen Stolz.

«Er stellt Möbel her«, sagte er.»Er macht die Entwürfe und stellt alles selbst her, Stück für Stück. Kommoden, Tische, spanische Wände, alles mögliche. In zweihundert Jahren sind das wertvolle Antiquitäten. Soviel zu Perkins Geschäftssinn. «Er seufzte.»Das Klügste, das er jemals getan hat, war Mackie zu heiraten. Sie verkauft seine Stücke und paßt auf, daß er etwas dabei verdient. Früher hat er manchmal Sachen für weniger Geld verkauft, als ihn die Herstellung gekostet hatte. Ein hoffnungsloser Fall.«

«Solange er damit zufrieden ist.«

Tremayne ging nicht weiter auf die Zufriedenheit seines Sohnes ein, sondern fragte mich nach dem Kassettenrecorder.

«Ist er gestern nicht naß geworden? Er ist bestimmt ruiniert.«

«Nein. Ich verstaue meine Sachen immer in wasserdichten Taschen, eine alte Angewohnheit.«

«Dschungel und Wüste?«erinnerte er sich.

«Hm.«

«Dann holen Sie ihn, wir können gleich anfangen. Ich lasse auch den Fernseher aus dem Büro herüberbringen, dann können Sie sich die Rennen ansehen, die ich gewonnen habe. Falls Sie etwas essen möchten«, fügte er nebensächlich hinzu,»ich ernähre mich fast nur von Broten mit Rindfleisch. Ich kaufe sie immer fünfzigstückweise, schon fix und fertig im Supermarkt, und stecke sie in die Tiefkühltruhe.«

Und so verspeisten wir zur Mittagszeit ein paar beinahe aufgetaute, langweilige Rindfleischsandwiches, und ich dachte mir, Tremayne mochte zwar in punkto Haushalt etwas exzentrisch sein, aber wenigstens ließ er sich sein Essen nicht in einem Eimer durcheinanderrühren.

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