NEUN
War ich etwa eingeschlafen? Ich weiß es nicht so genau. Jetzt jedenfalls bin ich hellwach, denn endlich, endlich passiert etwas. Erst klingelt es an der Haustür, nach einer Weile dreht sich ein Schlüssel im Schloss, und die Tür wird geöffnet. »Carolin, bist du da?«
Bei der Mutter aller Fleischwürste - es ist Daniel! Sofort renne ich zu ihm, springe an ihm hoch und würde ihn am liebsten abschlecken.
»Ho, hoppla, Herkules! Das ist ja eine nette Begrüßung. Wo ist denn dein Frauchen? Wir machen uns ein bisschen Sorgen um sie.«
Wir? Nun erst bemerke ich, dass auch Nina im Hausflur steht.
»Daniel, ich hab ein ganz schlechtes Gefühl. Ich meine, das ist doch nicht normal, dass Herkules ans Telefon geht und man Carolin nicht mehr erreicht. Und wie das hier riecht - total ekelhaft!«
»Okay, dann sehen wir mal nach.«
Er kommt in die Wohnung, ich renne vor zum Wohnzimmer. Los, folgt mir! Neben Carolin halte ich an und belle laut. »O Gott, Carolin!«
Schon ist Daniel hinter mir und kniet sich neben Carolin. Auch Nina kommt ins Wohnzimmer. Als sie Carolin dort liegen sieht, schlägt sie die Hände vor das Gesicht. »O nein, was ist bloß passiert!«
Daniel nimmt Carolins Hand.»Also, sie hat zumindest einen Puls. Carolin!«, er rüttelt an ihrer Schulter, »Carolin! Wach auf.«
Sie bewegt sich nicht. Er dreht sie zur Seite, weg von dem Erbrochenen, und wischt ihr Gesicht mit einem Taschentuch ab, das er aus der Hosentasche zieht.
»Das gefällt mir gar nicht, ich rufe jetzt einen Krankenwagen.«
Er steht auf und geht rüber zum Telefon, das immer noch dort liegt, wo ich es habe fallen lassen. Er spricht kurz mit jemandem, dann kommt er zu uns zurück. Auch Nina setzt sich neben uns auf den Fußboden.
»Was hat das alles zu bedeuten? Carolin bewusstlos, der Teppich da drüben in Stücke geschnitten. Wie lange liegt sie hier wohl schon?«
»Na ja, ich bin vor zwei Stunden nach Hause gefahren. Vorher habe ich Herkules bei ihr abgegeben. Da machte sie offen gestanden schon einen alkoholisierten Eindruck - aber okay, das kann ja mal sein. Gerade bei Liebeskummer. Sie war allerdings auch schon vier Tage nicht mehr in der Werkstatt, weil sie so down war. Hatte mir aber versprochen, nächste Woche wieder zu kommen. Mist, ich hätte mehr nachhaken sollen.«
»Was meinst du, welche Vorwürfe ich mir mache. Ich wusste, dass es ihr wegen Thomas schlechtgeht. Aber sie wollte nicht drüber reden, und dann habe ich gedacht, vielleicht braucht sie auch erst mal ihre Ruhe. Aber als ich eben hier anrief und nur den bellenden Herkules am Rohr hatte ...« Sie schweigt und greift nach Carolins Hand.
»Ja, gut, dass du mich gleich angerufen hast.«
»Und gut, dass du einen Schlüssel hast! Herkules hätte uns wohl kaum die Türe öffnen können. Wobei«, sie langt zu mir herüber und zieht mich auf ihren Schoß, »du bist ein ganz schlauer Dackel. Hast gemerkt, dass die Carolin Hilfe braucht, nicht?«
»Genau, Herkules«, pflichtet ihr Daniel bei, »wenn du nicht ans Telefon gegangen und so ein Theater gemacht hättest, wären wir bestimmt nicht vorbeigekommen.«
»Wie hast du es denn geschafft, das Telefon von der Station zu nehmen? Das stelle ich mir gar nicht so leicht für ein Kerlchen mit so kurzen Beinen vor. Schade, dass du nicht sprechen kannst.«
Wie Recht sie hat, anderenfalls könnte ich sie gleich mal daraufhinweisen, dass meine Beine für einen Dackel mitnichten kurz sind, sondern Idealmaß haben.
Es klingelt wieder an der Tür, und Daniel lässt drei Männer in die Wohnung. Die drei sehen aus, als hätten sie sich verkleidet: Sie tragen Jacken, die stark an die Müllabfuhr erinnern - nur dass ich mir ziemlich sicher bin, es hier nicht mit Müllmännern zu tun zu haben. Der eine geht sofort zu Carolin. Bevor er sich zu ihr kniet, dreht er sich kurz zu Daniel.
»Wie heißt sie?«
»Carolin Neumann.«
»Ihre Frau?«
»Nein, eine gute Freundin.«
Der Mann macht jetzt im Wesentlichen genau das Gleiche wie Daniel - er rüttelt erst mal an ihr.
»Frau Neumann, können Sie mich hören?«
Natürlich nicht! So weit waren wir auch schon. Er nimmt ihre Hand und tastet an ihrem Handgelenk herum, genau wie Daniel. Herrje, warum haben wir den denn angerufen? Dem fällt ja so gar nichts Neues ein. Ich versuche, möglichst nah an ihn heranzukommen. Der soll ruhig wissen, dass er beobachtet wird. Jetzt allerdings macht er etwas, auf das wir noch nicht gekommen sind: Er öffnet ihre Augen mit seinen Fingern und schaut hinein, dann holt er etwas aus seiner Jackentasche, was zunächst wie ein Stift aussieht.
»Hm, Puls ist da, aber schwach. Ziemlich weite Pupillen.«
Er öffnet noch mal eines ihrer Augen und zielt mit dem Stift in die Richtung. Aha, eine Taschenlampe! Seltsam, was macht der da?
»Hm, sehr langsame Reaktion. Erbrochen hat sie sich auch. Wissen Sie, was Ihre Freundin getrunken hat?«
Daniel schüttelt den Kopf. Ha, aber ich! Ich sause los und finde unter den rausgesäbelten Teppichstücken tatsächlich noch die leere Flasche, schnappe sie mir und apportiere sie fachgerecht. Der Mann mit der Taschenlampe pfeift anerkennend.
»Na, wenn das mal nicht ein Hund ist, der mitdenkt! Sehr gut! Dann lass mal sehen: Hennessy VS.O.P. - zumindest hat die Dame einen guten Geschmack. Ob man deswegen gleich eine ganze Flasche trinken muss, ist natürlich eine andere Frage. Mal ganz offen: Neigt sie dazu?«
Jetzt mischt sich Nina ein.
»Natürlich nicht! Was glauben Sie denn! Frau Neumann trinkt normalerweise höchstens mal abends ein Glas Wein. Aber es geht ihr momentan nicht gut, sie hat gerade ihren Freund rausgeschmissen, das miese Schwein!«
»Nina, bitte«, geht Daniel dazwischen, »das tut hier doch gar nichts zur Sache.«
Herr Müllmannjacke lächelt und schüttelt den Kopf. »Nein, ist völlig in Ordnung. Und tut übrigens sehr wohl etwas zur Sache - halten Sie es für möglich, dass Ihre Freundin noch etwas anderes als Alkohol genommen hat? Tabletten vielleicht?«
Daniel und Nina zucken mit den Schultern.
»Ich glaube nicht«, sagt Daniel schließlich, »aber ich drehe mal eine kurze Runde durch die Wohnung. Vielleicht finde ich etwas.«
Kurz darauf ist er wieder zurück und schüttelt den Kopf. »Nichts gefunden. Aber das halte ich eigentlich auch für ausgeschlossen.«
Der Mann nickt. »Okay, meine Kollegen und ich nehmen Frau Neumann jetzt mit. Sie hat mit Sicherheit eine ziemliche Alkoholvergiftung.«
Alkoholvergiftung? Ob das sehr gefährlich ist?
»Ich werde ihr im Rettungswagen gleich eine Infusion dranhängen, um die Alkoholkonzentration etwas runterzubringen, im Krankenhaus sehen wir dann weiter. Die nächsten drei Tage bleibt sie wahrscheinlich da. So, Jungs«, er wendet sich an die beiden anderen Männer, »dann mal los.«
Die beiden Männer holen eine Trage aus dem Flur und stellen sie neben Carolin ab, heben sie zu zweit drauf. Dann marschieren sie mit ihr los. Die dritte Müllmannjacke verabschiedet sich kurz von uns, dann ist auch sie verschwunden. Ich merke, wie sich nach all der Aufregung plötzlich ein anderes Gefühl anschleicht: Traurigkeit. Und Einsamkeit. Ein kleiner Kerl wie ich braucht doch sein Frauchen! Ob ich jetzt wieder ins Tierheim muss?
»Was machen wir jetzt?« Nina schaut Daniel fragend an.
»Ich finde, einer von uns sollte auch ins Krankenhaus fahren. Damit jemand da ist, wenn Carolin wach wird.«
Nina nickt. »Gute Idee. Sie sollte in dieser Situation wirklich nicht allein sein. Was hältst du davon, wenn du schon vorfährst? Ich räume hier ein bisschen auf, dann komme ich nach.«
»Okay. Was machen wir mit Herkules?«
Die beiden schauen mich an. Nicht ins Tierheim!, will ich am liebsten laut rufen, es wird allerdings nur ein klägliches Jaulen daraus.
»Schau mal, wie kläglich er aussieht! Er muss auch furchtbare Angst gehabt haben. Wir können ihn unmöglich allein hierlassen. Außerdem ist er Carolins Retter, da hat er ja eigentlich eine Belohnung verdient.«
Endlich mal ein vernünftiger Gedanke von Nina.
»Ich schlage vor, ich nehme ihn nachher mit. Von mir aus kann er auch heute Nacht bei mir bleiben, ich würde ihn dir dann morgen in die Werkstatt bringen.«
»Gut. Dann mache ich heute Nachtschicht bei Carolin - falls es nötig ist. Und morgen übernehme ich Herkules. Bis später dann!«
Als er gegangen ist, macht sich Nina mit Eimer und Schrubber daran, die Bescherung im Wohnzimmer zu beseitigen. Als sie damit fertig ist, steht sie ratlos vor den Resten des weißen Teppichs.
»Kannst du mir vielleicht erklären, was hier passiert ist?«, will sie von mir wissen und hebt eines der Teppichstücke hoch. Sie dreht es hin und her, dann fängt sie an zu grinsen. »Den Teppich kenne ich doch - Thomas wollte ihn unbedingt haben, Carolin fand ihn scheußlich. Noch dazu war er sauteuer. Sieht fast so aus, als sei hier jemand stellvertretend in kleine Stückchen geschnitten worden.« Sie legt das Stück wieder hin. »Recht so, ich habe Hoffnung auf baldige Genesung der Patientin.«
Was nun wiederum das mit der kranken Carolin zu tun hat, leuchtet mir nicht ein. Aber es ist ja beruhigend zu hören, dass Nina es für ein gutes Zeichen hält.
Bevor wir losfahren, geht Nina noch einmal durch die ganze Wohnung, um zu schauen, ob sonst alles in Ordnung ist. Dabei entdeckt sie etwas, an das ich die Erinnerung schon längst verdrängt hatte: Sie kommt mit der Plastik-Halsmanschette aus dem Schlafzimmer, Carolin hatte sie dort auf die Fensterbank gelegt.
»Schau mal, was ich hier habe, Herkules!«
Ja, ich sehe es. Ganz toll. Was willst du denn mit der? Du hast doch gar keinen Hund, und um einen Menschenhals passt das Ding sicherlich nicht.
»Das müssen wir dringend zu Dr. Wagner zurückbringen, der vermisst sie sicherlich schon.«
Das glaube ich zwar nicht, aber wenn Nina so ein ordentlicher, gewissenhafter Mensch ist - bitte schön. Hauptsache, ich muss nicht wieder mitkommen und mich foltern lassen.
Ins Krankenhaus fahren wir dann doch nicht mehr. Daniel ruft an und sagt, dass alles so weit in Ordnung ist und er noch länger bleiben kann. Mir fällt ein sehr großer Stein vom Herzen. Allein die Vorstellung, dass Carolin ganz krank sein könnte, ist schauderhaft. Was war das bloß für ein Zeug, das sie da getrunken hat? Ich beschließe, in Zukunft besser auf sie aufzupassen, damit das nicht noch mal passiert.
Ninas Wohnung ist viel kleiner als die von Carolin und riecht auch völlig anders. Fast ein bisschen staubig, aber trotzdem ganz gut. Muss wohl an den vielen Büchern liegen, die hier überall sind. Fast an jeder Wand ist ein Regal, und jedes ist bis oben hin voll mit Büchern. Große, kleine, dicke, dünne. Kaum zu glauben, dass sie die alle gelesen hat. Kann man sich nur schwer vorstellen, vor allem, wenn man selbst gar nicht lesen kann. Mir ist immer noch nicht ganz klar, wie das eigentlich funktioniert. Fest steht, dass man dafür unglaublich lange auf ein Blatt mit einem seltsamen Muster gucken muss. Irgendetwas passiert dabei mit den Menschen.
In ihrem Kopf, meine ich. Denn ab und zu fangen sie an zu lachen, wenn sie so ein Blatt betrachten - obwohl niemand etwas gesagt hat und auch sonst nichts passiert ist. Oder sie weinen sogar. Das habe ich bei Emilia ab und zu beobachtet. Die las nämlich auch sehr viel. Was macht das Papier also mit dem menschlichen Kopf? Erzeugt es da irgendeine Art Halluzination? Oder Traum? Sollte ich Beck irgendwann mal wieder sehen, muss ich ihn das unbedingt fragen.
Die nächste wichtige Frage ist natürlich, wo ich schlafen werde. Denn ich merke gerade, dass ich unglaublich müde bin. In ihrem Bett lässt mich Nina bestimmt nicht schlafen. So wie ich diese Frau einschätze, könnte selbst mein schönster Dackelblick sie nicht erweichen. Oder soll ich es doch mal versuchen? Immerhin, sie hat es selbst gesagt: Ich verdiene eine Belohnung.
Also mache ich mich auf und zupfe Nina ein bisschen am Bein.
»Na, Süßer, auch müde, nicht wahr? Ich überlege gerade, wo du schlafen könntest. Ich habe ja kein Körbchen für dich.«
Jetzt ist genau der richtige Moment, den Kopf schief zu legen und unglaublich süß zu gucken. Ich versuche es. Nina schaut mich erstaunt an.
»Willst du mir etwas sagen? Du schaust so ... so seltsam.«
Seltsam? Unverschämtheit? Ich schaue total goldig, zum Anbeißen, zum sofort Verlieben! Nun guck doch mal genauer hin! Ich neige den Kopf noch stärker und fiepe ein bisschen.
»Hm, wirst du krank? Oder - willst du etwas Bestimmtes?«
Ich belle kurz und laufe los. Irgendwo muss hier doch das Schlafzimmer sein, die Bude ist ja alles andere als weitläufig. Hinter der nächsten Tür finde ich es schon. Ich trabe hinein und setzte mich auf meinen Hundepo. Nina kommt hinterher.
»Also, das klingt jetzt ein bisschen gaga und nach Prinz Charles spricht mit den Pflanzen - aber willst du mir vielleicht sagen, dass du in meinem Bett schlafen möchtest?«
Ich werfe ihr einen weiteren treuherzigen Blick zu und biete nun ein Kunststück, das ich noch nicht häufig zum Vortrag gebracht habe: Ich mache Männchen! Und es klappt sogar, ich stehe mindestens eine Minute wie in Stein gehauen. Also, wenn das nicht zieht, weiß ich auch nicht.
Nina guckt - und bricht in schallendes Gelächter aus. »Das ist ja köstlich! Herkules, wo hast du das denn her?«
Beleidigt setze ich mich wieder. Diese Frau hat offensichtlich keine Ahnung von Kunst. Und sie weiß offenbar auch nicht, wie schwierig es für einen Hund ist, sich in die Senkrechte zu begeben. Ja, als Mensch, da ist das ja gar nichts. Da können das alle. Aber für mich war das eben schon ziemlich gut. Schnepfe! Zu der will ich gar nicht mehr ins Bett. Da schlafe ich lieber auf der Fußmatte und überhaupt...
»Na komm, du Strolch! Hüpf rein!« Mit einer schnellen Handbewegung schlägt Nina die Bettdecke am Fußende zurück und klopft einladend auf die Matratze.
Sagte ich Schnepfe? So ein Quatsch. Eine ganz Nette ist sie, die Nina.
»Guten Morgen, ihr beiden. Na, ich weiß jetzt nicht, wer schlechter aussieht - du oder Daniel.«
Nina und ich sind am nächsten Tag nicht in die Werkstatt, sondern direkt ins Krankenhaus gefahren. Daniel hat nämlich die ganze Nacht an Carolins Bett gewacht. Entsprechend zerknittert sieht er in der Tat aus. Das ist dann wieder der Nachteil, wenn man kein Fell im Gesicht hat: Ein ungesunder Lebenswandel lässt sich eindeutig schlechter verbergen.
Carolin ist zwar sehr, sehr blass um die Nase, aber immerhin ist sie nicht mehr bewusstlos. Sie sitzt in ihrem Bett und ringt sich sogar zu einem Lächeln durch.
»Hallo, Nina, schön, dass du da bist. Und danke, dass du Herkules mitgebracht hast.«
»Na ja, Tiere sind auf der Station eigentlich verboten, aber als ich der Oberschwester erklärt habe, dass Herkules gewissermaßen dein Lebensretter ist, hat sie ein Auge zugedrückt.«
Carolin nickt. »Daniel hat es mir schon erzählt. Komm her, Herkules, lass dich mal ein bisschen kraulen.«
Nur zu gern! Nina setzt mich auf den Stuhl neben Carolins Bett und dann schmusen wir eine Runde.
»Ach Leute, das ist mir alles so wahnsinnig peinlich! Wie konnte das nur passieren? Leider kann ich mich auch an gar nichts mehr erinnern - wobei, ist vielleicht auch besser so.«
Daniel nimmt Carolins Hand. »Komm, vor uns muss dir echt nichts peinlich sein. Wir sind doch deine Freunde. Außerdem erwarten wir natürlich, dass du auch zu uns hältst, wenn wir dereinst eine Flasche Cognac niedermachen und seltsame Löcher in Teppiche schneiden.«
Unter ihrer Blässe wird Carolin ein bisschen rot. »Hör bloß auf, ich kann es gar nicht hören. Es ist peinlich!«
Daniel lacht. »So, ihr Lieben. Ich fahre nach Hause. Auf meiner Werkbank stapelt sich die Arbeit, gerade gestern hat mir Aurora eine wichtige Restaurationsarbeit vorbeigebracht, ich weiß gerade echt nicht, wo mir der Kopf steht. Aber vorher muss ich mich noch mal kurz aufs Ohr hauen, nicht, dass ich noch aus Versehen Löcher in Auroras Fundstück bohre, wo gar keine hingehören.«
Als Daniel gegangen ist, sitzen Nina und Carolin erst einmal eine Weile schweigend da. Ich habe meinen Kopf auf Carolins Schoß gelegt und genieße es, von ihr hinter den Ohren gekrault zu werden.
»Carolin, ich mache mir ernsthaft Sorgen um dich«, sagt Nina schließlich.
»Na ja, ich bin eben nichts gewohnt. Das war schließlich keine Absicht. Aber ich war nicht gut drauf, und da habe ich eben ein bisschen zu viel getrunken.«
»Hallo? Du hast nicht ein bisschen zu viel getrunken. Ich meine, 3,2 Promille - noch ein Cognac mehr und du wärst vielleicht ins Koma gefallen. Das ist dir nicht einfach so passiert.«
Carolin hört auf, mich zu kraulen. »Was meinst du denn damit?«
»Das weißt du genau. Daniel hat erzählt, dass du die ganze Woche nicht in der Werkstatt warst. Und dass er sich tagsüber um Herkules kümmert, weil es dir so schlechtgeht.«
Carolin schweigt.
»Ist doch wohl klar, dass ich mir da Sorgen mache. Mensch, Carolin, ich weiß, du willst es nicht hören, aber Thomas ist doch keine einzige Träne wert. Seit Jahren hat der Typ dich schlecht behandelt, ich war richtig froh, dass du ihn endlich rausgeschmissen hast. Natürlich fühlst du dich nicht gut, aber das ist normal, und du wirst darüber hinwegkommen. Bilde dir bitte nicht ein, dass dein Leben nun für immer triste sein wird. Das stimmt nämlich nicht.«
Carolin fängt an zu schluchzen, Nina gibt ihr ein Taschentuch.
»Seit Thomas weg ist, bin ich so einsam. Ich habe Angst, dass ich nie wieder glücklich sein werde. Ich wollte immer eine Familie, Kinder. Aber davon bin ich weiter entfernt, als ich jemals gedacht hätte. Im Grunde genommen habe ich nur noch Herkules.«
Was heißt denn hier »nur«? Lieber ein treuer Hund als ein betrügerischer Schurke! Ich werde Carolin garantiert niemals so enttäuschen. Schnell schlabbere ich ihre Hände ab. Nina nickt mir zu.
»Das hast du verstanden, Herkules, nicht wahr? Aber so niedlich du bist - ich kann Carolin verstehen. Ein Hund ist einfach kein Mensch.«
Zum Glück!, möchte ich rufen, denn auf mich ist wenigstens Verlass.
»Weißt du, natürlich war Thomas nicht perfekt. Aber wer ist das schon? Bin ich ja auch nicht. Mittlerweile denke ich, dass ich ihm vielleicht hätte verzeihen sollen. Vielleicht war ich zu hart.«
Nina schnaubt verächtlich. »Also bitte! Das klingt doch sehr nach lieber einen Idioten als gar keinen Mann. Ich verstehe nicht, wie so eine tolle Frau wie du sich dermaßen unter Wert verkaufen kann. Du wirst den richtigen Mann noch treffen, da bin ich mir ganz sicher. Und dann wirst du feststellen, dass das heute rückblickend dein Glückstag war. Der Tag, ab dem es wieder bergauf ging!«
Carolin guckt zweifelnd. »Na, wenn du meinst. Wo ich diesen tollen Typen treffen soll, ist mir allerdings noch völlig schleierhaft.«
Nina lacht. »Wenn das Schicksal es so will, kannst du deinen Prinzen auch im Park hinterm Haus treffen. Da musst du gar nicht lange suchen.«
Natürlich, das ist es! Mir kommt eine geniale Idee. Ein Prinz muss her! Und wer ist hier der Adelsexperte? Richtig! Carolin hat mich gerettet, als ich in höchster Not war. Und jetzt werde ich sie retten. Und wenn ich den ganzen Park dafür umgraben muss.