19.

Billy saß vor dem Fernseher, als Lane herüberkam. Eigentlich sah Billy gar nicht fern: Das Gerät lief, und Billy blickte auf den Bildschirm, nahm die Bilder aber gar nicht wahr. Er dachte über Lane nach. Seit jenem Tag kürzlich im Fort schien sein Freund sich verändert zu haben, schien ein anderer zu sein. Billy hätte nicht sagen können, was genau es war. Es war keine Veränderung in Lanes Verhalten oder seiner äußeren Erscheinung, nein, die Verwandlung ging tiefer und war beunruhigender als der Riss, den er gespürt hatte, als Lane und er sich über den Brief gestritten hatten. Gestern waren Lane und er zur Ausgrabungsstätte gegangen und hatten geholfen, mehrere sehr gut erhaltene Küchenutensilien auszugraben, und Lane hatte sich genauso verhalten wie immer. Doch in seiner Art lag seit neuestem eine Geheimnistuerei, die Billy schrecklich nervös machte. Lane erinnerte ihn an einen Mann, den er in einem Film gesehen hatte: Der Mann hatte jahrelang kleine Kinder umgebracht, ihre Leichen im Keller begraben und geduldig auf den richtigen Augenblick gewartet, um der Welt stolz seine Taten zu verkünden.

Aber das war dumm. Es war unmöglich, dass Lane ein schreckliches Geheimnis verbergen konnte. Trotzdem schien er sich auf eine Weise verändert zu haben, die Billy einfach nicht erklären konnte.

Lane erinnerte ihn an den Postboten.

Eigentlich lief es genau darauf hinaus. Es gab überhaupt keine Ähnlichkeiten, weder im Handeln noch sonst wie, doch Billys Bauchgefühl hatte die Verbindung hergestellt, und es passte. Billy machte sich nicht bloß Sorgen um seinen Freund - er hatte Angst vor ihm.

Als er Lanes vertrautes lautes Klopfen hörte, rief Billy ihn herein. Lane trug alte Jeans und ein schwarzes T-Shirt. Sein Haar hatte er anders gekämmt als sonst. Er hatte es in der Mitte gescheitelt, und das ließ ihn älter und härter aussehen.

»Hi«, grüßte Billy seinen Freund und nickte ihm zu.

Lane setzte sich auf die Couch. Er grinste breit - ein Grinsen, das Billy aus irgendeinem Grund unnatürlich erschien -, und er blickte zum hinteren Teil des Hauses. »Ist deine Mom da?«

Billy schüttelte den Kopf.

»Zu blöd.«

Billy versuchte, seine Überraschung nicht zu zeigen. Wann hatte Lane jemals seine Enttäuschung darüber ausgedrückt, dass ein Elternteil nicht da war? An der Schwelle zum Teenageralter, begierig zu zeigen, wie erwachsen sie schon waren, versuchten beide Jungen für gewöhnlich, ihren Eltern so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen.

Beide starrten eine Weile schweigend auf den Bildschirm. Schließlich schwang Billy die Füße vom Couchtisch und stand auf. »Also, was willst du machen?«

Lane zuckte mit den Schultern, eine Geste, die irgendwie falsch wirkte.

»Willst du zur Ausgrabung gehen und sehen, was da los ist?«

»Warum gehen wir nicht zum Fort?«, schlug Lane vor. »Da gibt es etwas, das ich dir zeigen will.«

Billy stimmte zu, obwohl er sich überhaupt nicht sicher war, dass er sich ansehen wollte, was sein Freund ihm zu zeigen hatte. Er ging hinaus und zur Seite des Hauses, wo sein Vater auf der Veranda saß und las. »Wir gehen jetzt«, verkündete er.

Doug blickte von seinem Buch auf. »Wer ist ›wir‹? Und wo wollt ihr hin?«

Billy, den dieser Hinweis auf seinen noch nicht unabhängigen Status in Verlegenheit brachte, wurde rot. »Ich und Lane«, sagte er. »Wir gehen zum Fort.«

»Okay.«

»Bis später, Mister Albin«, sagte Lane.

Die beiden Jungen verließen die Veranda. Sie folgten dem Pfad durch den Grüngürtel, und schon bald war das Haus nicht mehr zu sehen. Kleine Zweige und trockene Kiefernnadeln knackten unter ihren Füßen. »Also, was ist es?«, fragte Billy. »Was willst du mir zeigen?«

Lane lächelte rätselhaft. »Du wirst schon sehen.«

Sie erreichten das Fort, hüpften leichtfüßig auf das Dach und ließen sich durch die Klapptür ins Innere gleiten. Lane schlenderte wie beiläufig in das Hauptquartier, setzte sich, nahm einen Playboy und begann ihn durchzublättern. Billy wurde sauer. Er wusste, dass sein Freund es absichtlich spannend machte. Er wollte, dass Billy ihn bat, ihm zu zeigen, was immer er ihm zeigen wollte. Doch Billy weigerte sich, Lane diese Befriedigung zu gönnen.

Lane hatte als Erster genug von dem Spiel. Er legte die Zeitschrift hin und stand auf. »Ich habe einen Brief gekriegt«, sagte er.

»Von dieser Frau?« Billy war überrascht.

Lance lächelte - ein listiges, wissendes Lächeln, das verschwörerisch aussehen sollte, ohne es zu sein. »Willst du ihn sehen?«

Billy wusste, dass er Nein sagen sollte. Der selbstgefällige Ausdruck auf dem Gesicht seines Freundes sah so wenig nach Lane aus, dass er ihm beinahe Angst machte, besonders im schummrigen Licht des Forts. Das Lächeln weckte in Billy ein wachsendes Gefühl der Bedrohung; trotzdem nickte er zustimmend.

Grinsend gab Lane ihm den Umschlag.

Billy nahm den Brief heraus und entfaltete ihn langsam. Lanes Blicke waren auf ihn gerichtet und nahmen hungrig jede Bewegung auf, musterten sein Gesicht, als wartete er auf eine Reaktion. Billy entfaltete den Brief und spürte, wie sein Magen sich verkrampfte, als wäre er von einem Softball getroffen worden.

Auf einem Polaroid-Foto, das an dem Brief befestigt war, saß seine Mutter auf einem Sessel. Sie war völlig nackt und hatte die Beine in die Höhe gestreckt. Ihr Schambereich streckte sich ihm entgegen. Obwohl das Bild unscharf war, konnte er die Falten ihres Geschlechtsteiles und die kleine, runzelige Rosette ihres Afters sehen.

Die Handschrift auf dem Brief war nicht die seiner Mutter, aber sein Blick konzentrierte sich dennoch auf einen unterstrichenen Satz in der Mitte der Seite:


Ich liebe Schwänze.


Billy bekam kaum noch Luft. Seine Lungen schienen nicht mehr richtig zu arbeiten. Er versuchte, Atem zu holen, doch sein Mund war so trocken, dass die eingeatmete Luft sich staubig und rau anfühlte und er sich beinahe übergeben musste. Das Papier in seiner bebenden Hand zitterte raschelnd, und er ließ es auf den Boden fallen. Er blickte zu Lane hoch. Sein Freund grinste breit, und sein Gesicht zeigte einen widerlichen Ausdruck von Selbstgefälligkeit.

Und Wollust.

Billy sagte nichts, sondern schlug zu. Seine Faust traf Lane mitten ins Gesicht, und der Junge fiel rückwärts zu Boden. Billy trat ihm in die Seite. Seine Augen brannten. Er konnte nicht klar sehen und brauchte eine Sekunde, um zu begreifen, dass er weinte.

Lane rappelte sich auf. Offensichtlich hatte er Schmerzen. Sein Gesicht war gerötet, seine Nase blutig, aber er grinste irr. »Sie hat gesagt, dass sie es will, und ich hab ihr zurückgeschrieben und gesagt, dass ich es ihr besorge. Ich werde sie so ficken, wie sie es will.«

Billy schlug wieder zu, aber diesmal war Lane vorbereitet. Er hämmerte Billy die Faust in den Magen. Billy sackte zusammen, krümmte sich und hielt sich den Leib.

Lane kletterte am Seil hinauf und stieg durch die Klapptür. »Das Foto werde ich jedem zeigen«, sagte er. »Vielleicht wollen andere Leute deine Mom ja auch mal ausprobieren.«

Billy lag weinend am Boden, während er die Schritte seines Ex-Freundes hörte, der über Zweige und Laub nach Hause lief.

Загрузка...