DREI

Am liebsten würde ich mir die Ohren zuhalten. Oder mich unter dem Sofa verkriechen. Denn was ich hier gerade erlebe, macht mir richtig Angst. Ein Mann, den ich noch nie zuvor gesehen habe, ist eben in unsere, also genauer gesagt, Carolins Wohnung gekommen und hat sofort begonnen herumzubrüllen. Ich bin fassungslos. Wer ist dieser furchtbare Kerl? Und wo steckt eigentlich Daniel? Will der sein Weibchen nicht beschützen? Vielleicht sollte ich ihn schnell suchen, damit er Carolin helfen kann. Dafür müsste ich allerdings an dem brüllenden Kerl vorbei, und das traue ich mich ehrlich gesagt nicht. Eine Unart, die ich an Menschen echt hasse? Dass sie so furchtbar laut sein können! Meine Ohren sind wirklich ausgezeichnet. Für meinen Geschmack müssten Menschen daher weder selbst so laut reden noch - was sie anscheinend auch sehr gerne machen - unglaublich laute Musik hören. Aber das nur nebenbei bemerkt.

In seiner aggressiven Art erinnert mich dieser Mann gerade sehr an Bozo und Boxer. Er ist riesig, ein ganzes Stück größer als Carolin. Und seine Haare sind genauso rabenschwarz wie Bozos Fell. Er macht die gleichen herrischen Bewegungen und hat den gleichen ungebildeten Tonfall. Anscheinend ein Proletarier reinsten Wassers, genau wie Bozo-Boxer.

Der Mann fuchtelt wild mit den Händen herum und zeigt - auf mich! Auweia!

»Du hast was? ! Ich bin keine drei Tage auf einer Dienstreise, komme zurück, und du hast einen Hund gekauft?«

Der Kopf von Bozo-Boxer ist hochrot angelaufen. Irgendetwas sagt mir, dass ich bei ihm nicht ganz so gut ankomme wie bei Daniel. Aber das kann mir wohl egal sein. Hauptsache, mein Herrchen mag mich. Und hoffentlich kommt das bald. Auch mit den für gewöhnlich schlechten Menschenohren kann man diese Schreierei bestimmt in der Werkstatt hören. Jetzt stellt sich Carolin tapfer vor den Mann. Offensichtlich will sie mich verteidigen. Eine tolle Geste, aber so geht es nun wirklich nicht. Denn wenn hier jemand zu verteidigen ist, dann doch wohl mein Frauchen durch ihren tapferen Jagdhund. Es hilft nichts - ich muss mich in den Kampf stürzen.

Gerade will ich Anlauf nehmen, um mit einem gewagten Sprungmanöver eine möglichst gute Bissposition für eine empfindliche Stelle bei dem Kerl zu erreichen, da passiert das Unglaubliche: Carolin geht noch ein Stück näher an den fiesen Typen heran und streichelt ihm über den Arm.

»Aber, Schatz - wir waren uns doch einig, dass ein Tier eine gute Idee ist. Und da bin ich gestern spontan ins Tierheim gefahren. Bitte - sei nicht böse! Herkules ist doch so süß!«

Schatz? Da habe ich mich doch Hoffentlich verhört. Denn Schatz sagen meines Wissens vor allem Menschenpaare zueinander. Wie zum Beispiel der Gärtner immer Schatz zu Emilia sagt, was in Ordnung ist, weil die beiden ja ein Paar sind. Sollte also Carolin zwei Männer haben? Und einer davon ist ausgerechnet dieser Prolet? Immerhin scheint Carolin ihn etwas beruhigt zu haben, er schreit nicht mehr ganz so laut.

»Du und deine spontanen Ideen. Kaufst ohne mich zu fragen einen Hund - was für ein Schwachsinn!«

»Na ja, ich dachte, wo du doch so häufig weg bist und weil wir doch den großen Garten haben. Und Herkules kann tagsüber mit in die Werkstatt kommen. Daniel hatte damit überhaupt kein Problem.«

»Natürlich hat der damit kein Problem. Der ist doch das Weichei vor dem Herrn. Wenn du vorschlagen würdest, dass ihr ab morgen in Strapsen im Laden steht, würde er dazu auch Ja und Amen sagen.«

»Mensch, Thomas - jetzt hör doch auf, immer auf Daniel rumzuhacken. Er ist vielleicht nicht so ein Macher wie du, aber ich könnte mir keinen besseren Partner vorstellen als ihn.«

Aha, der Mensch heißt Thomas. Und offensichtlich kennt er Daniel. Was für eine interessante Konstellation. Ob Menschen manchmal auch zu dritt zusammenleben? Man erzählt sich unter Dackeln, dass die Hunde in grauer Vorzeit in Rudeln zusammenlebten. Allerdings kamen da auf einen Rüden mehrere Damen. Vielleicht ist das in einem Menschenrudel - falls es das denn überhaupt gibt, anders. Vielleicht braucht jede Frau mehrere Männer? Es gibt noch viel zu lernen für einen jungen Hund wie mich. Das steht schon mal fest.

»Ja natürlich findest du keinen besseren Partner«, höhnt Thomas jetzt. »Gibt ja auch kaum Geigenbauer. Aber nur weil sich dein Herr Kollege in der Werkstatt alles von dir bieten lässt, trifft das auf mich noch lange nicht zu.«

Thomas lacht verächtlich auf. Carolin fängt an zu weinen, und mir wird langsam klar, dass Daniel und Carolin anscheinend gar kein Paar sind. Jedenfalls kein Liebespaar. Stattdessen ist Carolin wohl unbegreiflicherweise die Frau von Thomas und mit Daniel arbeitet sie nur zusammen. So muss es wohl sein. Oh, wie grauenhaft.

Ich bin jetzt völlig verwirrt und höre gar nicht mehr zu, was Thomas noch an Unverschämtheiten von sich gibt. Stattdessen muss ich fieberhaft nachdenken, wie es wohl kommt, dass Carolin und Thomas ein Paar sind. Den kann sich Carolin doch im Leben nicht freiwillig ausgesucht haben. Wie ist das bloß passiert? Ob es auch bei Menschen eine Instanz gibt, die Männer und Frauen zusammenwürfelt? Also quasi einen Züchter? Das hielt ich bisher für ausgeschlossen, Menschen waren für mich bisher die Wesen mit dem freien Willen. Aber wenn ich das hier so sehe, dann muss das bei Menschen noch irgendwie anders funktionieren. Und - das liegt auf der Hand - es funktioniert nicht gut.


»Carolin, du machst dir da etwas vor. Das mit Thomas und dir funktioniert einfach nicht. Hat es nie. Wird es nie.«

»Woher willst du das so genau wissen? Nur weil du Psychologin bist, kannst du noch lange nicht in die Zukunft sehen.«

»Ne, nicht weil ich Psychologin bin. Sondern weil ich deine beste Freundin Nina bin, die sich das ganze Elend jetzt schon vier Jahre anschaut.«

Wir sitzen, beziehungsweise Carolin und Nina sitzen, ich liege, in einem Café. Dorthin ist Carolin mit mir nach dem Streit mit Thomas gefahren. Kurze Zeit später ist diese Nina dazugekommen. Und seitdem ist es ziemlich interessant, denn Carolin und Nina unterhalten sich exakt über das, was mir heute auch schon sehr zu denken gegeben hat: Was will Carolin eigentlich mit Thomas? Nina mag Thomas offensichtlich auch nicht. Aber anders als ich macht sie es nicht an seinem unsympathischen Geruch und seiner lauten Stimme fest, sondern hat noch viele andere Gründe aufgezählt, von denen ich die meisten gar nicht so ganz verstanden habe. Aber egal - unterm Strich kommen Nina und ich zu dem gleichen Ergebnis: Der geht gar nicht. Carolin verteidigt ihn allerdings tapfer, aber Nina hält weiter dagegen.

»Ich meine, mal ganz ehrlich, Carolin: Jetzt hast du dir schon aus lauter Verzweiflung einen Hund gekauft. Was kommt als Nächstes?«

Hey! Geht das etwa gegen mich? Ich knurre vorsichtshalber ein bisschen. Carolin beugt sich zu mir runter.

»Ist schon gut, Herkules. Nina meint es nicht so.«

Nina rollt mit den Augen. Das kann ich von meinem Platz neben Carolins Stuhl genau sehen. »Doch, ich meine es genau so, wie ich es sage! Was dir fehlt, ist ein Mann, der dich genauso liebt wie du ihn. Dafür ist so ein doofer Dackel garantiert kein Ersatz.«

Doofer Dackel? Weiß die eigentlich, wen sie hier vor sich hat? Mit einem Knurren ist es eindeutig nicht mehr getan, ich springe von meinem Platz auf und belle Nina einmal energisch an. Sie zieht erstaunt die Augenbrauen hoch.

»Hoppla, scheint wirklich so, als ob er mich verstanden hätte. Okay, das Letzte nehme ich zurück. Du bist kein doofer Dackel. Aber bei Ersterem bleibe ich - den doofen Thomas kannst du nicht wettmachen. Auch wenn du zugegebenermaßen ganz niedlich bist.«

Na also, geht doch. Ich lege mich wieder hin.

»Herkules ist kein Liebesersatz. Mit Thomas hat das gar nichts zu tun. Ich wollte schon lange einen Hund.«

»Quatsch. Das war eine typische Sublimierung.«

»Ja, ja, die Psychologin weiß es genau.«

Ich weiß nicht genau, was Psychologin bedeutet, scheint aber irgendetwas Gefährliches zu sein. Jedenfalls hat Carolin es schon ein paar Mal zu Nina gesagt, und es klang, als hätte Nina eine ernste Krankheit. Mindestens Zwingerhusten. Die Arme, dabei sieht sie so gesund aus - rosige Hautfarbe, große klare Augen, ich wette, sie hat auch eine ganz kalte Nase. Und ihre braunen Haare glänzen. Aber falls es doch eine Krankheit ist, hoffe ich, Carolin steckt sich nicht an und wird dann auch psychologisch.

»Also, reden wir doch mal Klartext: Du bist nicht glücklich mit Thomas und wirst es auch niemals sein. Behalte den Hund - aber trenn dich von dem Kerl.«

Genau, so machen wir es! Ich stehe auf und wedele mit dem Schwanz. Leider ist Carolin nicht so begeistert von diesem Rat wie ich - sie fängt an zu weinen.

»Du verstehst mich nicht. Thomas und ich - wir gehören einfach zusammen. Ich weiß es ganz genau. Allein, wie wir zusammengekommen sind: Das war Schicksal!«

Aha - Schicksal! Ein mysteriöses Wort. Sollte das die Instanz sein, die Menschen zusammenbringt? Und wenn ja, wie konnte das Schicksal bei Carolin so danebenliegen? Ich versuche mir, das Schicksal in Person vorzustellen. Vielleicht sieht es so aus wie der alte von Eschersbach. Streng. Angsteinflößend. Ein bisschen rechthaberisch. Wenn Schicksal allerdings so ist wie von Eschersbach, dann könnte es sich tatsächlich auch mal irren. Immerhin ist dem Alten bei der Einschätzung meiner Wenigkeit doch auch ein schwerer Fehler unterlaufen. Hätte er mich sonst ins Tierheim gebracht?

Mit einem Mal interessiert mich das Gespräch zwischen Nina und Carolin nicht mehr so sehr. Meine Gedanken sind wieder auf dem Schloss: Bei Mama, meiner Schwester Charlotte und Emilia. Wie es ihnen wohl geht? Zum ersten Mal seit den letzten drei aufregenden Tagen fühle ich eine merkwürdige Sehnsucht. Vermisst mich meine Familie? Oder reden sie schon nicht mehr über mich? Ob Charlotte auch gut schlafen kann, wenn ich nicht neben ihr im Körbchen liege? Ach, Charlotte, werde ich dich jemals wiedersehen?

»Hey, Herkules, was ist denn los mit dir? Geht es dir nicht gut?«

Anscheinend habe ich angefangen zu jaulen. Jedenfalls haben Carolin und Nina aufgehört sich zu unterhalten, und Carolin hebt mich auf ihren Schoß. Erstaunt schaue ich direkt in ihr Gesicht. Ihre Augen sind ganz rot - Menschen weinen zwar leicht, aber offensichtlich bekommt es ihnen nicht. Ich schlecke schnell ihre Hände ab. Alles in Ordnung soll das bedeuten, aber trotzdem guckt Carolin ganz besorgt.

»Hm, was er wohl hat?«

Nina zuckt mit den Schultern. »Vielleicht ist er auch nicht so glücklich mit Thomas? Immerhin würde der ihn am liebsten rausschmeißen.«

WUFF! Wie bitte? Thomas will mich rausschmeißen? Lande ich also morgen wieder im Tierheim? Bei Bozo und Boxer?


Als wir wieder zu Hause sind, bin ich immer noch ganz beunruhigt. Ob mich Carolin tatsächlich wieder zurückbringt? Das wäre furchtbar. Vielleicht komme ich doch nicht darum herum, mich mit Thomas gutzustellen. Ich beschließe, mich von meiner besten Dackelseite zu zeigen, wenn ich ihn das nächste Mal sehe. Das geht mir zwar gegen den Strich, denn ein von Eschersbach kriecht grundsätzlich nicht zu Kreuze - aber andererseits war mein letzter Akt zivilen Ungehorsams auch nicht gerade ein voller Erfolg und endete bekanntermaßen mit einem schmerzhaften Biss in mein Öhrchen.

Momentan allerdings scheint Thomas gar nicht zu Hause zu sein. Carolin ruft jedenfalls nicht nach ihm, sie stellt nur kurz ihre Tasche ab und greift dann wieder nach dem Wohnungsschlüssel.

»Wir gehen nochmal kurz in die Werkstatt, Herkules.« Dann öffnet sie die Tür. »Komm, Süßer!«

Nichts lieber als das! Ich freue mich, Daniel wiederzusehen und laufe schwanzwedelnd hinter Carolin die Treppe hinunter.

Unten angekommen, muss ich allerdings feststellen, dass es immer noch sehr nach Holz, aber nicht unbedingt nach Daniel riecht. Komisch, wo steckt der nur? Während Carolin zu einem der Tische geht und dort ein wenig herumräumt, laufe ich los und suche Daniel. Ich stelle fest, dass die Räume hier in der Werkstatt ganz ähnlich wie in Carolins Wohnung angeordnet sind: Zwei in einander übergehende auf der einen Seite, ein dritter dahinter, dann ein langer Flur und hinten noch einmal ein Zimmer. Dort riecht es besonders stark nach Wald - und als ich hineinschnuppere, sehe ich, dass sich hier ganze Stapel von Holz türmen. Merkwürdig - was will Carolin bloß mit so viel Holz? Von Eschersbach sammelt Flaschen in seinem Keller, und der Mann von Emilia sammelt diese kleinen bunten, viereckigen Papierstücke mit den gezackten Rändern, aber Holz? Es gibt offensichtlich nichts, was Menschen nicht sammeln.

»Herkules, wo steckst du denn?«, ruft Carolin den Flur hinunter. Ich trabe aus dem Holzzimmer. »Na, was machst du denn im Holzlager? Riecht gut, oder?« Ich lege mich vor Carolins Füße, und sie streichelt mich kurz. »Oder suchst du Daniel?«

Als ich diesen Namen höre, wedele ich mit dem Schwanz. Carolin soll gleich mal wissen, was ich mir unter einem netten Herrchen vorstelle.

»Ah, daher weht der Wind. Daniel ist nett, nicht? Aber es ist Wochenende, und da arbeiten wir normalerweise nicht. Ich muss auch nur kurz ein paar Sachen erledigen, die seit deinem Einzug bei mir liegengeblieben sind. Dann gehen wir eine Runde spazieren, versprochen. Du kannst dich so lange ein bisschen im Garten umschauen, bis ich fertig bin, okay?«

Ein guter Plan, denn den Garten habe ich noch gar nicht inspiziert. Überhaupt - bis auf Wohnung und Werkstatt ist das Haus noch gänzlich unbekannt für mich, und ich freue mich schon darauf, es nach und nach zu erkunden. Carolin geht zu einem der Fenster im zweiten Raum und öffnet es. Erst jetzt sehe ich, dass von dort zwei Stufen hinauf in den Garten führen. Schnell springe ich sie hoch und sitze sofort im Gras. Herrlich - wie das am Bauch kitzelt! Die Sonne scheint mir auf die Nasenspitze, und ich muss niesen. Carolin lacht.

»So, dann viel Spaß - ich lasse die Tür auf, du kannst also reinkommen, wenn dir langweilig wird.«

Keine Sorge, Carolin, das wird garantiert nicht passieren! Ich trabe los und beschnuppere den riesigen Baum, der seitlich vorm Haus steht. Hm, interessant. Offensichtlich war hier schon längere Zeit kein Hund mehr, denn es ist absolut nichts markiert an diesem Stamm. Ich hole das sofort nach und hebe gleich mal mein Beinchen. Oft habe ich das noch nicht gemacht und an so einem breiten Stamm schon gleich gar nicht, deshalb sieht das Ganze bestimmt noch ein bisschen amateurhaft aus. Aber egal, das kann ich hier schließlich ausgiebig unter Ausschluss der Öffentlichkeit üben. So lange, bis ich es genauso gut hinkriege wie die erwachsenen Rüden, die ich dabei schon heimlich beobachtet habe. Total lässig sind die: laufen an einem Baum vorbei und heben - als wäre es keine große Sache - einfach ihr Bein.

Ich versuche es noch einmal auf der anderen Seite, ist schließlich wichtig, dass man es mit beiden Beinen hinkriegt. Gar nicht so leicht, das! Nur gut, dass mich keiner sieht.

»Na, Kleiner?«, tönt es in diesem Moment von direkt über mir. »Das schaut noch ganz schön wackelig aus. Machst du wohl noch nicht so lang, he he!«

Wer, zum Teufel, ist das? Ich gucke nach oben und sehe in der Baumkrone eine dicke, schwarze Katze. O nein, welch Schmach! Ein heimlicher Beobachter und dann ausgerechnet noch eine Katze!

»Im Übrigen sind das hier mein Garten und mein Baum - ich möchte dich also auffordern, dieses Rumgepinkel hier zu unterlassen. Es ist ekelhaft und stinkt.«

Mit diesen Worten klettert die Katze gemächlich den dicken Stamm hinunter und steht dann vor mir. Für eine Katze ist sie ziemlich groß. Vor allen Dingen ist sie auch fett. Ich knurre sie an.

»Was denn? Ist das etwa eine korrekte Begrüßung? Ihr Hunde habt einfach kein Benehmen. Kommst hier quasi ohne anzuklopfen in mein Wohnzimmer und stellst dich nicht mal vor. Aber na gut«, die Katze seufzt, »fangen wir eben anders herum an: Ich bin Herr Beck.«

Aha, ein Kater.

»Ich bin Carl-Leopold von Eschersbach. Erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen, Herr Beck.« Schließlich will ich mir von so einem nicht nachsagen lassen, ich wüsste nicht, was sich gehört.

Der Kater kichert. »Carl-Leopold? Komisch, meine eben gehört zu haben, dass Carolin dich Herkules nennt. Und >von Eschersbach< klingt reichlich überkandidelt.«

Was für eine Frechheit! Am liebsten würde ich diesem fetten Viech gleich mal richtig in die Fersen beißen - aber vom Umgang mit den Schlosskatzen weiß ich, dass das für einen kleinen Hund wie mich ziemlich schmerzhaft ausgehen kann. Diese Biester sind echt schnell und haben richtig scharfe Krallen. Obwohl ich innerlich schäume, versuche ich also, mich ganz kühl zu geben.

»Eine tolle Frau wie Carolin kann mich nennen, wie sie will. Bei einer gewöhnlichen Katze wie Ihnen muss ich leider auf Carl-Leopold bestehen. Im Übrigen ist das hier mitnichten Ihr Wohnzimmer, sondern mein neuer Garten. Ich möchte Sie also bitten, in Zukunft nicht mehr auf meinen ebenfalls neuen Baum zu klettern. Sie beschädigen ihn mit Ihren Krallen.«

Der Schwanz des Katers beginnt zu zucken. Allerdings leider nicht, weil Beck vor Angst zittert, sondern weil er in geradezu hysterisches Gelächter ausbricht.

»Großartig - du hast hier gerade noch gefehlt! Gerade war mir ein bisschen langweilig geworden - aber mit einem Clown wie dir wird das bestimmt ein sehr unterhaltsamer Sommer.«

Beck fängt an, sich lachend auf dem Boden zu wälzen. Es ist offensichtlich, dass er sich blendend amüsiert. Ich hingegen könnte mir die Schwanzhaare ausreißen. Niemand nimmt mich für voll. Langsam beruhigt sich Herr Beck wieder, steht auf und schüttelt sich kurz.

»Jetzt mal im Ernst, Kleiner - was glaubst du eigentlich, wer du bist?«

Ich will darauf gerade etwas erwidern, da zischt Becks Tatze blitzschnell millimeterscharf an meiner Schnauze vorbei. »Halt - falsche Frage! Fang jetzt bloß nicht wieder mit diesem Adelsgequatsche an.«

Ich knurre. Beck soll nicht denken, dass ich mich hier ohne weiteres beleidigen lasse - Krallen hin, Krallen her. Beck ignoriert das leider völlig und fährt unbeeindruckt fort: »Ich lebe nun schon eine ganze Weile als einziges Tier in diesem Haus, wenn man mal von dem blöden Wellensittich im zweiten Stock absieht. Und nur, weil du von der zugegebenermaßen ganz reizenden Carolin hier angeschleppt wurdest, musst du nicht glauben, dass ich mein Revier räume. Das war mein Garten, das ist mein Garten, und das wird auch immer mein Garten bleiben! Also sei froh, wenn du dir hier ab und zu die Sonne auf die Nase scheinen lassen darfst und bleib weg von dem Baum. Verstanden?«

Mit diesen Worten dreht er sich um und will mich offensichtlich einfach so stehen lassen. Da platzt mir endgültig der Kragen. Ich mache einen Satz nach vorne und schnappe nach Becks Schwanz. Eigentlich mit dem Ziel, es ebenso knapp ausfallen zu lassen, wie Beck vorhin seinen Tatzenhieb. Leider senkt er in genau diesem Moment seine Schwanzspitze in Richtung meines Fangs - und ehe ich mich versehe, beiße ich genau hinein. Autsch. Das war bestimmt ein kleines bisschen schmerzhaft. Vielleicht auch ein großes bisschen. Aber keine Absicht, ehrlich!

Beck faucht laut auf und will sich rächen, ich gebe Fersengeld. An Tag zwei von einem Kater vermöbelt zu werden, gehört ganz sicher nicht zu meiner Vorstellung von einem gelungenen Einstand. Bevor er mich erwischt, springe ich mit einem beherzten Satz direkt durch das noch geöffnete Fenster der Werkstatt.

Ich lande fast auf Carolins Füßen, die schaut mich erstaunt an.

»Was machst du denn da, Herkules? Kunstfliegen?« Sie schaut aus dem Fenster und sieht Beck, der gerade noch eine Vollbremsung hinlegen kann. »Hast du dich etwa mit der Katze gestritten?«

Ich versuche, möglichst unschuldig zu gucken, und wedele mit dem Schwanz.

»Also wirklich, Herkules! Herr Beck ist ein ganz netter älterer Herr. Außerdem gießt sein Frauchen immer meine Blumen, wenn ich mal nicht da bin. Du musst dich also ein bisschen benehmen.«

Wie peinlich! Sie kennt den Kater näher. Ich tue so, als würde ich irgendetwas sehr Interessantes auf dem Boden beobachten. Allerdings kann ich mir den Gedanken nicht verkneifen, dass Carolins Männergeschmack sowohl bei Menschen als auch bei Katzen alles andere als exquisit ist. Erst dieser unmögliche Thomas, dann Herr Beck - es ist eigentlich fast ein Wunder, dass sie mich und nicht Bozo aus dem Tierheim mitgenommen hat.

Bei dem Gedanken an Thomas fällt mir wieder ein, dass ich heute noch dringend einen guten Eindruck bei dem Blödmann hinterlassen muss. Er soll doch gar nicht erst auf die Idee kommen, dass man mich auch zurückbringen könnte. Außerdem reicht ein Feind in meiner näheren Umgebung, und Herrn Beck brauche ich meine Freundschaft momentan wohl nicht mehr anzudienen. Ich nehme mir fest vor, die erstbeste Gelegenheit zur Verbrüderung mit Thomas beim Schopf zu packen.

Ein von Eschersbach fackelt nicht lange - er handelt, wenn sich die Möglichkeit bietet, und zwar kühn und unerschrocken. Genauso werde ich es machen, Opili. Kühn und unerschrocken.


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