FÜNFUNDZWANZIG

Also, deine Theorie ist, dass Marc doch der richtige Mann für Carolin ist und sie es nur nicht zugeben will. Denn dann müsste sie ihn ja ansprechen, und das ist ihr peinlich. Und deswegen hat sie sich etwas zurechtkonstruiert, was angeblich an ihm nicht passt. Hm.« Herr Beck schaut sehr nachdenklich. »Donnerwetter. Du hast viel gelernt. Was allerdings kein Wunder ist, denn du hattest einen exzellenten Lehrmeister.«

»Ja, du bist toll. Aber was denkst du, sollte ich jetzt tun? Immerhin ist die Sache sehr kompliziert. Ich kann leider nicht einfach zu Marc marschieren und sagen He, ruf endlich an! Andererseits fürchte ich, wenn er nicht auftaucht, dann wird das nie etwas mit den beiden.«

Herr Beck nickt. »Tja. Kompliziert. Wirklich.«

Wir schweigen. Dann setzt Beck wieder an: »Im Grunde genommen kannst du nur eines machen: Lauf zur Praxis und hoffe, dass Marc das als Zeichen nimmt.«

»Als Zeichen? Für was denn? Dass ihn ein Dackel verfolgt?«

Herr Beck kichert. »Siehst du! Alles hast du dann doch noch nicht über die Menschen gelernt. Also: Wenn Menschen sich etwas sehr wünschen, neigen sie dazu, in allem ein Zeichen zu erblicken. Was es meistens gar nicht ist. Also, nehmen wir mal an, der Mensch möchte gerne Kinder haben. Dann wird er mit Sicherheit bald über einen Kinderwagen stolpern. Und es für ein Zeichen halten, dass eigener Nachwuchs angezeigt ist. In Wirklichkeit ist es natürlich nur ein Zeichen dafür, dass ihm jemand einen Kinderwagen in den Weg gestellt hat.« »Aha.«

Irgendwie verstehe ich Herrn Beck nicht ganz. Was hat denn jetzt ein Kinderwagen mit Marc und Carolin zu tun? Offensichtlich gucke ich belämmert, denn Herr Beck schüttelt den Kopf und wird gönnerhaft.

»Es ist doch ganz einfach, Herkules: Wenn Marc sich nach Carolin sehnt und dann dich sieht, wird er es für ein Zeichen halten, dass er Kontakt mit ihr suchen sollte.«

»Ja, aber so ist es doch von mir auch gemeint. Das wäre doch Absicht.«

Herr Beck schnaubt ungeduldig. »Sicher. Aber das weiß doch Marc nicht. Der kommt nicht auf die Idee, dass ein Dackel einen Plan hat. Der sieht in dir doch nur ein einfältiges Tier. Und deswegen wird er glauben, es sei ein Zeichen. Verstanden?«

Ehrlich gesagt nein, aber das traue ich mich nicht zuzugeben.

»Also laufe ich jetzt zu Marc und hoffe, dass er mich irgendwie sieht?«

»Genau. So machst du es.«


Vor der Praxis angekommen, wird mir klar, dass unser Plan einen entscheidenden Schönheitsfehler hat: Um diese Zeit ist die Straße hier ziemlich laut, einen bellenden Hund wird Marc wahrscheinlich gar nicht hören. Außerdem wird er kaum zu Hause sein, sondern vielmehr in der Praxis arbeiten. Selbst wenn ich da reinkomme, werde ich mich wohl nicht an der Frau am Tresen vorbeimogeln können. Und ohne begleitenden Hundebesitzer schmeißt die mich wahrscheinlich gleich raus. Seit meiner Jagd auf Bobo und Schneeweißchen genieße ich bei ihr bestimmt einen zweifelhaften Ruf.

Ich sitze also eine Weile auf dem Bürgersteig vor dem Hauseingang und denke nach. Weder nach Hause? Beck zur Hilfe holen? Nein, meine einzige Chance ist, in das Wartezimmer zu kommen und dort von Marc gesehen zu werden.

Als eine Frau mit einer Katze auf dem Arm den Hauseingang ansteuert, mache ich mich startbereit. Sie klingelt, die Tür geht auf, und ich schlüpfe hinter den beiden her. Die Katze beobachtet mich amüsiert. »Na, Kleiner? Heimlich zum Tierarzt? Will Frauchen nicht glauben, dass du krank bist?«

Ich schüttle den Kopf. »Ne, ich bin quasi in geheimer Mission unterwegs. Und wenn man überhaupt von Krankheit sprechen kann, dann würde ich sagen: herzkrank. Aber nicht ich, sondern mein Frauchen. Und der Herr Doktor auch.«

»So, so. Verliebt ist er also. Die Nachricht wird in dieser Praxis ja einschlagen wie eine Bombe. Schätze, die Hälfte der Patienten hier wird nur angeschleppt, weil Frauchen sich mit dem Tierarzt unterhalten will. Ich zum Beispiel werde auch deutlich häufiger entwurmt, seit Wagner die Praxis von seinem Vater übernommen hat.«

Das freut mich natürlich. Schließlich ist das Beste respektive der Beste für Carolin gerade gut genug, und man will sich ja keinen Ladenhüter einhandeln. Es verdeutlicht mir aber auch, dass ich schnell handeln muss. Die Konkurrenz steht schon in den Startlöchern.

Vor dem Tresen macht die Katzenbesitzerin schließlich Halt, um ihren Liebling anzumelden. Die junge Frau dahinter guckt erst zur Katze, dann zu mir.

»Oh, haben Sie jetzt auch einen Hund, Frau Urbanczik?«

Die schüttelt den Kopf. »Nein, warum?«

»Das kleine Kerlchen hier ist doch mit Ihnen hereingekommen.« Sie deutet auf mich.

»Ach, den habe ich gar nicht bemerkt, der muss mir einfach hinterhergelaufen sein. Aber das ist nicht mein Hund.«

Die junge Frau im Kittel schaut in den Warteraum. »Gehört irgendjemand dieser Hund?«

Auf den aufgereihten Plastikstühlen sitzen drei Menschen, sie alle schütteln wortlos den Kopf. So, wenn Wagner nicht gleich auftaucht, ist mein Plan gescheitert. Denn die Helferin wird mich bestimmt gleich rausschmeißen. Ich setze meinen mideidigsten Blick auf.

»Hm, irgendwie kommt mir der Hund bekannt vor. Aber ohne Besitzer kann ich die meisten Tiere gar nicht zuordnen.« Sie überlegt. »Was machen wir denn jetzt mit dir? Ich will dich auch nicht einfach vor die Tür setzen. Wenn du allerdings ganz allein bist, sollten wir dich vielleicht ins Tierheim bringen, bis sich dein Herrchen findet.«

WUFF! Tierheim? Auf keinen Fall! Mist, ich habe mich offensichtlich gerade selbst ans Messer geliefert. Auweia, wie komme ich hier wieder raus? Und wo bleibt eigentlich Dr. Wagner? In diesem Moment geht die Tür des Sprechzimmers auf. Ich will schon meinem Schöpfer danken, doch statt Marc Wagner kommt ein kleines Mädchen durch die Türe. Heute klappt aber auch nichts. Das kleine Mädchen guckt mich an. Es hat ganz große blaue Augen, braune lockige Haare und viele kleine braune Punkte auf der Nase.

»Na, bist du der Nächste? Wie heißt du denn?«

»Wir wissen gar nicht, wie er heißt. Er scheint einfach so hereingekommen zu sein«, erklärt die Helferin dem Mädchen. »Ich werde gleich mal beim Tierheim anrufen.«

»Och nö!«, ruft das Mädchen. »Der ist doch so süß!« Sie bückt sich zu mir und krault mich hinter den Ohren. »Dann will ich ihn behalten. Warte, ich frage gleich mal Papa!«

Die Helferin lächelt. »Aber, Luisa, so einfach geht das nicht. Ich bin mir sicher, dass der Kleine schon längst ein Herrchen oder Frauchen hat, die ihn wahrscheinlich bald vermissen werden. Das Tierheim passt nur auf, bis sich die Besitzer melden.«

Das Mädchen, das Luisa heißt, verzieht den Mund. »Er ist so niedlich. Ich will ihn behalten!« Spricht's und stampft davon in Richtung Sprechzimmer. Durch die halb geöffnete Tür hört man sie mit jemandem sprechen.

»Papa, draußen sitzt ein niedlicher Hund, der ganz allein ist. Guck doch mal, ich glaube, der braucht unsere Hilfe. Können wir ihn nicht behalten? Frau Warnke will ihn ins Tierheim bringen.«

Papa? Mit wem spricht das Kind da bloß?

Die Tür zum Sprechzimmer schwingt jetzt wieder ganz auf und heraus kommen Luisa - und Marc Wagner! Wagner ist »Papa«? Heißt das etwa, Wagner hat ein Kind? Und demnach auch eine Frau? Völlig verwirrt lasse ich mich auf den Po plumpsen.

»Herkules! Was machst du denn hier?«

»Sie kennen das Tier?«

»Ja, Frau Warnke. Das ist der Hund von Frau Neumann. Ist er wirklich allein hier?«

»Ja, er ist eben mit reingekommen, als Frau Urbanczik ihre Katze anmelden wollte. Ich dachte schon, ich müsste das Tierheim anrufen. Aber wenn Sie den Hund kennen, dann rufe ich jetzt einfach die Besitzerin an.«

Marc Wagner überlegt kurz. »Warten Sie damit noch einen Augenblick. Und du kommst mal mit rein, Herkules.«

»Ich will auch mit!«, ruft Luisa und läuft hinter Wagner her. Als wir alle im Sprechzimmer sind, schließt Wagner die Tür hinter uns. Dann hebt er mich auf den Untersuchungstisch und mustert mich.

»So, Herkules. Dann erzähl mal. Wieder jemand in Not?«

Luisa kichert. »Aber, Papa, Hunde können doch nicht sprechen.«

»Du wirst dich wundern, mein Schatz. Dieser schon!«

Genau! Zur Bestätigung belle ich einmal kurz. Luisa macht große Augen.

»Also, weiß Carolin, dass du hier bist?«

Ich schüttle den Kopf, so gut ich kann. Dann packe ich mit meinem Fang vorsichtig einen Armel von Wagners Kittel und ziehe daran.

»Ich soll mitkommen? Zu Carolin?«

Ich kläffe zweimal. Ich weiß zwar nicht, ob man als Zeichen so direkt sein darf, aber Herrn Beck kann ich schlecht fragen.

»Also, Herkules, ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist.«

Aha. Er hat nämlich schon eine Frau. Wahrscheinlich ist es das. Ich lasse deprimiert den Kopf sinken.

»Ach komm, sei nicht traurig. Ich würde liebend gerne mitkommen. Aber dein Frauchen hat eindeutig gesagt, dass sie mich nicht mehr treffen will. Glaube mir, dagegen zu verstoßen, kommt bei Frauen gar nicht gut an.«

Doch keine andere Frau? Sondern Taktik? Ich bin einigermaßen verwirrt, beschließe aber, mich davon nicht ablenken zu lassen. Offenbar hat Wagner nach wie vor Interesse an Carolin, das soll mir reichen. Vielleicht gibt es auch für alles eine gute Erklärung.

»Ich habe eine viel bessere Idee. Dafür musst du jetzt aber mal ehrlich zu mir sein. Weißt du noch, als ich dich nach deinem Anfall neulich untersucht habe?«

Wie könnte ich das vergessen? Ich versuche also wieder zu nicken.

»Sehr gut. Ich hatte damals offen gestanden den Eindruck, dass es dir ganz hervorragend geht. Ist es denkbar, dass dieser Anfall Ausdruck deines enormen schauspielerischen Könnens war?«

Ertappt. Wie peinlich.

»Also, Papa, jetzt verstehe ich gar nichts mehr.« »Warte mal ab, Luisa. So, Herkules, komm: Mach den Anfall!«

Bitte, soll das etwa ein Kommando sein? »Mach den Anfall, los!«

Na, wenn er meint. Das kann er haben. Ich lasse mich auf die linke Seite kippen und fange an, mit Vorder- und Hinterläufen gleichzeitig zu zucken. Winde mich, schäume, jaule -und achte gleichzeitig darauf, nicht vom Untersuchungstisch zu fallen. Ich finde, es ist eine ziemlich beeindruckende Vorstellung. Luisa reißt die Augen noch ein Stück weiter auf, Wagner grinst.

»Donnerwetter. Unser Dackel ist ein Staatsschauspieler. Ich hab's ja gewusst. So, braver Hund, kannst aufhören.«

Ich bleibe ruhig liegen, Luisa krault mich am Bauch.

»Das war ja wie im Zirkus, Papa!«

»Richtig.«

»Und was passiert jetzt?«

»Jetzt soll der liebe Herkules mal wieder nach Hause laufen. Und dort, Herkules, wirst du diesen schönen Anfall noch mal deinem Frauchen vorführen. Es sollte mich sehr wundern, wenn sie sich darauf nicht bei mir meldet. Und dann erscheine ich als Retter in der Not. Alles klar?«

Alles klar! Ein Spitzenplan. Er könnte glatt von mir und Herrn Beck sein. Ich springe wieder auf und belle einmal kurz. Dann hebt mich Wagner vom Tisch und bringt mich nach draußen.

»So, du weißt, was du zu tun hast. Ich warte auf Carolins Anruf!«

Ich winde mich in furchtbaren Krämpfen. Dies muss einfach die überzeugendste Darstellung sein, die ich jemals abgeliefert habe. Kaum war Daniel heute weg, schon habe ich mich noch in der Werkstatt praktisch direkt vor Carolins Füße geworfen. Die scheint mir den Anfall abzukaufen, sie ist vor Schreck ganz weiß um die Nase. Ich hoffe, sie reagiert so, wie Wagner es vorausgesagt hat.

Tatsächlich - sie holt das Telefon!

»Neumann hier. Ist Dr. Wagner zu sprechen? Danke.« Sie wartet kurz. »Hallo, Marc, hier ist Carolin. Es tut mir leid, dich zu stören, aber Herkules hat gerade wieder einen ganz furchtbaren Anfall. Viel schlimmer als beim letzten Mal. Ja? Du kommst gleich vorbei? Vielen Dank, das ist furchtbar nett von dir. Wir sind in der Werkstatt.«

Ziel erreicht! Ich kann meinen Anfall also langsam ausklingen lassen. Wurde auch ein bisschen anstrengend. Ruhig liege ich auf dem Rücken und mime den völlig Erschöpften. Carolin setzt sich neben mich auf den Boden und krault mich.

»Armer Herkules. Du tust mir so leid. Aber gleich kommt Dr. Wagner, und dann wird alles gut. Bestimmt.«

Kurz darauf klingelt es schon an der Tür. Wagner muss sofort losgestürmt sein. Er kommt rein und stellt seinen Arztkoffer neben mir ab. Dann untersucht er mich genau so wie beim letzten Mal, macht ab und zu hm, hm und setzt sich dann neben Carolin.

»Also, ich kann eine Epilepsie nun tatsächlich nicht mehr ausschließen. Ich mache dir deswegen folgenden Vorschlag:

Ich bin morgen Vormittag sowieso auf Schloss Eschersbach. Was hältst du davon, wenn ich euch beide morgen früh einsammle und wir fahren zusammen. Dann werden wir schnell herausfinden, ob Herkules wirklich ein gebürtiger von Eschersbach ist und ob es erbliche Epilepsie sein könnte.«

»Ja«, sagt Carolin leise, »das klingt nach einer sehr guten Idee. Ich komme gerne mit, vielen Dank.«

Schloss Eschersbach? Mit Carolin und Marc! Sensationell! Ich möchte am liebsten vor Freude hoch in die Luft springen, lasse es aber. Das sähe wahrscheinlich nicht sonderlich erschöpft aus.


Der Himmel ist strahlend blau. Ganz so, wie er an einem so wichtigen Tag sein muss. Und wichtig ist dieser Tag, daran habe ich keinen Zweifel. Ich werde Schloss Eschersbach und meine Familie wiedersehen. Und wenn Wagners Plan aufgeht, dann gibt es doch noch eine Chance für ihn und Carolin. Wie genau er sich das vorstellt, habe ich nicht verstanden. Aber ich verlasse mich mal darauf, dass er sich ausreichend Gedanken gemacht hat. Wie sagte Herr Beck so schön? Ein Typ, der einen Hund braucht, um die Frau seines Herzens zu gewinnen, der hat schlechte Karten. Also halte ich mich ab jetzt fein raus.

Ungeduldig warte ich darauf, dass Wagner endlich kommt. Carolin scheint auch nervös zu sein. Sie schaut immer wieder auf die Uhr. Da klopft es an die Fensterscheibe der Terrassentür. Wagner - und er hat Luisa mitgebracht.

Carolin öffnet die Tür.

»Hallo! Und? Bereit für unseren Ausflug?«

»Hallo, ja, ich bin schon fertig.« Sie schaut zu Luisa. Wagner folgt ihrem Blick.

»Ich habe heute jemanden mitgebracht, den ich dir gerne vorstellen würde. Das ist Luisa, meine Tochter. Luisa, das ist Carolin.«

Na, wenn das mal eine gute Idee war. Der Nachwuchs von fremden Dackeldamen ist bei Hündinnen jedenfalls nicht gut gelitten. Hoffentlich ist das bei Menschen anders. Ein Blick auf Carolins Gesicht sagt mir, dass es in der Menschenwelt ähnliche Spannungsfelder gibt.

»Deine Tochter? Ich verstehe nicht ganz ...«

»Ich war schon einmal verheiratet. Luisa ist meine Tochter. Sie lebt meistens bei Sabine, ihrer Mutter. Aber momentan sind Schulferien, und die verbringt Luisa immer bei mir.« Er holt tief Luft. Irgendetwas Bedeutsames muss er wohl noch sagen. »Tja, und weil ihr mir beide so wichtig seid, wollte ich, dass ihr euch kennt.«

»Du hast eine Tochter.« Carolin wiederholt es noch einmal, als hätte sie nicht richtig verstanden.

»Ja. Und was für eine. Ein tolles Mädchen.«

Luisa streckt Carolin die Hand entgegen. »Hallo!«

Jetzt lächelt Carolin. Von meinem Herzen fällt ein ziemlich großer Stein.

»Hallo, Luisa. Schön, dich kennenzulernen.«

»Darf ich mal in den Garten? Ich habe da eine Schaukel gesehen.«

»Natürlich, geh nur.«

Als Luisa gegangen ist, sagen beide erst einmal nichts. Dann räuspert sich Marc.

»Luisa ist so oft es geht bei mir. Ich möchte nämlich kein Wochenendpapa sein. Das wollte ich nie. Unter der Trennung sollte sie so wenig wie möglich leiden. Sabine und ich überlegen auch, ob Luisa demnächst ganz zu mir zieht. Sabine ist Stewardess und will jetzt wieder mehr arbeiten. Ehrlich gesagt, freue ich mich schon sehr darauf. Es wird zwar stressiger werden, aber ich möchte gerne den Alltag meines Kindes mit ihm teilen. Sie werden so schnell groß, und dann ist die Zeit vorbei und kommt nicht wieder.«

»Hast du dich deswegen so mit Nina gestritten? Weil sie dir gesagt hat, wie ätzend sie Kinder findet?«

Wagner nickt. »Auch. Aber es war nicht nur das. Schon beim zweiten Treffen war mir eigentlich klar, dass der Funke nicht so richtig überspringen will. Aber ihr Ausraster am Strand war dann schon ziemlich heftig. Ich hatte ihr noch nicht von Luisa erzählt, wollte es aber eigentlich gerade tun. Na ja. Du kennst ja die Geschichte. Für mich sind Kinder eben sehr wichtig. Mir war sofort klar, dass das keinen Sinn hat.«

»Ja, ich verstehe, dass dich das getroffen hat.«

»Tja, und als du sagtest, dass du mich erst mal nicht sehen willst, da hätte ich dir am liebsten die ganze Geschichte aus meiner Sicht erzählt. Aber du klangst so entschlossen, und ich wollte auch nicht schlecht über deine beste Freundin reden.«

Carolin greift nach seiner Hand und drückt sie. »Ich bin froh, dass du gekommen bist. Im Nachhinein habe ich mich über mich selbst geärgert. Denn eigentlich bin ich sehr gerne mit dir zusammen.«

Wagner lächelt. »Na, dann haben wir ja Glück im Unglück, dass Herkules so schwach bei Gesundheit ist.« Er zwinkert mir zu.

»Apropos Gesundheit: Meinst du, für Herkules ist es schlimm, wieder dorthin zu fahren? Ich meine, immerhin haben diese Leute ihn ins Tierheim gegeben?«

»Im Gegenteil. Er hat doch jetzt einen großen Auftritt.«

»Ach ja?«

»Na, immerhin ist er möglicherweise der angehende Hund des Tierarztes.«

Carolin schaut ihn an. »So, meinst du?«

»Ja. Möglicherweise.« Er zögert kurz. »Quatsch! Ich bin mir ganz sicher.«

Dann zieht Marc Carolin dicht an sich heran und küsst sie ganz sanft auf die Nase. In diesem Moment kommt Luisa wieder aus dem Garten zurück.

»Mensch, Papa! Du bist echt peinlich!«

Marc lässt Carolin los. »Ne, ich bin verliebt!«

Carolin stellt sich auf die Zehenspitzen und flüstert Marc etwas ins Ohr. Aber so leise kann sie gar nicht flüstern, dass ich es mit meinen hervorragenden Ohren nicht gehört hätte: »Ich bin es auch.«

Ich schaue mit dem Kopf aus dem offenen Wagenfenster, und meine Ohren wehen im Wind. Heute ist wirklich ein ganz hervorragender Tag. Carl-Leopold von Eschersbach darf auf Schloss Eschersbach zurückkehren. Ich horche kurz in mich hinein. Nein. Es ist in Wirklichkeit ganz anders, viel schöner: Herkules Neumann erweist Schloss Eschersbach die Ehre seines Besuchs.


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