Dick Francis Doping

Kapitel 1

Der Earl of October schneite in einem hellblauen Holden, der schon bessere Tage gesehen hatte, aber nicht gleich nach Gefahr und Tod roch, in mein Leben.

Ich sah ihn in die Einfahrt einbiegen, als ich über die kleine Koppel aufs Haus zuging, und beobachtete mißmutig, wie er sich auf unserem Privatweg näherte. Ein Vertreter, dachte ich; wir brauchen nichts. Sanft kam das blaue Fahrzeug zwischen mir und der Haustür zum Stehen.

Der Mann, der ihm entstieg, sah aus wie Mitte Vierzig, war mittelgroß und kräftig gebaut, hatte einen großen, gutgeformten Kopf und glattgebürstetes braunes Haar. Er trug graue Hosen, ein dünnes Wollhemd mit dunkler, dezenter Krawatte und hielt die unvermeidliche Aktentasche im Arm. Ich seufzte und stieg unter dem Koppelzaun durch, um ihn wegzuschicken.

«Wo finde ich Mr. Daniel Roke?«fragte er. Ein Englisch, aus dem selbst mein ungeübtes Ohr die teure britische Public School heraushören konnte; und nach der zurückhaltenden Autorität, die er ausstrahlte, zu urteilen, vielleicht doch kein Vertreter. Ich sah mir den Mann genauer an und kam davon ab, ihm zu sagen, ich sei nicht zu Hause. Trotz des alten Autos konnte es ein Kunde sein.

«Ich bin Daniel Roke«, sagte ich ohne sonderliche Begeisterung.

Ein schnelles, überraschtes Blinzeln.

«Oh«, sagte er ausdruckslos.

Diese Reaktion war ich gewohnt. Ich entsprach nicht der gängigen Vorstellung von dem Besitzer eines erfolgreichen Gestüts. Schon weil ich zu jung aussah, auch wenn ich mich nicht so fühlte; und meine Schwester Belinda fand, die wenigsten Geschäftsleute hätten soviel von einem italienischen Bauernburschen an sich. Nettes Mädchen, meine Schwester. Es war einfach so, daß ich schwarze Haare und braune Augen hatte und schnell braun wurde bei meinem dunklen Teint. An dem Tag hatte ich noch dazu meine ältesten, abgewetztesten Jeans an, ungeputzte Stiefeletten und sonst nichts.

Ich hatte einer Stute, die jedesmal unter Schwierigkeiten abfohlte, Geburtshilfe geleistet; da waren Schlips und Kragen fehl am Platz. Das Ergebnis meiner — und der Stute — Bemühungen war ein schmächtiges Stutfohlen mit einem Stelzfuß vorn links, wenn nicht auch noch vorn rechts, der operiert werden mußte und mich mehr Geld kosten konnte, als das Fohlen einbringen würde.

Mein Besucher schaute auf die sauberen, weiß abgezäunten Koppeln, auf den L-förmigen Stallhof und auf die mit Zedernschindeln gedeckten Abfohlboxen drüben, wo das arme Neugeborene im Stroh lag. Alles sah solide und gepflegt aus, denn ich steckte viel Arbeit hinein, um meine Pferde zu guten Preisen verkaufen zu können.

Der Blick des Besuchers wanderte zu der großen, blaugrünen Lagune links von uns, an deren fernem Ufer die schneebedeckten Berge in steinerner Schönheit steil aufragten. Weiße Wolken hingen wie Federbüsche über den Gipfeln. Für ihn, der das zum ersten Mal sah, ein tolles, großartiges Panorama. Für mich Mauern.

«Wunderschön«, meinte er beifällig. Dann wandte er sich energisch zu mir, sagte aber ein wenig zögernd:»Ich, ehm… hörte in Perlooma, daß Sie einen, ehm… englischen Stallmann haben, der gern, ehm… nach Hause möchte…«

Er brach ab und setzte neu an.»Das kommt jetzt vielleicht überraschend, aber wenn er mir geeignet scheint, wäre ich unter Umständen bereit, seine Überfahrt zu bezahlen und ihm drüben eine Stellung zu verschaffen…«Er schwieg wieder.

Pferdepfleger, dachte ich, konnten in England schwerlich so knapp sein, daß man sie in Australien beschaffen mußte.

«Wollen Sie nicht ins Haus kommen?«fragte ich.»Und mir das erklären?«

Ich führte ihn ins Wohnzimmer und hörte seinen erstaunten Ausruf, als er hinter mir eintrat. Alle unsere Besucher waren von dem Raum beeindruckt. Ein großes Fenster auf der gegenüberliegenden Seite rahmte den prächtigsten Teil der Lagune und der Berge ein, holte sie gleichsam näher heran und machte sie für mich damit nur noch erdrückender. Ich setzte mich mit dem Rücken dazu in einen alten Bugholzschaukelstuhl und bot ihm einen bequemen Sessel mit Blick auf das Panorama an.

«Also, Mr…?«: begann ich.

«October«, sagte er leichthin.»Nicht Mister. Earl.«

«October — wie der Monat?«Es war gerade Oktober.

«Wie der Monat«, bestätigte er.

Ich musterte ihn neugierig. Er entsprach nicht meiner Vorstellung von einem Grafen. Er sah aus wie ein Geschäftsmann, ein Generaldirektor auf Urlaub. Dann fiel mir ein, daß eins das andere nicht ausschloß und daß es sicher auch Grafen gab, die in der Wirtschaft tätig waren.

«Ich bin ganz spontan hierhergekommen«, eröffnete er mir,»und ich weiß selbst nicht, ob man so etwas tun soll.«

Er schwieg, zog ein goldenes Zigarettenetui hervor und gewann Zeit zum Nachdenken, indem er mit seinem Feuerzeug hantierte. Er lächelte flüchtig.»Vielleicht sollte ich erst einmal sagen, daß ich zwar beruflich in Australien binich habe Geschäftsinteressen in Sydney —, daß mich aber eine private Rundreise durch die großen hiesigen Rennsport- und Zuchtzentren zuletzt hier in die Snowies geführt hat. Bei uns in England bin ich Mitglied der Behörde, die für den Sport zwischen den Flaggen, den Hindernissport zuständig ist, deshalb interessieren mich Ihre Pferde natürlich sehr… Nun, ich habe also in Perlooma zu Mittag gegessen«- er meinte die nächste Stadt, die rund fünfundzwanzig Kilometer entfernt war —,»und dabei kam ich mit jemand ins Gespräch, der gleich hörte, daß ich Brite bin, und mir erzählte, er kenne sonst nur einen einzigen Engländer hier, und zwar einen Pferdepfleger, der so töricht sei, wieder nach Hause zu wollen.«

«Ja«, meinte ich.»Das ist Simmons.«

«Arthur Simmons«, nickte er.»Wie ist der so?«

«Er versteht sich auf Pferde«, sagte ich.»Aber nach England zieht es ihn nur, wenn er betrunken ist. Und er betrinkt sich nur in Perlooma.«

«Oh«, sagte er.»Dann würde er also nicht fahren, wenn er die Gelegenheit bekäme?«

«Das weiß ich nicht. Kommt drauf an, was Sie von ihm wollen.«

Er zog an seiner Zigarette, klopfte die Asche ab und sah zum Fenster hinaus.

«Vor ein oder zwei Jahren hatten wir wiederholt Ärger mit gedopten Rennpferden«, sagte er plötzlich.»Zuviel Ärger. Es gab Gerichtsverfahren und Freiheitsstrafen, die Stallwachen wurden verstärkt, Speichel- und Urinuntersuchungen in größerem Umfang durchgeführt. Bei vielen Rennen kontrollieren wir jetzt die ersten vier Pferde, um so das Doping zur Leistungssteigerung zu unterbinden, und jeder geschlagene Favorit, der uns verdächtig vorkommt, wird auf leistungsmindernde Mittel untersucht. Seit Inkrafttreten der neuen Bestimmungen sind die Ergebnisse fast aller Untersuchungen negativ gewesen.«

«Das ist ja sehr erfreulich«, meinte ich ohne allzu großes Interesse.

«Nein. Eben nicht. Jemand hat ein Mittel gefunden, das unsere Chemiker nicht nachweisen können.«

«Das kann doch wohl nicht sein«, meinte ich höflich. Mir ging der Nachmittag verloren, und ich hatte noch allerhand zu tun.

Er spürte meine mangelnde Teilnahme.»Es geht um zehn Fälle, alles Sieger. Zehn, bei denen wir uns sicher sind. Die betroffenen Pferde wirken offenbar auffällig stimuliert — ich habe selbst noch keins gesehen —, aber die Untersuchungen ergeben nichts. «Er schwieg.»Doping ist fast immer ein Insiderjob«, sagte er und blickte vom Fenster wieder zu mir.»Das heißt, in der Regel mischen Stallangestellte mit, selbst wenn sie den anderen nur zeigen, welches Pferd in welcher Box steht. «Ich nickte. Schiebereien gab es auch in Australien.

«Wir, das heißt die beiden anderen Leiter der Hindernisbehörde und ich, haben schon verschiedentlich überlegt, ob man nicht auch die Aufklärung der Dopingfälle quasi zur Insidersache machen sollte.«

«Indem man einen Pferdepfleger als Spion einsetzt?«fragte ich.

Er zuckte ein wenig zusammen.»Ihr Australier seid so direkt«, murmelte er.»Aber darauf läuft es hinaus, ja. Wir haben das bisher allerdings nur theoretisch erörtert, weil so ein Vorhaben schwer in die Tat umzusetzen ist und wir offengestanden nicht wußten, wie wir an einen Pferdepfleger herankommen sollten, bei dem man sicher sein kann, daß er, ehm… nicht schon für die Gegenseite arbeitet.«

Ich lächelte.»Und Arthur Simmons erscheint Ihnen unbedenklich?«

«Ja. Und als Engländer würde er sich auch glatt in die Szene einfügen. Diese Idee kam mir, als ich im Restaurant zahlte. Also habe ich nach dem Weg gefragt und bin kurzerhand hierhergefahren, um ihn mir einmal anzusehen.«

«Sie können gern mit ihm reden«, sagte ich und stand auf.»Aber ich glaube nicht, daß was daraus wird.«

«Er würde weit über dem Tarif bezahlt«, erwiderte er, mich mißverstehend.

«Ich wollte damit nicht sagen, daß er sich nicht überreden ließe«, erläuterte ich,»sondern daß er für so etwas nicht genug auf dem Kasten hat.«

Er folgte mir wieder hinaus an die Frühlingssonne. In dieser Höhe war es immer noch kühl, und ich sah ihn frösteln, als er aus dem warmen Haus trat. Ab schätzend blickte er auf meinen immer noch nackten Brustkorb.

«Einen Moment, ich hole ihn«, sagte ich, ging um die Ecke und pfiff schrill auf zwei Fingern zu der kleinen Baracke auf der anderen Hofseite hinüber. Jemand steckte fragend den Kopf zum Fenster heraus, und ich rief:»Ich brauche Arthur.«

Der Mann nickte, verschwand, und schon kam Arthur Simmons, klein, alt, säbelbeinig und von ergreifend schlichtem Gemüt, wie ein Krebs aus seiner Höhle. Ich ließ ihn mit Lord October allein, um nachzuschauen, wie das kleine Stutfohlen im Leben zurechtkam. Nicht schlecht, auch wenn seine Stehversuche mit dem verkorksten Vorderbein kläglich anzusehen waren.

Ich ließ es bei seiner Mutter und kehrte zu Lord October zurück. Von weitem sah ich, wie er einen Geldschein aus der Brieftasche nahm und ihn Arthur anbot und wie Arthur, ungeachtet seiner englischen Geburt, das Geld ablehnte. Er ist schon so lange hier, dachte ich, daß er zum Australier geworden ist. Nach England zieht ihn nichts mehr, ganz gleich, was er im Suff erzählt.

«Sie hatten recht«, sagte October.»Er ist ein prima Kerl, aber für unsere Zwecke ungeeignet. Ich habe das gar nicht erst angesprochen.«

«Ist es nicht von jedem noch so gescheiten Pferdepfleger etwas viel verlangt, wenn er die Wahrheit finden soll, wo Leute wie Sie mit Ihrem Latein am Ende sind?«

Er verzog das Gesicht.»Schon. Da liegt eine der Schwierigkeiten, von denen ich sprach. Wir müssen aber jede, wirklich jede Möglichkeit ausschöpfen. Sie machen sich keine Vorstellung davon, wie ernst die Lage ist!«

Wir gingen zu seinem Wagen, und er öffnete den Schlag.

«Vielen Dank für Ihr Verständnis, Mr. Roke. Es war wie gesagt ein spontaner Entschluß von mir, hierherzukommen. Hoffentlich habe ich Ihre Zeit nicht über Gebühr beansprucht?«Er lächelte noch immer ein wenig verhalten, ein wenig unsicher.

Ich schüttelte den Kopf und erwiderte sein Lächeln, dann ließ er den Wagen an, wendete und fuhr davon. Ich hatte ihn schon vergessen, ehe er zum Tor hinaus war.

Aus den Augen, aus dem Sinn; aber aus meinem Leben verschwunden war er noch lange nicht.

Am nächsten Tag bei Sonnenuntergang kam er wieder. Er saß in dem kleinen blauen Auto und rauchte gemächlich, da er wohl festgestellt hatte, daß niemand im Haus war.

Ich ging von dem Stallgebäude, wo ich meinen Anteil an der abendlichen Arbeit verrichtet hatte, zu ihm hinüber und dachte nebenbei, daß er mich schon wieder im schmutzigsten Räuberzivil antraf.

Er stieg aus, als er mich kommen sah, und trat seine Zigarette aus.

«Mr. Roke. «Er bot mir die Hand, und ich schlug ein.

Diesmal beeilte er sich nicht, sein Anliegen vorzubringen. Diesmal war er keiner spontanen Regung gefolgt. Er hatte auch nichts Zögerliches mehr an sich. Um so stärker war die von ihm ausgehende Autorität zu spüren, eine Kraft und ein Wille, die sich sicher bestens dazu eigneten, klardenkende Vorstandskollegen für einen unliebsamen Vorschlag zu gewinnen.

Im selben Moment wußte ich, warum er wiedergekommen war.

Ich sah ihn einen Augenblick prüfend an, deutete dann zum Haus hin und führte ihn wieder ins Wohnzimmer.

«Etwas zu trinken?«fragte ich.»Whisky?«

«Gern. «Er nahm das Glas.

«Wenn Sie erlauben, ziehe ich mich schnell um«, sagte ich. Und nehme Bedenkzeit, ergänzte ich im stillen.

Ich ging duschen, zog eine anständige Hose, Socken und Slipper an, dazu ein weißes Popelinehemd und eine marineblaue Seidenkrawatte. Vor dem Spiegel bürstete ich die noch feuchten Haare sorgfältig nach hinten und vergewisserte mich, daß meine Fingernägel sauber waren. Geschniegelt und gebügelt diskutierte es sich besser. Besonders mit einem so resoluten Grafen.

Er stand auf, als ich zurückkam, und nahm mein verändertes Aussehen mit einem einzigen Blick zur Kenntnis.

Ich lächelte flüchtig, goß mir etwas zu trinken ein und schenkte ihm nach.

«Sie können sich vielleicht denken, weshalb ich hier bin«, sagte er.

«Vielleicht.«

«Ich wollte Sie überreden, die Aufgabe zu übernehmen, für die ich Simmons vorgesehen hatte«, sagte er ruhig, ohne weitere Vorrede.

«Ja. «Ich trank einen Schluck.»Aber ich kann nicht.«

Wir faßten uns ins Auge. Ich wußte, daß der Daniel Ro-ke, den er vor sich sah, schon ein anderer war als der, den er kennengelernt hatte. Solider. Vielleicht eher seinen Erwartungen entsprechend. Kleider machen Leute, dachte ich ironisch.

Es dämmerte, und ich schaltete das Licht an. Die Berge draußen vor dem Fenster wichen in die Dunkelheit zurück; das war mir nur recht, denn jetzt hieß es stark sein, und October hatte das ganze Massiv bildlich und buchstäblich auf seiner Seite. Das Dumme war nämlich, daß ich sein tolles Angebot liebend gern angenommen hätte. Dabei war es Irrsinn. Ich konnte mir das gar nicht leisten.

«Inzwischen habe ich ein ziemlich klares Bild von Ihnen«, sagte er gedehnt.»Als ich gestern von hier wegfuhr, dachte ich auf einmal, schade, daß er nicht Arthur Simmons ist; Sie wären ideal gewesen. Sie sahen, wenn ich so sagen darf, für die Rolle wie geschaffen aus. «Es klang, als müsse er sich entschuldigen.

«Aber jetzt nicht mehr?«

«Das wissen Sie doch selbst. Deswegen haben Sie sich ja wohl umgezogen. Aber Sie können, wenn Sie wollen. Auf die Idee wäre ich bestimmt gar nicht erst gekommen, hätten Sie sich mir gestern hier so gepflegt präsentiert wie jetzt. Aber da kamen Sie gerade von der Koppel, abgerissen und halb nackt, Typ Zigeuner, und ich hielt Sie wirklich für einen Stallangestellten… tut mir leid.«

Ich lächelte ein wenig.»Macht nichts, das kommt öfter vor.«

«Und dann, wie Sie reden«, sagte er.»Ihr australischer Akzent ist gar nicht so ausgeprägt, da hört man noch ganz andere… Bei Ihnen klingt das wie reines Cockney, Sie müßten’s nur ein bißchen breitziehen. Wenn man«, fuhr er mit fester Stimme fort, als ich ihn unterbrechen wollte,»einen gebildeten Engländer in einem Stall als Pfleger arbeiten läßt, hören die anderen Pfleger mit großer Wahrscheinlichkeit sofort, daß er unecht ist. Bei Ihnen nicht. Ihr Aussehen stimmt, und wie Sie reden stimmt. Sie scheinen mir die ideale Lösung für unser Problem zu sein. Eine bessere Lösung, als ich mir hätte träumen lassen.«

«Äußerlich«, meinte ich trocken.

«In jeder Beziehung. Sie vergessen, daß ich ganz gut über Sie Bescheid weiß. Als ich gestern nachmittag nach Perlooma zurückkam, dachte ich, ehm… den nimmst du mal unter die Lupe, wie man sagt; ich wollte wissen, was für ein Mensch Sie eigentlich sind… ob auch nur die leiseste Chance besteht, daß eine solche Aufgabe Sie reizt. «Er trank, schwieg, wartete.

«Ich kann so was nicht machen«, sagte ich.»Ich habe hier genug zu tun. «Die Untertreibung des Monats.

«Könnten Sie zwanzigtausend gebrauchen?«Er fragte das ganz nebenbei, im Plauderton.

Die Antwort darauf war kurz und bündig ja; doch statt dessen sagte ich nach einem Augenblick:»Pfund oder australische Dollar?«

Seine Mundwinkel kräuselten sich, und seine Augen wurden schmal; er war belustigt.

«Pfund natürlich«, sagte er mit Ironie.

Ich schwieg. Ich sah ihn nur an. Als lese er meine Gedanken, nahm er in einem Sessel Platz, schlug lässig die Beine übereinander und sagte:»Ich kann Ihnen verraten, was Sie damit anfangen würden, wenn Sie wollen. Sie würden das Medizinstudium finanzieren, das Ihre Schwester Belinda anstrebt. Sie würden Ihre jüngere Schwester Helen auf die ersehnte Kunstschule gehen lassen. Sie würden genug auf die Seite legen, damit Ihr Bruder Philip, dreizehn, Rechtsanwalt werden kann, wenn er das später noch möchte. Sie könnten hier mehr Leute einstellen, anstatt sich kaputtzurackern, damit Ihre Familie genug zu essen und zum Anziehen hat und etwas lernen kann.«

Vielleicht verstand sich seine Gründlichkeit von selbst, und doch nahm ich ihm übel, daß er seine Nase so tief in meine Privatangelegenheiten gesteckt hatte. Seit ich aber wegen eines im Zorn gesprochenen Wortes einmal auf einem schon fast verkauften Jährling sitzengeblieben war, der sich in der Woche darauf ein Bein brach, ließ ich mich so schnell zu keiner unbedachten Äußerung mehr hinreißen.

«Auch ich habe zwei Mädchen und einen Jungen großgezogen«, sagte er.»Ich weiß, was das kostet. Meine Älteste studiert, der Junge und seine Zwillingsschwester sind gerade mit der Schule fertig.«

Als ich immer noch nichts sagte, fuhr er fort:»Sie sind in England geboren und als Kind nach Australien gekommen. Ihr Vater, Howard Roke, war ein gefragter Rechtsanwalt. Er und Ihre Mutter sind beim Segeln verunglückt und ertrunken, als Sie achtzehn waren. Seit damals ernähren Sie sich und Ihre Geschwister durch die Pferdezucht. Wie ich höre, wollten Sie eigentlich in die Fußstapfen Ihres Vaters treten, haben dann aber mit dem hinterlassenen Geld hier, im früheren Ferienhaus der Familie, das Geschäft gegründet. Sie haben Erfolg damit. Ihre Pferde gelten als rittig und gut ausgebildet. Sie sind tüchtig, und man respektiert Sie.«

Lächelnd sah er zu mir auf. Ich stand steif vor ihm. Mir war klar, daß noch mehr kommen würde.

Er sagte:»Für Ihren Schulleiter in Geelong sind Sie ein kluger Kopf, der mit seinem Grips nichts anfängt. Ihr Banker meint, Sie geben wenig für sich selber aus. Ihr Arzt sagt, Sie haben in den neun Jahren, die Sie hier wohnen, noch nie Urlaub gemacht, nur mal wegen eines gebrochenen Beins vier Wochen im Krankenhaus gelegen. Ihr Pastor sagt, Sie kommen nie in die Kirche, und ist sehr enttäuscht darüber. «Er trank einen Schluck.

Resoluten Grafen, so schien es, standen viele Türen offen.

«Und schließlich«, ergänzte er mit einem schiefen Lächeln,»meinte der Barmann vom >Goldenen Schnabeltier< in Perlooma, er würde Ihnen trotz Ihres blendenden Aussehens die eigene Schwester anvertrauen.«

«Und welche Schlußfolgerung ziehen Sie aus all dem?«fragte ich, nicht mehr ganz so aufgebracht.

«Daß Sie ein langweiliger, fleißiger Tugendbold sind«, antwortete er.

Ich mußte lachen und setzte mich hin.

«Stimmt«, gab ich zu.

«Andererseits sagen alle, daß Sie bei der Stange bleiben, wenn Sie einmal etwas angefangen haben, und daß Sie schwere körperliche Arbeit gewohnt sind. Sie verstehen so viel von Pferden, daß Sie den Pflegerjob mit links hinkriegen.«

«Die ganze Idee ist verrückt«, sagte ich seufzend.»Das klappt so nicht, weder mit mir noch mit Arthur Simmons oder sonst jemand. Das ist einfach nicht durchführbar. Es gibt doch Hunderte von Rennställen in Großbritannien. Man könnte Monate dort herumgeistern, ohne etwas mitzukriegen, während ringsherum gedopt wird, was das Zeug hält.«

Er schüttelte den Kopf.»Das glaube ich nicht. Es gibt erstaunlich wenig unehrliche Pferdepfleger, weit weniger, als Sie und die meisten anderen Leute sich vorstellen. Wenn da einer als käuflich bekannt ist, stürzen sich die Gauner und Ganoven auf ihn wie auf einen unbewachten Geldschrank. Unser Mann brauchte nur dafür zu sorgen, daß sich herumspricht, er sei Angeboten zugänglich. Er würde sie bekommen, glauben Sie mir.«

«Aber auch die, um die es Ihnen geht? Das scheint mir doch sehr fraglich.«

«Es ist eine Chance. Für uns heißt es, jede Chance nutzen. Jede, die uns noch bleibt. Wir haben alle Leute, die mit den betroffenen Pferden zu tun hatten, eingehend befragt und sind keinen Schritt vorangekommen. Die Polizei sagt, sie kann uns nicht helfen. Da die verwendete Substanz nicht nachgewiesen ist, fehlt ihr ein Anhalt. Wir haben ein Detektivbüro beauftragt, und auch das war ein Schlag ins Wasser. Der direkte Weg hat überhaupt nichts gebracht. Der verdeckte Weg kann nicht weniger bringen. Ich bin sicher, und ich setze zwanzigtausend Pfund darauf, daß der Umweg über Sie uns weiterbringt. Machen Sie’s?«

«Ich weiß nicht«, sagte ich und verfluchte meine Schwachheit.»Kommt nicht in Frage«, hätte ich sagen müssen.

Er stieß sofort nach, beugte sich vor und redete auf einmal schneller, mit leidenschaftlichem Engagement in jedem Wort.»Kann ich Ihnen begreiflich machen, wie besorgt meine Kollegen und ich wegen dieser nicht nachweisbaren Dopingfälle sind? Ich besitze mehrere Rennpferde — Steepler hauptsächlich —, und meine Familie liebt und unterstützt den Rennsport seit Generationen. Das Wohl dieses Sports bedeutet mir und meinesgleichen mehr, als ich sagen kann… Und es ist zum zweitenmal innerhalb von drei Jahren ernstlich gefährdet. Bei der letzten großen Dopingwelle gab es satirische Spitzen in Presse und Fernsehen, und noch einmal darf uns das einfach nicht passieren. Bis jetzt konnten wir vermeiden, ins Gerede zu kommen, weil die Fälle über Monate verteilt sind — der erste liegt über ein Jahr zurück, und auf Nachfragen antworten wir immer nur, Probe negativ, aber wir müssen dieses neue Mittel nachweisen, bevor es weithin in Gebrauch kommt. Sonst wird das eine größere Gefahr für den Rennsport als alles bisher Dagewesene. Wenn die unnachweislich gedopten Sieger zum Alltag werden, ist es um das Vertrauen der Öffentlichkeit geschehen, und der Hindernissport erleidet einen Schaden, von dem er sich allenfalls nach Jahren erholen wird. Dabei steht weit mehr auf dem Spiel als ein angenehmer Zeitvertreib. Der Rennsport ist ein Wirtschaftszweig mit Tausenden von Beschäftigten… und Gestütsbesitzer wie Sie stehen mittendrin. Die Abkehr der Öffentlichkeit würde böse Folgen haben.

Sie denken vielleicht, ich habe Ihnen ungewöhnlich viel Geld geboten, damit Sie nach England kommen und schauen, ob Sie uns helfen können, aber ich bin ein reicher Mann, und, glauben Sie mir, der Fortbestand des Rennsports ist mir noch viel mehr wert. Meine Pferde haben in der vorigen Saison fast zwanzigtausend an Sieggeld eingebracht, und wenn ich die einsetzen kann, um der Gefahr ein Ende zu bereiten, will ich das gern tun.«

«Sie gehen heute ganz anders zur Sache als gestern«, sagte ich langsam.

Er lehnte sich zurück.»Gestern brauchte ich Sie nicht zu überzeugen. Meine Einstellung war dieselbe.«

«Es gibt doch bestimmt jemanden in England, der für Sie nachforschen kann«, wandte ich ein.»Leute, die mit der Szene dort vertraut sind. Im Gegensatz zu mir. Ich bin mit neun Jahren nach Australien gekommen. Ich würde Ihnen nichts nützen. Das ist aussichtslos.«

Na also, lobte ich mich. Es geht auch härter.

Er schaute auf sein Glas, und seine Antwort kam zögernd.»Nun… wir hatten auch schon jemanden in England… einen Rennsportjournalisten. Bestes Gespür für Stories, sehr diskret; genau unser Mann. Leider hat er ein paar Wochen lang ohne Erfolg recherchiert. Dann ist er tödlich mit dem Wagen verunglückt, der Ärmste.«

«Und wenn Sie sich jemand anders nehmen?«beharrte ich.

«Er ist erst im Juni verunglückt, als der Hindernissport in der Sommerpause war. Die neue Saison lief im August an, und da kam uns die Idee mit dem Pferdepfleger und all ihren Haken.«

«Nehmen Sie einen Bauernsohn«, schlug ich vor.

«Ländlicher Akzent, Erfahrung mit Pferden… alles da.«

Er schüttelte den Kopf.»England ist zu klein. Wenn da ein Bauernsohn beim Pferderennen ein Pferd im Führring begleitet, spricht sich das rum. Zu viele Leute würden ihn erkennen und Fragen stellen.«

«Dann eben einen Landarbeitersohn, der intelligent genug ist.«

«Sollen wir Tests veranstalten?«fragte er säuerlich.

Es trat Stille ein, dann sah er von seinem Glas auf. Sein Gesicht war ernst, beinah streng.

«Also?«

Ich wollte klipp und klar nein sagen. Tatsächlich sagte ich wiederum:»Ich weiß nicht.«

«Was kann ich tun, um Sie zu überreden?«

«Nichts«, erwiderte ich.»Ich werde darüber nachdenken. Ich gebe Ihnen morgen Bescheid.«

«In Ordnung. «Er stand auf, lehnte meine Einladung zum Essen ab und ging, wie er gekommen war, mit der ganzen Kraft seiner Persönlichkeit. Das Haus wirkte leer, als ich nach der Verabschiedung wieder hineinging.

Der Vollmond strahlte am schwarzen Himmel, und durch eine Lücke zwischen den Bergen reckte der ferne Mount Kosciusko seinen stumpfen, schneebedeckten Gipfel ins Licht. Ich saß auf einem Felsen hoch oben am Berghang und sah auf mein Zuhause hinunter.

Da lag die Lagune, lagen die großen Weiden, die sich bis zum Busch hin erstreckten, die kleinen, weiß eingezäunten Koppeln beim Haus, die Abfohlboxen mit ihrem schimmernden Dach, das große Stallgebäude, die Schlafbaracke, das niedrige Wohnhaus, lang und elegant, gespiegeltes Mondlicht in dem großen Fenster am Ende.

Da lag mein Gefängnis.

Anfangs war es nicht schlecht gewesen. Wir hatten keine Verwandten, die sich um uns kümmerten, und für mich war es eine Genugtuung, die Leute zu widerlegen, die meinten, ich könne nicht genug verdienen, um drei kleine Kinder — Belinda, Helen und Philip — mitzuernähren. Ich mochte Pferde, hatte sie immer schon gern gehabt, und das Geschäft lief von Anfang an recht gut. Jedenfalls hatten wir alle zu essen, und ich redete mir sogar ein, daß ich für den Anwaltsberuf eigentlich gar nicht geschaffen sei.

Meine Eltern hatten Belinda und Helen nach Frensham schicken wollen, und als es soweit war, kamen sie dort auch hin. Sicher hätte sich eine weniger kostspielige Schule finden lassen, aber sie sollten nach Möglichkeit bekommen, was ich bekommen hatte — und deshalb war Philip jetzt in Geelong. Mein Unternehmen war mit der Zeit gewachsen, aber auch das Schulgeld, die Löhne und die Unterhaltskosten waren gestiegen. Ich war gefangen in einer Aufwärtsspirale, und zu viel hing davon ab, daß ich am Ball bleiben konnte. Mein Beinbruch bei einem Jagdrennen, mit zweiundzwanzig, hatte die schlimmste finanzielle Krise in den ganzen neun Jahren ausgelöst — und notgedrungen hatte ich auf so waghalsige Abenteuer fortan verzichten müssen.

Die ewige Arbeit störte mich nicht. Ich mochte meine Geschwister sehr gern. Ich bereute nichts, was ich getan hatte. Aber das Gefühl, Gefangener in einer schönen, selbstgebauten Falle zu sein, nagte empfindlich an meiner Zufriedenheit als treusorgender älterer Bruder.

In acht oder zehn Jahren würden sie alle erwachsen, mit ihrer Ausbildung fertig und verheiratet sein, und meine Arbeit war getan. In zehn Jahren war ich siebenunddreißig. Vielleicht war ich bis dahin auch verheiratet, hatte eigene Kinder und schickte sie nach Frensham und nach Geelong… Seit über vier Jahren unterdrückte ich nach Kräften den Wunsch auszubrechen. Das ging leichter, wenn meine Geschwister in den Ferien nach Hause kamen, wenn das Haus von ihrem Lärm erfüllt war, wenn Philips Tischlerkünste überall herumlagen und die Rüschenwäsche der Mädchen zum Trocknen im Bad hing. Im Sommer ritten wir oder schwammen in der Lagune (dem See, wie meine britischen Eltern sagten), und im Winter liefen wir in den Bergen Ski. Wir verstanden uns bestens, und sie sahen nichts von dem, was wir hatten, als selbstverständlich an. Auch jetzt, wo sie größer wurden, konnte ich keine Anzeichen von jugendlicher Auflehnung bei ihnen feststellen. Sie machten mir wirklich Freude.

Acht Tage nachdem sie ins Internat zurückgekehrt waren, packte es mich dann meistens wieder: das heftige Verlangen, frei zu sein, frei und ungebunden für geraume Zeit, um endlich einmal weiter herumzukommen als zu den Verkaufsauktionen, weiter als gerade schnell einmal nach Sydney, Melbourne oder Cooma.

Geld verdienen Tag für Tag allein war noch kein Leben, und es gab mehr zu sehen auf der Welt als nur den einen schönen Flecken. Das Füttern der anderen Nestlinge hatte mich so sehr in Anspruch genommen, daß ich noch nie ausgeflogen war.

Da konnte ich mir zehnmal sagen, solche Gedanken seien müßig, das reine Selbstmitleid, ich hätte keinen Grund, mich zu beklagen. Nachts hielten mich schwere Depressionen wach, und in den schwarzen Zahlen blieb ich nur, weil ich tagsüber das Letzte aus mir herausholte.

Als Lord October erschien, waren die Kinder seit elf Tagen wieder in der Schule, und ich schlief schlecht. Vielleicht saß ich deshalb um vier Uhr morgens an einem Berghang und versuchte mir darüber klarzuwerden, ob ich eine eigenartige Stelle als Pferdepfleger auf der anderen Seite der Welt annehmen sollte oder nicht. Die Tür des Käfigs hatte sich zwar geöffnet; aber der Köder, der davor baumelte, um mich herauszulocken, schien mir verdächtig groß.

Zwanzigtausend englische Pfund. ein Haufen Geld. Allerdings hatte October nicht wissen können, wie es in mir kribbelte, und vielleicht gedacht, mit weniger käme er nicht an. (Wieviel hatte er wohl Arthur bieten wollen?)

Andererseits war da der tödlich verunglückte Rennsportjournalist. Wenn October oder seine Kollegen den leisesten Zweifel hegten, daß er wirklich einem Unfall zum Opfer gefallen war, hätte das die hohe Summe auch erklärt, nämlich als Reuegeld. Durch den Beruf meines Vaters hatte ich früher einiges über Verbrechen und Verbrecher mitbekommen, und ich wußte zuviel, um die Möglichkeit eines arrangierten Unfalls als kompletten Unsinn abzutun.

Ich hatte die Ordnungs- und Wahrheitsliebe meines Vaters geerbt und sein logisches Denken früh schätzengelernt, wenngleich ich ihn im Umgang mit unschuldigen Zeugen vor Gericht oft zu rüde fand. Mein Empfinden war stets, daß Recht geschehen sollte und daß mein Vater der Welt keinen guten Dienst erwies, wenn er die Schuldigen herauspaukte. Zum Strafverteidiger taugst du mit dieser Einstellung nicht, meinte er. Geh halt zur Polizei.

England, dachte ich. Zwanzigtausend Pfund. Detektiv spielen. Um ehrlich zu sein, Octobers Vorstellungen vom Ernst der Lage hatten mich nicht berührt. Der englische Rennsport fand auf der anderen Seite des Erdballs statt. Ich kannte keinen, der damit zu tun hatte. Wie es um seinen Ruf bestellt war, kümmerte mich herzlich wenig. Wenn ich hinfuhr, dann nicht aus selbstloser Hilfsbereitschaft. Ich würde nur fahren, weil mich das Abenteuer lockte, weil es spannend zu werden versprach, weil die Sirene sang, ich solle jede Verantwortung sausenlassen, die Fesseln sprengen und ins volle Leben eintauchen.

Der gesunde Menschenverstand sagte mir, die ganze Idee sei verrückt, der Earl of October sei ein hoffnungsloser Spinner, ich hätte kein Recht, meine Geschwister sich selbst zu überlassen, während ich mich in der Weltgeschichte herumtrieb, es gebe für mich nur eins, zu bleiben, wo ich war, und damit müsse ich zufrieden sein.

Der gesunde Menschenverstand unterlag.

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