Vier

1901


Isabella kann nur dem Meer vertrauen. Sie hat keinen Boden unter den Füßen, daher krallt sie die Zehen vorsichtig in die Planken des Decks, während sie die gewaltigen Wellen unter sich dahinrollen sieht. Die Sonne scheint hell, und der Wind lässt die Segel flattern und die Klemmen rasseln. Still fleht sie den Ozean an: Bewahre uns, denn wir sind keine Fische; wir sind Männer und Frauen und weit entfernt vom Land. Bei jedem Wetter kommt sie morgens nach draußen und spricht ihr kleines Gebet. Bisher sind sie sicher gewesen. Und während ihr Verstand ihr sagt, dass nicht das Gebet dafür verantwortlich ist, vermutet sie es dennoch in einem abergläubischen Winkel ihres Herzens.

»Stellst du dich wieder zur Schau, Isabella?«

Isabella dreht sich um. Ihr Mann Arthur steht nur wenige Schritte entfernt vor dem Deckshaus. Er hat die Arme verschränkt und die Stirn unter dem dünnen, hellen Haar gerunzelt. Sein üblicher Gesichtsausdruck, jedenfalls ihr gegenüber.

»Du brauchst dich nicht zu ärgern«, sagt sie, gewiss ein wenig zu kühn für seinen Geschmack, »niemand kann mich hören.«

»Alle wissen, dass du hier stehst, die Lippen bewegst und mit dem Himmel redest.«

»Eigentlich rede ich mit dem Meer«, erwidert sie und geht zur Treppe.

»Schuhe, Isabella. Wo sind deine Schuhe?«

Heute sind es also die Schuhe. Gestern war es das offene Haar. Vorgestern waren es die Handschuhe. Handschuhe! Warum besteht er darauf, dass sie sich wie zum Nachmittagstee kleidet, wenn sie einfach nur an Deck frische Luft und Sonnenschein genießen will? Gewiss interessiert sich auf diesem elenden Schiff niemand dafür, was sie anhat. »Meine Schuhe sind in unserer Kabine, Arthur.«

»Hol sie. Zieh sie an. Ich kann es ertragen, dass du ohne Hut und Handschuhe gehst, aber Schuhe sind eine Notwendigkeit.« Er senkt wie so oft den Blick zu dem schwarzen Band, das sie ums Handgelenk trägt. Seine gewöhnlich frische Gesichtsfarbe vertieft sich zu einem dunklen Rot.

Sie zieht den Ärmel darüber. Heute will sie nicht deswegen streiten. Warum bestehst du darauf, diesen alten Fetzen zu tragen? Die Winterbournes sind weltberühmte Juweliere, und du hast ein Band aus Stoff am Arm? Du trägst nicht einmal deinen Ehering. Sie will ihm nicht noch einmal sagen, dass er ihr nicht passt, denn sie vermutet, dass er ihn absichtlich so eng gemacht hat, damit ihre Hand in der Falle sitzt.

Er schüttelt leicht den Kopf. »Kümmere dich um dein Aussehen, Isabella. Denk an den guten Ruf des Namens Winterbourne.«

»Na schön, Arthur.« Sie interessiert sich überhaupt nicht für den Namen Winterbourne und kaum mehr für ihren Ehemann. Früher war sie genau wie andere Frauen; früher hatte sie ein weiches Herz. Doch die Zeit und der Kummer haben ihre Gefälligkeit zerstört, haben sie ausgehöhlt, bis kaum noch etwas davon übrig ist. Sie geht unter Deck, denkt aber nur halbherzig an ihre Schuhe und bleibt zögernd vor dem Salon stehen. Von hier aus kann sie zum dunklen Ende des Schiffes blicken, einem Ort, der so erfüllt ist von der eingefangenen Düsternis und dem Geruch ungewaschener Männer, dass sie kaum atmen kann. Die Mannschaft besteht aus siebzehn Leuten, und selbst nach acht Wochen auf See kennt sie nur den Namen des Kapitäns und des Ersten Offiziers. Sie ist gleichzeitig verängstigt und gefesselt von ihrer rauhen Männlichkeit. Meggy, die im Salon sitzt und strickt, ruft nach ihr.

Isabella dreht sich um und lächelt ihrer Freundin zu. Ein Schiff ist kein Ort für eine Frau, für zwei Frauen ist es immerhin erträglich. »Schuhe.«

Meggy verzieht ihr hübsches Gesicht. »Ja, man muss Schuhe tragen. Überall liegen scharfe und harte Gegenstände herum.«

»Aber ohne Schuhe kann man viel leichter die Treppen steigen.« Die Treppe zwischen Haupt- und Zwischendeck hat Ähnlichkeit mit einer Leiter. Durch die kleinen, runden Fenster fällt Licht in den Salon. Der Esstisch aus Mahagoni, die bestickten Kissenhüllen und die Hängelampe bieten einen Anschein zivilisierter Behaglichkeit. Der ordentlich aufgeräumte Schreibtisch des Kapitäns steht unter einem Bullauge. Darauf liegen Bücher und Landkarten, obwohl es Isabella überraschen würde, wenn er tatsächlich läse, und noch mehr, wenn er angesichts der furchterregenden Mengen Whisky, die er täglich konsumiert, eine Landkarte studieren könnte. Isabella setzt sich, noch immer barfuß, neben Meggy und greift nach ihrem Stickrahmen.

»Du willst doch nicht auf einen Nagel treten«, sagt Meggy. »Das blutet viel mehr, als wenn du die Treppe hinunterfällst.« Sie spricht mit der müden Autorität eines Menschen, der viele Schiffsreisen erlebt und viele Verletzungen gesehen hat. Was auch stimmt. Denn Meggy Whiteaway ist einer der Gründe, aus denen Isabella hier ist. Meggy reist viel mit ihrem Mann, dem Kapitän, und sehnt sich nach weiblicher Gesellschaft. Das Leben auf einem Frachtschiff ist keine natürliche Umgebung für eine Frau, und Meggy hat Isabella seit Jahren bedrängt, eine Reise mit ihnen zu unternehmen. Arthur und der Kapitän sind alte Schulfreunde. Isabella hat Meggy am Tag ihrer Hochzeit kennengelernt und immer gemocht oder Mitleid mit ihr gehabt oder vielleicht auch beides.

Ein weiterer Grund, aus dem Isabella hier ist, ist natürlich der Amtsstab. Er wurde von der Königin in Auftrag gegeben, von Arthur Winterbourne entworfen, liebevoll auf britischem Boden angefertigt und soll in Sydney der neuen australischen Regierung übergeben werden, um den Zusammenschluss der Kolonien zu feiern. Arthur wollte ihn persönlich überbringen, also ist Isabella mitgekommen. Es schien besser, als in Somerset zu bleiben und seiner giftigen Familie ausgeliefert zu sein.

Doch Isabella kennt den dringendsten Grund, aus dem sie sich an Bord der Bark Aurora befindet. Sie ist hier, weil es zumindest zeitweise die Frage beantwortet, was aus Isabella werden soll, eine Frage, über die hinter vorgehaltener Hand im Empfangszimmer ihrer Schwiegermutter getuschelt wird und die sie auch in den Augen ihres Ehemannes liest. Es hat eine Zeit gegeben, in der sie sich für die ganze Sorge und Schande geschämt hätte, die sie über die Familie gebracht hat. Doch die gesellschaftliche Scham wurde völlig bedeutungslos, als sie Daniel verlor.

»Geht es dir gut, Isabella?« Meggys runde blaue Augen sind weich vor Sorge. »Du siehst sehr blass aus.«

Isabella kämpft mit den Tränen. Isabella kämpft immer mit den Tränen. Sie springt von ihrem Stuhl hoch. »Meine Schuhe«, sagt sie halb zur Erklärung und begibt sich in ihre stille Kabine.


Isabella wird früh wach. Sie liegt in ihrem schmalen Bett und denkt an die kalte Übelkeit, die nur Mütter erleben, die ein Kind verloren haben. Jeden Tag beim Aufwachen verschont sie das Gefühl für wenige Sekunden, doch dann bricht die Traurigkeit wieder über sie herein und erinnert sie daran, dass ihr Leben zerstört ist. Der Sturz von der Unwissenheit ins Wissen ist qualvoll. Sie würde lieber aufwachen und sofort traurig sein. Doch diese wenigen Sekunden verspotten sie jeden Morgen: Sie sind eine falsche Zeit, das grausame Versprechen von Glück, das nicht gehalten werden kann, so wie die fünfzehneinhalb Tage, die Daniel gelebt hat.

Doch das Leben geht weiter, und Isabella weiß, dass sie aufstehen und an Deck muss, um ihr kleines Gebet für den Ozean zu sprechen. Sie schlüpft durch die vordere Luke und sieht Meggy mit verzweifelter Miene im Freien sitzen. Das Morgenlicht fängt sich in ihrem rotgoldenen Haar. Neugierig geht Isabella näher heran und setzt sich neben sie. Arthur beklagt sich oft darüber, dass sie und Meggy »wie Kinder auf dem Schiff hocken«. Damen, so denkt er, sollten niemals woanders als auf einem Stuhl sitzen. Doch vor dem Steuerrad des Schiffes kann man wunderbar kauern, die Knie unters Kinn ziehen und sich vorstellen, man bewege sich am äußersten Rand der bekannten Welt entlang, den Sonnenschein im Haar.

Anfangs hatte Isabella noch auf Anstand und Schicklichkeit geachtet, doch je weiter sie sich von zu Hause entfernte, desto schneller legte sie ihre Manieren ab. Als sie von Bristol den Avon hinuntersegelten, vorbei an den St. Vincents Rocks, trug sie noch Hut und Handschuhe. Als sie nur zwei Tage später mit heftigen Winden zu kämpfen hatten und sie nicht aufstehen konnte, ohne sich zu übergeben, entfernte sie alsbald alles, was sie daran hinderte, schnellstmöglich zur Reling zu gelangen. Nach drei Wochen hatten sie die Passatwinde erreicht, und die Schnelligkeit des Schiffes und die drückende Wärme brachten sie dazu, ihr Korsett abzulegen. Zum ersten Mal seit ihrer Kindheit konnte sie frei atmen.

»Schon so früh auf, Meggy?«

Meggy blickt zum Achterdeck, nicht zum Bug. »Konnte nicht schlafen.« Ihre Augen folgen jemandem auf dem Hauptdeck, auf der anderen Seite des Steuerrads. Isabella betrachtet sie kurz, bevor sie merkt, dass Meggy den Ersten Offizier beobachtet.

»Interessierst du dich heute Morgen für Mr. Harrow?«, fragt sie sanft und lehnt sich flüchtig an ihre Freundin.

Deren Augen kehren mit einem Zucken zu Isabella zurück. »Ist er nicht prachtvoll?«

»Prachtvoll ist vielleicht nicht das Wort, das ich verwenden würde.« Isabella dreht sich um, um ihn in Augenschein zu nehmen. Er spricht mit zwei Seeleuten weiter unten auf dem Achterdeck. Er ist ein kleiner Mann, kleiner als Isabella, doch das ist Meggy vielleicht egal, denn sie ist eine winzige Frau mit glockenförmigem Körper. Isabella trägt einen inneren Kampf aus. Sie will Meggy schützen, ist aber auch entrüstet über deren Torheit. Frauen, die mit dem doppelten Fluch von Schönheit und guter Familie geschlagen sind, entscheiden nicht selbst, wen sie lieben. »Meggy, du weißt, wie gefährlich es ist, ihn heimlich zu lieben.«

»Ich liebe ihn nicht, Isabella. Ich bewundere ihn nur so sehr. Seine Frau Mary ist letztes Jahr gestorben. Er hat sie bis zum Ende gepflegt; er war dabei, als sie ihren letzten Atemzug tat.«

»Woher weißt du das?«

»Ich habe auf unserer letzten Reise gehört, wie er Francis davon erzählt hat. Findest du es nicht wunderbar, wenn ein Mann so sehr liebt? Männer sind angeblich so stark und hart, können aber tief im Herzen ganz weich sein.«

Isabella antwortet nicht. Sie stellt sich vor, sie wäre krank und läge im Sterben. Arthur würde sich einfach fernhalten, bis es vorbei ist. Genau wie damals, als Daniel starb. Isabella sah ihn erst nach der Beerdigung, die ohne ihr Wissen stattfand. Arthur hatte befürchtet, sie könnte eine Szene machen.

»Wie furchtbar traurig für ihn, so jung Witwer zu werden«, haucht Meggy. »Welches Unglück er erleiden muss.«

Isabella schaut sie an. Tränen schimmern in den Augen ihrer Freundin. Sie spürt einen zornigen Knoten in sich. Meggy hat nicht einmal mit ihr um Daniel geweint, und ein Kind zu verlieren ist viel schlimmer, als eine Frau zu verlieren. Meggy, die nie ein eigenes Kind hatte, sagte nur: »Du wirst noch eins bekommen, und dann verwandelt sich die Traurigkeit in Sonnenschein.« Als wäre ein Kind ein zerbrochenes Teeservice, das man ohne weiteres ersetzen kann.

Dann überkommt Isabella ein teuflischer Impuls.

Sie steht auf und ruft: »Mr. Harrow!«

Meggy zieht die Knie an die Brust und erinnert Isabella an eine Spinne, die man mit dem Besen bedroht. »Isabella, nicht!«, zischt sie.

Aber es ist zu spät. Mr. Harrow wendet sich zu ihnen und winkt. Meggy steht auf, will fliehen. Isabella winkt Mr. Harrow mit einer Hand, während sie Meggy mit der anderen am Oberarm packt. Isabella ist groß, stark und königlich; Meggy kann ihr nicht entkommen. Mr. Harrow nähert sich neugierig, sein rosiges Gesicht glänzt.

»Ja, Mrs. Winterbourne?«

Meggy hat sich abgewandt, tiefrot vor Verlegenheit. Ein erstes Bedauern regt sich in Isabella, doch es ist zu spät. Ihr Mund hat die Worte schon geformt. »Mrs. Whiteaway und ich haben ein wenig geplaudert, und wie es scheint, bewundert Mrs. Whiteaway Sie sehr.«

Nun ist es an Mr. Harrow, vor Verlegenheit zu erröten, und Isabella spürt, dass der boshafte Funke, der sie zu diesem Unsinn getrieben hat, unwiderruflich erloschen ist. Die Scham kriecht über ihre Haut. Sie lässt Meggy los, die an ihnen vorbeiläuft und schluchzend in der Luke verschwindet. Mr. Harrow schaut ihr nach und wendet sich zu Isabella. Sie kann seine Miene nicht deuten. Ist er wütend? Verwirrt? Oder auch in Meggy verliebt?

Natürlich ist er das. Sie reisen gemeinsam um die Welt, und es heißt immer »Mrs. Whiteaway« dies und »Mr. Harrow« das, und sie senken die Augen, wenn sie in den schmalen, holzgetäfelten Gängen aneinander vorbeigehen.

»Es tut mir leid«, stößt Isabella hervor. »Ich weiß nicht …« Sie verstummt, nickt einmal und begibt sich auf das hintere Deck, um dem Ozean ihr Morgengebet darzubringen.

Vermutlich wird Meggy den Rest der Reise über nicht mehr mit ihr sprechen, und einige heiße Augenblicke lang kümmert es sie nicht. Doch dann verzweifelt sie, weil sie so zerbrochen ist, dass sie sich selbst dann nicht mehr zusammenfügen kann, wenn es die Situation erfordert. Sie ist zu zerbrochen, um sich unter Menschen zu bewegen, deren Herzen noch heil sind.


Das Schiff ist groß, aber die Räume liegen sehr eng beieinander. Isabella und Arthur haben schmale Kojen in dem Raum, der sonst dem Bootsmann als Kajüte dient und der auf auf dieser Reise mit der Mannschaft am dunklen Ende des Schiffes schläft. Nachts knarrt das Schiff. Draußen tobt der Wind. Die See klatscht gegen die Planken. Dennoch hat Isabella in ihrem Leben noch nie so gut geschlafen, weil sie der Ozean jeden Abend in den Armen wiegt.

Wenn sie nachts auf ihrem Bett liegt, kann sie Arthur und den Kapitän im Salon reden hören. Sie wissen nicht, dass sie sie hören kann, denn sie sprechen klar und deutlich über sie. Ihr Körper verkrampft sich, als ihr Name genannt wird.

»Meine Frau ist heute Abend untröstlich, Winterbourne. Isabella hat wohl etwas Albernes getan.«

Arthur räuspert sich. Getränke werden eingegossen. »Hat Meggy gesagt, was es war?«

»Nein, sagte sie nur, es sei ihr furchtbar peinlich, und sie sei fuchsteufelswild.«

Isabellas Herz fällt in sich zusammen. Meggy hat sich gegen sie gewandt. Sie weiß, warum, fühlt sich aber dennoch hintergangen. Warum kann niemand freundlich zu ihr sein? So freundlich, wie sie es nötig hat? Ist da etwas in ihrem Gesicht oder ihrer Haltung, das Menschen zur Unfreundlichkeit einlädt?

»Ach. So ist Isabella«, knurrt Arthur. »Sie war nicht immer so, Francis. Als ich sie geheiratet habe, war sie viel umgänglicher. Der Tod des Säuglings …«

»Ich will offen mit dir sein, Winterbourne. Sie kann das nicht ständig als Entschuldigung benutzen.«

»Manche Frauen erholen sich nie davon.«

»Weil sie es nicht wollen. Sie sind verliebt in ihren eigenen Kummer. Du sagst, Isabella sei früher viel umgänglicher gewesen, aber sie hatte damals schon einen eigenen Willen. Als das Kind starb, hat nichts und niemand sie daran gehindert, zu toben und wirr daherzureden. Alle haben sie entschuldigt, und so hat sie schnell gelernt, dass sie tun und lassen konnte, was sie wollte, selbst wenn es andere vor den Kopf stieß.«

Isabella weiß nicht, was sie beleidigender findet: die Vorstellung, sie habe gelernt, sich schlecht zu benehmen wie ein misshandelter Hund. Oder die Tatsache, dass sie so offen über ihre angeblichen Charaktermängel sprechen. Aber nein, am meisten schmerzt die Art und Weise, in der sie die Worte »das Kind« und »der Säugling« verwenden. Er hatte einen Namen. Daniel.

»Ich weiß nicht, was ich noch machen soll, Francis. Ich habe sie eines Tages mit der Frau eines Freundes losgeschickt und alle Spuren des Kindes beseitigt. Die Wiege, die Kleidung, das kleine Kaninchen, das meine Mutter gestrickt hatte. Sie hat natürlich getobt. Ich musste sie recht fest an beiden Händen halten, damit sie mir nicht die Augen auskratzte.«

Recht fest. Er hatte zwei schwarze Flecken auf ihren Armen hinterlassen, die eine Woche lang zu sehen waren.

Und dann spricht der Kapitän aus, was Isabella schon befürchtet hat. »Meggy sagt, das Band um ihr Handgelenk sei sehr bedeutungsvoll.«

»Tatsächlich?«

Sie kann förmlich hören, wie es ihm dämmert.

»Wir haben gerade heute noch darüber gesprochen. Isabella, das Baby, dass sie sich weigert, darüber hinwegzukommen. Und Meggy hat mir eröffnet, dass an der Innenseite des Bandes ein Kinderarmband eingenäht ist, das Sie wohl übersehen haben. Aus Koralle, angefertigt von Isabella und ihrer Schwester, als sie noch Kinder waren.«

Während er die Worte ausspricht, fährt Isabella mit den Fingern über die vertrauten Kügelchen unter dem Stoff. Ja, er hatte alles weggeworfen. Sie war mit Mrs. Evans nach einem endlosen Tag in Bath zurückgekehrt und hatte das Kinderzimmer völlig kahl vorgefunden. Nur dieses Armband, das hinten in einer Schublade lag, war ihm entgangen. Als Kinder hatten sie und ihre Schwester Victoria gerne Schmuck gebastelt. Ihr Vater war Juwelier gewesen, natürlich kein so bedeutender wie die Winterbournes. Er hatte eine kleine Werkstatt in Port Isaac, dem Küstenort, in dem Isabella aufgewachsen war. Er verkaufte handgemachte Einzelstücke an reiche Kunden aus der Bohème, häufig europäische Adlige, und hatte seinen Töchtern alle Techniken gezeigt, mit denen man Steine ohne Löten in Draht fassen konnte. Sie und ihre Schwester waren elf und zwölf gewesen, als sie das Korallenarmband angefertigt hatten. Jedes Glied war fest in Silberdraht gewickelt, und es war winzig klein. Victoria hatte es jahrelang in ihrem Schmuckkasten aufbewahrt, denn sie hatten vereinbart, dass diejenige es bekommen sollte, die zuerst Mutter wurde. Es war einen Tag vor Daniels Geburt in einem Päckchen aus New York eingetroffen, wo Victoria jetzt verheiratet, aber noch kinderlos lebte.

»Du musst sie dazu bringen, es abzunehmen, Winterbourne. Wirf es ins Meer. Sie wird sich nie erholen, solange sie es bei sich trägt.«

Isabella spürt heiße Furcht im Herzen. Sie hat gewusst, dass er das vorschlagen würde, und sie weiß, dass Arthur zustimmen wird. Aber es ist das Einzige, das ihr von Daniel geblieben ist, das Einzige, das sie noch zusammenhält. Es ist ganz einfach: Wenn sie das Korallenarmband verliert, verliert sie sich selbst. Also nimmt sie das Band sofort ab und schiebt es unter ihr Kopfkissen. Lange wird es dort nicht sicher sein. Es dürfte die zweite oder dritte Stelle sein, an der er sucht, wenn er es ihr wirklich wegnehmen will.

Es gibt nur einen Ort, an dem das Armband sicher ist. Falls sie es wagt, es dort zu verstecken.

Загрузка...