SIEBZEHN

»Junge, du kannst es nicht übers Knie brechen. Vergiss es.«

Okay, Zustimmung klingt anders. Aber so schnell lasse ich mich nicht entmutigen. Ich wäre schließlich nicht Carl-Leopold von Eschersbach, wenn mich der fade Einwand eines gealterten Katers gleich aus dem Konzept bringen würde. Wir sitzen wieder auf unserer Lieblingsstelle unter dem Baum, und ich habe Beck eben ein kurzes Update der Irrungen und Wirrungen der letzten drei Tage in Sachen Carolin und die Männer gegeben.

»Glaub mir, Herr Beck, da geht was! Du hast die beiden nicht gesehen - immerhin hat Daniel sie geküsst. Das muss doch etwas bedeuten.«

»Ja. Das bedeutet, dass Daniel in Carolin verliebt ist. Was nicht zwangsläufig heißt, sie auch in ihn. Sonst hätte sie ihn geküsst, und nicht umgekehrt.«

Langsam beginne ich, mich richtig über Beck zu ärgern. »Das ist nun wirklich Wortklauberei - was macht es schon für einen Unterschied, ob er sie küsst oder sie ihn. Das ist doch das Gleiche - sie haben eben einander geküsst.«

»Da merkt man, dass du keine Ahnung hast. Es ist ein RIESEN-Unterschied. Ich sag dir was: Daniel ist ein ganz armes Schwein. Schmachtet Carolin die ganze Zeit aus der Ferne an, aber wenn es zählt, dann kommt ihm sogar Nina in die Quere.«

»Das war nun wirklich Pech. Dafür konnte er nichts. Und deswegen müssen wir ihm helfen - er braucht einfach noch eine Chance, eine Gelegenheit, mit Carolin allein zu sein.«

»O Mann, kapier es doch mal, Herkules: Ein Typ, der auf einen fetten Kater und eine kurzbeinige Promenadenmischung angewiesen ist, um eine Frau klarzumachen, der ist ein hoffnungsloser Fall. Ein Verlierer. Eine Null. Das habe ich dir ja gleich gesagt.«

Ich spüre, wie Wut in mir aufsteigt. Meine Stimme klingt ganz heiser, als ich Beck anfahre: »Das nimmst du sofort zurück! Sofort! Sonst bist du die längste Zeit mein Freund gewesen!«

»Gott, ja, tut mir leid. Ich entschuldige mich hiermit für die Promenadenmischung.«

»Das meine ich nicht.«

»Gut, für kurzbeinig entschuldige ich mich auch. Nun zufrieden?«

»Ich meine den Verlierer. Daniel ist kein hoffnungsloser Fall. Er ist ein sehr netter Mensch, der mir zufälligerweise einiges bedeutet. Er ist mein Freund.«

Herr Beck verdreht die Augen. »Also ihr Hunde immer mit diesem Mein-Freund-der-Mensch-Unsinn! Jetzt mal Klartext: Der Hund ist nicht der beste Freund des Menschen, und umgekehrt ist es genauso. Daniel ist ein Mensch. Und der beste Freund des Menschen ist der Mensch. Und nur weil der ein oder andere Mensch keinen anderen Menschen als Freund findet, heißt das noch lange nicht, dass er auf einmal mit einem Tier befreundet sein kann. Wann immer ein Mensch mit dir redet und dir lauter persönlichen Krempel erzählt, dann meint er nicht dich, sondern sich. Er führt Selbstgespräche, kapiert? Aber damit er sich dabei nicht so bescheuert und einsam vorkommt, führt er sie mit dir. Du bist in diesem Moment genau genommen so etwas wie dieser kleine Plastikkollege von dem doofen Wellensittich. Ein Ersatz. Mehr nicht. Also heul hier nicht rum von wegen Rede nicht so über meinen Freund Daniel - das ist einfach nur lächerlich.«

Wenn ich weinen könnte, jetzt wäre ein guter Moment dafür. Und wenn ich ein Freund der gewalttätigen Auseinandersetzung wäre, auch. Dass Herr Beck so gemein sein kann, hätte ich nicht gedacht. Aber eines ist mir klargeworden: Mag sein, dass sich Beck einiges Wissen über Menschen zusammengesammelt hat; richtig kennen tut er sie deswegen nicht. Natürlich kann ein Mensch ein Freund sein. Die Art, wie Daniel mit mir redet, hat nicht das Geringste mit dem Plastikvogel zu tun, an dem sich der bedauernswerte Wellensittich aus dem zweiten Stock jeden Tag abarbeitet. Daniel meint mich, nicht sich. Ich weiß es - ich spüre es. Gut, Menschen können ganz schön ätzend sein, man denke nur an Thomas. Aber gleichzeitig haben sie etwas, das sie für mich einzigartig macht. Und wertvoll. Sie haben Gefühl, Mitgefühl. Sie können sich mit anderen freuen und mit anderen traurig sein. Und wütend sein, wenn der Freund sich ärgert. Und sie können lieben. Und zwar auch einen kleinen Hund wie mich. Ich werde niemals Emilias Tränen vergessen, als mich von Eschersbach in den Karton setzte und sie wusste, dass sie mich nicht wiedersehen würde. Carolin ist mein Freund. Und Daniel ist mein Freund. Ich weiß es genau. Jetzt müssen die beiden nur noch ein Paar werden. Und dafür werde ich sorgen, ob mit oder ohne Beck. In diesem Fall wohl ohne. Und so drehe ich mich um und lasse Beck einfach sitzen.

»Hey, Kleiner, nun hau doch nicht gleich ab! Das war nicht böse gemeint!«, ruft mir Beck hinterher, aber ich tue so, als ob ich ihn nicht höre und trotte weiter. Beck kommt hinterher. »Ich mag Daniel doch auch gerne, aber man muss doch mal Realist bleiben. Hey, jetzt bleib doch stehen, Herkules!« Ich bin schon fast an der Terrassentür. »Carl-Leopold! Es tut mir leid!«

Okay, scheint ihm doch ernster zu sein. Ich bleibe stehen. Soll keiner sagen, ich wäre verbohrt und nachtragend. Herr Beck läuft um mich herum und setzt sich vor mich.

»Ich wollte dich nicht kränken. Wenn du all diese Menschen so in dein Herz geschlossen hast, ist es natürlich deine Sache. Bestimmt mögen die dich auch richtig gerne. Vielleicht bin ich nur ein bisschen neidisch.«

Ich lege den Kopf schief. Gut, das klingt doch schon besser.

»Aber bei einem bleibe ich: Wenn Carolin nicht in Daniel verliebt ist, dann können wir beide das auch nicht ändern. Das menschliche Herz ist da wenig zu beeinflussen und rationalen Erwägungen nur sehr bedingt zugänglich. Will sagen: Auch wenn wir beide wissen, dass Daniel ein Super-Typ für Carolin wäre, können wir in diesem Fall wenig ausrichten. Und wenn wir noch so viele Gelegenheiten schaffen, in denen die beiden allein sind.«

Hm, das klingt nun wieder sehr einleuchtend. Trotzdem will ich noch nicht aufgeben.

»Ja, aber wir wissen doch noch gar nicht, ob Carolin nicht doch verliebt ist. Und deswegen dachte ich, wir müssen es wenigstens noch mal probieren. Wenn es dann nicht klappt, strecke ich die Waffen, versprochen!«

Herr Beck seufzt. »Mann, bist du hartnäckig. Ich finde, all diese Beinahe-Verabredungen mit Schauspielern und Tierärzten sprechen zwar extrem dagegen - aber meinetwegen. Starten wir noch einen Versuch. Wie ist der Plan?«

»Ich habe noch keinen«, räume ich etwas kleinlaut ein. »Deswegen habe ich dich ja gefragt. Weil du doch so ein Stratege bist.«

Herr Beck grinst und streckt sich ganz lang vor mich hin. »Ja, das bin ich. Ich werde drüber nachdenken.«


In der Werkstatt ist heute nicht viel los. Daniel und Carolin stehen mehr oder weniger schweigend an ihren Tischen und schrauben und hobeln an irgendwelchen Holzstücken rum. Langweilig. Und außerdem habe ich das Gefühl, dass die Stimmung zwischen den beiden nicht mehr spannend, sondern eher angespannt ist. Carolin hat Daniel heute noch kein einziges Mal richtig angesehen - während er sie umgekehrt immer verstohlen mustert, wenn er denkt, dass sie es nicht sieht. Sehr komisch. Vielleicht hat Beck Recht, und wir sollten unseren Plan einmotten, bevor wir ihn richtig entwickelt haben.

Daniel räuspert sich. »Du, Carolin«, Daniel kommt hinter seinem Tisch hervor und geht auf Carolin zu. Aha! Endlich kommt hier mal Fahrt in die Sache!

»Ja?«

»Äh, hast du da drüben noch Collophonium liegen? Ich finde hier gerade keins mehr.«

Argh! Was soll das denn? Collophonium? Ich weiß zwar nicht, was das ist, bin mir aber ziemlich sicher, dass es kein Codeword für »Ich liebe dich, darf ich dich bitte küssen?« ist.

»Ja, habe ich noch. Hier.«

Klonk! Mit einem dumpfen Scheppern fällt ein kleiner durchsichtiger brauner Block aus dem Döschen, das Carolin Daniel gerade gereicht hat, ohne richtig hinzusehen. Nun liegt beides auf dem Boden. Carolin kniet sich hin, um Block und Döschen aufzuheben. Auch Daniel bückt sich. Einen Moment lang sind sich beide ganz nah. Fast Gesicht an Gesicht. Los! Daniel! Tu was!, würde ich am liebsten laut rufen. Leider bleibt mir natürlich nichts anderes übrig, als es sehr laut zu denken. Und tatsächlich, sie funktioniert, die Telepathie zwischen Dackel und Mann: Daniel greift nach Carolins Hand und hält sie fest.

»Carolin, stimmt etwas nicht?«

Carolin schaut Daniel kurz an, dann blickt sie wieder zu Boden.

»Nein, wieso?«, murmelt sie.

»Du weichst mir aus.« »Gar nicht, das bildest du dir ein.«

»Ist es wegen neulich?« »Ich verstehe nicht, was du meinst.«

»Komm schon, lass uns wenigstens drüber reden: Ist es, weil ich dich geküsst habe?« »Nein, also, ich ...«

Daniel seufzt. »Ich wusste es. Ich wusste, dass das ein Fehler war.«

Daniel lässt Carolins Hand los und setzt sich neben sie auf den Boden. Einen Moment lang schweigen beide, dann knufft Daniel Carolin in die Seite.

»He, Carolin. Komm, nimm es nicht so schwer. Du musst mir nichts erklären. Es ist völlig in Ordnung. Es war der Moment, du sahst toll aus, und ich war schon ein bisschen beduselt. Da konnte ich nicht anders.«

Carolin nickt. »Ja, es war ein sehr schöner Moment. Aber jetzt...«

»Jetzt bei Tageslicht sieht die Sache irgendwie anders aus, ich weiß«, beendet Daniel ihren Satz. »Und du fragst dich, ob das so eine gute Idee ist, mit mir, deinem Kumpel und Partner.«

Carolin nickt.

»Nein, ist es vermutlich nicht«, fährt Daniel fort. »Obwohl es eine sehr schöne Vorstellung war, du und ich ein Paar. Jedenfalls für einen Augenblick.«

»Und du bist nicht sauer auf mich?«

»Nee, die gleichen Gedanken hatte ich auch schon. So, und jetzt hör sofort auf, weiter so bedröppelt hier rumzuschleichen. Das ist ein Befehl!«

Daniel lacht, und schließlich, wenn auch ein wenig zögerlich, lacht Carolin auch.

Ich hingegen könnte eher heulen. Mein schöner Plan! Na ja, Fast-Plan! Dabei wäre es so toll gewesen, mit Daniel und Carolin als Herrchen und Frauchen. Eine richtige kleine Familie. Und das Schlimmste ist: Jetzt geht die Sucherei wieder von vorne los, und die Gefahr, dass wir uns dabei so einen Idioten wie Thomas einfangen, ist alles andere als gebannt. Dabei war ich mir wirklich sicher, dass Daniel der perfekte Mann für Carolin ist. Ach, was heißt hier »war« - ich bin mir sicher, dass er es ist. Aber da hat Herr Beck schon Recht: Wenn Carolins Herz das nicht irgendwann von allein einsieht, dann hat es keinen Sinn. Mit gesenktem Kopf schleiche ich wieder Richtung Terrassentür, um Beck von meiner Niederlage zu berichten. Wenn er wirklich mein Freund ist und die Entschuldigung eben ernst gemeint war, wird er mich vielleicht trösten.

Bevor ich allerdings draußen bin, läutet es an der Werkstatttür. Eigentlich renne ich dann immer gerne nach vorne und begrüße die Besucher, aber meine Laune ist so im Keller, dass ich mich selbst dazu nicht recht aufraffen kann. Ist wahrscheinlich wieder die blöde Aurora, die mit Daniel flirten will. Es klingelt noch einmal, und natürlich bin ich doch ziemlich neugierig. Andererseits scheint draußen so schön die Sonne und die Vorstellung, unter meinem Baum zu liegen und Herrn Beck mein Leid zu klagen, während das Gras an meinem Bauch kitzelt, ist auch verlockend. Schließlich aber siegt die Neugier, und ich renne Richtung Tür.

Carolin hat sie schon geöffnet. In unserem Flur steht ein Mann mit brauner Uniform und drückt Carolin ein Päckchen in die Hand.

»Sind Sie Frau Neumann? Dann brauche ich hier Ihre Unterschrift.«

Carolin stellt das Päckchen auf den Boden, um zu unterschreiben. Neugierig schnüffele ich daran. Hmh, riecht irgendwie lecker. Was mag da drin sein? Als Carolin das Päckchen zu ihrem Tisch im Werkraum trägt, laufe ich hinterher.

»War das für dich?«, will Daniel wissen.

»Ja.«

»Was ist es denn?«

»Keine Ahnung. Ich habe nichts bestellt.« »Von wem ist es denn?«

»Mal sehen - es ist von ...«, sie stockt, »es ist von Jens Uhland.«

Daniel zuckt mit den Schultern. »Kenne ich nicht. Ein Kunde?«

»Gewissermaßen. Der gehört zu dem Filmteam, das sich neulich den Cellokasten ausgeliehen hat.«

»Aha. Na, vielleicht hast du da was liegen lassen.« »Ja, kann sein.«

Das glaube ich persönlich kaum. Schließlich war ich dabei und bin mir sicher, dass wir mit allen Sachen gegangen sind, mit denen wir auch gekommen sind. Also, außer dem Kasten natürlich, aber der ist in dem Päckchen garantiert nicht drin. Viel zu groß und riecht auch ganz anders. Längst nicht so lecker. Was ist da drin? Ich mache Männchen und komme somit immerhin auf Kniehöhe von Carolin. Die wundert sich.

»Hey, Süßer, was ist denn mit dir los? Du bist ja ganz wild.«

»Tja, vielleicht schickt dir dieser Jens ein Kilo Koks, und Herkules hat alle Anlagen zu einem Top-Drogenspürhund.«

Daniel grinst. »Man weiß ja, wie diese Filmtypen sind. Alles schlimme Finger.«

Carolin schüttelt den Kopf. »Ein Kilo Koks? Bisschen teuer, um es einer flüchtigen Bekannten zu schicken. Aber was kann es bloß sein?« Mit einem Messer löst sie den Klebestreifen von dem Deckel des kleinen Kartons. »Da liegt eine Karte bei. Mal sehen.«

Sie liest und fängt an zu grinsen. Daniel kommt zu ihrem Tisch und versucht, über Carolins Schulter mitzulesen. Die will einen Schritt von ihm weg machen, als er blitzschnell zugreift und ihr die Karte wegzieht.

»He, was soll das? Schon mal was vom Briefgeheimnis gehört? Das ist nicht für dich bestimmt.« Carolin klingt genervt, aber Daniel lacht nur.

»Tja, meine Liebe, für dich aber auch nicht. Hier steht eindeutig: Lieber Herkules!«

Was? Die Karte ist für mich? Sofort laufe ich zu Daniel hinüber. Ich habe noch nie im Leben eine Karte bekommen. Aufregend! Aber auch ein bisschen komisch, denn wer schreibt schon an jemanden, der gar nicht lesen kann? Ich setze mich vor Daniel und schaue ihn erwartungsvoll an. Der versteht den Wink und fängt an, vorzulesen.

»Lieber Herkules, ich hoffe sehr, dass es dir heute wieder besser geht. Um dir schnell auf die Beine zu helfen, habe ich für dich eine Spitzen-Hundewurst besorgt, die bestimmt sehr lecker ist. Meldet euch mal, wenn du wieder auf dem Damm bist. Viele Grüße, dein Jens.«

Wow, das muss ja doch ein wahnsinnig netter Mensch sein, trotz des Gewehrs. Ich bin begeistert! Kein Wunder, dass der Karton so gut riecht. Die Wurst muss ich sofort probieren.

»Wieso kommt dieser Jens auf die Idee, dass Herkules krank sein könnte?«

»Ah, er hatte wieder so einen Anfall.« Carolins Stimme klingt komisch.

»Während ihr in der Bank wart?«

»Ja, genau. Deswegen mussten die sogar den Dreh unterbrechen.«

He! Das stimmt doch gar nicht! Was erzählt Carolin denn da?

Daniel guckt besorgt. »Hm, das klingt nicht gut. Hast du noch mal mit Wagner gesprochen? Der wollte doch beim Züchter nachfragen.«

»Stimmt, das hatte ich gar nicht mehr auf dem Zettel. Ich rufe nachher in der Praxis an.«

Aha, von Dr. Wagners Rettungseinsatz will sie Daniel anscheinend auch nichts erzählen - das wird ja immer mysteriöser. Das waren zwei faustdicke Lügen in nur zwei Sätzen. So kenne ich Carolin gar nicht. Und dann auch noch Daniel gegenüber. Gut, sie will ihn offensichtlich nicht als Mann, aber er ist doch trotzdem ihr Freund! Warum macht sie das nur?

Bei dieser Gelegenheit fallen mir zahlreiche Vorträge des alten von Eschersbach zum Thema »Verlogenheit« ein. Verlogenheit war für ihn einer der größten Charaktermängel des Menschen, wenn nicht gar der größte. Lügen kam deutlich vor Verfressenheit und Kurzatmigkeit. Täuschung und Lüge sind ein Zeichen der Schwäche!, predigte er häufig. Der Mutige ist ehrlich, Verlogenheit die Schwester der Feigheit. Kurz und in schlichten Dackelworten zusammengefasst: Schlechte Menschen lügen, gute sagen die Wahrheit.

Wobei man den schlechten Menschen natürlich zugute halten muss, dass sie überhaupt auf die Idee kommen, bewusst die Unwahrheit zu erzählen. Das ist schon ziemlich schlau, und ich bin mir nicht sicher, ob mir so etwas von allein einfallen würde. Aber es hilft nichts: Verlogene Menschen mögen schlau sein, schlecht sind sie allemal. Gleichzeitig bedeutet das für mich, dass Carolin nicht richtig gelogen hat, denn es steht wohl außer Frage, dass sie ein toller Mensch ist. Aber wenn sie nicht gelogen hat, was war das dann? Vielleicht leidet sie an einer Krankheit und kann sich nicht mehr so recht erinnern, wie das wirklich mit Jens und Dr. Wagner war?

Bevor ich über dieses schwierige Thema allerdings noch weiter nachdenken kann, stellt mir Carolin eine Schüssel mit einem Haufen kleingeschnittener Hundewurst hin. Sofort schlinge ich los - göttlich! Diesen Jens sollten wir uns doch mal näher angucken. Vielleicht war es ein Fehler, die Verabredung zwischen ihm und Carolin so zu sabotieren. Er scheint immerhin ein großer Hundekenner zu sein, oder zumindest ein Hundefreund. Ich nehme noch zwei Stücke ins Maul. Lecker! Andererseits - hätten die beiden sich gestern Abend getroffen, hätte ich diese köstliche Wurst nicht bekommen. Es war also kein Fehler. Höchstens ein kleiner Umweg.


»Also, verstehe ich dich richtig: Die Sache mit Daniel ist endgültig gegessen, und der neue, hoffnungsvolle Kandidat heißt Jens und ist ein Hundekenner?« »Richtig.«

»Das beweist für mich höchstens eines.« »Was denn?

»Dass du käuflich bist. Eben jammerst du noch rum, von wegen Daniel ist dein Freund, und wir müssen ihm unbedingt helfen und so weiter und so fort. Und jetzt? Kaum schickt dir irgendein dahergelaufener Schauspieler einen Zipfel Wurst, schon ist Daniel Schnee von gestern. Wer hat eigentlich das Gerücht in die Welt gesetzt, dass Hunde treu wie Gold sind?« Herr Beck schüttelt verächtlich den Kopf. »Ich dachte, du wolltest mir von einem tollen Plan berichten, stattdessen muss ich mir diesen Hundewurst-Mist anhören. Dafür ist mir meine Zeit zu schade.«

»Aber, aber«, stottere ich kleinlaut, »du hast doch selbst gesagt, du glaubst nicht, dass es mit Daniel und Carolin etwas wird, und da wollte ich dir eben erzählen, dass du völlig Recht hattest. Warum bist du denn jetzt so sauer auf mich?«

»Vielleicht bin ich ja enttäuscht, dass ich Recht habe? Vielleicht hatte ich irgendwo gehofft, dass du Recht behältst und ein Kater und ein Dackel doch mehr ausrichten können, als ich je gedacht hätte. Irgendwie hast du mich mit deinem Optimismus mitgerissen. Ich hätte mich auch gefreut, wenn es mit den beiden geklappt hätte. Und jetzt das!«

Ich lasse den Kopf sinken. »Tut mir leid«, flüstere ich.

»Versteh mich nicht falsch - du kannst nichts dafür, dass aus Daniel und Carolin nichts wird. Aber dass du gleich zu diesem Jens überläufst!«

»Ist ja gut! Ich habe mich eben gefreut, dass er sich Sorgen um mich gemacht hat. Und es ist das erste Mal in meinem Leben, dass mir ein Mensch einen Brief schreibt!«

»Gute Güte, bist du naiv! Der hat sich doch keine Sorgen um dich gemacht! Der wollte Carolin beeindrucken! Mehr nicht. Und damit gleich die nächste Verabredung rausschlagen.«

»Meinst du?«

»Das ist doch wohl offensichtlich. Was hat denn Daniel dazu gesagt? Ist bestimmt auch nicht gerade toll, wenn man selbst einen Korb bekommt und schon steht der Nächste auf der Matte. Muss ihn doch getroffen haben zu erfahren, dass Carolin gestern eigentlich schon mit Jens ausgehen wollte.«

»Tja, das war in der Tat komisch: Carolin hat Daniel gar nicht erzählt, dass sie eigentlich mit Jens verabredet war und die Sache wegen meiner Krankheit geplatzt ist. Sie hat behauptet, ich sei schon in der Bank umgekippt, und das habe Jens mitbekommen.«

»Aha, eine kleine Notlüge.«

»Notlüge?«

»Schätze mal, Carolin wollte Daniel mit dieser Hundewurst-Geschichte nicht auch noch kränken. Er ist schließlich ihr bester Freund.«

»Und dann darf man lügen? Obwohl Verlogenheit so etwas Schlechtes ist? Sagte jedenfalls mein altes Herrchen immer.«

»Generell hat er damit Recht. Eine Notlüge ist immer noch eine Lüge. Aber manchmal lügen Menschen eben auch, weil sie jemanden nicht verletzen wollen. Und das ist dann nicht ganz so böse. Es fällt eher in die Kategorie Beschönigung.«

Langsam schwirrt mir der Kopf. Lügen, Notlügen, Beschönigungen - wer soll da noch durchblicken.

»Aber wieso sollte Daniel gekränkt sein? Er hat doch selbst gesagt, dass sein Kuss wohl keine gute Idee gewesen ist. Er hat sogar gesagt, es sei nun völlig in Ordnung.«

Herr Beck schüttelt den Kopf. »Herkules, ich dachte, du hättest die Menschen mittlerweile schon besser kennengelernt. Hier geht es um eine Herzensangelegenheit. Kein Mensch gibt gerne zu, wenn es ihn hier ganz böse erwischt hat. Lieber tun sie so, als sei das alles kein Problem. Habe ich dir doch schon mal erklärt - der andere darf niemals wissen, wie sehr du ihn liebst. Das ist eine eiserne Regel. Sonst bist du geliefert.«

Ich fürchte, Herr Beck hat in diesem Punkt schon wieder Recht. Dass in der Liebe so ein Chaos bei den Menschen herrscht, wundert mich überhaupt nicht. Ihre Regeln sind einfach völlig absurd. Auf so einen Unsinn käme ein Hund niemals.


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