VIERZEHN
»Ich glaube, wir brauchen gar nicht mehr zu suchen: Wir haben unseren Mann!«
Mit wichtiger Miene verkünde ich Herrn Beck am nächsten Tag meine neue Erkenntnis in Sachen Partnerwahl von Carolin. Wir sitzen unter unserem Baum im Garten und genießen die warme Nachmittagssonne.
»Wie kommst du denn darauf? Erst wart ihr mit Daniel im Park, dann beim Tierarzt, heute ist Carolin den ganzen Tag ohne dich unterwegs - wie kannst du da einen Prinzen für sie gefunden haben?«
»Ganz einfach: Wir hatten den Prinzen die ganze Zeit dabei.«
»Hä? Versteh ich nicht.«
»Daniel. Ich glaube, Daniel ist der Richtige.«
»Ach komm, das habe ich dir doch schon erklärt: Daniel scheidet aus. Wegen Zu-Nettsein in besonders schwerem Fall, strafschärfend kommt noch Gutmütigkeit hinzu.«
Herr Beck, der Anwalt. Wenn er so ist, mag ich ihn eigentlich nicht besonders.
»Hast du schon mal darüber nachgedacht, dass deine Theorie falsch sein könnte? Ich habe die beiden genau beobachtet: Erstens liegt so eine Spannung in der Luft, wenn sie zusammen sind. Ich kann es nur schwer beschreiben, aber es ist eindeutig da, auch wenn man es nicht sieht. Wie Strom auf dem Weidezaun.«
Herr Beck guckt unbeeindruckt und räkelt sich ausgiebig. »Strom auf dem Weidezaun? Du bist echt ein Landei, mein Lieber. Ich weiß überhaupt nicht, was du meinst.«
Seinen Einwand ignorierend, zähle ich meine weiteren Indizien auf: »Und zweitens hat Daniel Carolins Hand gehalten. Auf der Parkbank - sogar über meinen Rücken hinweg.«
»Na und? Die beiden kennen sich eine Ewigkeit. Was heißt das schon?«
»Und drittens hat Carolin selbst gesagt, dass sie Daniel gerne als ihren Retter hätte.«
So, Kater, und jetzt kommst du!
»Du musst noch viel lernen, mein Hundefreund. Was Menschen sagen und was sie dann tatsächlich denken und folglich auch machen, sind zwei völlig unterschiedliche Dinge. Völlig. Manchmal denke ich sogar, dass das Sprachvermögen an den Menschen komplett verschwendet ist, denn er nutzt es so gut wie nie für sinnvolle Dinge. Ehrlich, wenn die Menschen sich nicht miteinander unterhalten könnten, würde sich im Grunde genommen nichts ändern. Sie sagen sich ja doch nie die Wahrheit.«
»Das ist Quatsch. Ich glaube, du willst einfach nur Recht behalten.«
»Ich will nicht Recht behalten - ich habe Recht.«
Meine Güte, ist der heute wieder stur. Ich seufze und sage nichts mehr. Es ist schließlich wurscht, was dieser Kater denkt. Hauptsache, bei Carolin kommt wieder alles ins Lot, und wir sind bald wieder eine glückliche Familie mit Herrchen, Frauchen und Hund. Eine Weile noch schweigen Beck und ich uns an, dann beschließe ich, wieder in die Werkstatt zu trotten. Carolin ist zwar auf irgendeinem Termin unterwegs, aber vielleicht kann ich bei Daniel ein paar Streicheleinheiten abstauben.
Ich komme gerade rechtzeitig, um einen großen Auftritt von Aurora mitzuerleben. Mit weit ausholenden Armbewegungen erzählt sie über ihr letztes Konzert. Offenbar ein grandioser Erfolg, daran lässt sie keinen Zweifel. Nach meiner Kenntnis von menschlicher Erziehung ist so viel Eigenlob unfein. Der alte von Eschersbach hätte Aurora jetzt jedenfalls sehr tadelnd angeschaut. »Man tut nicht groß. Das schickt sich nicht.«, war ein beliebter Ratschlag von ihm an alle Menschen, die im Schloss ein und aus gingen. Allerdings ist von Eschersbach natürlich deutlich älter als Aurora, es ist also möglich, dass seine Ansichten schon etwas altmodisch sind. Oder aber die Sache mit dem Eigenlob gilt bei Künstlern nicht so direkt.
»Begeistert - die Leute waren einfach begeistert, Daniel. Aber ich habe mich an diesem Abend auch wirklich selbst übertroffen. Schade übrigens, dass du nicht da warst.«
»Ja, schade. Das nächste Mal komme ich - spätestens, wenn ich deine neue Geige fertig habe, versprochen.«
Aurora zieht die Nase kraus, was sehr interessant aussieht. »Hm, da habe ich doch glatt das Gefühl, dass du nur wegen der Geige kommst und nicht wegen mir.«
»Also bitte, das ist doch Unsinn, Aurora. Du weißt genau, wie gerne ich dich spielen höre. Ich bin in letzter Zeit einfach zu beschäftigt.«
»Und zwar damit, deine Kollegin zu pflegen, oder?«
»Mit Verlaub, das geht dich überhaupt nichts an.«
Daniel klingt jetzt fast ein bisschen böse. Gut so!
»Aber Recht habe ich schon! Seitdem Carolin diesen Thomas los ist, geht es bei euch drunter und drüber. Man kriegt dich kaum noch an die Strippe, Termine zu vereinbaren ist so gut wie unmöglich ... nichts gegen Liebeskummer, aber ihr habt eine Werkstatt, kein Reha-Zentrum für gebrochene Herzen.«
»Aurora, wir kennen uns jetzt fünf Jahre. Habe ich jemals schlechte Arbeit bei dir abgeliefert?« »Nein, so meinte ich das ...«
»Na also. Und hat Carolin jemals schlechte Arbeit abgeliefert?«
»Du willst mich einfach nicht verstehen - was ich sagen wollte, ist nur ...«
»Dass du dich vernachlässigt fühlst. Ja, das habe ich schon verstanden.«
»Daniel!« Auroras Stimme bekommt einen weinerlichen Unterton. »Sei doch nicht gleich sauer. Ich bin nur etwas enttäuscht, dass wir momentan so wenig Kontakt haben, das ist alles. Ich dachte, du interessierst dich für meine Kunst.«
Oh, ich wünschte, ich könnte mit den Augen rollen! Selbst ohne die professionelle Einschätzung von Herrn Beck ist mir klar, dass Aurora keinesfalls Daniels Interesse für ihre Kunst vermisst. Aber Daniel scheint diese Bemerkung ignorieren zu wollen, jedenfalls schwenkt er mit einem Mal Richtung versöhnlich.
»Lass uns nicht streiten. Ich verspreche hoch und heilig, zu deinem nächsten Konzert zu kommen. Ob mit oder ohne neuer Geige.«
Sofort strahlt Aurora ihn an und sieht dabei aus wie ein Kind. Hm, ob das bei Menschenmännern gut ankommt? Als Dackel finde ich es reichlich albern.
»Oh, danke, Daniel! Das bedeutet mir so viel! Und falls das wieder nicht klappen sollte: Zum Herbst suche ich noch jemanden, der mich auf meiner nächsten Konzertreise begleiten kann. Es geht nach Italien, und ich möchte mir gleichzeitig ein paar Geigen anschauen, die mir dort angeboten werden. Was meinst du?«
»Na ja, jetzt hast du gerade erst ein Meisterstück gekauft.
Außerdem kann ich die Werkstatt nicht so lange allein lassen.«
»Ich sehe schon, du willst nicht gleich zusagen. Aber eine Absage akzeptiere ich jetzt auch noch nicht. Da warte ich lieber noch ein bisschen.« Sie tätschelt seinen Arm. »Dann muss ich auch mal wieder los. Ich habe echt viel auf dem Zettel.«
Sie dreht sich um - und tritt mir einfach auf die Schwanzspitze. Gut, wahrscheinlich nicht in böser Absicht. Und richtig weh tut es auch nicht, dafür hat sie mich nicht genug erwischt. Aber diese Gelegenheit kommt wahrscheinlich nicht so schnell wieder, und deshalb jaule ich sofort erbärmlich und schnappe dann kurz, aber herzhaft zu. Zack. Grrr. Herrlich!
Aurora stößt einen spitzen Schrei aus und springt in die Luft. »Aua! Verdammt - spinnst du?!«
Sie starrt mich an, und ich versuche, möglichst unschuldig zu schauen und jaule prophylaktisch noch ein bisschen. Aurora reibt sich die Wade - man kann den Abdruck meiner Zähne ziemlich gut sehen.
Daniel guckt ungerührt. »Tja, da bist du dem armen Herkules wohl mächtig auf den Schwanz gestiegen. Sonst ist er ganz lieb.«
Aurora schnappt nach Luft, will anscheinend etwas Böses sagen, lässt es dann aber.
»Ein ganz Lieber, bestimmt. Grüß Carolin, bis bald.«
Dann rauscht sie raus. Daniel guckt mich an. Dann bückt er sich und streichelt mir über den Kopf.
»Gut gemacht, Dicker.«
»Wie sehe ich aus, Herkules?«
Carolin hat ein knielanges Blümchenkleid an und dreht sich vor mir hin und her. Sehr hübsch, das muss ich schon sagen. Außerdem freue ich mich natürlich, dass sie für den gemeinsamen Kochabend mit Daniel ein Blumenmuster wählt. Wenn ich Herrn Beck richtig verstanden habe, ist das doch ein klares Frauenmuster. Ich kombiniere: Carolin will eindeutig wie eine Frau aussehen. Ein gutes Zeichen! Ich setze mich vor sie und wedele mit meiner Rute.
»Aha, das gefällt dir also? Sehr schön, dann lasse ich es an. Und Haare offen lassen oder hochstecken?«
Mit einer geschickten Handbewegung dreht sie ihre langen Haare schnell nach oben und hält sie auf dem Kopf zu einem Knoten. Ich knurre kurz. Offen ist viel schöner - da sieht man die Haare doch viel besser, und kein Hund käme jemals auf die Idee, sein schönes Fell zu verstecken. Erst recht nicht, wenn es so seidig glänzt wie das Haar von Carolin. Da kann ein Rauhaardackel-Spross wie ich doch nur neidisch sein. In dieser Beziehung ist Carolin ein echter Setter, oder mehr noch: ein Golden Retriever. Sie lässt die Haare wieder nach unten fallen.
»Verstehe, offen. Tja, das sieht vielleicht besser aus, ist aber zum Kochen ein bisschen unpraktisch.«
Ich lege den Kopf schief. Ne, offen ist viel schöner!
»Okay, wie wäre denn ein Kompromiss: Beim Kochen stecke ich sie hoch, dann mache ich sie wieder auf. Genau. Gute Idee. Danke, Herkules!«
Bitte, gerne. Ich freue mich, wenn ich helfen kann.
Gut gelaunt läuft Carolin durch die Wohnung und räumt Sachen hin und her. Sie deckt den Tisch, öffnet wieder eine dieser grässlichen Flaschen und gießt den Inhalt mit Schwung in eine andere, größere und rundlichere Flasche. Ein Schwung roter Flüssigkeit landet in dem Gefäß. Sieht ganz hübsch aus, aber was das soll, ist mir schleierhaft. Ich habe es allerdings auch schon das ein oder andere Mal beim alten Eschersbach beobachtet. Vielleicht ein Ritual? Ein Zauber? Für einen gelungenen Abend? Als Dackel bin ich nicht besonders abergläubisch, aber wenn es heute hilft, soll es mir recht sein. Es wäre zu schön, Becks dummen Gesichtsausdruck zu sehen, wenn ich ihm erzählen könnte, dass Carolin und Daniel doch ein Paar geworden sind.
Es klingelt an der Tür. Das ist bestimmt Daniel. Mann, bin ich aufgeregt! Carolin anscheinend auch, denn sie stürzt zur Tür, legt aber dann eine Vollbremsung vor dem Spiegel rechts daneben hin und mustert sich noch einmal kritisch, bevor sie aufmacht. Erwartungsvoll hefte ich mich an ihre Fersen und gebe das unterstützende Empfangskomitee. Carolin reißt die Tür auf, ich mache Männchen - es ist Nina. Och nö! Was will die denn hier?
»Was willst du denn hier?«
»Das nenn ich mal einen herzlichen Empfang! Danke, mir geht es auch gut, und ich komme gerne rein.«
»Du, das passt mir eigentlich gerade nicht so gut.«
»Hm, ich sehe schon. Du bist für deine Verhältnisse ja regelrecht aufgebrezelt. Wer kommt denn?«
»Daniel. Wir wollen etwas kochen.«
»Ach so, Daniel. Dann kann ich doch wohl einen Moment bleiben. Ich dachte, du hättest ein Date.«
Carolin seufzt, dann tritt sie einen Schritt zur Seite. »Was gibt's denn so Dringendes?«
»Ich glaube, Marc Wagner ist doch nicht so mein Fall.«
»Aha. Wie kommt es denn zu diesem plötzlichen Sinneswandel?«
»Hm, erklär ich dir gleich. Kann ich ein Glas haben?« Sie deutet auf die bauchige Glasflasche, in die Carolin eben die andere Flasche gegossen hat. »Ich muss erst mal was trinken. Mein gestriger Abend war eine echte Pleite.«
»Ja, aber eigentlich wollte ich wirklich ...«
»Danke, das kann ich jetzt gut gebrauchen.« Nina holt sich ein Glas aus dem Schrank, schenkt sich ein und schnuppert kurz an dem roten Zeug. »Hm, lecker, das ist ja ein edler Tropfen. Gibt's irgendetwas Besonderes zu feiern? Wieder irgendeine Hunderttausend-Euro-Geige für Aurora ersteigert?«
»Nein, ich wollte einfach nur nett mit Daniel kochen und ein Glas Wein trinken.« Carolin wirft Nina einen bösen Blick zu, was die aber nicht sehen kann, weil sie zu sehr mit ihrem Glas beschäftigt ist.
»Na, da habt ihr ja Glück, dass ich spontan dazustoße, sonst würdet ihr doch den ganzen Abend wieder nur über den Job reden.«
Ich merke Carolin an, dass sie dazu gerne etwas sagen würde, aber in diesem Moment klingelt es schon wieder an der Tür. Daniel.
»Wow, Carolin, du siehst toll aus!« Er begrüßt sie mit einem Küsschen auf ihre linke und rechte Wange. Das habe ich vorher noch nie bei den beiden gesehen - ich wusste doch, dass meine Theorie richtig ist. Dann sieht er Nina. »Oh, hallo, wusste gar nicht, dass du auch da bist.« Er klingt enttäuscht, und so gut kenne ich die Menschen mittlerweile, um zu wissen, dass er es auch ist. Nur Nina scheint davon rein gar nichts zu bemerken, sie winkt ihm fröhlich zu.
»Ja, ich habe mich spontan eingeklinkt. Mir war zwar eher nach einem Frauenabend, aber du kannst ruhig dableiben.« Sie lacht.
Daniel ringt sich ein Lächeln ab. »Angesichts der Tatsache, dass ich im Gegensatz zu dir einer Einladung folge, ein sehr großzügiges Angebot.«
»Bitte sehr.«
Nina strahlt Daniel an. Offenbar ist sie nicht dazu zu bewegen, Leine zu ziehen. »Was kochen wir denn?«
Sie geht Richtung Küche, Carolin guckt Daniel an und zuckt mit den Schultern. Dann folgen beide Nina. Vor dem Kühlschrank angekommen, bleiben die drei stehen.
»Ich habe alles für ein Coq au vin vorbereitet. Wir müssten nur noch gemeinsam Kartoffeln schnippeln, während das Hühnchen im Ofen brutzelt. Also dann setzt euch mal, ich gebe euch Schälmesser.«
Carolin, du bist echt zu gut für diese Welt. So werden wir Nina nie los. Und du und Daniel nie ein Paar. Und ich nie der Super-ich-habs-schon-immer-gewusst-Dackel.
Es kommt wie befürchtet: Nach einer halben Stunde ist Nina immer noch da. Kein Wunder, verströmt das Hühnchen mittlerweile einen ziemlich verführerischen Duft. Da will sie natürlich einen Bissen von abhaben, und ich kann es ihr nicht einmal verdenken. Auch ich spekuliere schon auf einen kleinen Happen. Um meine Ausgangsposition zu verbessern, schlüpfe ich neben Carolin, die mittlerweile auf der Küchenbank sitzt, lege meinen Kopf auf ihren Schoß und gucke sie so herzerweichend wie nur möglich an. Leider mit mäßigem Erfolg, denn Carolin, Nina und Daniel sind so in ihr Gespräch vertieft, dass sie mich gar nicht bemerken.
»So, und Dr. Wagner ist nun also doch nicht der Traumtyp?«
Wie kann man sich nur ständig über einen Tierarzt unterhalten? Und dann mit dieser Diagnose? Mit Verlaub, die stand doch wohl schon vorher fest. Tja, Nina, hättest du mich mal gefragt, ich hätte es dir gleich gesagt. Nina schenkt sich noch ein Glas ein.
»Wir waren jetzt schon dreimal verabredet. Es ist auch jedes Mal nett und witzig - aber ansonsten passiert gar nichts. Und heute war es noch nicht einmal besonders nett, weil unser Strandausflug leider von mehreren Großfamilien mit ihren ungezogenen Gören boykottiert wurde. Nervig, das.«
»Mensch, und das, wo du doch eine bekennende Kinderfreundin bist. Dann muss es ja wirklich schlimm gewesen sein.«
Täusche ich mich, oder macht sich Daniel über Nina lustig. Wird wohl so sein, die reagiert nämlich sehr gereizt.
»Na und? Es träumt eben nicht jeder von einer Kinderschar. Nur, weil ich eine Frau bin, muss ich nicht Mutter sein wollen.«
Daniel hebt beschwichtigend die Hände. »Ist ja gut. Dann eben keine Kinder. Muss ja nicht.«
»Na, jedenfalls passiert bei Marc und mir absolut nichts. Und so hat's ja keinen Sinn. Ich suche schließlich keinen Kumpel, sondern einen Lover. Vielleicht ist Marc ja schwul?«
Schwul? Was mag das sein? Ein anderes Wort für schüchtern?
Daniel grinst. »Nicht jeder Mann, der nichts mit dir anfangen will, muss automatisch schwul sein. Sieh mich an, ich bin der lebende Beweis.«
Nina guckt ihn böse an. Hm, es muss irgendetwas anderes bedeuten als schüchtern.
»Vielen Dank auch für die Blumen. Und keine Sorge, ich werde mich dir nicht unsittlich nähern.«
»Gut, dann wäre das ja geklärt«, ruft Carolin betont fröhlich. »Ich schlage vor, wir essen jetzt mal was.«
Eine ganz ausgezeichnete Idee. Schnell setze ich wieder meinen treusten Dackelblick auf. Und diesmal reagiert Carolin.
»Schätze, Herkules hätte auch gerne einen kleinen Appetizer. Wenn ich gewusst hätte, dass wir zu viert sind, hätte ich mehr gekauft.«
»Na hör mal, du willst mich jetzt nicht mit einem Hund gleichsetzen, oder? Außerdem hat mir niemand gesagt, dass heute Abend ein Kochevent stattfindet. Sonst hätte ich mich ordnungsgemäß angemeldet. Oder ...«, Nina stockt einen kurzen Moment, »oder wolltet ihr allein sein?«
Richtig geraten!, möchte ich rufen, aber weder Carolin noch Daniel entgegnen hierauf etwas. Stattdessen holt Carolin den Bräter aus dem Backofen. Eine warme Wolke Hühnchentraum schwebt zu mir herüber. Hm, lecker! Ich schlecke mit der Zunge einmal um meine Lefzen herum. Nina sieht das und guckt mich nachdenklich an.
»Sag mal, Coq au vin - ist das wohl das Richtige für einen Hund? Immerhin ist da Alkohol drin.«
Na, das ist wohl das Letzte! Sich erst selbst einladen und mir dann meine Pordon streitig machen. Frechheit! Ich knurre sie an.
»He, ist ja schon gut! Ich möchte nur nicht, dass du morgen einen Kater hast.«
In welchem Zusammenhang steht denn Herr Beck nun wieder mit dem Hühnchen? Ich sag mal, wie es ist: Für meinen Geschmack wird heute Abend entschieden zu viel geredet. Und das ist alles Ninas Schuld. Dabei sah alles so gut aus - ohne die dumme Kuh hätte Daniel bestimmt wieder nach Carolins Hand gegriffen, vielleicht hätten sich die beiden sogar schon geküsst. Ich beschließe, in den weiteren Verlauf des Abends einzugreifen. Aber erst, nachdem ich endlich auch etwas zu fressen bekommen habe!
Daniel, der alte Hundefreund, bereitet tatsächlich einen kleinen Teller für mich vor. Feinstes Hühnerfleisch, ohne Knochen, ohne Sehnen. Es riecht himmlisch, aber auch ein wenig ungewohnt. Das liegt bestimmt an der roten Flüssigkeit, die Carolin nicht nur in die andere Flasche, sondern auch reichlich in den Bräter gegossen hat. Ob das der Alkohol ist? Und warum soll der schädlich sein? Oder ist das genau das Zeug, das Carolin ins Krankenhaus befördert hat? Ach, egal, Appetitt siegt über Misstrauen, und nach dem ersten Bissen bin ich wie verzaubert, so grandios schmeckt es. Ich muss mich sehr beherrschen, nicht einfach alles in mich hineinzuschlingen. Nach fünf Happen ist der Traum leider vorbei, ordentlich lecke ich meinen Teller ab, um nur ja keinen Tropfen der köstlichen Sauce zu vergeuden.
Den anderen schmeckt es leider genauso gut, ein Nachschlag ist also illusorisch. Macht aber nichts, denn nun startet die Aktion Freiheit für Carolin und Daniel. Ich flitze aus der Küche zur Garderobe und schnappe mir meine Leine. Mit dieser im Maul renne ich zurück und mache direkt vor Nina Männchen. Sie guckt mich erstaunt an.
»Willst du etwa mit mir Gassi gehen?«
Aber natürlich! Zur Bestätigung hüpfe ich auf und ab.
»Och nö, ich sitze hier gerade so schön. Frag doch lieber dein Frauchen - oder noch besser, frag doch mal den Onkel Daniel.« Sie grinst Daniel an.
»Verstehe, ihr wollt noch ein bisschen Hardcore-Frauengespräche führen. Na komm, Herkules, dann drehen wir eine Runde um den Block.«
Nein! Auf keinen Fall! Das ist doch das genaue Gegenteil von dem, was ich wollte! Schnell lasse ich die Leine fallen und renne aus der Küche. Leider deutet Daniel dies völlig falsch und kommt mit der Leine hinter mir her Richtung Wohnungstür. Ich knurre kurz, aber es hilft nichts: Daniel zieht sich seine Jacke über, dann leint er mich an und zwei Minuten später stehen wir auf dem Bürgersteig vor dem Haus. Wortlos marschieren wir los. Als wir im Park ankommen, räuspert sich Daniel.
»Wahrscheinlich ist es komisch, sich ausgerechnet mit einem Hund darüber zu unterhalten - aber du bist momentan der einzige Mann in der Nähe, und ich muss dringend meinen Frust loswerden. Denn wenn ich ehrlich bin, habe ich mir den heutigen Abend etwas anders vorgestellt. Romantischer. Inniger. Und vor allem: zweisamer. Was in aller Welt hatte Nina denn bei unserer Verabredung zu suchen? Kannst du mir das mal erzählen, Herkules?«
Ich schüttle den Kopf und hoffe, dass Daniel diese Meisterleistung an Kommunikation Hund - Mensch erkennt.
»Ach, ich weiß auch nicht - ich dachte, irgendwie sei da mittlerweile mehr zwischen Carolin und mir. Aber offensichtlich war sie heute Abend ganz froh über Ninas Spontanbesuch.«
Ich belle kurz.
»Oder nicht? Aber warum hat sie dann nichts gesagt?«
Betrübt lasse ich die Ohren hängen. Das, mein lieber Daniel, weiß ich ehrlich gesagt auch nicht. Ich finde auch, dass sie Nina hätte vor die Tür setzen können. Schweigend laufen wir nebeneinander her.
»Aber es ist wahrscheinlich meine eigene Schuld. Ich muss deutlicher zeigen, dass Carolin für mich mehr als nur eine Kollegin und Freundin ist. Sonst wird sie mich ewig nur für den netten Kumpel Daniel halten. Ich muss endlich handeln.«
Eine gute Idee! Ich wäre jedenfalls schwer dafür und springe deswegen kurz an Daniels Bein hoch.
»Das glaubst du auch, was?« Er sieht sich um, dann lacht er auf. »Ob mich jemand dabei beobachtet, wie ich Männergespräche mit einem Dackel führe? Und ob man deswegen eingewiesen werden kann? Sieht bestimmt ziemlich gaga aus.
Egal. Wir drehen noch unsere Runde zu Ende, dann werde ich meinen neuen Entschluss in die Tat umsetzen.«
Das ist doch mal ein Wort! Sofort lege ich einen Zahn zu. Ab nach Hause!
Wieder in der Wohnung, ist Nina endlich gegangen. Carolin räumt die Küche auf und begrüßt uns fröhlich.
»Da seid ihr ja wieder! Hat dir der Spaziergang gefallen, Herkules? War für dich bestimmt ein langweiliger Abend - zu viel Gerede, oder? Aber dass dir mein Hühnchen geschmeckt hat, freut mich natürlich.«
»Mir hat es übrigens auch sehr gut geschmeckt. Nochmals vielen Dank für die Einladung. Wollen wir noch ein Glas Wein trinken?«
»Ja, warum nicht. Ich bin allerdings schon ziemlich müde. Spät wird's bei mir heute nicht.«
Sie holt zwei neue Gläser aus dem Küchenschrank und stellt sie neben die Flasche, die noch auf dem Küchentisch steht. Daniel gießt ein und gibt Carolin ein Glas.
»So, bitte schön. Auf unseren Kochabend zu zweit!«
Beide lachen.
»Hm, offensichtlich war Nina wild entschlossen, alle unsere Hinweise zu ignorieren. Aber sie hat sich so in diese Tierarzt-Geschichte verrannt, da brauchte sie heute ganz dringend seelischen Beistand. Tut mir leid, ich hatte mir den Abend auch anders vorgestellt.«
»Schon in Ordnung, mit weiblicher Solidarität kann ich leben. Ich hatte schon befürchtet, dir wäre Ninas Besuch ganz recht gewesen.«
Carolin schüttelt den Kopf und gähnt. »Auf keinen Fall. Aber jetzt muss ich wirklich ins Bett. Habe morgen einen Auswärtskundentermin - und das leider schon um acht Uhr. Lass uns mal einen neuen Termin für unser Kochevent suchen - und das findet dann an einem geheimen Ort statt.«
Sie steht auf, Daniel ebenfalls. Na super, so viel zum Thema ich muss mal handeln. Jetzt geht Daniel nach Hause und passiert ist immer noch nichts. Was für eine Pleite. Damit brauche ich mich bei Herrn Beck nicht blicken zu lassen. Er hatte eben doch Recht. Daniel ist echt zu nett. Und zu lahm.
Die beiden stehen im Flur, und Carolin öffnet Daniel die Tür. Einen kurzen Moment lang sieht es so aus, als würde er an ihr vorbeigehen, doch dann zögert er - und schließt die Tür wieder.
»Du, Carolin, ich muss dir etwas sagen. Ich, äh, nein, ich muss etwas machen.«
Dann legt er seine Hände auf ihre Schultern, zieht sie zu sich heran und - küsst sie. Auf den Mund. Genauso schnell wie das passiert ist, lässt er sie dann wieder los, murmelt ein undeutliches Tschüss und verschwindet.