Yard Stevens, der Anwalt, den Doug für Hobie engagiert hatte, war ein Südstaaten-Gentleman der alten Schule, der erst in fortgeschrittenem Lebensalter nach Arizona ausgewandert war und noch immer viel von dem manierierten Gehabe des Südens beibehalten hatte. Er lebte und praktizierte in Phoenix, hatte aber ein Ferienhaus in Willis, wo er den Sommer verbrachte, um der Hitze zu entgehen. Er war bekannt dafür, Mordfälle zu übernehmen und auch zu gewinnen, auf die sich die sensationsgeile Boulevardpresse stürzte. Als Doug ihm Hobies Situation beschrieb, erklärte Stevens sich bereit, den Fall zu übernehmen, auch wenn das bedeutete, dass er seine Ferien abbrechen musste. Stevens' Honorar war so astronomisch, dass es kaum zu glauben war, doch ein Vertreter des Schulbezirks versicherte, dass Hobies Versicherung die Kosten übernehmen würde.
»Wissen Sie«, sagte der Anwalt in seinem Südstaaten-Singsang, als sie in einem großen weißen Lincoln zur Polizeiwache fuhren, »ich hatte in diesem Sommer selbst Probleme mit der Post. Ich habe mehrmals versucht, mit dem Postchef darüber zu sprechen, aber wenn ich angerufen habe, war er nie da.«
Doug hatte hin und her überlegt, ob er Stevens alles erzählen sollte, war jedoch zu dem Schluss gekommen, dass es für Hobie besser war, wenn er es nicht tat. Wenigstens jetzt noch nicht. Er wollte nicht, dass der Anwalt sie beide für übergeschnappt hielt. Doch wenn Stevens im Zuge seiner Recherchen entdeckte, was tatsächlich vor sich ging - nun, dann hätten sie einen weiteren Verbündeten auf ihrer Seite. Wenn Stevens nichts entdeckte, konnte Doug ihn später immer noch über die Einzelheiten informieren.
»Ich hatte auch Schwierigkeiten«, gab Doug zu.
»Wenn es ein Problem der ganzen Stadt ist, wie ich vermute, könnten wir das vielleicht zu unserem Vorteil nutzen.«
Doug lächelte. »Das wollen wir hoffen.«
Der Anwalt sah ihn an. »Glauben Sie, dass Ihr Freund unschuldig ist? Sagen Sie mir die Wahrheit. Ich bin an die anwaltliche Schweigepflicht gebunden, und nichts wird diesen Wagen verlassen.«
Doug überraschte die Direktheit der Frage. »Er ist unschuldig«, sagte er.
»Das höre ich gern.«
»Und was glauben Sie?«
Stevens lachte, ein dunkles, melodisches, beinahe tröstliches Geräusch. »Das entscheide ich, nachdem ich mit meinem Mandanten gesprochen habe.«
In der Polizeiwache wurden sie durchsucht und dann in einen kleinen Raum geführt, der leer war bis auf einen Tisch und drei Stühle, die am Boden festgeschraubt waren. Hobie wurde in Handschellen hereingeführt und sagte nichts, bis der Wächter den Raum verließ. Er sah noch schlechter, noch wahnsinniger aus als in der Nacht zuvor, und Doug hatte ein unbehagliches Gefühl in der Magengrube. Eigentlich hatte er gehofft, dass Hobie einen guten Eindruck auf den Anwalt machen würde.
»Okay«, sagte Doug. »Jetzt können wir reden.«
Hobie blickte sich verstohlen um. Er schaute unter den Tisch und tastete unter dem Stuhl, als suchte er nach elektronischen Abhörgeräten. Unter anderen Umständen wäre Hobies paranoide Reaktion witzig gewesen. Aber jetzt erschien nichts mehr witzig.
»Hier sind keine Wanzen«, sagte Doug. »Unsere Polizei kann sich keine leisten.«
»Und selbst wenn dort welche wären«, ergänzte Stevens, »wären Beweise, die durch ihren Gebrauch gesammelt wurden, vor Gericht nicht zulässig.«
»Das ist dein Anwalt«, sagte Doug. »Yard Stevens.«
Der Anwalt streckte Hobie eine dicke, rosafarbene Hand entgegen. »Wie geht es Ihnen?«
»Was glauben Sie? Ich sitze wegen Mordes im Gefängnis.«
»Haben Sie es getan?«
»Zum Teufel, nein.«
Doug fühlte sich etwas besser. Hobie sah immer noch schrecklich aus, doch der Schock und die Verwirrtheit der letzten Nacht schienen verschwunden zu sein. Er wirkte nun zuversichtlicher, wieder mehr wie der raubeinige Typ, der er sonst war.
»Doug?« Stevens wandte sich ihm zu. »Ich würde gerne mit meinem Mandanten allein sprechen. Vielleicht brauche ich Ihre Zeugenaussage vor Gericht, und ich möchte deren Rechtsgültigkeit nicht gefährden, indem ich Ihnen Zugang zu vertraulichen Informationen verschaffe.«
Doug nickte. »Okay. Ich warte draußen.«
»Gut.«
»Danke«, sagte Hobie.
»Ich komme dich später besuchen.« Doug klopfte an die geschlossene Tür, die von außen geöffnet wurde, und ging über den Flur zum vorderen Büroraum, als er hinter sich eine vertraute Stimme hörte. »Mr. Albin? Könnte ich Sie mal kurz sprechen?«
Er drehte sich um und sah Mike Trenton, der ihm von der Tür eines Büros aus ein Zeichen machte.
»Doug. Ich hatte Ihnen gesagt, dass Sie mich Doug nennen können.«
Er folgte Mike in ein kleines Zimmer, das von einem riesigen Tisch beherrscht wurde. Zwei Wände waren vom Boden bis zur Decke mit Lehrbüchern und gebundenen Fallstudien bedeckt. »Das war mal die Polizeibibliothek«, erklärte Mike, der Dougs Blick bemerkt hatte. »Na ja, eigentlich ist sie es immer noch, aber jetzt ist sie auch mein Büro.«
»Worüber wollten Sie mit mir sprechen?«
»Über Mister Beecham.«
»Ich dachte, Sie wären aus allen Postbotenfällen raus.«
Mike zuckte mit den Schultern. »Willis hat ein kleines Polizeirevier. Und hier ist eine Menge passiert. Wir sind knapp an Personal. Außerdem ist es kein ›Postbotenfall‹.«
»Doch, das ist es, und Sie wissen das.«
»Ich wollte Ihnen nur ein paar Fragen zu Mister Beecham stellen.«
Doug erhob sich und ging auf und ab. »Ach, kommen Sie, Mike. Sie wissen verdammt gut, dass Hobie das Mädchen nicht getötet hat.«
»Ich weiß gar nichts. Ich würde Ihnen gerne helfen, wirklich, aber Mister Beechams Fingerabdrücke - blutige Abdrücke, sollte ich hinzufügen - wurden auf der Mordwaffe und überall im Raum gefunden. Und diese Fotos an der Wand ...« Er schüttelte den Kopf. »Sie beweisen gar nichts, sind aber auf jeden Fall ein Indiz für ein krankes Hirn ...«
»Diese Fotos wurden Hobie Beecham von seinem Bruder geschickt.«
»Von seinem toten Bruder?«
»Was ist los mit Ihnen, Mike? Was ist passiert? Vor einer Woche standen Sie der Sache noch offen gegenüber, und jetzt ...« Doug suchte nach den richtigen Worten.
»Jetzt stelle ich mich den Fakten«, beendete der Polizist den Satz für ihn.
»Nein, jetzt verstecken Sie sich«, entgegnete Doug. »Sie greifen nach jeder Antwort, die in Ihre Polizeilogik passt, die kategorisiert und katalogisiert und in einer Akte abgelegt und vergessen werden kann. Ich weiß, dass Sie Angst haben. Zum Teufel, wir alle haben Angst. Aber Sie suchen eine logische Erklärung, und die werden Sie nicht finden. Sie würden gern glauben, dass wir verrückt sind, dass das alles gar nicht passiert, dass das Leben normal weitergeht. Aber es wird nicht normal weitergehen. Hier sterben Menschen, Mike. Vielleicht wollen Sie es sich nicht eingestehen, aber jeder weiß es - Ich weiß es, Sie wissen es, jeder in der Stadt weiß es. Es sterben Menschen wegen dieses verdammten Postboten. Nennen Sie es übernatürlich, nennen Sie es, wie Sie wollen, aber es passiert wirklich.«
»Hobie Beechams Fingerabdrücke waren auf den Messern«, wiederholte Mike müde.
»Nehmen Sie mich ernst, Mike. Reden wir auf Augenhöhe miteinander. Verschonen Sie mich mit diesem offiziellen Gefasel.«
»Es ist ein glasklarer Fall ...«
»Ach, hören Sie auf. Ich bin nicht Ihr Feind, Mike. Himmel, wenn wir alle nur ein bisschen mehr Zeit dafür verwenden würden, zusammenzuarbeiten, würden wir viel mehr erreichen.«
Der Polizist lächelte leicht. »Sie waren immer ein guter Redner. Deshalb waren Sie auch einer meiner Lieblingslehrer.«
»Ich rede hier nicht nur so herum.«
»Wir haben Beweise, Mister Albin. Hobies Fingerabdrücke sind auf den Messern. Unter seinen Fingernägeln wurde Blut gefunden, auf seiner Kleidung, in seinem Haar.«
Doug öffnete die Tür. »Fein«, sagte er und wies mit dem Zeigefinger anklagend auf den jungen Polizisten. »Halten Sie sich an Ihre Vorschriften, stecken Sie den Kopf in den Sand. Aber der nächste Kopf, auf den gezielt wird, ist Ihrer. Sie hätten etwas dagegen tun können. Sie wollen mit mir über Hobie reden? Dann besorgen Sie sich eine Vorladung.« Doug schlug die Tür hinter sich zu und verließ das Polizeirevier. Als er im Freien stand, atmete er tief durch und versuchte, sich zu beruhigen. Die warme Morgenluft füllte seine Lunge; sie schmeckte sauber und frisch und erinnerte ihn an glücklichere Sommer. Doug ließ den Blick über den kleinen Parkplatz schweifen und entdeckte den glänzenden Briefkasten aus Metall, der auf einem Pfahl neben dem niedrigen Lattenzaun stand, dort, wo der Parkplatz an die Straße grenzte. Das Sonnenlicht wurde von der gebogenen Oberseite des Kastens reflektiert.
Er hasste diese verdammten Aluminiumdinger.
Er ging zum Wagen und wartete auf Stevens.