ZWEI

Herkules! Gut, Carolin mag keinen Geschmack haben, was die Namenswahl bei Dackeln anbelangt, und an diesen merkwürdigen neuen Namen muss ich mich auch erst mal gewöhnen. Ein Händchen für die richtige Wohngegend hat sie aber auf alle Fälle. Tatsächlich scheint das Haus, in dem ich jetzt wohne, fast so groß wie Schloss Eschersbach zu sein. Mein Gefühl, dass Carolin aus den besten Verhältnissen stammt, scheint also zu stimmen. Auch die Nachbarn residieren nicht gerade in bescheidenen Hütten. Direkt hinter unserem Haus beginnt ein Park. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob der Carolin allein gehört, denn er ist wirklich riesig. Als wir dort einen kurzen Spaziergang machen, kann ich überhaupt nicht erkennen, wo der Park endet - toll!

Und er ist nicht nur groß, es wartet auch das Abenteuer in ihm. Schon nach ein paar Schritten wittere ich die ersten Kaninchen und Eichhörnchen. Sofort will ich loslaufen, da erinnert mich ein unsanfter Ruck im Nacken daran, dass Carolin etwas für mich besorgt hat, was für mich völlig ungewohnt ist: eine Art Strick, den sie an meinem Halsband festgemacht hat. Aua! Was soll das denn? Ich drehe mich um, nehme das Ding in die Schnauze und zerre ein bisschen daran. Carolin kniet sich zu mir herunter.

»Na, Herkules? Magst du deine neue Leine nicht? Oder bist du noch nie so spazieren gegangen? Ich bin mir gar nicht sicher, ob so ein kleiner Hund wie du das gleich kann. An der Leine gehen, meine ich. Aber leider herrscht hier Leinenzwang, und ich kann dich nicht einfach herumlaufen lassen.«

Bei dem Wort »Leinenzwang« muss ich noch ein bisschen wilder auf dem Strick herumbeißen. Ich weiß zwar nicht genau, was das bedeutet, aber es klingt definitiv wie etwas, was sich gegen Hunde richtet.

»Ts, ts!«, sagt Carolin und dann streichelt sie mir ganz zärtlich über den Kopf. Ich lasse die Leine los und schaue sie an.

»Ich muss mir wohl ein Buch über Hundeerziehung kaufen. Oder vielleicht ein paar Stunden beim Hundetrainer buchen? Du bist nämlich mein allererster Hund überhaupt. Aber gestern hatte ich auf einmal das Gefühl, es wäre nett, so ein freundliches, treues Wesen um mich zu haben.«

Okay, das mit der Erziehung ist natürlich überflüssiger Unsinn, und ich hoffe, Carolin kommt noch von allein drauf. Aber das mit dem freundlichen, treuen Wesen trifft hundertprozentig auf mich zu. Wie auf alle von Eschersbach'schen Dackel. Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass wir dafür berühmt sind. Ein von Eschersbach verlässt seinen Menschen nie. Nie! Merk dir das, Carl-Leopold!, höre ich Opili sagen. Was aber ist, wenn der Mensch auf einmal den Dackel verlässt? Dazu wäre Opili bestimmt auch nichts eingefallen, füge ich in Gedanken finster hinzu. Einen Moment will sich schlechte Laune bei mir breitmachen, aber da raschelt Carolin mit irgendwas in ihrer Tasche. Hmh, nicht mit irgendetwas - den Geruch kenne ich doch! Es ist Fleischwurst. Sie hält mir tatsächlich ein Stück davon unter die Nase.

»Hier, mein Schatz. Beginnen wir doch unsere erste Trainingseinheit in Sachen Spaziergang mit etwas Erfreulichem. Ich hoffe, du magst das.«

Ich schnappe mir den Wurstzipfel und springe gleich mal begeistert auf und ab. Carolin soll doch wissen, dass das auf alle Fälle die richtige Idee war.

»Das freut dich, nicht wahr? Vielleicht lassen wir das Leinentraining auch erst mal und besuchen stattdessen Daniel. Wird Zeit, dass du den kennenlernst. Um diese Uhrzeit ist er bestimmt gerade fleißig und vielleicht für ein bisschen Abwechslung dankbar.«

Schade, ich wäre gerne noch im Park geblieben. Auch mit Leine. Vielleicht hätten wir noch einen anderen Hund getroffen, den ich ein bisschen über die Nachbarschaft hätte ausquetschen können. Man will ja schließlich wissen, mit wem man es zu tun hat. Aber wenn dieser Daniel so wichtig ist - bitte, von mir aus!

Carolin geht genau den Weg zurück, den wir gerade gekommen sind, und ich gebe mir Mühe, brav an der Leine hinter ihr herzutrotten. Vielleicht kriege ich noch ein Stück Wurst, wenn ich ihr jetzt ein pädagogisches Erfolgserlebnis verschaffe. Tatsächlich dreht sie sich kurz zu mir um.

»Braver Herkules! Du lernst aber schnell!«, lobt sie mich. Leider ohne noch einmal in ihre Tasche zu greifen. Sei's drum, Hunger habe ich ja eigentlich keinen.

Mittlerweile stehen wir wieder vor unserem Haus. Ob dieser Daniel auch hier wohnt? Carolin beugt sich zu mir und nimmt mich auf den Arm.

»So, ab in die Werkstatt!«

Werkstatt? Interessantes Wort. Was sich dahinter wohl verbirgt? Wir gehen tatsächlich ins Haus, aber anders als eben nicht die Treppe hoch, sondern vier Stufen hinunter. Dann öffnet Carolin die Tür - und wir stehen in einem Raum, der unglaublich nach Holz riecht. Ich schnaube erstaunt. Ob die Menschen auch Wälder haben, die sich in Häusern befinden? Und wohnen dann dort trotzdem Füchse und Kaninchen? Allerdings sehe ich überhaupt keine Bäume. Merkwürdig.

Aus einer Ecke des Werkstattdings höre ich jemanden pfeifen. Ob das Daniel ist? Carolin trägt mich in Richtung des Geräuschs. Wir kommen in einen Raum mit zwei großen Fenstern, in die gerade die warme Nachmittagssonne scheint. Direkt hinter den Fenstern beginnt eine Wiese, es sieht sehr hübsch aus. Vor den Fenstern steht ein großer Tisch, und hinter dem Tisch steht der Mensch, der so laut pfeifen kann. Er hält ein langes Dings in den Händen, das aussieht wie ein Ast mit langen Haaren. Als er uns sieht, legt er das Dings zur Seite und hört auf zu pfeifen.

»Oh, hallo! Hat sich da jemand zu uns verlaufen? Oder haben wir gerade Besuch?«

Carolin schüttelt den Kopf. »Weder noch: Wir haben einen neuen Mitbewohner. Darf ich vorstellen: Herkules - Daniel. Daniel - Herkules.« Mit diesen Worten setzt sie mich auf den Tisch neben das Dings.

»Bitte? Du hast einen Dackel gekauft?«

»Einen Dackelmix, ja.«

Ich kann nicht anders - ich muss an dieser Stelle einfach heftig den Kopf schütteln und empört knurren. Die beiden schauen mich erstaunt an.

»Hoppla, mag er vielleicht keine Männer?«, will Daniel wissen.

Carolin zuckt mit den Schultern und krault mich beschwichtigend hinter den Öhrchen. »Das will ich doch nicht hoffen. Im Tierheim haben sie jedenfalls nichts davon gesagt, und ich wollte ihn eigentlich tagsüber mit in die Werkstatt bringen.«

Daniel lächelt. »Na ja, vielleicht ist er ein stolzes Kerlchen und mag es nicht, wenn du seine Reinrassigkeit anzweifelst.«

Die beiden lachen, und Carolin nimmt mich wieder auf den Arm.

Was, bitte, ist daran so komisch? Auch wenn ich noch nicht so viele Menschen kenne, eines steht fest: Diese Zweibeiner sind deutlich unsensibler als wir Hunde. Ein Gefühl dafür, was uns gerade bedrückt, haben sie ganz offensichtlich nicht. Mich beschleicht auf einmal das mulmige Gefühl, dass das ständige Zusammenleben mit so einem Menschen, nicht immer die reine Freude sein könnte. Immerhin war dieser Daniel schon mal auf der richtigen Fährte. Den Rest üben wir noch!

»Darf ich ihn auch mal halten?«

»Klar!« Carolin reicht mich hinüber. Daniel hat einen festen, aber nicht unangenehmen Griff. Er ist nur ein bisschen größer als Carolin und von hier oben kann ich sehen, dass sich seine hellen Haare wild über den ganzen Kopf locken.

»Na, Kleiner? Magst du mich etwa nicht?« Um das Gegenteil gleich mal klarzustellen, schlecke ich Daniel mit meiner Zunge übers Gesicht.

»So viel zum Thema >mag keine Männer<«, freut sich Carolin. »Du kommst doch ziemlich gut bei ihm an.«

»Dann bin ich ja beruhigt! Denn wenn wir hier demnächst unsere Tage zu dritt verbringen, wäre alles andere ja auch schlecht. Ein Dackel, der mich ständig in die Waden zwickt, hätte unsere Harmonie doch empfindlich gestört.«

Ah, verstehe. Daniel ist also das Herrchen zu meinem Frauchen. Wahrscheinlich habe ich ihn auch oben in der Wohnung gerochen. Ich habe schon öfter gehört, dass sich Menschen gerne zu zweit zusammentun und dann auch ganz lange so ein Paar bleiben. Fand ich bisher immer einen komischen Gedanken. Aber wenn ich die beiden so sehe, dann kann ich's glatt verstehen. Sie wirken so ... so vertraut miteinander. Fast wie mein Opili mit dem alten Eschersbach. Und die beiden sind immerhin fünfzehn Jahre zusammen zur Jagd gegangen. Mehr Paar geht gar nicht. Ob Carolin und Daniel auch zusammen jagen? Oder machen Menschenpaare andere Sachen zu zweit?

»Kurz etwas Dienstliches: Hat Frau Brolin noch mal angerufen?«, will Carolin von Daniel wissen. »Sie wollte eigentlich heute mit einem Cello zum Schätzen vorbeikommen. Soll restauriert werden, wenn sich das lohnt.«

Cello. Was für ein schönes Wort. So weich und trotzdem irgendwie ... feurig. Was mag das sein? Und ob es irgendwas mit dem Dings zu tun hat, was Daniel vorhin noch in der Hand hatte? Na, ich werde es herausfinden, ich bin ab heute ja öfter in der Gegend.

»Ja, sie war kurz da und hat das Instrument hiergelassen. Ich habe es dir auf deinen Platz gelegt. Es war ihr aber nicht besonders eilig. Reicht völlig, wenn du sie Montag anrufst.«

»Ach gut. Wenn ich ehrlich bin, würde ich mir gerne den Rest des Tages freinehmen und Herkules sein neues Zuhause und die neue Umgebung zeigen. Einen kleinen Spaziergang im Park haben wir eben schon versucht, aber Herkules mag seine neue Leine nicht. Vielleicht übe ich gleich noch mal ein bisschen mit ihm.«

»Mach nur, bei mir gibt es auch nichts Dringendes. Jedenfalls nichts, was ich nicht ohne dich schaffen würde.« Daniel lächelt wieder und reicht mich an Carolin zurück.

Es ist schon toll, was für unterschiedliche Gesichtsausdrücke Menschen so hinbekommen. Ist natürlich auch viel einfacher, wenn man nicht so viele Haare um Augen und Nase hemm hat. Jetzt gerade hat dieser Daniel meine Carolin so angeschaut, als würde er ihr auch gerne übers Gesicht lecken.

Aber das machen Menschen anscheinend nicht. Habe ich jedenfalls noch nie bei ihnen gesehen. Auf und ab springen tun sie übrigens auch nicht. Komisch, oder? Dabei fühlt sich das so gut an, wenn man sich freut.

»Daniel?«

»Ja?«

»Das ist für dich okay mit dem Hund, oder?« »Klar, mach dir keine Gedanken.«

»Ich meine nur - es war ja eine ziemlich spontane Idee, und eigentlich wollte ich dich vorher fragen. Aber dann war ich schon mal aus reiner Neugier im Tierheim und habe mich gleich in dieses kleine Kerlchen verliebt.«

»Der ist aber auch wirklich süß. Ich kann verstehen, dass du ihn gleich mitnehmen wolltest. Allein diese großen braunen Knopfaugen. Ich finde übrigens, man sieht kaum, dass er ein Mix ist. Schlappohren und relativ kurze Beine - ziemlich langen Rücken hat er auch. Also, wenn du mich fragst, der kommt bestimmt aus einer richtigen Dackelfamilie, viele andere Rassen sind da garantiert nicht mit drin.«

Daniel, du bist mein Mann! Am liebsten würde ich von Carolins Arm direkt zu Daniel springen und ihn noch einmal von oben bis unten abschlecken - so gut tut mir sein Kompliment. Ich habe das Gefühl, spontan um eine Pfotenbreite gewachsen zu sein. Stolz belle ich los.

»Das scheint dich ja richtig zu freuen! Carolin, ich glaube, du hast es hier mit einem sehr stolzen Exemplar zu tun. Wahrscheinlich müssen wir uns anstrengen, seinen Ansprüchen zu genügen.«

Weder lachen beide, und Carolin krault mich noch einmal hinter den Ohren. »Tja, mein Süßer, dann will ich mir mal Mühe geben, damit du dich auch wohlfühlst bei uns.«

Als ich nachts in meinem neuen Körbchen liege, bin ich erschöpft, aber glücklich. Eine Stunde waren wir noch im Park spazieren und haben die Sache mit der Leine geübt. Um Carolin einen Gefallen zu tun, bin ich meistens brav hinter ihr her getrabt, nur ab und zu, wenn ich mir sicher war, an einem Kaninchenbau vorbeigekommen zu sein, habe ich mich auf den Hintern gesetzt und wild geknurrt. Schließlich habe ich auch einen Ruf als Jagdhund zu verteidigen. Aber mit gutem Zureden und einigen Scheiben Fleischwurst haben wir doch eine ziemlich große Leinenrunde im Park geschafft. Ein paar Hunde haben wir auch getroffen, aber mir war nicht nach reden. Morgen ist schließlich auch noch ein Tag.

Bevor ich einschlafe, kommt Carolin noch einmal vorbei und legt mir eine weiche Decke ins Körbchen. Sie schmust ein bisschen mit mir, dann flüstert sie mir ins Ohr: »Weißt du, mein Süßer, eigentlich ist es eine Schande, dass ich mir nicht längst einen Hund angeschafft habe. Hier ist es wirklich ideal für ein Kerlchen wie dich. Tagsüber kannst du mit mir in die Werkstatt kommen oder in unserem Garten herumstromern. Und immer, wenn ich eine Pause mache oder freihabe, dann gehen wir hier spazieren. Na, wie klingt das?«, will sie dann wissen, und endlich - endlich! - kann ich ihr auch einmal übers Gesicht schlecken. Carolin kichert, streichelt mich noch einmal und wünscht mir eine Gute Nacht.

Hach, ich habe es richtig gut getroffen: ein nettes Frauchen, ein nettes Herrchen - eigentlich wieder eine richtig schöne Familie, ganz wie auf Schloss Eschersbach. Gut, es gibt keine Emilia, und Carolin hatte nicht etwa frischen Pansen besorgt, sondern beim Abendessen zur Feier des Tages eine Dose aufgemacht. Aber egal. Wenn das das bürgerliche Leben ist, dann kann ich mich damit anfreunden. Wenigstens scheint es hier ehrlich zuzugehen, und jemanden, der so kaltherzig wie der alte Eschersbach ist, habe ich hier noch nicht getroffen. Ja, das Glück der kleinen Leute, es hat etwas rundherum Beruhigendes. Der Adel kann mir gestohlen bleiben. Noch einmal denke ich an die leckere Fleischwurst, dann fallen mir die Augen zu.


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