ACHTZEHN

Heute ist ein völlig langweiliger, unspektakulärer Tag. Herrlich! Ich liege in meiner Werkstattkiste herum, schaue ab und zu in den Garten und kehre dann zu einem Nickerchen wieder in besagte Kiste zurück. Das Einzige, was gerade zum vollkommenen Glück fehlt, ist ein schöner Napf randvoll mit Pansen oder Herz. Eine Weile überlege ich, ob ich das aufkommende Hungergefühl ignorieren soll - eigentlich bin ich zu faul, jetzt zu Carolin zu laufen und meine nächste Mahlzeit einzufordern. Aber schließlich grummelt mein Bauch so laut, dass ich auch nicht mehr vernünftig dösen kann. Ich rapple mich also auf, laufe zu Carolin, die an ihrem Schreibtisch sitzt, und stupse sie mit der Nase an.

»Zeit für dein Fresschen?« Carolin schaut auf ihre Uhr. »Aber ein bisschen musst du dich noch gedulden. Wir haben noch etwas vor.«

Och nö! Ich habe Hunger! Und zwar jetzt! Ich stupse Carolin noch mal an. Die lacht und krault mich am Hals.

»Wart's ab, Herkules. Wir werden gleich etwas unternehmen, was dir auch gefallen wird. Und dann gibt's auch etwas zu futtern.«

He! Ich will nichts unternehmen! Ich will jetzt meinen Pansen, und dann will ich weiter rumliegen. Gestern - da hätten wir doch gut etwas unternehmen können. Die ganze Zeit hatte ich so ein Bedürfnis nach frischer Luft, nach Kaninchenschnuppern und Fliegenfangen. Aber stattdessen konnte ich Carolin noch nicht einmal zu einem kleinen Spaziergang im Park loseisen, so beschäftigt war sie. Morgen ist Samstag, da habe ich mehr Zeit, versprochen. Als ob einen Hund das trösten könnte. Der Moment ist da, wenn der Moment da ist. Aber das verstehen Menschen einfach nicht.

Ich trotte wieder zurück zu meiner Kiste. Eben hatte ich noch so gute Laune, die ist schlagartig verflogen. Mit dem Kopf auf meinem Kuschelkissen brummle ich beleidigt vor mich hin. Immer machen wir, was Carolin will. Das ist so ungerecht. Mittlerweile hat sich das Gefühl in meinem Bauch von einem gesunden Appetit zu einem ausgewachsenen Löwenhunger gesteigert. Ich beginne ein bisschen zu fiepen. Carolin soll ruhig wissen, dass sie sich haarscharf an der Grenze zur Tierquälerei bewegt.

»Mach doch nicht so ein Theater!«, kommt es herzlos aus ihrem Zimmer. »Es geht ja gleich los. Wir müssen nur noch etwas aus der Wohnung holen und dann starten wir auch schon. Unser Chauffeur müsste in ungefähr dreißig Sekunden vor der Haustür stehen.«

Unser Chauffeur? Das klingt nun wieder spannend. Das Wort habe ich seit mehreren Monaten nicht mehr gehört, und es weckt gleich Erinnerungen an alte Zeiten. Denn selbstverständlich gab es auf Schloss Eschersbach auch einen Chauffeur. Der alte von Eschersbach setzte sich nämlich nur noch höchst ungern selbst ans Steuer. »Meine Augen sind einfach zu schlecht geworden, da wäre ich eine Gefahr für die Allgemeinheit«, pflegte er gerne zu erklären, wenn er darauf wartete, dass sein Wagen vorfuhr, um ihn zu einer Jagdgesellschaft zu bringen. Die meisten Mitmenschen dürften sich an dieser Stelle die Frage gestellt haben, ob es eigentlich eine gute Idee war, mit von Eschersbach auf die Jagd zu gehen. Meines Wissens ist allerdings nie etwas passiert, wahrscheinlich war die Nummer mit dem Chauffeur also nur eine aristokratische Form von Angeberei.

Es klingelt, und Carolin geht an meiner Kiste vorbei, um die Tür zu öffnen. Dort steht: Jens!

»Guten Morgen, Carolin. Guten Morgen, Herkules!«, werden wir von ihm begrüßt.

Ich muss zugeben, dass Jens ohne schwarze Mützenmaske und ohne Gewehr eigentlich sehr nett aussieht.

Er gibt Carolin links und rechts einen Kuss auf die Wangen. »Na, ihr zwei? Alles bereit für unser Picknick?«

»Klar, ich muss nur schnell den Korb von oben holen. Ich habe ein paar Sachen kalt gestellt, die packe ich noch ein.«

Sie hüpft die Treppe hoch, ich bleibe neben Jens sitzen.

»Na, biste wieder fit?«, will er von mir wissen. Ich schaue ihn neugierig an. »Und hat dir meine Wurst geschmeckt?«

Okay, laut Herrn Beck war die Nummer mit der Wurst reine Bestechung, aber da ich ein höflicher Dackel bin und die Wurst tatsächlich lecker war, wedele ich ein bisschen mit dem Schwanz. Dann kommt mir der Gedanke, dass, wo eine Wurst ist, wohlmöglich auch zwei Würste sein könnten, und ich wedele noch euphorischer.

»Wusste ich es doch, braver Hund!« Er beugt sich zu mir herunter und krault mich ein bisschen hinter den Ohren. In diesem Moment kommt Carolin mit einem gigantischen Korb die Treppe herunter.

»Das ist ja schön, dass ihr euch schon ein bisschen anfreundet. Euer letztes Treffen war schließlich nicht so harmonisch.«

Jens lacht. »Ich habe immer noch einen blauen Fleck an der Stelle, wo Herkules zugeschnappt hat. Aber Schwamm drüber, er wollte euch schließlich retten. Außerdem habe ich jetzt endlich wieder einen wirksamen Tetanusschutz. Es stellte sich heraus, dass meine letzte Impfung schon viel zu lange her ist. Hatte die Sache also etwas Gutes. Und mein kleines Präsent ist offensichtlich auch bestens angekommen.«

Carolin nickt. »Ja, Herkules hat ungefähr zwanzig Sekunden gebraucht, um die Wurst aufzufuttern. Hat ihm sehr gut geschmeckt.«

Auweia, wenn die hier noch weiter über Hundewurst reden, breche ich zusammen. Vor lauter Hunger ist mir mittlerweile schon ganz schwindelig. Hoffentlich dauert es nicht mehr so lange, bis ich etwas zu fressen bekomme. Wobei der Korb, den Carolin aus der Wohnung geholt hat, auch so riecht, als sei etwas sehr Leckeres darin. Unwillkürlich fange ich an zu sabbern.

»Dann können wir los, oder?«

»Jupp, abmarschbereit!«, ruft Carolin fröhlich und öffnet die Haustür. Jens marschiert an ihr vorbei und auf das Auto zu, das direkt vor dem Haus parkt.

»Bitte einsteigen!« Schwungvoll reißt er die Beifahrertüre auf.

»Komm, Herkules!«, ruft Carolin - doch ich zögere. Das Auto sieht irgendwie komisch aus. Irgendwie - gefährlich. Erst komme ich nicht drauf, was genau mich so stört. Aber als mich Carolin hochhebt, um mich in das Auto zu setzen, ist es unübersehbar. Das Auto: Es hat kein Dach!


Zwanzig Minuten später sind meine Bedenken, in etwas sehr Schnelles einzusteigen, aus dem man herausfallen könnte, verflogen. Ich sitze auf Carolins Schoß, halte die Nase in die herrliche Sommerluft, und meine Öhrchen wehen im Wind. Ein Traum! Jens und Carolin unterhalten sich gut gelaunt. Worüber, kann ich gar nicht genau sagen, denn es rauscht so in meinen Ohren, dass ich nicht besonders gut höre. Aber das ist auch egal. In diesem Moment habe ich das Gefühl zu fliegen, und das fühlt sich einfach großartig an. Die Bäume am Straßenrand rauschen nur so vorbei und verschwimmen dabei zu einer hellgrünen Hecke, der Himmel über uns ist blau und weit; ich könnte eigentlich stundenlang so weiterfahren. Eigentlich. Denn leider zwickt mich mein Bauch noch etwas, ich hoffe also, dass gleich der Moment gekommen ist, in dem Carolin den Korb mit Leckereien aus dem Kofferraum holt.

Tatsächlich fährt Jens nun langsamer, und die grüne Wand wird wieder zu einzelnen Bäumen. Schließlich hält er an.

»So, da wären wir. Moment, ich helfe dir!«

Jens springt aus dem Auto, läuft herum und öffnet Carolins Tür. Sehr aufmerksam, das muss ich schon sagen. Ich hüpfe von Carolins Schoß, dann reicht Jens Carolin die Hand und hilft ihr hinaus. Hm, hier riecht es gut. Nach Wald und Wasser und irgendwie ein bisschen wild. Mit dem Picknickkorb bewaffnet, marschieren wir auf ein kleines Wäldchen zu, das an einem Abhang liegt. Treppenstufen führen hinunter zu einer Lichtung. Dort bleiben wir einen Moment stehen.

»Schau mal«, Jens zeigt nach vorne, »ist das nicht ein toller Blick?«

»Ja, sieht toll aus, wenn die Elbe so in der Sonne glitzert.«

Klingt gut, aber falls es jemanden interessiert: Ich kann leider nichts sehen. Meine kurzen Beine bringen mich genau auf die Höhe der Brennnesseln, die links und rechts der Treppenstufen wuchern. Ob mich einer von den beiden hochhebt? Ich will auch mal gucken! Ich mache Männchen.

»Ich glaube, Herkules hat langsam echt Kohldampf«, wertet Carolin mein Anliegen völlig falsch. »Normalerweise bekommt er schon um 11 Uhr etwas zu essen.«

»Wir sind gleich da. Da vorne beginnt schon der Strand.«

Okay, auch gute Nachrichten. Endlich was zu essen. Aber was ist Strand? Am Ende des zweiten Treppenabsatzes angelangt, hört der Wald komplett auf, und wir überqueren einen kleinen Weg. Jetzt kann ich auch sehen, woher der Wassergeruch kommt: Vor uns liegt ein sehr großer Fluss. Ein wirklich sehr, sehr großer Fluss, wenn man nach der Größe des Schiffes geht, das gerade an uns vorbeifährt. Gigantisch, so etwas habe ich noch nie gesehen! Es sieht aus wie ein riesiges, fahrendes Haus. Ich kläffe aufgeregt, Carolin lacht.

»Da staunst du, Herkules! Wir waren bisher nur an der Alster, Herkules kennt maximal Segelboote.«

»Dann war es höchste Zeit, dass er mal ein richtiges Schiff sieht. Man kann doch nicht in Hamburg leben und die Elbe nicht kennen!«, ruft Jens fast vorwurfsvoll. Wir laufen weiter auf das Ufer zu - und landen in einer gigantischen Sandkiste. Ich mache eine Vollbremsung, denn Sand an meinen Pfoten ist für mich mittlerweile ein untrügliches Zeichen, dass gleich eine Menschenmutter um die Ecke biegen wird, um mich ganz doll auszuschimpfen. Aber komisch, ich habe gar keine Holzumrandung gesehen. Unsicher bleibe ich sitzen.

»Jetzt sag bloß, dein Hund war auch noch nie an einem Strand? Er scheint sich fast ein bisschen zu fürchten.«

»Nein, war er tatsächlich noch nicht. Ich habe ihn ja noch nicht so lange, und bisher war ich mit ihm nur bei uns im Park oder an der Alster. Urlaub haben wir auch noch nicht zusammen gemacht. Es ist also seine Premiere.«

Jens macht einen Schritt auf mich zu und hebt mich hoch. »Guck dich mal richtig um, mein Kleiner. An so einem Tag ist Hamburg mit Sicherheit die schönste Stadt der Welt, und dies hier der schönste Teil davon. An den Sand an den Füßen musst du dich einfach gewöhnen, dann wirst du schnell merken, wie toll es hier ist. Von hier aus kannst du eigentlich in jede Richtung so weit laufen, wie du möchtest. Aber wenn du das erste Schaf auf dem Deich siehst, dann kehr mal besser um, sonst verlierst du uns noch.«

Er setzt mich wieder runter. So weit laufen, wie ich will - ein toller Gedanke. Aber erst mal brauche ich: richtig! Etwas zu fressen.

Carolin hat neben dem Korb noch eine Decke mitgenommen, die breitet sie jetzt auf dem Sand aus. Der Fluss ist gerade so weit weg, dass die Wellen uns nichts anhaben können, auch wenn wieder so ein großes Schiff vorbeifährt. Dann öffnet Carolin den Korb und nimmt die Sachen heraus. Hm, lecker. Da sehe ich schon ein Schälchen mit Herz für mich. Sie stellt es ein wenig abseits, und ich stürze mich gleich darauf. Während ich meine Mahlzeit hinunterschlinge, sehe ich aus den Augenwinkeln, dass Carolin mächtig auftischt: Wurst, Käse, sogar einen Kuchen hat sie mit. Jens setzt den Rucksack ab, den er eben noch auf dem Rücken hatte.

»So, zur Feier des Tages habe ich auch noch etwas Schönes mitgebracht.« Er zieht ein Stück Stoff aus dem Sack und wickelt es auf, zwei langstielige Gläser kommen zum Vorschein. Dann greift er noch mal in den Rucksack und befördert eine grüne Flasche ans Tageslicht, an der er sich sofort zu schaffen macht. Mit einem lauten Plopp springt der Korken heraus, Jens gießt die Flüssigkeit in die Gläser. Hellgelb sieht sie aus und sprudelt sehr hübsch.

»Bitte sehr: Champagner! Ein schönes Getränk für eine schöne Frau!«

Carolin kichert ein bisschen verlegen, dann nimmt sie das Glas, das Jens ihr gibt.

»Danke schön. Und überhaupt - danke für die gute Idee.«

»Ich habe zu danken! Schön, dass es doch noch mit unserer Verabredung geklappt hat. Und jetzt: auf einen tollen Tag!« Sie stoßen mit ihren Gläsern an. »Ja, auf einen tollen Tag.«


Als wir spätabends wieder nach Hause kommen, bin ich müde, aber bestens gelaunt. Ich bin zum ersten Mal im Leben in einem Fluss geschwommen, was wirklich viel anstrengender ist als in einem See. Ich habe dabei fast einen Fisch gefangen. Ich bin gelaufen, bis ich die Schafe gesehen habe. Jens hat mindestens hunderttausend Stöckchen für mich geworfen. Ich habe neben dem Hundefutter auch noch Fleischwurst und Erdbeertorte gemampft. Ich habe mich auf der kuscheligen Picknickdecke gefläzt, gedöst und Jens und Carolin einfach nur beim Reden zugeschaut. Und irgendwann lagen wir alle drei auf der Decke, guckten gemeinsam in den Himmel, sahen dem Mond beim Aufgehen und später der Sonne dabei zu, wie sie langsam in dem großen Fluss versank. Es war der perfekte Tag.

Jetzt lümmele ich mich sandig, wie ich bin, in unserer Wohnung auf der Couch und bin einfach glücklich. Carolin stellt den leeren Picknickkorb wieder in die Küche und geht dann zu dem kleinen Kästchen neben dem Telefon, das einem erzählt, wer angerufen hat, während man nicht da war. Sie haben zwei neue Nachrichten. Erste neue Nachricht.

»Hallo, Süße, hier ist Nina! Und? Wie war es? Ich bin so neugierig! Ruf mich sofort an.«

Zweite neue Nachricht.

»Hallo, Carolin, Marc Wagner hier. Du weißt schon, der Tierarzt deines Vertrauens. Wollte nur hören, ob es mit unserer Verabredung am Mittwoch klappt. Sollen wir vor dem Konzert eine Kleinigkeit essen gehen? Ich habe mittwochs immer etwas früher Schluss und könnte dich abholen. Melde dich mal.«

Es gibt keine weiteren Nachrichten.

Marc Wagner - den hatte ich schon völlig vergessen. Und im Sinne einer effizienten Partnersuche könnte Carolin den Termin doch eigentlich absagen. Jens macht einen sehr guten Eindruck, ich konnte heute keine Mängel feststellen. Er riecht gut, war gekämmt und hatte etwas Sauberes an - wozu also Zeit mit dem unsympathischen Wagner verschwenden? Und Carolin hat es garantiert auch gefallen, ich habe sie schon lange nicht mehr so fröhlich und locker erlebt. Also los, ruf Wagner an und sag ab! Aber Carolin sieht unschlüssig aus. Nachdenklich betrachtet sie das schwarze Kästchen, dann greift sie zum Telefon.

»Hallo, Nina. Ich weiß, es ist schon spät - aber kann ich vielleicht noch vorbeikommen? Echt? Danke, das ist nett. Ich brauche dringend jemanden zum Quatschen.«

Na super. Auf die Idee, dass sie es auch mir erzählen könnte, kommt sie natürlich nicht. Jetzt noch einmal loszufahren, passt mir eigentlich gar nicht. Ich liege gerade so bequem. Aber als Carolin aufsteht, rapple auch ich mich hoch, will schließlich kein Spielverderber sein.

»Herkules, leg dich ruhig wieder hin. Ich fahre eben noch zu Nina, aber du bleibst hier.«

Wieso das denn? Haben die etwa Geheimnisse vor mir? Ich springe vom Sofa. So müde bin ich auch wieder nicht!

»Nein, ehrlich, Herkules. Du kannst auch mal ein Stündchen allein sein. Guck mal, du bist voller Sand, und ich habe keine Lust, dich jetzt noch zu baden. Und Nina ist bestimmt nicht begeistert, wenn ich mit einem dreckigen Hund ankomme. Also leg dich brav ins Körbchen. Du hast doch heute schon genug erlebt.«

Hmpf. Sie will mich wirklich nicht mitnehmen. So schmutzig bin ich doch gar nicht. Doofe Nina.

Als Carolin die Wohnungstür hinter sich zuzieht, lasse ich mich missmutig in mein Körbchen fallen. Irgendwie ist es gemein, wenn man erst den ganzen Tag zusammen verbringt und dann später nicht mehr mitkommen darf. Ich fühle mich so ... zurückgestuft. Eben gehörte ich noch dazu und auf einmal bin ich nur noch das Haustier. Atzend. Zu allem Überfluss bin ich auch überhaupt nicht mehr müde.

Eine Weile liege ich noch in meinem Körbchen, dann stehe ich auf und trabe in die Küche. Vielleicht ist noch ein Fresschen in meinem Napf, das könnte ich mir dann mal einverleiben. Von Eschersbach sagt immer, dass Langweile dicke Dackel macht. Ich glaube, er hat Recht. Leider ist mein Napf aber so blank gewienert, dass man sich darin spiegeln kann. Fressen ist also auch keine Alternative. Ich trabe wieder zurück. Als ich an der Wohnungstür vorbeikomme, rieche ich einen vertrauten Duft. Herr Beck! Er muss direkt vor der Tür stehen, wahrscheinlich ist er gerade auf dem Weg zu einem nächtlichen Spaziergang. Ein kleiner Plausch mit ihm wäre doch genau die richtige Ablenkung! Ich belle laut los.

»Na, Kumpel?«, höre ich seine Stimme durch die Tür, »wie geht's?«

»Geht so. Mir ist total langweilig, und Carolin hat mich einfach allein zu Hause gelassen.«

»Das ist natürlich Pech. Ich bin auf dem Weg in den Park. Würde dich ja mitnehmen, aber ohne Carolin kriegen wir dich nicht aus der Wohnung.«

»Ja, blöd. Ich würde auch sehr gerne mitkommen. Aber durch den Briefschlitz kann ich mich kaum quetschen.«

Ich höre Herrn Beck kichern. »Ne, das lass man. Da bleibste eher stecken, und das dürfte dann ziemlich unbequem sein.«

»Tja, was anderes fällt mir auch nicht ein. Dann muss ich wohl hierbleiben und mich weiter langweilen. Grüß mir den Park und die Kaninchen.«

»Hm. Mach ich.«

Es wird wieder still. Aber gerade, als ich mich umdrehen und zu meinem Körbchen zurück will, rieche ich Herrn Beck noch mal ganz deutlich.

»He, Herkules! Eine Idee ist mir noch gekommen. Ist allerdings eher etwas für den wagemutigen Dackel.«

Na, also wer, wenn nicht ich!

»Was denn?«, will ich wissen.

»Erinnerst du dich noch an unsere Aktion mit dem Höschen?«

»Wie könnte ich die jemals vergessen?«

»Weißt du noch, wie ich da reingekommen bin? Durch das gekippte Fenster. Du läufst jetzt mal schnell in Carolins Schlafzimmer. Vielleicht haben wir Glück, und die Balkontür ist dort ebenfalls gekippt. Da kommst du raus.«

Auf so eine Idee kann auch nur eine Katze kommen.

»Beck, dein Vertrauen in meine artistischen Fähigkeiten in allen Ehren, aber das kann ich nicht. Selbst wenn das Fenster auf Kipp steht: Da komme ich nie im Leben durch. Auch wenn du - verzeih - fett bist, du kannst dich auf eine Art und Weise durch Lücken durchzwängen, die ich einfach nicht draufhabe. Da bleibe ich garantiert stecken.«

»Du hast ja so gar keinen Ehrgeiz. Lass uns doch wenigstens mal gucken. Ich komme durch den Garten auf euren Balkon, und dann checken wir die Lage. Wäre doch toll, so ein abendlicher Spaziergang ganz ohne Menschen.«

Herr Beck beziehungsweise sein Geruch verschwindet.

Dieser Kater. Das wird doch nie im Leben was. Und so langweilig, dass ich hier Kopf und Kragen riskiere, ist mir dann auch wieder nicht. Andererseits - mal allein nachts im Park rumzustromern, ist natürlich auch ein reizvoller Gedanke. Ich seufze innerlich, dann trotte ich ins Schlafzimmer.

Tatsächlich, die Balkontür ist gekippt. Allerdings beginnt der Spalt erst weit oberhalb meines Kopfes, richtig breit zu werden. In diesem Moment springt Herr Beck von der mit Efeu bewachsenen Hauswand auf unseren Balkon.

»Na, das sieht doch gut aus!«, ruft er mir fröhlich zu.

»Was, bitte, sieht daran gut aus?«

»Die Tür steht auf kipp. Ist doch prima.«

»Ja, aber hier unten passe ich noch nicht durch und weiter oben komme ich nicht ran. Das können wir vergessen.«

»Kannst du da nicht hochspringen?«

»Ne, wie denn?«

»Und wenn du dich am Vorhang hochhangelst?«

»Herr Beck, du machst dir eindeutig die falschen Vorstellungen über meine Krallen. Mit denen kann ich mich nirgendwo dranhaken, wie du das machst. Dafür sind die viel zu gerade und zu glatt.«

»Tja, dann wird's schwierig.«

»Sag ich ja.«

Eine Weile sitzen wir da und gucken uns durch die Balkontür an. Dann kommt zur Abwechslung mal mir eine gute Idee. Ich sehe mich kurz im Zimmer um und wirklich: In der Ecke steht der Stuhl, auf den Carolin abends immer ihre Klamotten legt, wenn sie ins Bett geht. Er ist ziemlich massiv und hat auch eine hohe Lehne - wenn ich den als Leiter nehme, dann könnte es vielleicht klappen. Ich trabe zu dem Stuhl und versuche, ihn zur Balkontür zu schieben. Puh, ist der schwer!

»Schaffst du es oder soll ich reinkommen?«

»Bleib lieber, wo du bist. Entweder ich kriege es allein hin, oder wir vergessen die Sache mit dem gemeinsamen Ausflug.«

Ich lehne mich mit meinem ganzen Gewicht gegen den Stuhl. Endlich bewegt er sich ein Stück. Ich lehne mich noch einmal gegen das linke Bein, er rückt weiter. Dann rechts, dann wieder links - Stückchen für Stückchen schiebe ich den Stuhl mit meiner Brust durch das Zimmer. Eine sehr mühsame Angelegenheit, aber schließlich ist es geschafft. Der Stuhl steht genau vor dem Spalt der Balkontür.

Ich hüpfe auf die Sitzfläche. Tatsächlich. Von hier oben sieht die Sache doch schon sehr vielversprechend aus. Eigentlich müsste ich schon fast durchpassen.

»Los! Worauf wartest du?«, drängelt Beck.

»Keinen Stress! Ich muss mich konzentrieren.«

Ohne einen kleinen Sprung wird es nicht gehen - schließlich will ich nicht stecken bleiben. Aber um zu springen, brauche ich ein bisschen Anlauf, und das ist auf dem Stuhl unmöglich. Mist, ich müsste einfach noch ein Stück höher sein, dann wäre es deutlich einfacher.

»Herkules, schau mal, ob du mit der Schnauze an den Griff kommst. Vielleicht kannst du die Tür ganz öffnen, wenn du den Griff mit den Zähnen zu packen kriegst. Dann musst du ihn nur noch nach unten ziehen.«

Was heißt denn hier nur noch? Sind wir hier im Zirkus? Das Öffnen von versperrten Türen durch kleine Dackel fällt doch wohl eindeutig unter technische Kunststücke.

»Probier's einfach mal, das kann doch nicht so schwer sein!«

Der hat gut reden, wie er da auf seinem dicken Hintern sitzt. Andererseits - vielleicht ist die Idee nicht so schlecht. Auf alle Fälle besser, als bei einem Sprung in dem Spalt stecken zu bleiben. Ich mache also Männchen, bekomme tatsächlich den Griff der Tür zu fassen, schnappe zu und lasse mich dann wieder auf die Sitzfläche fallen. Mit einem Ruck bewegt sich der Griff nach unten - und die Tür schwingt auf! Sensationell! Ich, Carl-Leopold von Eschersbach, habe soeben eine Balkontür geöffnet!

Meine Euphorie währt allerdings nur einen kurzen Augenblick. Denn zwei Sekunden später stehe ich zwar neben Herrn Beck auf dem Balkon, aber schnell wird mir klar, dass unser Spitzenplan nicht bis zu Ende gedacht war. Wie, zum Geier, komme ich von diesem Balkon herunter?


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