An diesem Montagmorgen beförderte mich Tremayne von Touchy auf einen noch aktiv im Rennleben stehenden Steeplechaser, einen neun Jahre alten Wallach namens Drifter. Außerdem durfte ich regulär am Arbeitsgalopp teilnehmen, und mit des Schicksals und des Glückes Hilfe hielt ich mich sogar im Sattel. Weder Tremayne noch Mackie ließen sich zu einem Kommentar bezüglich meiner Fähigkeiten oder deren Mangel hinreißen, sondern ließen sich lediglich über den gesundheitlichen Zustand des Pferdes aus. Mir wurde mit einem Mal klar, daß meine Anwesenheit für sie selbstverständlich war; ich fühlte mich geschmeichelt und freute mich darüber.
Als wir von den Downs, die sich nun in grünbrauner Tracht zeigten, zurückkehrten, stand ein fremder Wagen im Hof. In der Küche saß ein fremder Mann beim Kaffee; das heißt, nur für mich war er ein Fremder. Alle anderen kannten ihn sehr wohl.
Er war jung, kurz gewachsen, dünn, kantig und dreist und mit einem Selbstbewußtsein ausgestattet, das er auch äußerlich zur Schau trug. Sein Mundwerk war, wie ich bald herausfand, beinahe so schändlich wie das von Nolan, nur im Unterschied zu diesem sehr witzig.
«Hallo, Sam«, begrüßte ihn Tremayne.»Die Arbeit ruft, was!«
«Sie haben verdammt recht. Ich bin so steif wie ’ne frostige Jungfrau.«
Ich fragte mich ernsthaft, wie vielen Jungfrauen er das Frösteln persönlich beigebracht haben mochte; seine Ausstrahlung rief diese Art Vermutungen förmlich auf den Plan.
Tremayne wandte sich an mich.»Das ist Sam Yaeger, unser Jockey. «Sam erläuterte er den Grund meiner Anwesenheit und sagte ihm auch, daß ich gerade vom Reiten komme.
Sam Yaeger nickte mir zu und taxierte mich augenscheinlich dahingehend, ob ich ihm eher nützlich oder gefährlich werden könnte; sein Blick inspizierte meine Reithosen und meine Größe. Ich stellte mir vor, daß allein meine einsachtzig jegliche Befürchtungen seinerseits zerstreuten, ich könne ihm sein Territorium streitig machen.
Auch er trug Reithosen, dazu ein grellgelbes Sweatshirt. Über seiner Stuhllehne hing ein buntgemusterter Anorak, das Gegenstück zu dem von Gareth. Außerdem hatte er seinen eigenen Helm mitgebracht, leuchtend türkis, mit den roten Buchstaben YAEGER vorne drauf gemalt. Nicht gerade ein schüchterner oder zurückhaltender Zeitgenosse, unser Sam.
Dee-Dee kam herein und wollte ihren Kaffee holen; bei seinem Anblick strahlte sie um mindestens fünfzig Watt auf.
«Guten Morgen, Herzblatt«, sagte sie.
Herzblatt unternahm einen Versuch, sie in den Hintern zu zwicken, als sie an ihm vorbeiging, was ihr aber nichts auszumachen schien. Sieh mal einer an, dachte ich mir, da lauerte doch tatsächlich eine ausgewachsene Miezekatze irgendwo da drinnen hinter der zugeknöpften Rühr-mich-nicht-an-Sekretärinnenschale. Sie machte sich ihren Kaffee zurecht und nahm neben dem Jockey Platz. Sie flirtete nicht offen mit ihm, behielt ihn jedoch genau im Auge.
Ich bereitete den Toast zu, was zu meiner persönlichen Aufgabe geworden war, und stellte Gelee, Butter, Marmelade und alles andere auf den Tisch. Sam Yaeger beobachtete mich mit übertrieben hochgezogenen Augenbrauen.
«Sagte Tremayne vorhin nicht, Sie sind Schriftsteller?«fragte er.
«Meistens. Einen Toast?«
«Eine Scheibe, hellbraun. Sie sehen überhaupt nicht aus wie so ein komischer Schriftsteller.«
«Die meisten Leute sind’s nicht.«
«Sind was nicht?«
«Das, wonach sie aussehen. Ob nun komisch oder nicht.«
«Wie sehe ich denn aus?«wollte er wissen. Ich vermutete, nicht ganz ohne echte Neugier.
«Wie jemand, der im letzten Jahr neben neunundachtzig anderen Rennen das Grand National gewonnen und auf Platz drei der Jockeyliste abgeschlossen hat.«
«Sie haben gekiebitzt«, sagte er überrascht.
«Ich werde Sie demnächst dazu interviewen, was Sie von Ihrem Boss als Trainer halten.«
Tremayne schaltete sich mit gespielter Strenge ein:»Dabei erbitte ich mir den nötigen Respekt!«
«Da können Sie verflucht sicher sein, oder, Boss?«
«Wenn du nur einen Funken Verstand im Leibe hast«, stimmte Tremayne nickend zu.
Ich teilte den Toast aus und bereitete eine neue Ladung vor. Sams physische Präsenz beherrschte das Frühstück bis zum Schluß, und ich fragte mich, wie er wohl mit Nolan zurechtkam, der dunklen Seite derselben Medaille. Ich stellte Dee-Dee die gleiche Frage, nachdem Tremayne und
Sam gegangen waren, um sich die zweite Gruppe anzusehen. Ich fragte sie im Büro, während ich ein paar Einzelheiten in einem alten Ordner nachprüfte.
«Wie sie miteinander zurechtkommen?«wiederholte sie amüsiert.»Überhaupt nicht. «Sie machte eine Pause, überlegte, ob sie mir mehr verraten solle, zuckte mit den Schultern und fuhr fort:
«Sam kann nicht ausstehen, daß Nolan so viele Pferde aus unserem Stall reitet. Nolan reitet fast alle Rennpferde von Fiona, das akzeptiert Sam, aber Tremayne hat mehr Pferde in Amateurrennen laufen als die meisten anderen Trainer. Auf diese Weise gewinnt er natürlich auch mehr. Die Eigentümer, die ihr Geld setzen, mögen das, denn man kann über Nolan sagen, was man will, niemand streitet ab, daß er ein hervorragender Jockey ist. Schon seit Jahren mischt er an der Spitze der Amateure mit.«
«Warum wechselt er nicht zu den Profis über?«
«Allein die Vorstellung läßt Sam vor Schreck erstarren«, sagte Dee-Dee gelassen,»aber ich glaube nicht, daß das passiert. Nolan zieht seinen Amateurstatus vor. In seinen Augen ist Sam im Gegensatz zu ihm ein einfacher Angestellter, deshalb…«Sie unterbrach sich mitten im Satz, als wollte sie eine Enthüllung zurückhalten, die sich bereits zwischen Gehirn und Mund auf den Weg gemacht hatte. Die Unterbrechung kam jedoch so kraß, daß mein Interesse sofort geweckt war, und ich sie möglichst unverfänglich fragte:»Deshalb was?«
Sie schüttelte den Kopf.»Nein, das wäre den beiden gegenüber nicht fair.«
«Reden Sie weiter«, sagte ich, ohne zuviel Druck anzuwenden.
«Ich werde es niemandem weitersagen.«
«Es hat keine Bedeutung für das Buch«, sagte sie.
«Es könnte mir helfen zu verstehen, wie so ein Hof funktioniert und woher sein Erfolg kommt, abgesehen von Tremaynes Fähigkeiten. Er könnte, zumindest teilweise, das Resultat einer Rivalität zwischen zwei Jockeys sein, die sich gegenseitig beweisen wollen, wer der bessere ist.«
Sie schaute mich verwundert an.»Sie haben merkwürdige Einfälle. Daran habe ich noch nie gedacht. «Sie überlegte hin und her, und ich wartete einfach ab.»Es sind nicht nur die Pferderennen«, sagte sie endlich.»Es sind die Frauen.«
«Frauen?«
«Sie sind auch auf diesem Gebiet Rivalen. In der Nacht, als Nolan — ich meine, als Olympia starb…«
Ich hatte bemerkt, daß alle stets >als Olympia starb< sagten, und nie >als Nolan Olympia umbrachte<, doch Dee-Dee war knapp davor gewesen.
«Sam war drauf und dran, Olympia zu verführen«, erzählte Dee-Dee, als hätte niemand etwas anderes erwartet.»Nolan brachte sie mit zur Party, und natürlich machte sich Sam sofort an sie heran. «Irgendwo in ihrer ruhigen Stimme schwang Nachsicht für Sam Yaeger mit, hingegen Kritik an Nolan, ungeachtet dessen, daß Nolan anscheinend den kürzeren gezogen hatte.
«War Sam mit Olympia schon vorher. äh. bekannt?«
«Er hatte nie zuvor mit ihr zu tun gehabt. Keiner von uns kannte sie. Nolan hatte sie für sich selbst zurückgehalten. Wie auch immer, an jenem Abend brachte er sie mit. Sie sah Sam nur an und fing an zu kichern. Ich weiß es, ich war ja dabei, Frauen reagieren oft so auf Sam. «Sie hob die Augenbrauen.»Sagen Sie nichts. Ich bin auch dafür anfällig. Ich kann nichts dafür. Er ist halt ein lustiger Typ.«
«Das habe ich bemerkt«, sagte ich.
«Wirklich? Olympia hat das auch sofort bemerkt. Sie war wie Wachs in seinen Fingern, die sie natürlich sofort von oben bis unten begrapschten, kaum daß Nolan gegangen war, um ihr einen Drink zu besorgen. Als er zurückkam, war sie mit Sam weg. Ich habe Ihnen ja schon gesagt, sie trug ein knallrotes Kleid mit tiefem Ausschnitt und einem Schlitz bis zum Oberschenkel hoch… das kommt einer schriftlichen Einladung ziemlich nahe. Nolan vermutete Sam und Olympia in einem der Ställe und suchte sie dort, aber ohne Erfolg.«
Sie machte erneut eine Pause, als zweifelte sie noch immer daran, ob es rechtens war, mir das alles zu erzählen, doch es schien ihr weitaus schwerer zu fallen aufzuhören, als anzufangen.
«Nolan kam grollend und fluchend ins Haus zurück und sagte mir, er würde die. äh. die kleine Nutte umbringen. Wie Sie sehen, schob er ihr und nicht Sam, glaube ich jedenfalls, die Schuld dafür in die Schuhe, daß er wie ein Idiot dastand. Er, Nolan, der aristokratische Amateurreiter. Er wollte die Sache nicht weiter publik machen und hielt den Mund, aber er war die ganze Zeit über geladen. So, also das ist jedenfalls an dem Abend passiert.«
«Natürlich hat das niemand«, sagte ich leise,»vor Gericht vorgebracht.«
«Selbstverständlich nicht. Sehen Sie, es wußten ja nicht viele, außerdem hätte das ein Motiv für Nolan ergeben.«
«Eben.«
«Er wollte sie aber doch nicht umbringen. Das weiß jeder. Wenn er Sam angegriffen und umgebracht hätte, wäre das etwas anderes gewesen.«
«Es sind nicht zufällig Sie gewesen«, fragte ich stirnrunzelnd,»die bei der Verhandlung aussagte, sie hätte gehört, wie er sagte, er würde die Schlampe umbringen?«»Nein, natürlich nicht. Ein paar andere Leute haben es gehört, noch bevor er zu mir kam, aber die wußten nicht, warum er das sagte. Zu diesem Zeitpunkt schien es recht unwichtig zu sein. Natürlich hat mich nie jemand gefragt, ob ich wüßte, warum er es gesagt hat, und so hat es auch niemand herausgekriegt.«
«Die Anklage muß doch Nolan gefragt haben, warum er so etwas gesagt hat.«
«Sicher, aber er behauptete, deswegen, weil er sie nicht gefunden habe, nur deshalb. Extravagante Ausdrucksweise, aber keine Drohung.«
Ich seufzte.»Und Sam sagte nichts, weil es seine angeknackste Reputation noch weiter torpediert hätte?«
«Ja. Außerdem glaubt er nicht daran, daß Nolan sie wirklich umbringen wollte. Das hat er mir gesagt. Es war wohl nicht das erste Mal, daß er und Nolan das gleiche Mädchen flachgelegt haben, und manchmal hat ihm Nolan eins von seinen ausgespannt. Es war so eine Art Jux zwischen den beiden, kein Grund, jemanden umzubringen.«
«Eher ein Jux für Sam als für Nolan.«
«Möglich. «Sie schüttelte sich.»Meine Arbeit bleibt inzwischen liegen.«
«Sie haben mir bei meiner geholfen.«
«Schreiben Sie das bloß nicht ins Buch«, ermahnte sie mich erschrocken.
«Werde ich nicht tun. Versprochen.«
Ich zog mich ins Eßzimmer zurück und, da sich Tre-maynes Lebensweg mittlerweile immer klarer und klarer abzeichnete, begann ich damit, das Buch in generelle Abschnitte zu unterteilen sowie jeden Abschnitt mit einer vorläufigen Überschrift und einzelnen Kapitelüberschriften zu versehen. Ich hatte noch keinen einzigen sinnvollen
Satz zu Papier gebracht und fühlte mich von den vielen leeren Seiten, die vor mir lagen, tyrannisiert. Ich hatte schon von Schriftstellern gehört, die sich auf ihre Schreibmaschine wie auf eine Geliebte stürzen. Bei mir gab es Tage, an denen ließ ich nichts unversucht, nur um den Stift nicht in die Hand nehmen zu müssen, und es war nie sehr leicht, in meinen Gehirnwindungen nach Worten und Einfällen zu schürfen. Meistens konnte ich selbst nicht glauben, daß ich mir diese Art von Beschäftigung ausgesucht hatte; den Rest der Zeit sehnte ich mich nach der unkomplizierteren Einsamkeit unter dem Sternenzelt.
Ich kritzelte:»Finde etwas, das dir Spaß macht, und verbringe dein Leben damit, es zu tun «an den Schluß der Kapitelübersicht und entschied, daß ich für diesen Tag genug getan hatte. Wenn ich es morgen immer noch in Ordnung fand, würde ich es vielleicht übernehmen und dann zügig weiterarbeiten.
Draußen im Wald blickte Chefinspektor Doone mürrisch auf Angela Brickells hingestreute Knochen, während der Pathologe ihm erklärte, daß sie zu einem jungen Mädchen gehörten, das wahrscheinlich weniger als ein Jahr tot war.
Der Fotograf machte ein paar Bilder. Der Wildhüter markierte die Stelle auf einer großformatigen Karte. Der Mediziner sagte, es sei unmöglich, die Todesursache ohne Autopsie genau zu bestimmen, wahrscheinlich noch nicht einmal dann.
Mit einem Anflug von Ehrerbietung der Person gegenüber, die sie einmal gewesen war, wurden die Knochen und der Schädel in eine sargähnliche Kiste gepackt, zum Kleinbus getragen und sodann zum Leichenhaus gebracht.
Chefinspektor Doone erkannte, daß es nicht viel Sinn hatte, die Umgebung nach Reifenspuren, Fußabdrücken oder Zigarettenstummeln abzusuchen. Er beauftragte zwei Wachtmeister damit, sich im Unterholz nach Kleidern, Schuhen oder sonstigen Sachen, die nicht so schnell vermodern, umzusehen. Auf diese Art und Weise stießen sie unter einer Schicht trockenen Laubes auf ein Paar nasse, dreckige Jeans, einen BH kleiner Größe, ein Damenhöschen und ein T-Shirt, auf dem noch Überreste eines Musters zu erkennen waren.
Chefinspektor Doone sah zu, wie seine Männer die traurigen Fundstücke in einen Plastiksack steckten, und dachte darüber nach, daß keins der Kleidungsstücke auf den Knochen oder nur in ihrer Nähe gelegen hatte.
Er kam zu dem Schluß, daß das Mädchen, als es starb, nackt gewesen sein mußte.
Er stieß einen tiefen Seufzer aus. Diese Art von Fällen waren ihm zuwider. Er hatte selbst Töchter zu Hause.
Tremayne kam gutgelaunt von der Inspektion der zweiten Riege zurück. Er pfiff durch die Zähne und marschierte direkt in sein Büro, wo er auf Dee-Dee eine neue Salve Anweisungen niederprasseln ließ, und führte selbst mehrere rasche Telefongespräche. Dann kam er zu mir ins Eßzimmer und klärte mich kurz über den Stand der Dinge auf, bevor er mich um einen, besser gesagt zwei Gefallen bat, von denen er (nicht zu Unrecht) annahm, daß ich sie ihm nicht abschlagen würde.
Der Unfalljeep war in die ewige Schrotthalde im Himmel eingegangen; man hatte jedoch in Newbury schon einen Ersatz ausfindig gemacht, einen zwar nicht neuen, wohl aber ganz brauchbaren Landrover. Wenn ich Tremayne im Volvo nach Newbury begleitete, könnte ich den Ersatzwagen heim nach Shellerton fahren.
«Selbstverständlich«, sagte ich.
Nachdem durchgedrungen war, daß die Rennbahn in Windsor am Mittwoch in Betrieb sein würde, erwachte die Rennindustrie zu neuem Leben. Tremayne hatte mehrere Pferde angemeldet, von denen vier auch an den Start gehen sollten. Er wollte gerne, daß ich mitkäme, damit ich sah, was noch so alles zu seinem Job gehörte.
«Mit Vergnügen«, sagte ich.
Außerdem wollte er am Abend gerne zum Pokern zu Freunden gehen; ob ich wohl bei Gareth zu Hause bleiben würde?
«Klar«, sagte ich.
«Er ist alt genug, um auf sich selbst aufzupassen, aber… nun ja.«
«Gesellschaft«, sagte ich.»Damit er nicht allein ist.«
Er nickte.
«Keine Ursache«, sagte ich.
«Dee-Dee ist der Meinung, wir nutzen Sie aus«, sagte er offen.
«Finden Sie das auch?«
«Nein. «Ich war überrascht.»Mir gefällt meine Tätigkeit.«
«Kochen, Babysitting, Ersatzchauffeur, Ersatzpferdeknecht?«
«Doch, wirklich.«
Er war unsicher.»Sie dürfen jederzeit nein sagen.«
«Ich sage Ihnen früh genug, wenn ich beleidigt bin. Bis dahin möchte ich lieber überall Anteil nehmen, nützlich sein. In Ordnung?«
Er nickte wieder.
«Außerdem«, fügte ich hinzu,»lerne ich Sie auf diese Weise besser kennen — für das Buch.«
Zum ersten Mal sah er etwas besorgt aus, als wolle er womöglich nicht, daß sein ganzes Ich in aller Öffentlichkeit ausgebreitet wurde. Andererseits würde ich jedes Geheimnis respektieren, das er mir anvertraute, dachte ich, falls er es lieber unerwähnt lassen wollte. Hier handelte es sich nicht um spektaktulären Enthüllungsjournalismus, sondern eher um das Äquivalent zu einem Auftragsbildnis, eine Bestätigung des Lebens. Es mochte hingehen, daß man die eine oder andere Warze mit auf die Leinwand brachte, aber nicht jeder Makel sollte unter das Vergrößerungsglas gezerrt werden.
Der Tag lief wie geplant. Auf dem Weg nach Newbury galoppierte Tremayne gleich mit mir durch seine spätere Jugend und seine Einführung (natürlich durch seinen Vater) in die Welt des Glücksspiels mit höchsten Einsätzen. Sein Vater habe ihm geraten, so sagte er, immer mehr zu setzen, als man sich leisten könne, andernfalls spüre man weder die nötige Spannung noch die Enttäuschung tief genug..
«Natürlich hatte er recht«, sagte Tremayne,»aber ich bin da vorsichtiger. Ich spiele Poker, setze auf Pferde, ich gewinne ein bißchen und ich verliere ein bißchen, dabei flattert mir nicht der Puls. Ich kenne Eigentümer, die werden totenblaß beim Rennen und fangen an zu zittern. Sie sehen aus, als würden sie jeden Moment sterben, es steht einfach zuviel auf dem Spiel für sie. Mein Vater hätte das verstanden. Ich nicht.«
«Ihr ganzes Leben ist ein Glücksspiel«, sagte ich.
Einen Moment lang sah er mich verdutzt an.»Sie meinen, weil ich Rennpferde trainiere? Es stimmt, manchmal steigert sich die Spannung wie bei Top Spin Lob, und manchmal wird man herb enttäuscht. Man könnte sagen, ich lege immer mein ganzes Herz auf die Waagschale, aber niemals viel Geld.«
Das schrieb ich mir auf. Tremayne, der sehr konservativ fuhr, warf einen kurzen Blick auf mein Notizbuch und schien erfreut darüber, daß er zitiert wurde. Der Mann sollte selbst aus den Seiten hervortreten, ging mir ein sehr befriedigender Gedanke durch den Kopf; er sollte mit möglichst wenig Dazutun meinerseits zum Leben erweckt werden.
Am Abend, nachdem Tremayne zu seiner Pokerrunde gefahren war, fragte mich Gareth, ob ich ihm das Kochen beibringen wolle.
Ich war Feuer und Flamme.»Es ist ganz einfach«, sagte ich.
«Wie haben Sie es gelernt?«
«Keine Ahnung. Vielleicht, als ich meiner Mutter zuschaute.«
Ich sah in sein Gesicht.»Tut mir leid, ich habe nicht daran gedacht.«
«Meine Mutter hat immer alles sehr kompliziert gemacht, nicht leicht; und ich durfte ihr nie dabei zusehen. Sie sagte, ich laufe ihr nur zwischen den Füßen herum.«
Ich erinnerte mich daran, daß ich bei meiner Mutter immer den Kuchenteig mit den Fingern ausschlecken durfte. Sie unterhielt sich immer gerne mit mir, wenn etwas auf dem Herd oder im Ofen brutzelte.
«Na schön«, sagte ich,»was willst du essen?«
Wir gingen in die Küche, und Gareth erkundigte sich versuchsweise nach >echter< Hirtenpastete,»nicht das Zeug aus dem Supermarkt, das nach Pappdeckel schmeckt und nicht einmal einen Pygmäen satt macht.«
«Richtige Hirtenpastete«, sagte ich zustimmend.»Man nehme als erstes einen Hirten.«
Er grinste und schaute mir genau zu, wie ich meine Zutaten zusammenstellte: Hackfleisch, eine Zwiebel, Soßenpulver und ein Glas mit getrockneten Kräutern.
«Das Soßenpulver ist eigentlich Schummelei«, sagte ich.
«Deine Mutter würde sich schütteln, aber es dickt das Fleisch ein wenig an und schmeckt gut.«
Ich löste etwas Pulver in ein bißchen Wasser auf, gab es zu dem Fleisch, schnitt die Zwiebel in kleine Stückchen, gab sie hinzu, streute ein paar Kräuter darüber und rührte alles in einem Kochtopf durcheinander, setzte den Deckel drauf und ließ es auf kleiner Flamme kochen.
«Nächster Punkt: richtige Kartoffeln oder Kartoffelbrei aus dem Päckchen? Wie gut bist du im Kartoffelschälen? Lieber nicht? Dann wohl das Päckchen!«
Er nickte.
«Die Anleitung steht drauf«, sagte ich und gab ihm die Packung.
«>Erhitzen Sie einen viertel Liter Wasser und einen achtel Liter Milch««, las er laut vor. Dann blickte er auf.»Hey, was ich Sie fragen wollte… Sie sagten, bevor man Flußwasser trinkt, muß man es abkochen. Aber worin?«
Ich lächelte.»Am besten ist eine Coca-Cola-Dose. Die Dinger liegen gewöhnlich überall herum, so wie diese Nation hier mit dem Abfall umgeht. Man muß sie nur vorher ausspülen, falls da Spinnen drin sind oder anderes Getier, ansonsten sind Cola-Dosen ziemlich sauber.«
«Super«, sagte er begeistert.»So, für die Kartoffeln brauchen wir noch Butter und Salz… Schreiben Sie bitte alles auf, was Sie letzte Woche gekauft haben, damit ich alles nachkaufen und kochen kann, wenn Sie wieder weg sind?«
«Klare Sache.«
«Von mir aus könnten Sie gerne bleiben.«
Seine Einsamkeit war schmerzlich herauszuhören.»Ich bin noch keine drei Wochen hier«, sagte ich.»Hättest du
Lust, vielleicht nächsten Sonntag, falls das Wetter einigermaßen mitspielt, mit mir hinaus über die Felder oder eventuell in den Wald zu gehen? Ich könnte dir ein paar von den Sachen zeigen, die in den Büchern beschrieben sind… wie das im richtigen Leben funktioniert.«
Sein Gesicht glühte: Belohnung genug für mich.
«Darf ich Coconut mitnehmen?«
«Sicher.«
«Megageil.«
Er quirlte das Kartoffelgranulat gutgelaunt in die heiße Flüssigkeit, und das flockige Resultat türmten wir zusammen mit der gekochten Fleischmixtur in eine runde Pastetenform. Dann schoben wir alles in den Backofen, damit die Oberfläche schön braun und knusprig wurde. Das Ergebnis verspeisten wir mit beiderseitiger Genugtuung, und hinterher räumten wir alles beiseite.
«Nehmen wir auch die Überlebensausrüstung mit?«
«Natürlich.«
«Und machen ein Feuer an?«
«Am besten wohl auf eurem eigenen Land, wenn es dein Vater erlaubt. In England kann man nicht einfach irgendwo ein Feuer anzünden. Jedenfalls sollte man das nicht tun, es sei denn, es handelt sich um einen Notfall. Trotzdem machen es viele Leute einfach, aber eigentlich sollte man sich zuerst die Erlaubnis des Eigentümers einholen.«
«Er läßt uns bestimmt.«
«Ja, das denke ich auch.«
«Ich kann es kaum erwarten.«
Am Dienstagmorgen lieferte der Pathologe seinen Bericht bei Chefinspektor Doone ab.
«Es sind die Knochen einer jungen, erwachsenen Frau, wahrscheinlich einssechzig bis einsfünfundsechzig groß, mögliches Alter: zwanzig Jahre. Plusminus ein oder zwei Jahre, eher weniger. Von der Kopfhaut war ein kleines Stück übrig, daran befanden sich einige Haare: die Haare sind mittelbraun, ungefähr zehn Zentimeter lang, unmöglich zu sagen, welche Länge ihr Haar sonst hatte.«
«Wie lange ist sie bereits tot?«wollte Doone wissen.
«Seit vergangenem Sommer, würde ich sagen.«
«Todesursache? Drogen? Unterkühlung?«
«Was die Drogen betrifft, müssen wir erst die Haare untersuchen, mal sehen, was wir finden. Aber abgesehen davon, gibt es ein kleines Problem.«
Doone seufzte auf.»Was für ein Problem?«
«Ihr Zungenbein ist gebrochen.«
Doone wirkte plötzlich sehr niedergeschlagen.»Sind Sie sicher?«
«Absolut. Sie wurde erdrosselt.«
In Shellerton verging der Dienstag ohne besondere Ereignisse, mit Ausreiten, Frühstück, Zeitungsausschnitten, Mittagessen, Bandaufnahmen, Drinks am Abend und danach Abendessen.
Am nächsten Morgen traf ich Dee-Dee still vor sich hinweinend über ihre Schreibmaschine gesunken; ich bot ihr ein Papiertaschentuch an.
«Es ist nichts«, sagte sie schniefend.
«Möchten Sie es loswerden?«
«Ich weiß nicht, warum ich Ihnen alles erzähle.«
«Ich höre zu.«
Sie putzte sich die Nase und warf mir einen kurzen, entschuldigenden Blick zu.
«Ich bin alt genug, um es eigentlich besser zu wissen. Ich bin sechsunddreißig. «Beinahe vorwurfsvoll schleuderte sie ihr Alter heraus, als wäre die Zahl selbst schon eine Katastrophe.
«Tremayne erzählte mir, Sie hätten eine Enttäuschung in Sachen Liebe erlebt«, sagte ich zögernd.»Er hat mir nicht verraten, um wen es sich handelte.«
«Enttäuschung! Huh!«Sie schluchzte schwer.»Ich habe dieses Biest geliebt. Ich habe sogar seine Hemden gebügelt. Wir waren schon lange zusammen, und dann läßt er mich von einer Minute auf die andere plötzlich fallen. Und jetzt kriegt Mackie ein Baby.« Tränen schossen ihr wieder in die Augen, und ich sah, daß es das blanke Verlangen nach Mutterschaft war, dieser wilde Instinkt, der solch unstillbare Qualen auslösen konnte, und der sie mindestens so schmerzte wie der Verlust des Mannes.
«Wissen Sie was?«fragte Dee-Dee jammervoll.»Diese Laus wollte erst nach der Hochzeit ein Kind haben. Danach. Dabei hatte er nie vor, mich zu heiraten, jetzt weiß ich es, aber ich habe wegen ihm so lange gewartet… und… drei Jahre… vergeudet…«Sie schluckte, und noch ein Seufzer entrang sich ihrer Brust.»Ich sage Ihnen eins. Ich nehme jetzt jeden. Ich brauche keinen Ehering. Ich will ein Kind.«
Ihre Stimme verlor sich in einem hilflosen, sehnsüchtigen Heulen, einem Klagelied. Mit einem so starken Verlangen konnte sie leicht fatale Entscheidungen treffen, aber wer wußte zu sagen, was am Ende für sie besser war, unbesonnen zu sein oder kinderlos? So oder so war mit Kummer zu rechnen.
Sie trocknete sich die Augen, putzte sich erneut die Nase und schüttelte sich, als würde sie damit ihre Gefühle wieder in die Reihe zwingen, und als ich kurz darauf noch einmal hereinschaute, tippte sie gefaßt weiter, in der üblichen selbstgenügsamen Weise, als hätte unsere Unterhaltung nie stattgefunden.
Am Dienstag nachmittag schickte Chefinspektor Doone seine Männer los, um das gesamte Gebiet, in dem die Knochen gefunden worden waren, abzusuchen. In erster Linie, so sagte er ihnen, sollten sie nach Schuhen Ausschau halten; ansonsten nach allem, was normalerweise nicht dorthin gehörte. Die Beamten sollten Metalldetektoren benutzen. Sie sollten unter dem alten Laub nachsehen. Sie sollten auf der Karte einzeichnen, wo jedes Stück gefunden wurde, außerdem die Stücke einzeln katalogisieren und aufpassen, daß keine Beweismittel zerstört wurden. Er erinnerte sie daran, daß sie es jetzt mit einem Mordfall zu tun hatten.
Als wir am Mittwoch morgen von der ersten Gruppe zurückkamen, saß Sam Yaeger wieder in der Küche.
Diesmal war er nicht mit seinem Wagen da, sondern mit einem geliehenen Kleinlaster, mit dem er eine Lieferung Burma-Teakhölzer abtransportieren wollte, die Perkin für ihn mit Geschäftsrabatt besorgt hatte.
«Sam besitzt ein Boot«, teilte mir Tremayne trocken mit.»Ein altes Wrack, das er langsam in einen Palast verwandelt, passend für einen ganzen Harem.«
Yaeger grinste gutgelaunt und leugnete nichts.»Es ist bereits verkauft, jedenfalls so gut wie«, erklärte er mir.»Jeder Jockey muß ein Auge auf seine vermaledeite Zukunft haben. Ich kaufe ausrangierte alte Boote und möble sie wieder auf, besser als neu. Das letzte habe ich an einen von diesen vermaledeiten Zeitungsmoguln verkauft. Die blechen jeden Preis, wenn’s nur gut ist. Keinen Fiberglasschrott.«
Das Leben steckt voller Überraschungen, dachte ich.
«Wo liegt Ihr Boot denn?«fragte ich und machte mir mit dem Toast zu schaffen.
«Maidenhead. An der Themse. Vor einiger Zeit habe ich dort eine Bootswerft, die Bankrott machte, gekauft. Sieht aus wie Kraut und Rüben, aber ein bißchen Unordnung schadet nichts; da denken die vermaledeiten Diebe, es gibt nichts zu holen. So ein Saustall ist besser als ein Rottweiler.«
«Ich vermute«, sagte Tremayne,»daß du das Holz auf dem Weg zum Rennen bei der Werft vorbeibringst.«
Sam schaute mich mit gespieltem Erstaunen an.»Wie er so was immer rauskriegt, ist mir ein Rätsel, Ihnen nicht auch?«
«Das reicht, Sam«, sagte Tremayne. Man erkannte sofort, wo er die Grenzen zwischen dem zog, was sich Sam Yaeger herausnehmen durfte und was nicht. Er fing an, die Pferde durchzugehen, die er am Nachmittag in Windsor an den Start schicken wollte; zu Sam sagte er,»Bluecheese-cake ist besser geworden, nicht schlechter, nach dem Ar-beitsstop «und» Nimm Just the Thing nicht hart ran, wenn du merkst, daß sie nicht durchzieht.
Ich will sie nicht ruinieren, sie ist noch ganz grün.«
«In Ordnung«, sagte Sam und konzentrierte sich.»Was ist mit Cashless? Soll ich ihn wieder vorne reiten?«
«Was meinst du?«
«Er hat das gerne. Letztes Mal wurde er lediglich von Speed-Pferden geschlagen.«
«Dann laß ihn vorne seinen Strich gehen.«»Gut.«
«Nolan reitet Telebiddy im Amateurrennen«, sagte Tre-mayne.»Wenn ihn die Rennbehörde nicht herausnimmt.«
Sam verdrehte die Augen, sagte aber nichts. Tremayne unterrichtete ihn darüber, wo er am kommenden Tag in Towcester reiten würde, und sagte, daß er am Freitag überhaupt keine Rennen habe.
«Am Samstag schicke ich fünf oder sechs nach Chepstow. Du gehst mit. Ich auch. Mit etwas Glück reitet Nolan Fionas Pferd im Wilfried Johnstone Jagdrennen in Sandown. Vielleicht geht Mackie nach Sandown, das werden wir sehen.«
Dee-Dee kam hereingerauscht, um sich einen Kaffee zu holen, und setzte sich wieder neben Sam. Als ich mir die beiden so ansah, dachte ich mir, daß Sam zwar ein unermüdlicher Verführer sein mochte, daß er aber bestimmt kein Interesse daran hätte, eine Spur von Vaterschaftsproblemen hinter sich herzuziehen. Dee-Dee konnte ihn vielleicht ins Bett, nicht aber als Vater für ein Kind kriegen. Pech gehabt — nächster Versuch.
Tremayne wies sie an, wie sie den Transport für Samstag vororganisieren sollte, und wie immer merkte sie sich alles auswendig.
«Denken Sie daran, die Liste für Folkestone und Wolverhampton telefonisch durchzugeben. Ich überlege mir die Nennungen für Newbury noch heute vormittag, bevor ich nach Windsor fahre.«
Dee-Dee nickte.
«Packen Sie die Rennblusen für Windsor ein.«
Dee-Dee nickte.
«Rufen Sie den Sattler an, er soll diese Longierzügel abholen und reparieren.«
Dee-Dee nickte.
«Na schön. Das war’s. «Er drehte sich zu ihr um.»Wir fahren um halb eins nach Windsor.«
«Gut«, sagte ich.
Dann fuhr er mit dem neuen Landrover hinauf in die Downs, um sich die zweite Gruppe anzusehen. Sam Yae-ger fuhr den Laster vor Perkins Haustür und lud sein Teakholz auf. Dee-Dee nahm ihren Kaffee mit ins Büro, und ich startete einen ernsthaften Versuch, die Zeitungsartikel eines jeden Jahres ihrer Wichtigkeit nach zu sortieren, die interessantesten immer obenauf.
Ungefähr zur gleichen Zeit betrat Chefinspektor Doone den bis dahin unbenutzten Büroraum, der wegen der Knochennachforschungen in >Ereignisraum< umbenannt worden war, und breitete alles, was seine Männer im Unterholz aufgelesen hatten, auf einer Tischplatte aus.
Da waren einmal die Kleider, die man sofort gefunden hatte. Sie trockneten nach und nach in der zentralgeheizten Luft des Büros. Dann gab es ein Paar unförmige, ausgelatschte Turnschuhe, immer noch durchnäßt, die wahrscheinlich einmal weiß gewesen waren.
Abgesehen davon waren da noch vier alte, leere, ver-dreckte Limonadendosen, ein total verrostetes Spielzeugfeuerwehrauto, eine zerbrochene Sonnenbrille, ein eingeschrumpfter Ledergürtel mit eingerissenen Löchern, eine Ginflasche, ein blauer, von Wind und Wetter unberührter Plastikkamm, ein gut durchgekauter Gummiball, ein goldverzierter Kugelschreiber, ein rosafarbener Lippenstift, Schokoladenpapierchen, ein schartiger Gartenspaten und ein zerrissenes Hundehalsband.
Chefinspektor Doone lief brütend im Zimmer auf und ab und nahm die Ausbeute aus allen Blickwinkeln ins Visier.
«Sprich mit mir, Mädel«, sagte er.»Verrate mir, wer du bist.«
Die Kleider und die Schuhe gaben keine Antwort.
Er rief seine Leute zusammen und hieß sie, noch einmal in die Wälder zu gehen und die Suche auszuweiten; er selbst ging, wie bereits am Vortag, die Listen mit sämtlichen vermißten Personen durch; vielleicht paßte ja etwas zusammen.
Er wußte, daß es gut möglich war, daß die junge Frau von sehr weit her stammte, doch er hielt es für weitaus wahrscheinlicher, daß sie nicht mehr als achtzig Kilometer von ihrem Zuhause entfernt war. Das war bei fast allen Opfern so. Er entschied sich automatisch dafür, zuerst bei den Vermißten aus der Umgebung nachzusehen.
Vor ihm lag eine Liste mit zwölf jugendlichen Ausreißern; alles Wiederholungstäter, alle kamen in Frage. Eine Aufstellung von vier flüchtigen jugendlichen Strafgefangenen. Eine kurze Liste mit zwei verschwundenen Prostituierten. Eine Liste mit sechs Personen, die >aus unterschiedlichen Gründen< verschwunden waren.
Eine davon war Angela Brickell. Der angeführte Grund lautete: >Hat wahrscheinlich ein Rennpferd gedopt, das in ihrer Obhut stand. Davongelaufen.<
Doones Aufmerksamkeit glitt über sie hinweg und blieb bei der durchgebrannten Tochter eines Politikers hängen. Grund für ihr Verschwinden: >Treibt sich in schlechten Kreisen herum. Sehr widerspenstige
Es würde seiner stockenden Karriere ein bißchen Auftrieb verschaffen, ging es Doone durch den Kopf, wenn es sich herausstellte, daß sie es war.