15. Graógramán, der Bunte Tod

»O Herr!« sagte die grollende Löwenstimme, »hast du so die ganze Nacht verbracht?«

Bastian richtete sich auf und rieb sich die Augen. Er saß zwischen den Löwenpranken, das große Tiergesicht schaute auf ihn nieder, Staunen lag in Graógramáns Blick. Sein Fell war noch immer schwarz wie der Felsblock, auf dem er saß, aber seine Augen funkelten. Die Ampeln in der Höhle brannten wieder.

»Ach«, stammelte Bastian, »ich - ich dachte, du wärst versteinert.«

»Das war ich auch«, antwortete der Löwe. »Ich sterbe täglich, wenn die Nacht hereinbricht, und jeden Morgen erwache ich wieder.«

»Ich dachte, es wäre für immer«, erklärte Bastian.

»Es ist jedesmal für immer«, versetzte Graógramán rätselhaft.

Er stand auf, reckte und streckte sich und lief dann nach Löwenart in der Höhle hin und her. Sein Flammenfell begann immer leuchtender in den Farben der bunten Fliesen zu glühen. Plötzlich hielt er im Laufen inne und blickte den Jungen an.

»Hast du gar um meinetwillen Tränen vergossen?«

Bastian nickte stumm.

»Dann«, sagte der Löwe, »bist du nicht nur der einzige, der zwischen den Pranken des Bunten Todes geschlafen hat, sondern auch der einzige, der je sein Sterben beweinte.«

Bastian sah dem Löwen zu, der wieder auf und ab trottete, und fragte schließlich leise:

»Bist du immer allein?«

Der Löwe hielt von neuem inne, aber diesmal blickte er Bastian nicht an. Er hielt seinen Kopf abgewendet und wiederholte mit grollender Stimme:

»Allein…«

Das Wort hallte in der Höhle wider.

»Mein Reich ist die Wüste - und sie ist auch mein Werk. Wohin auch immer ich mich wende, alles um mich her muß zur Wüste werden. Ich trage sie mit mir. Ich bin aus tödlichem Feuer. Wie also könnte mir etwas anderes bestimmt sein als immerwährende Einsamkeit?«

Bastian schwieg bestürzt.

»Du, Herr«, fuhr der Löwe fort, indem er auf den Jungen zutrat und ihm mit glühenden Augen ins Gesicht sah, »der du das Zeichen der Kindlichen Kaiserin trägst, kannst du mir Antwort geben: Warum muß ich sterben, wenn die Nacht hereinbricht?«

»Damit in der Wüste der Farben Perelín, der Nachtwald, wachsen kann«, sagte Bastian.

»Perelín?« wiederholte der Löwe, »was ist das?«

Und nun erzählte Bastian von den Wundern des Dschungels, der aus lebendigem Licht bestand. Während Graógramán reglos und staunend zuhörte, schilderte er ihm die Vielfalt und Herrlichkeit der glimmenden und phosphoreszierenden Pflanzen, die sich aus sich selbst vermehrten, ihr unaufhaltsames lautloses Wachstum, ihre traumhafte Schönheit und Größe. Er redete sich in Begeisterung und Graógramáns Augen glühten immer heller.

»Und das alles«, schloß Bastian, »kann nur da sein, während du versteinert bist. Aber Perelín würde alles verschlingen und an sich selbst ersticken, wenn er nicht immer wieder sterben und zu Staub zerfallen müßte, sobald du aufwachst. Perelín und du, Graógramán, ihr gehört zusammen.«

Graógramán schwieg lange.

»Herr«, sagte er dann, »ich sehe nun, daß mein Sterben Leben gibt und mein Leben den Tod, und beides ist gut. Jetzt verstehe ich den Sinn meines Daseins. Ich danke dir.«

Er schritt langsam und feierlich in den dunkelsten Winkel der Höhle. Was er dort tat, konnte Bastian nicht sehen, aber er hörte ein metallenes Klirren. Als Graógramán zurückkehrte, trug er etwas im Maul, das er mit einer tiefen Verneigung seines Hauptes vor Bastians Füße legte.

Es war ein Schwert.

Allerdings sah es nicht gerade prächtig aus. Die eiserne Scheide, in der es steckte, war verrostet und der Griff sah fast aus wie der eines Kindersäbels aus irgendeinem alten Holzstück.

»Kannst du ihm einen Namen geben?« fragte Graógramán.

Bastian betrachtete es nachdenklich.

»Sikánda!« sagte er.

Im gleichen Augenblick zischte das Schwert aus seiner Scheide und flog ihm buchstäblich in die Hand. Jetzt sah er, daß das Blatt aus gleißendem Licht bestand, das man kaum anzuschauen vermochte. 'Es war zweischneidig und wog leicht wie eine Feder in der Hand.

»Dieses Schwert«, sagte Graógramán, »war von immer her für dich bestimmt. Denn nur der kann es ohne Gefahr berühren, der auf meinem Rücken geritten ist, der von meinem Feuer gegessen und getrunken und darin gebadet hat wie du. Aber nur, weil du ihm seinen rechten Namen geben konntest, gehört es dir.«

»Sikánda!« flüsterte Bastian und beobachtete hingerissen das funkelnde Licht, während er das Schwert langsam in der Luft kreisen ließ, »es ist ein Zauberschwert, nicht wahr?«

»Ob Stahl oder Fels«, antwortete Graograman, »es gibt nichts in Phantásien, das ihm widersteht. Doch du darfst ihm nicht Gewalt antun. Nur wenn es von selbst in deine Hand springt wie jetzt eben, darfst du es gebrauchen - was auch immer dir drohen mag. Es wird deine Hand führen und aus eigener Kraft tun, was zu tun ist. Wenn du es aber je nach deinem Willen aus seiner Scheide ziehst, dann wirst du großes Unheil über dich und Phantásien bringen. Vergiß das niemals.«

»Ich werde es nicht vergessen«, versprach Bastian.

Das Schwert fuhr in seine Scheide zurück und sah nun wieder alt und wertlos aus. Bastian band sich den Lederriemen, an dem die Scheide hing, um die Hüfte.

»Und nun, Herr«, schlug Graógramán vor, »laß uns zusammen durch die Wüste jagen, wenn es dir gefällt. Steige auf meinen Rücken, denn jetzt muß ich hinaus!«

Bastian schwang sich hinauf und der Löwe trottete ins Freie. Die Morgensonne stieg über dem Wüstenhorizont auf, der Nachtwald war längst schon wieder zu farbigem Sand zerstäubt. So fegten sie nun gemeinsam über die Dünen hin wie ein tanzender Feuerbrand, wie ein glühender Sturmwind. Bastian fühlte sich, als ritte er auf einem flammenden Kometen durch Licht und Farben. Und abermals kam es über ihn wie ein wilder Rausch.

Gegen Mittag hielt Graógramán plötzlich an.

»Dies ist die Stelle, Herr, wo wir uns gestern begegnet sind.«

Bastian war noch ein wenig betäubt von der wilden Jagd. Er blickte herum, konnte aber weder den ultramarinblauen, noch den feuerroten Sandhügel entdecken. Auch von den Buchstaben war nichts mehr zu sehen. Die Dünen waren jetzt olivgrün und rosa.

»Es ist,alles ganz anders«, sagte er.

»Ja, Herr«, antwortete der Löwe, »so ist es jeden Tag - immer wieder anders. Ich wußte bisher nicht, warum es so ist. Aber nun, da du mir erzählt hast, daß Perelín aus dem Sand wächst, kann ich auch das verstehen.«

»Aber woran erkennst du, daß es die Stelle von gestern ist?«

»Ich fühle es, wie ich eine Stelle an meinem Leib fühle. Die Wüste ist ein Teil von mir.«

Bastian stieg von Graógramáns Rücken und setzte sich auf den olivgrünen Gipfel. Der Löwe lagerte sich neben ihn, er war nun ebenfalls olivgrün. Bastian stützte das Kinn in die Hand und schaute nachdenklich zum Horizont.

»Kann ich dich etwas fragen, Graógramán?« sagte er nach langem Schweigen.

»Dein Diener hört«, gab der Löwe zur Antwort.

»Bist du wirklich schon seit immer hier?«

»Seit immer«, bestätigte Graógramán.

»Und die Wüste Goab, hat es sie auch immer schon gegeben?«

»Ja, auch die Wüste. Warum fragst du?«

Bastian dachte eine Weile nach.

»Ich versteh's nicht«, gab er schließlich zu. »Ich hätte gewettet, daß sie erst seit gestern morgen da ist.«

»Wie meinst du das, Herr?«

Und nun erzählte ihm Bastian alles, was er erlebt hatte, seit er Mondenkind begegnet war.

»Es ist alles so sonderbar«, schloß er seinen Bericht, »mir kommt irgendein Wunsch und dann passiert immer gleich etwas, das dazu paßt und den Wunsch erfüllt. Ich denk' mir das nicht aus, weißt du? Das könnte ich gar nicht. Nie hätte ich all die verschiedenen Nachtpflanzen in Perelín erfinden können. Oder die Farben von Goab - oder dich! Alles ist viel großartiger und wirklicher, als ich mir's vorstellen könnte. Und trotzdem, alles ist immer erst da, wenn ich mir was gewünscht habe.«

»Das kommt, weil du AURYN, den Glanz, trägst«, sagte der Löwe.

»Was ich nicht verstehe, ist etwas anderes«, versuchte Bastian zu erklären. »Ist das alles erst da, wenn ich mir was gewünscht habe? Oder war es vorher schon da und ich hab's nur irgendwie erraten?«

»Beides«, sagte Graógramán.

»Aber wie kann denn das sein?« rief Bastian fast ungeduldig. »Du bist doch schon wer weiß wie lang hier in der Farbenwüste Goab. Das Zimmer in deinem Palast hat auf mich seit jeher gewartet. Das Schwert Sikánda war seit undenklichen Zeiten für mich bestimmt - das hast du doch selbst gesagt!«

»So ist es, Herr.«

»Aber ich, ich bin doch erst seit gestern nacht in Phantásien! Dann sibt es das alles doch nicht erst, seit ich hier bin!«

»Herr«, antwortete der Löwe ruhig, »weißt du nicht, daß Phantásien das Reich der Geschichten ist? Eine Geschichte kann neu sein und doch von uralten Zeiten erzählen. Die Vergangenheit entsteht mit ihr.«

»Dann müßte ja auch Perelín schon immer bestanden haben«, meinte Bastian ratlos.

»Von dem Augenblick an, da du ihm seinen Namen gabst, Herr«, erwiderte Graograman, »hat er seit jeher bestanden.«

»Willst du damit sagen, daß ich ihn geschaffen habe?«

Der Löwe schwieg eine Weile, ehe er antwortete: »Das kann dir nur die Kindliche Kaiserin sagen. Von ihr hast du alles empfangen.«

Er erhob sich.

»Es ist Zeit, Herr, daß wir zu meinem Palast zurückkehren. Die Sonne neigt sich schon und der Weg ist weit.«

An diesem Abend blieb Bastian bei Graógramán, der sich wieder auf dem schwarzen Felsblock niedergelassen hatte. Sie sprachen nicht mehr viel miteinander. Bastian holte sich die Speisen und das Getränk aus dem Schlafgemach, wo das niedrige Tischchen wieder wie von Geisterhand gedeckt stand. Er verzehrte die Mahlzeit auf den Stufen sitzend, die zu dem Felsblock emporführten.

Als das Licht der Ampeln düsterer wurde und wie ein immer langsamer werdender Herzschlag zu pulsieren begann, stand er auf und legte stumm seine Arme um den Hals des Löwen. Die Mähne war hart und sah aus wie erstarrte Lava. Und dann kam wieder dieser schreckliche Laut, aber Bastian kannte keine Furcht mehr. Was ihm abermals die Tränen in die Augen trieb, war Trauer über die Unabänderlichkeit der Leiden Graógramáns.

Später in der Nacht tastete Bastian sich wieder ins Freie hinaus und schaute lange Zeit dem lautlosen Wachstum der leuchtenden Nachtpflanzen zu. Dann kehrte er in die Höhle zurück und legte sich wieder zwischen den Pranken des versteinerten Löwen schlafen.

Viele Tage und Nächte blieb er beim Bunten Tod zu Gast und sie wurden Freunde. Manche Stunde in der Wüste verbrachten sie mit wilden Spielen. Bastian versteckte sich zwischen den Sanddünen, aber Graógramán fand ihn immer. Sie liefen um die Wette, aber der Löwe war tausendmal schneller. Sie kämpften sogar zum Spaß miteinander, sie rangen und balgten sich - und hier war Bastian ihm ebenbürtig. Obwohl es natürlich nur Spiel war, mußte Graógramán alle seine Kräfte anstrengen, um sich dem Jungen gewachsen zu zeigen. Keiner von beiden konnte den anderen besiegen.

Einmal, nachdem sie so getobt hatten, setzte sich Bastian etwas außer Atem hm und fragte:

»Kann ich nicht für immer bei dir bleiben?«

Der Löwe schüttelte die Mähne.

»Nein, Herr.«

»Warum nicht?«

»Hier gibt es nur Leben und Tod, nur Perelín und Goab, aber keine Geschichte. Du mußt deine Geschichte erleben. Du darfst nicht hier bleiben.«

»Aber ich kann doch nicht fort«, meinte Bastian. »Die Wüste ist viel zu groß, als daß irgend jemand aus ihr hinaus könnte. Und du kannst mich nicht bringen, weil du die Wüste mit dir trägst.«

»Die Wege Phantásiens«, sagte Graogramän, »kannst du nur durch deine Wünsche finden. Und du kannst immer nur von einem Wunsch zum nächsten gehen. Was du nicht wünschst, ist für dich unerreichbar. Das bedeuten hier die Worte »nah« und »fern« . Und es genügt auch nicht, nur von einem Ort fortgehen zu wollen. Du mußt zu einem anderen hinstreben. Du mußt dich von deinen Wünschen führen lassen.«

»Aber ich wünsche mich gar nicht fort«, antwortete Bastian.

»Du wirst deinen nächsten Wunsch finden müssen«, erwiderte Graógramán beinahe streng.

»Und wenn ich ihn finde«, fragte Bastian, »wie werde ich dann von hier fortgehen können?«

»Höre, Herr«, sprach Graógramán leise, »es gibt in Phantásien einen Ort, der überall hinführt und von überall her erreicht werden kann. Dieser Ort wird der Tausend Türen Tempel genannt. Niemand hat ihn je von außen gesehen, denn er hat kein Äußeres. Sein Inneres aber besteht aus einem Irrgarten von Türen. Wer ihn kennen lernen will, der muß sich hineinwagen.«

»Wie kann man das, wenn man sich ihm von außen gar nicht nähern kann?«

»Jede Tür«, fuhr der Löwe fort, »jede Tür in ganz Phantásien, sogar eine ganz gewöhnliche Stall- oder Küchentür, ja, sogar eine Schranktür kann in einem bestimmten Augenblick zur Eingangspforte in den Tausend Türen Tempel werden. Ist der Augenblick vorüber, so ist sie wieder, was sie vorher war. Darum kann niemand je zum zweiten Mal durch dieselbe Tür gehen. Und keine der tausend Türen führt dorthin zurück, wo man herkam. Es gibt keine Rückkehr.«

»Aber wenn man einmal drin ist«, fragte Bastian, »kann man denn irgendwo wieder hinaus?«

»Ja«, antwortete der Löwe, »doch ist es nicht ganz so einfach wie bei gewöhnlichen Gebäuden. Denn durch den Irrgarten der tausend Türen kann dich nur ein wirklicher Wunsch führen. Wer den nicht hat, der muß solange darin herumirren, bis er weiß, was er sich wünscht. Und das dauert manchmal sehr lang.«

»Und wie kann man die Eingangspforte finden?«

»Man muß es sich wünschen.«

Bastian dachte lange nach, dann sagte er:

»Sonderbar, daß man nicht einfach wünschen kann, was man will. Wo kommen die Wünsche in uns eigentlich her? Und was ist das überhaupt, ein Wunsch?«

Graógramán blickte den Jungen groß an, antwortete aber nicht.

Wiederum einige Tage später hatten sie noch einmal ein sehr wichtiges Gespräch.

Bastian hatte dem Löwen die Inschrift auf der Rückseite des Kleinodes gezeigt. »Was mag das bedeuten?« fragte er. »TU WAS DU WILLST, das bedeutet doch, daß ich alles tun darf, wozu ich Lust habe, meinst du nicht?«

Graógramáns Gesicht sah plötzlich erschreckend ernst aus, und seine Augen begannen zu glühen.

»Nein«, sagte er mit jener tiefen, grollenden Stimme, »es heißt, daß du deinen Wahren Willen tun sollst. Und nichts ist schwerer.«

»Meinen Wahren Willen?« wiederholte Bastian beeindruckt. »Was ist denn das?«

»Es ist dein eigenes tiefstes Geheimnis, das du nicht kennst.«

»Wie kann ich es denn herausfinden?«

»Indem du den Weg der Wünsche gehst, von einem zum andern und bis zum letzten. Der wird dich zu deinem Wahren Willen führen.«

»Das kommt mir eigentlich nicht so schwer vor«, meinte Bastian.

»Es ist von allen Wegen der gefährlichste«, sagte der Löwe.

»Warum?« fragte Bastian, »ich hab' keine Angst.«

»Darum geht es nicht«, grollte Graógramán, »er erfordert höchste Wahrhaftigkeit und Aufmerksamkeit, denn auf keinem anderen Weg ist es so leicht, sich endgültig zu verirren.«

»Meinst du, weil es vielleicht nicht immer gute Wünsche sind, die man hat?« forschte Bastian.

Der Löwe peitschte mit dem Schweif den Sand, in dem er lag. Er legte die Ohren an und zog die Nase kraus, seine Augen sprühten Feuer. Bastian duckte sich unwillkürlich, als Graógramán mit einer Stimme, die wiederum den Boden vibrieren ließ, sagte:

»Was weißt du, was Wünsche sind! Was weißt du, was gut ist!«

Bastian dachte viel in den darauffolgenden Tagen über all das nach, was der Bunte Tod ihm gesagt hatte. Doch manche Dinge kann man nicht durch Nachdenken ergründen, man muß sie erfahren. Und so kam es, daß er erst viel später, nachdem er vieles erlebt hatte, an Graógramáns Worte zurückdachte und sie zu verstehen begann.

In dieser Zeit war wiederum eine Veränderung mit Bastian vor sich gegangen. Zu all den Gaben, die er seit seiner Begegnung mit Mondenkind empfangen hatte, war nun auch noch der Mut gekommen. Und wie jedesmal, so war ihm auch diesmal etwas dafür genommen worden, nämlich jede Erinnerung an seine frühere Ängstlichkeit.

Und da es nun nichts mehr gab, wovor er sich fürchtete, begann unmerklich zunächst, dann immer deutlicher, ein neuer Wunsch in ihm Gestalt anzunehmen. Er wollte nicht mehr länger allein sein. Auch mit dem Bunten Tod war er ja doch in gewissem Sinne allein. Er wollte seine Fähigkeiten vor anderen zeigen, er wollte bewundert werden und Ruhm erwerben.

Und eines Nachts, als er wieder dem Wachstum von Perelín zusah, fühlte er plötzlich, daß dies das letzte Mal war, daß er von der Herrlichkeit des leuchtenden Nachtwaldes Abschied nehmen mußte. Eine innere Stimme rief ihn fort.

Er warf noch einen letzten Blick auf die glühende Farbenpracht, dann ging er hinunter in die Grabeshöhle Graógramáns und setzte sich in der Finsternis auf die Stufen. Er hätte nicht sagen können, worauf er wartete, doch er wußte, daß er sich in dieser Nacht nicht schlafen legen durfte.

Er war doch wohl im Sitzen ein wenig eingenickt, denn plötzlich fuhr er hoch, als habe jemand ihn beim Namen gerufen.

Die Tür, die zum Schlaf gemach führte, war aufgesprungen. Aus dem Spalt fiel ein langer Streifen rötlichen Lichts durch die dunkle Höhle.

Bastian erhob sich. Hatte sich die Tür für diesen Augenblick in den Eingang zum Tausend Türen Tempel verwandelt? Unschlüssig trat er an den Spalt heran und versuchte hindurchzuspähen. Er konnte nichts erkennen. Dann begann der Spalt sich langsam wieder zu schließen. Gleich würde die einzige Gelegenheit fortzugehen, vorüber sein!

Er drehte sich noch einmal nach Graógramán um, der reglos und mit toten Steinaugen auf seinem Sockel saß. Der Lichtstreifen aus der Tür fiel gerade auf ihn.

»Leb wohl, Graógramán, und danke für alles!« sagte er leise. »Ich werde wiederkommen, ganz bestimmt, ich komme zurück.«

Dann schlüpfte er durch den Türspalt, der sich sogleich hinter ihm schloß.

Bastian wußte nicht, daß er sein Versprechen nicht halten würde. Viel, viel später erst sollte einer in seinem Namen kommen und es für ihn einlösen.

Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden.

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