Doug ging zum Briefkasten. Es war schon eine ganze Weile her, dass er nach der Post gesehen hatte, und er war neugierig, was für Briefe der Postbote in diesen Tagen schickte. Ungefähr seit einer Woche war Doug jeden Tag aufgestanden, bevor Trish oder Billy aufwachten, und hatte die Post direkt in den Mülleimer geworfen, wobei er darauf achtete, sie tief unter den Müllbeuteln aus der Küche und den Abfällen aus dem Badezimmer zu vergraben, damit sie nicht zufällig von einem hungrigen Hund, einem Skunk oder einem Waschbären aus der Tonne geholt wurden.
Dennoch war er neugierig. Es war ein gutes Gefühl zu wissen, dass er der ständigen Versuchung durch den Postboten widerstand und so alle bösen Überraschungen durch Päckchen oder Briefe erfolgreich vereitelt worden waren. Doch er konnte nicht leugnen, dass etwas in ihm war - jenes widerspenstige Etwas, das ihn immer wieder dazu trieb, das Verbotene zu tun -, das ihn auch jetzt wieder reizte, die Post zu öffnen, obwohl er wusste, dass er unter den gegebenen Umständen gar nichts Dümmeres tun konnte.
Er dachte an Hobie und Irene, die beide nicht mehr an die Tür oder ans Telefon gingen.
Der Kies knirschte unter seinen Füßen. Er erreichte den Beginn der Auffahrt und öffnete den Briefkasten. Es war nur ein einziger Umschlag darin, der mit einem computererstellten Adressaufkleber »An den Hauseigentümer« versehen war. Doug holte den Umschlag heraus und schloss die Klappe. Er kämpfte noch mit sich, ob er den Brief wegwerfen oder lesen sollte, als seine Hand schon den Umschlag aufriss.
Nacktfotos.
Von Trish.
Sein Mund wurde plötzlich trocken, seine Knie weich. Er drehte die Broschüre um und begann zu lesen.
»Hi«, stand da. »Ich heiße Trish, und ich möchte deine ganz besondere Freundin sein. Als Einführung in den Ranch Club schicke ich dir zwei Fotos von mir, um dir zu zeigen, was du bekommst, wenn du unser Einführungsangebot nutzt. Nachts bin ich Ehefrau und Mutter, aber am Tag bin ich alles, was ich für dich sein soll. Deine heiße Schlampe. Deine Liebessklavin ...«
Doug konnte nicht weiterlesen. Vor Wut und Abscheu heftig atmend und zitternd vor Angst, sah er sich die beiden Fotos an. Auf dem einen, eine Rückenansicht, beugte Trish sich über die Rückenlehne eines Sofas und bot der Kamera einen perfekten Blick auf ihren weißen, ungebräunten Hintern.
Nur ...
Nur dass es nicht Trish war. Der Po war zu fest und rund. Es war der knackige Hintern einer jungen Frau um die zwanzig. Doug sah genauer hin. Das kleine Muttermal, das Trish unten am Rücken hatte, fehlte ebenfalls.
Er sah sich das andere Foto an, auf dem Trish in einem Rohrstuhl saß, die Beine gespreizt, die Augen geschlossen, während sie sich selbst befingerte. Doug bemerkte, dass die Brüste anders waren. Die Größe stimmte ungefähr, aber Trishs Brustwarzen waren viel dunkler und standen weiter vor.
Doug zerriss die Fotos, zerriss die Broschüre, zerriss den Umschlag. Der Postbote hatte offensichtlich Fotos von Trishs Kopf auf den Körper einer anderen Frau kopiert, wenn Doug auch nicht wusste, wie oder wo der Postbote an Bilder von Trish gekommen war. Die Fotomontagen waren gut gemacht, ohne sichtbare Ränder und Übergänge, und sie würden wahrscheinlich jeden außer ihn selbst täuschen. Aber zu welchem Zweck hatte der Postbote diese Bilder angefertigt? Warum diese Mühe?
Vielleicht war es nicht nur für ihn. Vielleicht hatte der Postbote dieselbe Broschüre, dieselben Fotos auch an andere Leute in der Stadt geschickt. Vielleicht starrten gerade jetzt, in diesem Moment, andere Männer den angeblichen Körper seiner Frau an, träumten von ihr, machten Pläne ...
Als Doug zum Haus zurückging, schob er diesen Gedanken beiseite und warf die Papierfetzen in den Müll.
Als sie neulich zum Einkaufen gefahren waren, schien die Stadt beinahe verlassen gewesen zu sein. Es waren kaum Wagen auf der Straße und nur sehr wenige Menschen zu sehen gewesen, und so war Doug überrascht, nun auf dem Parkplatz vor dem Feinkostgeschäft eine Menschenmenge versammelt zu sehen. Er hatte vorgehabt, zum Haushaltswarengeschäft zu gehen, um noch ein paar Taschenlampen und Batterien zu besorgen, ehe alle ausverkauft waren, doch als er all die Leute sah, fuhr er auf den Bayless-Parkplatz. Er parkte neben einem grauen Jeep Cherokee und stieg aus. Die Gruppe, die vor dem Feinkostgeschäft stand, war ziemlich ruhig, aber die Leute hatten etwas Bedrohliches an sich, wie sie im Halbkreis um Todd Golds Kombi standen. Doug ging weiter nach vorn. Er erkannte die Gesichter von mehreren Schülern und Erwachsenen. Sie schienen auf etwas zu warten.
Todd kam aus seinem Laden und schleppte eine große, weiße Kiste. Er stellte sie hinten in den offenen Kombi neben mehrere andere Kisten, die schon dort verstaut waren. Dann schlug er die Hecktür zu. Doug drängte sich durch die Menge nach vorn, während der Feinkosthändler die Zuschauer durch wütende Gesten zu vertreiben versuchte. »Verdammt noch mal, verschwindet von hier. Habt ihr nicht schon genug angerichtet?«
Die Menge stand stumm da und beobachtete, wie Todd in den Laden ging und bepackt mit mehreren Beuteln wieder herauskam. Dann stieß er die Tür zum ausgeräumten Feinkostladen zu und schloss ab. »Haut endlich ab!«, rief er wieder. Als er die Wagenschlüssel aus der Tasche fischte, ließ er einen der Beutel fallen.
Doug erreichte den Mann, kurz bevor er die Fahrertür öffnete. »Was ist los, Todd? Was ist passiert? Was tun Sie da?«
Der Feinkosthändler funkelte Doug wütend an. »Wenigstens von Ihnen hätte ich was Besseres erwartet. Bei einigen dieser Vollidioten«, mit einer abschätzigen Handbewegung deutete er auf die Menge, »kann ich das verstehen. Die haben noch nie einen Juden gesehen, wissen nicht, was sie tun oder wie sie damit umgehen sollen. Aber Sie ...«
Doug starrte ihn verdutzt an. Der Mann faselte wirres Zeug. »Wovon reden Sie?«
»Wovon ich rede? Was zum Teufel glauben Sie denn, wovon ich rede?« Der Ladenbesitzer stellte einen Beutel voller Briefe auf den Sitz und durchwühlte ihn hektisch, nahm Briefe in die Hand und warf sie wieder beiseite, bis er fand, was er suchte. Er hielt einen Brief hoch. »Kommt Ihnen der Wisch bekannt vor?«
Doug schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Nein?« Todd las den Brief laut vor. »›Du Jesus-mordender Jude, wir haben es satt, dass deine schmierigen Finger unseren Fisch, unser Fleisch und unsere Nahrungsmittel berühren. Wie würde es deiner Frau gefallen, von einem schönen weißen Schwanz gevögelt zu werden?‹«
Doug starrte ihn fassungslos an. »Sie glauben doch nicht, dass ich ...«
»Wollen Sie mir weismachen, dass Sie das nicht waren?«
»Natürlich war ich das nicht!«
Todd blickte auf das Papier und las vor: »›Ich gebe deiner Frau mal eine richtige Schweinsknackwurst zu schmecken.««
»Todd, ich ...«, sagte Doug hilflos.
Der Feinkosthändler spuckte Doug vor die Füße. Sein Gesicht war hasserfüllt, und Doug wusste, dass er nichts sagen oder tun konnte, was den angerichteten Schaden wiedergutmachen oder den Ladenbesitzer davon überzeugen konnte, dass er nichts mit dem Brief zu tun hatte.
»Schlappschwanz!«, rief jemand in der Menge. »Heulsuse!«
Doug blickte hoch, um zu sehen, wer diesen Kommentar abgegeben hatte, doch die Gesichter schienen alle ineinander zu verschwimmen. Jetzt bemerkte er, dass die Leute, auch wenn sie schwiegen, keineswegs passive Zuschauer waren. In mehreren Gesichtern spiegelte sich Wut, gepaart mit dem hässlichen Schatten der Intoleranz.
»Juden raus aus Willis!«, rief ein Mann hasserfüllt.
»Geht dahin, wo ihr hergekommen seid«, keifte eine Frau.
Todd warf den Brief auf den Rücksitz und stieg in den Wagen. Er ließ den Motor an, legte den Sicherheitsgurt um und blickte Doug ins Gesicht. »Von Ihnen hätte ich etwas Besseres erwartet«, sagte er. »Ich hoffe, Sie sind jetzt zufrieden.«
»Ich bin auf Ihrer Seite, verdammt!«, erwiderte Doug, aber Todd setzte den Wagen bereits zurück und wendete. Irgendjemand aus der Menge warf einen Stein und traf die hintere Stoßstange des Kombis. Der Wagen fuhr auf die Straße, bog um die Ecke und war verschwunden.
Doug blickte in den leeren Laden und sah nur das Bild der Menge im Spiegel. Er sah Gesichter, die er nicht kannte - von Menschen, die er kannte. Er sah Menschen, die er auf keinen Fall kennen wollte.
Er drehte sich um.
»Sie sind auf seiner Seite?«, fragte ein Mann herausfordernd.
Doug zeigte ihm den erhobenen Mittelfinger. »Verpiss dich.«
Langsam ging er zu seinem Wagen zurück.