FÜNF

Im Garten ist es friedlich und ruhig. Ich schaue mich um, ob ich diesmal auch wirklich keine ungebetenen Zuschauer habe, dann steuere ich den großen Baum an und hebe mein Beinchen. Wer sagt's denn? Klappt doch schon besser. Der blöde Beck kann mich mal. Außerdem ist das natürlich nicht sein Garten, sondern meiner. Schließlich geht er von Carolins Werkstatt ab. Beck ist also nur Besucher. Dagegen ist nichts zu sagen, ein von Eschersbach ist schließlich Freund gepflegter Gastlichkeit. Aber wenn dieser blöde Kater meint, dass ich nun nach seiner Pfeife tanzen werde, nur weil er länger hier lebt, dann irrt er gewaltig. Ich werde nicht klein beigeben. Ein von Eschersbach gibt niemals klein bei!

Ich probiere es noch ein paar Mal wechselseitig mit dem linken und mit dem rechten Bein, dann wird es mir irgendwann langweilig. Zeit, sich die anderen Eckchen des Gartens anzuschauen. Hinter dem Baum beginnt eine große Rasenfläche, auf die gerade einladend die Sonne scheint. Ansonsten ist es dort für meinen Geschmack recht langweilig. Keine Spur von Kaninchen oder Maulwürfen. Das ein oder andere Eichhörnchen scheint ab und zu über die Wiese zu laufen, jedenfalls riecht es ein bisschen danach. Eichhörnchen sind aber keine lohnende Beute, dafür springen sie auf der Flucht viel zu schnell auf Bäume. Selbst so ein toller Hecht wie Opili hätte da keine Chance.

Die Wiese wird links und rechts von einem Blumenbeet eingerahmt. Hier riecht es süßlich-sommerlich, und ein paar Bienen schwirren schwerbeladen mit Pollen von Blüte zu Blüte. Ich schnüffele ein bisschen am Rand herum, kann aber nichts Interessantes entdecken. Gerade will ich umdrehen, um in Richtung Vorgarten zu traben, da höre ich jemanden rufen.

»Herkules! Hey, komm mal rüber!« Sollte das Herr Beck sein? Der Revanche fordert? Ich beschließe, nicht zu reagieren.

»Mann, Herkules, komm schon.«

Ich drehe mich langsam herum, rühre mich aber immer noch nicht vom Fleck.

»Also gut, wenn's dir so wichtig ist: Carl-Leopold, würdest du bitte mal kommen?«

Oh, ganz neue Töne. Beck scheint irgendetwas Wichtiges von mir zu wollen. Aber wo, zum Teufel, steckt er? Ich kann ihn nirgends sehen. Auf der Wese nicht, auf dem Baum nicht, nirgends.

»Beck, wo bist du? Ich sehe dich nicht.« »Ich bin hier oben.«

»Auf dem Baum?« »Nein, auf dem Tisch.«

Auf dem Tisch? Einen Tisch kann ich nicht entdecken, ratlos blicke ich umher.

»Auf dem Tisch auf dem Rasen. Lauf hinter das Beet, dann siehst du ihn!«

Ich trabe also hinter das linke Blumenbeet und sehe dort tatsächlich einen großen Gartentisch, beziehungsweise die Tischbeine eines solchen. Aus Dackelsicht gar nicht so leicht hinter diesen hohen Stauden zu entdecken, aber das muss er wohl sein.

»Genau, jetzt bist du richtig. Spring mal auf den Stuhl, dann siehst du mich.«

Welche Art Ratespiel soll das eigentlich werden? Ich sehe mich nach einem Stuhl um und finde ihn gleich neben dem Tisch. Hoppla, der ist aber hoch! Hoffentlich komme ich da überhaupt mit einem Satz drauf.

»Hör mal, Beck, ich weiß nicht, ob ich da raufspringen kann. Das ist ziemlich hoch für mich. Warum sagst du mir nicht einfach, was du willst, oder noch besser, kommst einfach zu mir runter?«

»Das geht nicht. Wirst gleich sehen, warum. Also bitte, gib dir Mühe und spring!«

Ich seufze und mache drei Schritte zurück, um ein bisschen Anlauf zu nehmen. Dann sause ich los und hechte auf den Stuhl. Geschafft! Knapp zwar, aber immerhin. Ein bisschen stolz auf diese Leistung sehe ich mich mit hocherhobenem Kopf um - und entdecke Herrn Beck mitten auf dem Gartentisch. Genauer gesagt: in einem Vogelbauer, der mitten auf dem Gartentisch steht.

»Na, siehst du jetzt, warum ich nicht kommen kann?«

Beck schaut mich unglücklich an. Ich hingegen muss sehr an mich halten, um nicht vor Lachen gleich wieder vom Stuhl zu fallen.

»Was machst du denn da? Das sieht ja saukomisch aus! Ein fetter Kater wie du in so einem kleinen Käfig!«

»Ja, danke auch für dein Mitgefühl. Was werde ich hier wohl machen? Ich hatte die historische Chance, mir diesen nervigen, altklugen Wellensittich zu schnappen. Leider habe ich nicht bedacht, dass die Käfigtür nach innen aufgeht und ich sie jetzt nicht aufkriege, weil ich sie mit meiner Größe selbst blockiere.«

»Ich sage doch: Du bist fett!«

Beck ignoriert diesen Einwand und schaut mich stattdessen so eindringlich an, wie man es als Katze durch Gitterstäbe hindurch eben kann.

»Du musst mir helfen, Carl-Leopold. Wenn die alte Meyer sieht, dass ich mir ihren Vogel geschnappt habe, gibt es richtig Ärger.«

»Kann sie sich doch auch so denken, selbst wenn du nicht im Käfig sitzt.«

»Ja, denken vielleicht. Aber nicht beweisen. Mein erstes Herrchen war Anwalt, und ich sage dir - zwischen Glauben und Wissen machen die Menschen einen Riesenunterschied.«

»Wie dem auch sei - warum sollte gerade ich dir helfen? Ich kann doch froh sein, wenn du ins Tierheim oder sonst wohin wanderst. Habe ich endlich meine Ruhe vor dir.«

»Hey, Kumpel? Ist das etwa Solidarität unter Haustieren?«

»Solidarität unter Haustieren? Weiß nicht, dazu würde ich jetzt gerne mal den Wellensittich befragen.«

Ich will mich schon umdrehen, da unternimmt Herr Beck noch einen letzten Versuch: »Gut, dann nenn es eben, wie du willst. Aber wenn du jemals mit dem Gedanken gespielt hast, das Kriegsbeil zwischen uns zu begraben, dann wäre jetzt ein extrem günstiger Zeitpunkt dafür. Denk mal drüber nach, ob es nicht nützlich wäre, einen Freund in diesem Haus zu haben - und zwar einen, der sich verdammt gut mit Menschen auskennt!«

Okay, damit hat er mich. Ich seufze. »Also gut, was soll ich tun?«

»Komm neben den Käfig. Man kann ihn auch von oben öffnen, aber dafür muss man erst einmal die Knoten in der Kordel durchkauen, und das kann ich mit meinem Gebiss nicht allein.«

Ich schaue mir an, was er meint. Tatsächlich, der Käfig hat noch eine obere Klappe, die mit einer Art Band befestigt ist. Die Knoten dieses Bandes liegen außerhalb des Käfigs und sehen aus wie eine lösbare Aufgabe.

»Ich denke, das könnte ich schaffen. Dafür müssen wir den Käfig allerdings umkippen, sonst komme ich nicht an die Knoten ran.«

»Ja, kein Problem. Kipp den Käfig vom Tisch - lieber ein paar Schrammen als weiter hier drin zu sitzen.« »Na gut, dann pass mal auf!«

Mit einem kräftigen Schups schiebe ich den Käfig über den Rand des Tisches. Er fällt mit einem kräftigen Rumpeln herunter und landet tatsächlich auf der Seite.

»Autsch!«, ruft Beck aus und schüttelt sich kräftig. »Na ja, so solltest du wohl rankommen.«

Ich hüpfe vom Tisch über den Stuhl nach unten. Dann stehe ich neben dem Käfig und betrachte mir die Sache noch einmal genauer. Ja, so könnte es klappen. Die Knoten liegen genau auf Höhe meiner Schnauze. Und für meine Fähigkeiten als Sachen-Zerkauer bin ich geradezu berühmt. Legende, möchte ich sagen. Sehr zum Leidwesen Emilias, hat sie diese Tatsache doch schon das ein oder andere Paar Schuhe gekostet. Aber irgendwie will diese Fähigkeit ja auch trainiert werden.

Ich brauche keine drei Minuten, dann fällt das Band zur Erde, und die Klappe öffnet sich - zum Glück nach außen. Die Öffnung ist zwar ziemlich klein, aber Herr Beck zwängt sich mit aller Gewalt hindurch. Erstaunlich, wie biegsam Katzen sind. Eigentlich wären sie auch gute Baustöberer - aber wahrscheinlich sind sie zu feige, einem Dachs von Angesicht zu Angesicht entgegenzutreten. Da ist so ein Wellensittich natürlich leichtere Beute.

Schnaufend sitzt Beck schließlich neben mir. »Danke, mein Freund.«

»Gerne. Aber sag mal, du hast wirklich diesem bedauernswerten Sittich den Garaus gemacht? Pfui.«

Ich betrachte den Käfig. Komisch, man sieht kaum Federn. Nur ein kleiner grüner Plastikvogel liegt schwer zerkratzt auf dem Boden. Hat Beck den Wellensittich tatsächlich mit Haut und Federn verschlungen? Brrr, bei dem Gedanken schüttelt es mich. Erlegen ist ja die eine Sache - aber das Beutetier komplett zu fressen? Na ja. Jeder, wie er meint. Beck ist allerdings merkwürdig still.

»He, ist dir der Sittich auf den Magen geschlagen?«

»Tja, also, wie soll ich sagen - der Sittich lebt noch. Ich habe ihn nicht gefressen.«

»Er lebt noch? Du meinst, du warst in seinem Käfig, und er lebt noch? Aber wo ist er denn?«

»Es ist mir zwar peinlich, es zuzugeben, aber er war gar nicht in dem Käfig, als ich ihn gejagt habe.«

Ich schaue Beck mit großen Augen an.

»Ja, ich weiß, was du denkst. Aber es ist so: Der blöde Vogel war nicht in dem Käfig. Ich bin heute Morgen in den Garten spaziert. Als ich den Käfig auf dem Tisch stehen sah, dachte ich, das ist meine Chance. Also ich rauf und gleich rein in den Bauer. Schnappe mir den Kameraden, beiße zu - und habe das blöde Plastikteil da unten im Maul. Verstehst du? Die alte Meyer hat nur den Käfig draußen saubermachen wollen und ihn deswegen rausgestellt. Der Vogel war gar nicht drin, sondern nur sein Plastikfreund.«

»Bitte? Du hast was? Du hast allen Ernstes den Plastikkameraden da unten erlegt?« Ich pruste laut los. »Das kann doch nicht wahr sein! Wie kann man das Teil denn mit einem echten Vogel verwechseln? Dafür muss man doch komplett blind sein, ha ha!« Ich rolle mich vor Vergnügen auf dem Rasen hin und her.

»Na, das Plastikteil sieht schon aus wie ein echter Vogel«, wendet Beck eingeschnappt ein.

»Ja, es sieht vielleicht entfernt so aus. Aber es riecht doch ganz anders!«

Beck schweigt. Offensichtlich ist mein neuer Freund schwer getroffen von meiner Schadenfreude. Gut, vielleicht sollte ich es nicht übertreiben.

»Hey, tut mir leid. Ich wollte mich nicht über dich lustig machen. Ich konnte mir nur nicht vorstellen, wie das passiert ist.«

Betrübt schaut mich Beck an. »Ich kann dir genau sagen, wie das passiert ist: Ich bin eben mittlerweile ein verdammt alter Kater, der nicht mehr die besten Augen und schon gar nicht mehr die beste Nase hat. So ist das passiert. Dass ein Jungspund wie du sich das nicht vorstellen kann, ist völlig klar.«

O je, da ist jemand gerade ziemlich geknickt. Ist aber auch eine blöde Geschichte: einen Käfig ohne Beute entern und dann nicht mehr allein rauskommen. Ich versuche, ihn ein bisschen aufzumuntern.

»Ach komm, dafür kannst du viele Sachen, von denen ich keine Ahnung habe.«

»Ja, was denn zum Beispiel?«

Trübsinnig starrt Beck vor sich hin. Ich überlege kurz. Aber wirklich nur kurz, denn sofort fällt mir etwas ein, um das ich ihn wirklich beneide.

»Na, du hast es doch eben selbst schon gesagt. Du kennst die Menschen gut. Du verstehst sie, auch wenn sie gerade völlig seltsame Dinge tun. Ich glaube, ich werde sie nie begreifen.«

Offensichtlich war das genau das richtige Beispiel, denn jetzt lächelt Herr Beck wieder und gibt mir einen Stups in die Seite.

»Kleiner, da hast du Recht. Ich kenne die Menschen wirklich gut. Aber ich mache dir einen Vorschlag: Jetzt, wo wir Freunde sind, werde ich dir auch helfen. Ich werde dir helfen, die Menschen zu verstehen.«


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