VIERUNDZWANZIG

»Ah, da ist der Heldenhund!« Nina kommt auf mich zu, bückt sich und überreicht mir mit großer Geste ein Stück Fleischwurst. »Das hast du richtig gemacht, und ich hoffe, der Herr Uhland muss noch sehr, sehr lange an dich denken. Brav!«

Ich muss zugeben, dass ich diese Reaktion durchaus angemessen finde. Auch die Tatsache, dass ich letzte Nacht in Carolins Bett schlafen durfte, erscheint mir die passende Belohnung für einen mutigen Dackel wie mich. Zufrieden kaue ich auf der Wurst herum, während sich Nina noch einmal alle Details des Vorabends schildern lässt. Ab und zu stößt sie ein »Unfassbar!« oder »Gibt's doch nicht« aus, und immer wieder streichelt mich eine der beiden. Mittlerweile liege ich nämlich zwischen Carolin und Nina auf Carolins Sofa und habe alle viere von mir gestreckt. Herrlich! Ich liebe es, am Bauch gekrault zu werden! Das Leben kann so schön sein. Wahrscheinlich brauchen wir doch keinen Mann.

»Hast du das auch schon Daniel erzählt?«

»Nein, und ich glaube, das mache ich auch nicht. Wir haben uns zwar wieder vertragen, und er sagt, es sei okay. Aber trotzdem ist die Stimmung irgendwie angespannt. Da muss ich ihn nicht noch mit einer Schilderung meines grandios verunglückten Rendezvous behelligen.«

»Hm, stimmt. Aber das wird sich schon wieder einrenken, ganz sicher.«

In diesem Moment klingelt es an der Wohnungstür.

»Erwartest du noch Besuch?«

»Ne, ich hatte nur dich eingeladen. Komisch.«

»Vielleicht Fleurop mit einem Entschuldigungsstrauß von Herrn Uhland?«

»Um neun Uhr abends? Eher unwahrscheinlich. Außerdem hat der Typ mit Sicherheit kein Unrechtsbewusstsein.«

Es klingelt noch einmal. Carolin steht auf und geht zu dem Telefon, mit dem man hören kann, wer unten vor dem Haus steht.

»Hallo?«

Jetzt klopft es auch noch.

»Ich bin's, Daniel. Ich stehe schon vor deiner Tür.«

Carolin wirft Nina, die mittlerweile auch in den Flur gekommen ist, einen fragenden Blick zu, dann öffnet sie. Tatsächlich. Daniel. Allerdings sieht er irgendwie anders aus als sonst. Irgendwie - traurig. Und entschlossen.

»Hallo, Carolin. Entschuldige die späte Störung, aber ich muss unbedingt mit dir sprechen.«

Jetzt erst sieht er Nina. »Oh, hallo!«

»Hallo, Daniel! Alles in Ordnung bei dir?«

»Ja, klar. Ich muss allerdings etwas Wichtiges mit Carolin besprechen. Würde es dir etwas ausmachen, uns allein zu lassen? Ich weiß, das ist nicht gerade höflich, aber es ist wirklich wichtig.«

Ich merke, wie meine Nackenhaare anfangen, sich zu sträuben. Der Ton in Daniels Stimme verheißt nichts Gutes. Ähnliches scheint auch Nina zu denken. Sie schaut fragend zu Carolin.

»Ist schon okay, Nina.«

»Na gut, dann räume ich das Feld. Tschüss ihr beiden, bis bald.«

Als sie gegangen ist, hängt Daniel seine Jacke an die Garderobe und setzt sich auf das Sofa. Carolin folgt ihm, setzt sich aber in den Sessel gegenüber.

»Was gibt es denn so Wichtiges?«, will sie wissen.

»Ich will nicht lange darum herum reden: Ich werde im nächsten Monat für ein Vierteljahr verschwinden.«

»Was?«

»Ja. Aurora hatte mich schon vor einiger Zeit gefragt, ob ich sie auf einer Konzertreise begleiten würde. Ich soll dabei gleichzeitig Geigen prüfen, die ihr angeboten werden.«

»Du willst drei Monate mit Aurora verreisen? Das ist nicht dein Ernst!«

»Doch. Ich muss mal raus. Weißt du, ich habe gedacht, ich würde das schon hinkriegen. Das mit dir und mir. Aber ich habe mich geirrt. Ich schaffe es nicht, es tut mir zu weh, dich jeden Tag zu sehen. Und deshalb brauche ich Abstand.«

Carolin schluckt. »Das tut mir leid. Ich wusste nicht, dass es so schlimm ist.«

»Es muss dir nicht leidtun, ich wusste es ja auch nicht. Außerdem kannst du nichts dafür, dass du nicht so verliebt in mich bist wie ich in dich. So ist es nun einmal.«

»Wirst du wiederkommen? Ich meine, nach den drei Monaten?«

»Ehrlich gesagt: Ich weiß es noch nicht. Aber darüber will ich mir jetzt noch keine Gedanken machen. Ich zahle natürlich meinen Werkstattanteil weiter, mach dir darüber keine Sorgen.«

Carolin steht auf und setzt sich neben Daniel. Dann nimmt sie seine Hand und drückt sie fest. »Daniel, das ist nun wirklich das Letzte, worüber ich mir gerade Gedanken mache. Ich bin traurig, dass es so kommt, denn du bist mein engster Freund.«

»Ich weiß. Aber gerade jetzt kann ich nur schwer ertragen, dein Kumpel zu sein.«

Ich schlafe schon tief und fest, als jemand an meinem Körbchen rüttelt. Ich blicke nach oben. Es ist der alte von Eschersbach! Böse funkelt er mich an.

»Los, aufstehen, Nichtsnutz! Du hast es dir hier lang genug bequem gemacht. Ich habe beschlossen, dass Carolin Abstand braucht von dir. Mindestens drei Monate. Also nimm deinen Kauknochen und raus mit dir!«

Mein Herz fängt an zu rasen. Ich will mich verstecken. Aber wo? Von Eschersbach greift nach mir, es gibt kein Entkommen. Ängstlich jaule ich auf und versuche, mich unter meine Kuscheldecke zu ducken, aber da hat er mich schon am Schlafittchen. O nein! Ich werde wieder im Tierheim landen!

»Herkules, wach auf! Du träumst!«

Vorsichtig schaue ich hoch - und blicke in die Augen von Carolin, die mich verwundert anschaut. »Meine Güte, du machst so einen Lärm. Träumst du wieder von der Kaninchenjagd?«

Kaninchenjagd? Wenn die wüsste. Ich hüpfe aus meinem Körbchen und kauere mich ganz eng an Carolin.

»Du zitterst ja, du Armer. Ist wohl eher ein Alptraum gewesen, was? Aber tröste dich. Ich kann auch nicht richtig gut schlafen. Das mit Daniel nimmt mich doch ziemlich mit. Warum muss bloß alles immer so kompliziert sein?« Sie seufzt. Ich auch. Dass bei Menschen immer alles kompliziert ist, habe ich schließlich auch schon festgestellt. Zum Trost schlecke ich ihr die nackten Zehen ab. Sie kichert. »Das kitzelt, Herkules!«

Mit einem Griff unter mein Bäuchlein nimmt sie mich auf den Arm. »Ich habe eine sehr gute Idee, wie wir beide den Rest der Nacht etwas ruhiger verbringen können. Du darfst heute noch einmal bei mir schlafen. Mir ist jetzt auch nicht so nach allein sein. Wahrscheinlich verziehe ich dich total, aber das ist mir jetzt wurscht.«

Genau. Wurscht ist immer gut!

In Carolins Bett angekommen, kuschle ich mich gleich in eines der Kissen. Carolin legt sich auch wieder hin und streichelt mich.

»Weißt du, vielleicht war das auch alles Unsinn mit meiner Selbstfindung. Ich meine, es fühlte sich ungefähr einen Tag gut an, aber jetzt bin ich nicht mehr so sicher, ob das richtig war. Gut, Jens war ein Totalausfall. Aber Daniel ist erst mal weg. War das falsch? Ich meine, ihn gehen zu lassen? Ich wünschte, du könntest sprechen, Herkules. Deine Meinung wüsste ich nur zu gerne. Andererseits: Was hätte ich anders machen können? Das, was sich Daniel wünscht, ist einfach nicht drin. Ich bin nicht verliebt in ihn. Ich hatte selbst gehofft, ich könnte es sein. Aber es funktioniert nicht.«

Eine Weile ist sie ganz still, so dass ich schon denke, dass sie eingeschlafen ist. Aber dann redet sie weiter.

»Und bei Marc brauche ich mich wahrscheinlich auch nicht mehr zu melden. O Mann, ich glaube, ich hab's total versaut. Dabei fand ich ihn schon sehr spannend. Warum habe ich ihm bloß gesagt, dass ich ihn nicht mehr sehen will?«

Ja. In der Tat. Warum eigentlich? Kein geschickter Schachzug. Ich hab's ja gleich gesagt bzw. hätte, wenn ich denn sprechen könnte. Aber auf mich hört doch sowieso kein Mensch.

»Der Marc ist schon nett, oder?« Ich schlecke wie zur Bestätigung einmal an ihrer Wange. »lieh, Herkules! Ich glaube dir auch so, dass du ihn magst. Ich mag ihn ja auch. Ehrlich gesagt hatte mich vor allem diese Sache mit Nina gestört. Sie ist eben meine beste Freundin. Und das Gefühl zu haben, dass sie noch so in ihn verknallt ist, war nicht gerade schön. Verstehst du das?«

Plötzlich schöpfe ich wieder Hoffnung für meinen Plan vom glücklichen Familienleben. Möglicherweise kommen wir doch noch ans Ziel. Wie genau, weiß ich zwar nicht, aber das ist erst mal zweitrangig. Auf alle Fälle kann es nicht schaden, mich als Frauenversteher zu positionieren. So erzählt Carolin vielleicht noch ein bisschen über Marc. Ich gebe mir also Mühe, Carolin möglichst treu ins Auge zu blicken.

»Herrje, das ist ja ein richtiger Dackelblick. Du findest, das mit Marc war ein Fehler, nicht? Na ja, aber bei Nina hat er echt ein bisschen überreagiert. Die Arme. Gut, sie ist nicht die kinderfreundlichste, aber sie vor allen abzukanzeln? Auch nicht okay, oder?« Ich blinzele wieder und schnüffele an ihr. »Das macht ihn doch irgendwie etwas unsympathisch.«

Brrr, auf keinen Fall! Ich schüttle den Kopf und knurre ein bisschen.

»Gut, dann sind wir da eben nicht einer Meinung. Ich finde schon, dass es ihn ein wenig unsympathisch macht. Insofern war es vielleicht doch die richtige Entscheidung. Ich meine, nach Thomas ist mein Bedarf an Cholerikern echt gedeckt.«

Wuff! Was redet sie sich da bloß wieder ein? Wer weiß schon, was genau Marc zu Nina und vor allem Nina zu Marc gesagt hat. Wenn ich es recht bedenke, passt Marc von allen mit Abstand am besten zu uns. Wenn es also nach mir geht, dann sollte Carolin ihn schleunigst anrufen und die Sache mit der Selbstfindung erst einmal auf Eis legen. Das kann sie doch hinterher immer noch machen. Ich stupse sie noch einmal in die Seite. Keine Reaktion. Unglaublich. Carolin ist tatsächlich eingeschlafen. Mitten in unserem interessanten Gespräch.

Aber ich kann nicht einschlafen. Noch nicht. In meinem Kopf rattern die Gedanken. Was sagen mir die Dinge, die ich über Menschen in den letzten Wochen gelernt habe, über Carolin und die Männer? Erstens: Sie findet Marc nett. Zweitens: Sie will aber nicht mit ihm sprechen, weil ihr das Gespräch im Café mittlerweile unangenehm ist. Und drittens: Deswegen redet sie sich ein, dass es sowieso nichts geworden wäre. Genau, so muss es sein! Daraus folgt viertens: Ich muss Marc dazu bringen, mit ihr zu sprechen. Aber wie mache ich das? Wie mache ich das bloß?


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