Es wurde schon dunkel, als ich am College vorfuhr, den Motor abstellte und die Eingangsstufen hinaufhastete. Am Pförtnertisch saß niemand, und alles war ruhig. Ich rannte durch die Gänge, fand die Treppe, lief in den zweiten Stock. Dann war Ende. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, wo es zu Elinors Zimmer ging.
Eine magere, ältere Frau mit Kneifer, die einen Stapel Papiere und ein dickes Buch in den Armen hielt, kam mir entgegen. Eine Lehrerin, dachte ich.
«Bitte«, sagte ich,»wie komme ich zu Miss Tarren?«
Sie blieb vor mir stehen und musterte mich. Ich gefiel ihr nicht. Was hätte ich in dem Moment für ein gepflegtes Äußeres gegeben!
«Bitte«, sagte ich noch einmal.»Es kann sein, daß sie krank ist. Wie komme ich zu ihr?«
«Sie haben Blut im Gesicht«, sagte sie.
«Das ist nur ein Kratzer… bitte…«Ich packte sie am Arm.»Zeigen Sie mir, wo ihr Zimmer ist, und wenn es ihr gutgeht und ihr nichts fehlt, sind Sie mich gleich wieder los. Aber es kann sein, daß sie dringend Hilfe braucht. Bitte glauben Sie mir…«
«Na schön«, sagte sie zögernd.»Sehen wir nach. Hier entlang bitte… und da lang.«
Wir kamen zu Elinors Tür. Ich klopfte laut. Keine Antwort. Ich bückte mich zum Schlüsselloch hinunter. Der
Schlüssel steckte von innen, so daß ich nichts sehen konnte.
«Machen Sie auf«, drängte ich die Frau, die mich noch immer skeptisch betrachtete.»Machen Sie auf, und schauen Sie, ob es ihr gutgeht.«
Sie drückte die Klinke nieder. Aber es war abgeschlossen.
Ich hämmerte wieder an die Tür. Nichts.
«Hören Sie bitte«, sagte ich eindringlich.»Die Tür ist von innen abgeschlossen, also muß Elinor Tarren im Zimmer sein. Sie meldet sich nicht, weil sie nicht kann. Sie braucht unbedingt sofort einen Arzt. Können Sie das veranlassen?«
Die Frau sah mich ernst durch ihren Kneifer an und nickte. Ich war mir nicht sicher, ob sie mir glaubte, aber es sah so aus.
«Sagen Sie dem Arzt, daß sie mit Phenobarbital und Gin vergiftet worden ist. Vor ungefähr vierzig Minuten. Und bitte, bitte beeilen Sie sich. Gibt es einen Zweitschlüssel für die Tür?«
«Wenn einer steckt, läßt der sich nicht rausdrücken. Wir haben das bei anderer Gelegenheit bei anderen Zimmern schon versucht. Sie müssen die Tür aufbrechen. Ich rufe den Arzt. «Sie entfernte sich gemessenen Schrittes, immer noch unerhört ruhig, obwohl ein fragwürdiger Mensch mit blutender Stirn ihr gerade mitgeteilt hatte, daß eine ihrer Studentinnen mit einem Bein im Grab stand. Eine kampferprobte Universitätsdozentin.
Die viktorianischen Erbauer der Stätte hatten nicht vorgesehen, daß aufdringliche Kerle den Mädchen die Bude einrennen sollten. Da mir die Frau mit dem Kneifer aber zugetraut hatte, daß ich die Tür aufbrechen könnte, strengte ich mich an und trat sie schließlich mit dem Absatz ein. Das Holz barst am Türpfosten, und die Tür flog auf.
Der ganze Lärm hatte nicht eine einzige Studentin auf den Gang gelockt: Es war immer noch niemand da. Ich betrat Elinors Zimmer, knipste das Licht an und drückte die Tür hinter mir zu.
Sie lag ausgestreckt in tiefem Schlaf auf ihrem blauen Bett, das Gesicht umrahmt von dem silberblonden Haar, friedlich und schön. Sie hatte angefangen, sich auszuziehen, wohl deshalb auch die Tür abgeschlossen, und trug nur noch Slip, BH und ein schlichtes Unterkleid, alles weiß und mit Rosenknospen und rosa Bändern gemustert. Hübsch. So etwas hätte Belinda gefallen. Die leichte Bekleidung verstärkte jedoch den Eindruck ihrer Wehrlosigkeit. Und meine Sorge.
Das Kleid, das sie bei Humber getragen hatte, lag auf dem Boden. Ein Strumpf hing über einer Stuhllehne, der andere lag direkt unter ihrer schlaff herabbaumelnden Hand neben dem Bett. Ein frisches Paar Strümpfe war auf der Frisierkommode bereitgelegt, ein blaues Wollkleid hing auf einem Bügel am Kleiderschrank. Sie hatte sich für den Abend umziehen wollen.
Wenn ich sie mit dem Lärm der krachenden Tür nicht geweckt hatte, konnte ich sie wohl kaum wachrütteln, aber ich versuchte es. Sie regte sich nicht. Ihr Puls war normal, die Atmung gleichmäßig, ihr Teint zart wie immer. Sie sah nicht aus, als ob ihr etwas fehlte. Es machte mir angst.
Warum kam nicht endlich der Arzt? Die Tür hatte mich lange aufgehalten — oder ich hatte mich dumm angestellt, je nachdem —, es mußten jetzt zehn Minuten vergangen sein, seit die Frau mit dem Kneifer ihn rufen ging.
Wie aufs Stichwort öffnete sich die Tür, und ein gepflegter Mann mittleren Alters in einem grauen Anzug schaute ins Zimmer. Er war allein. In der einen Hand hielt er eine Tasche, in der anderen ein Feuerwehrbeil. Er kam herein, sah auf das zersplitterte Holz, lehnte die Tür an und legte das Beil auf Elinors Schreibtisch.
«Immerhin Zeit gespart«, meinte er knapp. Er musterte mich ohne Begeisterung und bedeutete mir, aus dem Weg zu gehen. Dann registrierte er das hochgerutschte Unterkleid Elinors und ihre langen, nackten Beine und fragte argwöhnisch:»Haben Sie sie angerührt?«
«Nein«, antwortete ich verärgert.»Ich habe sie am Arm gerüttelt und ihren Puls gefühlt. Sie lag so da, als ich hereinkam.«
Irgend etwas, und sei es nur meine offensichtliche Müdigkeit, veranlaßte ihn plötzlich, mich mit dem nüchternen Blick des Arztes zu betrachten.»In Ordnung«, sagte er und beugte sich über Elinor.
Ich wartete hinter ihm, während er sie untersuchte, und als er sich umdrehte, bemerkte ich, daß er das verrutschte Unterkleid züchtig zu den Knien herabgezogen hatte.
«Phenobarbital und Gin?«sagte er.»Sind Sie sicher?«
«Ja.«
«Absichtlich eingenommen?«
Er klappte seine Tasche auf.
«Unabsichtlich.«
«Sonst wimmelt es hier von Frauen«, sagte er unvermittelt.»Aber anscheinend sind sie alle auf irgendeiner Versammlung. «Noch ein prüfender Blick.»Ginge es, daß Sie mir helfen?«
«Ja.«
Er zögerte.»Wirklich?«
«Sagen Sie mir, was ich tun soll.«
«Gut. Bringen Sie mir eine große Kanne und einen Eimer oder eine große Schüssel. Ich kümmere mich erst um das Mädchen, Sie können mir nachher erzählen, wie das passiert ist.«
Er nahm eine Spritze aus der Tasche, zog sie auf und setzte Elinor eine Injektion in die Vene an der Ellbogenbeuge. Ich holte Kanne und Schüssel aus dem Einbauschrank.
«Sie waren schon mal hier«, meinte er mit wiedererwachendem Argwohn.
«Einmal«, sagte ich und fügte Elinor zuliebe hinzu:»Ich bin bei ihrem Vater angestellt. Nichts Persönliches.«
«Oh. Verstehe. «Er zog die Nadel heraus, nahm die Spritze auseinander und wusch sich rasch die Hände.
«Wie viele Tabletten hat sie genommen, wissen Sie das?«
«Keine Tabletten. Es war in Pulverform. Ein Teelöffel voll, wenn nicht mehr.«
Er sah bestürzt aus, sagte aber:»Wenn man so viel nimmt, schmeckt das bitter. Das hätte sie gemerkt.«
«Gin mit Campari schmeckt sowieso bitter.«
«Stimmt. Also gut. Ich pumpe ihr den Magen aus. Das meiste wird schon in der Blutbahn sein, aber bei der Menge… nun, wir wollen es versuchen.«
Er wies mich an, die Kanne mit lauwarmem Wasser zu füllen, während er vorsichtig einen dicken Schlauch in Elinors Schlund einführte. Zu meiner Überraschung legte er dann das Ohr an den Schlauch und erklärte kurz dazu, daß man bei einem bewußtlosen Patienten, der nicht schlucken könne, kontrollieren müsse, ob der Schlauch versehentlich in die Lunge geraten sei.»Wenn Sie den Atem hören, sind Sie falsch«, sagte er.
Er steckte einen Trichter in das herausstehende Ende des Schlauchs, ließ sich die Kanne geben und goß behutsam das Wasser ein. Erst nachdem eine für mich unglaubliche Menge davon im Schlauch verschwunden war, hörte er auf, gab mir den Krug zurück und bat mich, die Schüssel zu ihm hin zu schieben. Dann nahm er den Trichter ab und hielt das Schlauchende plötzlich über den Bettrand hinweg in die Schüssel.
Das Wasser schoß, zusammen mit Elinors Mageninhalt, wieder heraus.
«Hm«, meinte er ruhig.»Sie hat vorher gegessen. Kuchen anscheinend. Immerhin.«
Er war um einiges gelassener als ich.
«Kommt sie durch?«Meine Stimme klang gepreßt.
Er sah mich kurz an und zog den Schlauch heraus.
«Sie hat das Zeug knapp eine Stunde vor meiner Ankunft getrunken?«
«Ungefähr fünfzig Minuten vorher.«
«Und sie hatte was im Magen. Ja, das wird schon, bei ihrer Konstitution. Ich habe ihr Megimid gespritzt, ein hochwirksames Gegenmittel. In etwa einer Stunde dürfte sie aufwachen. Eine Nacht im Krankenhaus, und sie hat’s überstanden. Dann ist sie wieder voll da.«
Ich fuhr mir mit der Hand übers Gesicht.
«Es kommt sehr auf die Zeit an«, meinte er ruhig.»Wenn sie hier stundenlang gelegen hätte… ein Teelöffel, das sind zwei Gramm, wenn nicht mehr. «Er schüttelte den Kopf.
«Das hätte ihr Tod sein können.«
Er entnahm eine Probe des Mageninhalts fürs Labor und deckte die Schüssel mit einem Handtuch zu.
«Wie sind Sie denn zu der Wunde am Kopf gekommen?«fragte er plötzlich.
«Bei einer Rauferei.«»Sie muß genäht werden. Soll ich das machen?«
«Ja, gern.«
«Sobald Miss Tarren auf dem Weg ins Krankenhaus ist. Dr. Pritchard wollte einen Krankenwagen rufen. Der müßte bald da sein.«
«Dr. Pritchard?«
«Die Dozentin, die mich verständigt hat. Meine Praxis ist gleich um die Ecke. Sie rief an und sagte, ein blutverschmierter, ungestümer junger Mann behaupte, Miss Tarren sei vergiftet worden, und ich möchte doch bitte mal nach ihr sehen. «Er lächelte flüchtig.»Sie haben mir noch nicht erzählt, wie das alles passiert ist.«
«Das ist auch eine lange Geschichte«, sagte ich müde.
«Sie werden sie der Polizei erzählen müssen«, meinte er.
Ich nickte. Der Polizei mußte ich viel zuviel erzählen. Ich freute mich nicht darauf. Der Arzt griff zu Papier und Stift und schrieb einen Bericht für das Krankenhaus.
Auf dem Gang hörte man plötzlich Mädchenstimmen, leichtfüßiges Getrappel und Türenschlagen. Die Studentinnen kamen von ihrer Versammlung zurück — für Elinor etwas zu früh, denn nun würden alle mitbekommen, wie man sie abholte.
Kräftigere Schritte hielten vor Elinors Zimmer, dann wurde geklopft. Zwei Sanitäter in Weiß kamen mit einer Trage herein, hoben Elinor mit schnellen, geübten Griffen darauf, deckten sie zu und brachten sie fort. Eine Welle mitfühlender, besorgter Fragen begleitete sie.
Der Arzt schloß die Tür und nahm ohne weitere Umschweife Nadel und Faden aus seiner Tasche, um mir die Stirn zusammenzunähen. Ich saß auf Elinors Bett, während er die Wunde desinfizierte und die Naht legte.
«Weswegen haben Sie gerauft?«fragte er.
«Weil ich angegriffen wurde«, sagte ich.
«So?«Er verlagerte sein Gewicht, um aus einem anderen Winkel weiterzunähen, und stützte sich dabei auf meiner Schulter ab. Als er merkte, wie ich unter dem Druck zurückwich, sah er mich fragend an.
«Sie haben also den kürzeren gezogen?«
«Nein«, sagte ich langsam.»Ich habe gewonnen.«
Er war fertig und schnitt den Faden mit der Schere ab.
«Bitte sehr. Da wird kaum eine Narbe zurückbleiben.«
«Danke. «Es klang ein bißchen schwach.
«Geht’s Ihnen gut?«fragte er plötzlich.»Sehen Sie immer so grau aus?«
«Selten. Aber im Moment paßt grau zu mir. Ich habe auch eins über den Schädel bekommen.«
Er untersuchte die Beule hinter meinem Ohr und meinte, ich würde es überleben. Er fragte mich gerade, wo es mir sonst noch weh tue, als wieder schwere Schritte auf dem Gang ertönten und mit Gepolter die Tür aufflog.
Zwei breitschultrige Polizisten in Uniform betraten das Zimmer.
Sie kannten den Arzt. Offenbar nahm ihn die Polizei in Durham öfters in Anspruch. Sie begrüßten einander höflich, und der Arzt teilte ihnen mit, daß Miss Tarren bereits auf dem Weg ins Krankenhaus sei. Sie ließen ihn nicht ausreden.
«Wir kommen seinetwegen, Sir«, sagte der größere der beiden und wies auf mich.»Daniel Roke, ein Pferdepfleger.«
«Ja, er hat Hilfe für Miss Tarren geholt.«
«Nein, Sir, wegen einer Miss Tarren oder Hilfe für Miss Tarren sind wir nicht hier. Wir müssen ihn in einer anderen Angelegenheit befragen.«»Es geht ihm nicht besonders«, sagte der Arzt.»Muten Sie ihm nicht zuviel zu. Hat das nicht bis später Zeit?«
«Auf keinen Fall, Sir.«
Sie kamen entschlossen zu mir herüber. Der Wortführer war ein Rotschopf etwa in meinem Alter, mit ernstem, gespanntem Gesicht. Sein etwas kleinerer Partner hatte dunkle Haare, braune Augen und war genauso auf der Hut. Es sah aus, als befürchteten sie, ich könnte aufspringen und ihnen die Hälse umdrehen.
Wie auf Kommando beugten sich beide vor und nahmen meine Unterarme in den Zangengriff. Der Rothaarige, rechts von mir, zog Handschellen aus der Tasche, und vereint legten sie sie mir an.
«Immer mit der Ruhe, Sportsfreund«, warnte mich der Rothaarige, als ich versuchte, meinen Arm seinem schmerzhaften Griff zu entziehen, was er offenbar als Fluchtabsicht mißverstand.
«Lassen Sie mich los«, sagte ich.»Ich haue nicht ab.«
Sie nahmen die Hände weg, traten einen Schritt zurück und sahen mich an. Ihre Gesichter waren schon viel entspannter; sie hatten wohl wirklich mit ernstem Widerstand gerechnet. Es war entnervend. Ich atmete tief durch, um den Schmerzen in meinem Arm beizukommen.
«Der macht uns keinen Ärger«, sagte der Dunkelhaarige.
«Sieht ja aus wie der Tod.«
«Er hat eine Rauferei hinter sich«, bemerkte der Arzt.
«Hat er das gesagt, Sir?«Der Dunkelhaarige lachte.
Ich sah auf meine nicht nur drückenden, sondern auch demütigenden Handschellen.
«Was hat er denn getan?«fragte der Arzt.
«Ehm«, antwortete der Rote,»er soll uns bei der Untersuchung des Überfalls auf einen Trainer helfen, bei dem er beschäftigt war. Der Mann ist noch nicht wieder bei Bewußtsein, und einem anderen, der bei ihm war, wurde der Schädel eingeschlagen.«
«Tot?«
«Soweit wir unterrichtet sind, ja. Wir waren nicht selbst am Tatort, aber da soll es wüst aussehen. Wir sind von Clavering hergeschickt worden, um den Mann abzuholen, weil der Rennstall zu unserem Bezirk gehört, und nach Clavering bringen wir ihn auch.«
«Sie sind ihm aber schnell auf die Spur gekommen«, meinte der Arzt.
«Ja«, sagte der Rote befriedigt.»Die Jungs waren auf Draht. Vor einer halben Stunde hat eine Frau von hier bei der Polizei in Durham angerufen und unseren Mann da beschrieben, und als dann aus Clavering die Sache mit dem Rennstall gemeldet wurde, hat jemand die beiden Beschreibungen miteinander in Verbindung gebracht und uns Bescheid gesagt. Wir sollten also mal nachsehen, und hoppla, da stand sein Motorrad samt richtiger Zulassungsnummer und allem unten in der Einfahrt.«
Ich hob den Kopf. Der Arzt sah mich an. Er war enttäuscht, ernüchtert. Er zuckte die Achseln und sagte müde:
«Man sieht es einem eben nicht an. Mir kam er nicht wie ein Schläger vor… und jetzt das. «Er wandte sich ab und griff nach seiner Tasche.
Mir war es auf einmal zuviel. Widerspruchslos hatte ich mich von allen Seiten verachten lassen. Jetzt konnte ich nicht mehr.
«Ich habe mich nur zur Wehr gesetzt«, sagte ich.
Der Arzt drehte sich halb zu mir um. Ich wußte nicht, warum es mir wichtig war, ihn zu überzeugen, aber mir lag daran.
Der dunkelhaarige Polizist zog eine Braue hoch und meinte zu dem Arzt:»Der Trainer war sein Arbeitgeber, Sir, und der Erschlagene, soviel ich gehört habe, ein begüterter Mann, dessen Pferde dort trainiert wurden. Der Futtermeister hat die Polizei verständigt. Er sah Roke auf dem Motorrad davonbrausen und wunderte sich, weil Roke gestern entlassen worden war, und als er dem Trainer deswegen Bescheid sagen wollte, fand er ihn neben dem Toten bewußtlos in seinem Büro.«
Der Arzt hatte genug gehört. Er ging hinaus, ohne sich noch einmal umzusehen. Was sollte es? Am besten folgte ich dem Rat des Rotschopfs, schluckte alles runter und blieb ruhig.
«Dann mal los, Sportsfreund«, sagte der Dunkelhaarige. Sie standen wieder voll Anspannung vor mir, feindselig und wachsam.
Ich stand langsam auf. Langsam, weil ich kaum noch die Kraft dazu aufbrachte und weil ich nicht klappriger und mitleidheischender wirken wollte als nötig. Aber es ging. Als ich stand, fühlte ich mich auch im Kopf gleich besser, weil ich mich nicht mehr zwei bedrohlich großen Polizisten gegenübersah, sondern zwei normalgroßen jungen Männern, die ihre Pflicht taten und auf keinen Fall etwas verbocken wollten.
Für sie lief es allerdings umgekehrt. Wahrscheinlich hatten sie sich einen Pferdepfleger unbewußt kleinwüchsig vorgestellt, aber das war ich nun nicht. Sie wurden merklich aggressiver, und ich begriff, daß ich ihnen unter den gegebenen Umständen, noch dazu in Schwarz, wahrscheinlich etwas gefährlich vorkam — daß sie, mit einem Wort von Terence, meinten, ich sei schwer zu handhaben.
Ich legte keinen Wert darauf, noch mehr Prügel zu beziehen, erst recht nicht von seiten der Polizei.
«Hören Sie«, seufzte ich,»ich mache Ihnen keine Schwierigkeiten.«
Aber sie hatten den Auftrag, einen Mann festzunehmen, der ausgerastet war und jemanden erschlagen hatte, und sie gingen kein Risiko ein. Der Rote packte mich am rechten Oberarm und stieß mich zur Tür, und sobald wir auf dem Gang waren, packte mich der Dunkelhaarige am linken.
Auf der ganzen Länge des Korridors standen Mädchen in kleinen Gruppen zusammen und unterhielten sich. Ich blieb abrupt stehen. Die Polizisten stießen mich weiter. Die Mädchen starrten uns an.
Die Redensart vom Erdboden, in dem man am liebsten versinken möchte, bekam eine ganz plastische Bedeutung für mich. Es verletzte den kläglichen Rest meiner persönlichen Würde, so vielen intelligenten und ansprechenden jungen Frauen als Gefangener vorgeführt zu werden. Die Zeugen waren im falschen Alter. Vom falschen Geschlecht. Ich hätte es leichter genommen, wenn sie Männer gewesen wären.
Nichts zu machen. Es war ein langer Weg von Elinors Zimmer durch die verzweigten Korridore, zwei Treppen hinunter zum Ausgang, und jeder unserer Schritte wurde von interessierten Mädchenaugen beobachtet.
So etwas vergißt man nicht, dachte ich unglücklich. Das ging zu tief. Oder konnte man sich sogar daran gewöhnen, in Handschellen herumgeführt zu werden? Beneidenswert der Unverbesserliche, den das dann nicht mehr kümmerte.
Immerhin brachte ich den Weg, sogar die Treppen, hinter mich, ohne zu stolpern, und das war schon ein kleiner Trost. Aber erst, als ich in den Streifenwagen gestoßen wurde, atmete ich auf.
Ich saß vorn, zwischen meinen beiden Bewachern. Der Dunkelhaarige fuhr.
«Puh«, sagte er und schob seine Mütze einen Tick nach hinten.»Was für eine Menge Frauen!«Er war unter ihren Blicken rot geworden, und ein wenig Schweiß stand ihm auf der Stirn.
«Ein harter Knochen ist das hier«, meinte der Rote und wischte sich mit einem weißen Taschentuch den Hals, während er mich, an die Tür gelehnt, betrachtete.»Der hat keine Miene verzogen.«
Die Lichter von Durham glitten vorbei. Ich sah geradeaus durch die Windschutzscheibe und dachte bei mir, wie wenig man doch an einem Gesicht ablesen konnte. Der ganze Weg war eine Tortur gewesen. Wahrscheinlich hatte man mir das nur deshalb nicht angesehen, weil ich seit Monaten darin geübt war, meine Gefühle und Gedanken zu verbergen. Die Macht der Gewohnheit. Zu Recht nahm ich an, daß diese Gewohnheit mir künftig noch öfter Kraft geben würde.
Auf der ganzen Fahrt dachte ich darüber nach, wie bös ich in die Klemme geraten war und wie schwierig es werden konnte, da wieder rauszukommen. Ich hatte Adams wirklich umgebracht. Da gab es kein Wenn und Aber. Und man würde mich nicht als ehrbaren Bürger betrachten, sondern als Totschläger, der mit allen Tricks versuchte, sich der Verantwortung für seine Tat zu entziehen. Man würde nach meiner äußeren Erscheinung gehen, die wirklich nicht viel hermachte. Mein Pech. Immerhin hatte ich acht Wochen bei Humber überstanden, weil ich wie Müll aussah. Die Maske, die Adams getäuscht hatte, würde auf die Polizei ebenso überzeugend wirken, ja wirkte jetzt schon so auf sie, wie die wachsamen, feindseligen Männer links und rechts von mir bewiesen.
Der Rothaarige ließ mich nicht aus den Augen.
«Sehr gesprächig ist er nicht«, sagte er nach einer langen Schweigepause.
«Hat viel nachzudenken«, spöttelte der Dunkle.
Die Blessuren, die Adams und Humber mir beigebracht hatten, machten sich weiterhin bemerkbar. Ich rutschte unbehaglich auf meinem Sitz, und die Handschellen klirrten. Die Unbeschwertheit, mit der ich in meinen neuen Kleidern nach Slaw gefahren war, schien weit, weit zurückzuliegen.
Die Lichter von Clavering tauchten auf. Der Dunkelhaarige warf mir einen zufriedenen Blick zu. Er hatte einen Fang gemacht. Seine Aufgabe erfüllt. Der Rothaarige brach erneut ein langes Schweigen, und auch aus seinen Worten klang Befriedigung.
«Der wird ein schönes Stück älter sein, wenn er wieder rauskommt.«
Das hoffte ich entschieden nicht, aber ich wußte nur zu gut, daß ich in Untersuchungshaft bleiben würde, bis ich schlüssig nachweisen konnte, daß ich in Notwehr gehandelt hatte. Ich war nicht umsonst Sohn eines Anwalts.
Die nächsten Stunden waren grauenhaft. Die Polizei von Clavering war ein zynischer Verein, abgebrüht im Kampf gegen die Kriminalität in einem Bergbaugebiet mit hoher Arbeitslosenquote. Samthandschuhe gab es für sie nicht. Als einzelne liebten sie vielleicht ihre Frauen und waren gute Väter, aber sie hoben sich Humor und Nachsicht für die Freizeit auf.
Sie hatten viel zu tun. Hektik und Gedränge auf der ganzen Linie. Immer noch in Handschellen, wurde ich unter Bewachung von einem Zimmer ins nächste gestoßen und angeblafft. Immer hieß es:»Nachher. Den nehmen wir uns später vor. Wir haben die ganze Nacht Zeit.«
Ich dachte sehnsüchtig an ein heißes Bad, ein weiches Bett und eine Handvoll Aspirin. Nichts davon bekam ich.
Irgendwann am Abend setzten sie mich in einem hellen, kahlen Zimmerchen auf einen Stuhl, und ich erzählte ihnen, warum ich bei Humber gewesen und wie es dazu gekommen war, daß ich Adams getötet hatte. Ich erzählte alles, was an dem Tag passiert war. Sie glaubten mir nicht, was man ihnen kaum verdenken konnte. Daß sie mich des Mordes beschuldigten, war Formsache. Ich protestierte. Es nützte nichts.
Sie stellten mir eine Menge Fragen. Ich beantwortete sie. Sie stellten sie wieder. Ich antwortete. Sie lösten einander mit dem Fragen ab, so daß immer ein frischer Mann am Drücker war, während ich zunehmend abbaute. Ich war froh, daß ich in diesem zermürbenden Dauerstreß kein Lügengespinst aufrechterhalten mußte, denn es war schon schwer genug, die Wahrheit klar im Kopf zu behalten, und sie warteten nur auf einen Fehler von mir.
«Jetzt erzählen Sie mal, was wirklich passiert ist.«
«Das habe ich Ihnen erzählt.«
«Agentenmärchen glauben wir nicht.«
«Telegrafieren Sie nach Australien, fordern Sie eine Kopie meines Arbeitsvertrags an. «Zum dritten Mal wiederholte ich die Adresse meines Anwalts, und zum vierten Mal unterließen sie es, sie zu notieren.
«Wer hat Sie angeblich engagiert?«
«Der Earl of October.«
«Den können wir dann ja sicher auch fragen.«
«Er ist bis Samstag in Deutschland.«
«So ein Pech. «Sie lächelten boshaft. Sie wußten von Cass, daß ich in Octobers Rennstall gearbeitet hatte. Cass hatte mich als liederlichen Stallmann geschildert, unehrlich, leicht einzuschüchtern und nicht der Hellste. Er hatte aus Überzeugung gesprochen, und er hatte sie überzeugt.
«Sie haben Ärger wegen der Tochter Seiner Lordschaft bekommen, nicht wahr?«
Cass, das verdammte Plappermaul, dachte ich grimmig.
«Und jetzt ziehen Sie seinen Namen da rein, um sich für Ihre Entlassung zu revanchieren, was?«
«So wie Sie sich bei Mr. Humber heute für Ihre Entlassung revanchiert haben?«
«Nein. Da bin ich weg, weil meine Aufgabe erledigt war.«
«Oder vielleicht dafür, daß er Sie geschlagen hat?«
«Nein.«
«Der Futtermeister meint, die Prügel seien verdient gewesen.«
«Adams und Humber haben Wettbetrug betrieben. Ich bin ihnen auf die Schliche gekommen, und sie haben versucht, mich umzubringen. «Mir kam es vor, als hätte ich das schon zehnmal gesagt, ohne auch nur den geringsten Eindruck zu machen.
«Sie haben ihnen die Schläge verübelt. Sie sind zurückgekommen, um sich zu revanchieren. Wir kennen das Spiel.«
«Nein.«
«Sie haben sich da reingesteigert, sind zurück und auf die beiden los. Das reinste Schlachtfeld. Überall Blut.«
«Es ist mein Blut.«
«Das können wir nachprüfen.«
«Bitte sehr. Es stammt von mir.«
«Von der kleinen Wunde da? Reden Sie keinen Stuß.«
«Sie ist genäht worden.«»Ach ja, das bringt uns wieder auf Lady Elinor Tarren. Lord Octobers Tochter. An der haben Sie sich vergriffen, was?«
«Nein.«
«Ihr ein Kind gemacht…«
«Nein. Fragen Sie den Arzt.«
«Deswegen hat sie Schlaftabletten genommen.«
«Nein. Adams hat sie vergiftet. «Schon zweimal hatte ich ihnen von der Flasche Phenobarbital erzählt, und die mußten sie auch gefunden haben, als sie bei Humber waren, aber sie gaben es nicht zu.
«Der Vater hat Ihnen gekündigt, weil Sie die Tochter verführt haben. Die konnte die Entehrung nicht ertragen. Sie hat Schlaftabletten geschluckt.«
«Sie brauchte sich nicht entehrt zu fühlen. Ihre Schwester Patricia ist diejenige, die ich angeblich verführt habe. Adams hat Elinor das Gift in Gin mit Campari verabreicht. In Humbers Büro finden sich Gin, Campari und Pheno-barbital, und in der Probe von Elinors Mageninhalt auch.«
Es fiel auf taube Ohren.»Sie fand heraus, daß Sie sie auch noch sitzengelassen haben. Um sie zu trösten, bot Mr. Humber ihr etwas zu trinken an, aber sie fuhr heim in ihr College und nahm Schlaftabletten.«
«Nein.«
Was den Flammenwerfer anging, so waren sie, gelinde gesagt, skeptisch.
«Sie finden ihn in dem Schuppen.«
«Ach ja, der Schuppen. Wo soll der sein?«
Ich sagte es ihnen noch einmal genau.»Die Weide gehört wahrscheinlich Adams. Das läßt sich ja feststellen.«
«Die existiert nur in Ihrer Einbildung.«»Wenn Sie nachsehen, finden Sie sie und auch den Flammenwerfer.«
«Damit wird wahrscheinlich das Heidekraut abgebrannt. Viele Farmer hier in der Gegend haben solche Dinger.«
Ich hatte zweimal anrufen dürfen, um Colonel Beckett zu erreichen. Sein Diener in London sagte, er sei zum Pferderennen in Newbury bei Freunden in Berkshire. Die kleine Ortsvermittlung in Berkshire sei wegen defekter Kabel infolge eines Wasserrohrbruchs außer Betrieb, teilte mir das Amt mit. Die technischen Reparaturen seien im Gange.
Ich fragte meine Verhörer, ob es sie nicht schon überzeuge, daß ich mit einem der führenden Köpfe des Hindernissports sprechen wolle.
«Erinnert ihr euch an den Typen damals, der seine Frau erwürgt hatte? Völlig durchgeknallt. Wollte unbedingt Bertrand Russell anrufen und ihm erzählen, daß er einen Sieg für den Frieden errungen habe.«
Gegen Mitternacht erklärte einer von ihnen, selbst wenn ich unwahrscheinlicherweise tatsächlich beauftragt worden sei, gegen Adams und Humber zu ermitteln (was er persönlich keinen Augenblick glaube), dann hätte mich das noch nicht dazu berechtigt, sie umzubringen.
«Humber ist nicht tot«, sagte ich.
«Noch nicht.«
Mein Herz machte einen Satz. Bloß nicht noch Humber, dachte ich. Nicht auch noch Humber.
«Sie haben also Adams mit dem Gehstock erschlagen?«
«Nein, mit einer grünen Glaskugel, wie ich schon sagte.
Ich hielt sie in der linken Hand und schlug mit aller Kraft zu. Ich wollte ihn nur bewußtlos schlagen, nicht umbringen. Ich bin Rechtshänder… mit der Linken konnte ich den Schlag nicht so genau bemessen.«»Warum haben Sie dann mit links geschlagen?«
«Das habe ich schon gesagt.«
«Lassen Sie es uns noch mal hören.«
Ich sagte es ihnen noch einmal.
«Und nachdem Ihr rechter Arm nicht mehr zu gebrauchen war, haben Sie sich aufs Motorrad gesetzt und sind die sechzehn Kilometer nach Durham gefahren? Für wie blöd halten Sie uns?«
«Meine Fingerabdrücke sind auf dem Briefbeschwerer. Die von der rechten Hand, da ich ihn nach Humber geworfen habe, und darüber müssen die Abdrücke der linken Hand sein, mit der ich auf Adams eingeschlagen habe. Sie brauchen das nur nachzuprüfen.«
«Ein Fingerabdruckexperte«, meinten sie sarkastisch.
«Und wenn Sie schon dabei sind, können Sie auch am Telefon die Abdrücke meiner linken Hand abnehmen. Ich wollte Sie nämlich von dem Büro aus anrufen. Die Spuren meiner linken Hand sind auch an dem Wasserhahn im Waschraum… und am Büroschlüssel und innen und außen am Türgriff. Jedenfalls waren sie da.«
«Trotzdem sind Sie mit dem Motorrad gefahren.«
«Da hatte ich wieder Gefühl im Arm.«
«Und jetzt?«
«Jetzt auch.«
Einer von ihnen kam zu mir, faßte mich am rechten Handgelenk und riß meinen Arm hoch. Die Handschellen und mein linker Arm gingen mit. Die Prellungen auf der anderen Seite schmerzten stark. Der Polizist ließ meinen Arm wieder sinken. Es war erst mal still.
«Das hat er gespürt«, meinte einer schließlich widerwillig.
«Er simuliert.«
«Mag sein.«
Sie hatten den ganzen Abend hindurch ununterbrochen Tee getrunken und mir nicht eine Tasse angeboten. Jetzt bat ich darum und bekam auch eine, aber sie hochzuheben, fiel mir zu schwer, als daß ich sie hätte genießen können.
Sie fingen wieder von vorne an.
«Zugegeben, daß Adams Sie auf den Arm geschlagen hat, aber das war Notwehr. Er hat gesehen, wie Sie mit dem Briefbeschwerer auf Ihren Chef geworfen haben, und gewußt, daß er als nächster drankommt. Also mußte er sich wehren.«
«Er hatte mir schon die Wunde an der Stirn beigebracht… und mich mehrmals auf den Körper und einmal auf den Kopf geschlagen.«
«Das war doch alles gestern, sagt der Futtermeister. Deswegen sind Sie wiedergekommen und auf Mr. Humber los.«
«Humber hat mich gestern bloß zweimal geschlagen. Das konnte ich verschmerzen. Der Rest ist von heute und kam vorwiegend von Adams. «Mir fiel etwas ein.»Er hat mir den Sturzhelm vom Kopf genommen, als ich angeschlagen war. Seine Fingerabdrücke müssen darauf sein.«
«Fingerabdrücke schon wieder.«
«Die beweisen doch alles«, sagte ich.
«Immer der Reihe nach. Warum sollen wir einem Rowdy wie Ihnen glauben?«
Rowdy, Rocker, Halbstarker. Ich kannte die Wörter alle. Ich wußte, wie ich aussah. Wie ungünstig sich das jetzt auswirkte.
Verzweifelt sagte ich:»Man kann schlecht den schrägen, unehrlichen Stallmann mimen, wenn man nicht auch so aussieht.«
«Sie sehen doch so aus«, war die bewußt kränkende Antwort.»Sie haben das im Blut.«
Ich sah in ihre steinernen Gesichter, ihre kalten, unbeeindruckten Augen. Erfahrene Kriminalbeamte, die sich nicht hinters Licht führen lassen wollten. Ihr Standpunkt war klar: Wenn ich sie jetzt überzeugte, und nachher stellte sich heraus, daß ich ihnen einen Bären aufgebunden hatte, würden sie nie darüber hinwegkommen. Sie durften mir gar nicht erst glauben. Mein Pech.
Die Luft wurde stickig in dem vollgequalmten Zimmer, und mir wurde es in der Jacke und den beiden Pullovern zu warm. Sie dachten natürlich, der schwitzt vor Angst, nicht vor Schmerzen oder weil ihm zu warm ist.
Ich beantwortete weiterhin ihre Fragen. Sie gingen noch zweimal mit unvermindertem Eifer alles durch, stellten mir Fallen, wurden ab und zu laut, tigerten um mich herum, ohne mich noch einmal anzurühren, schossen aber von allen Seiten ihre Pfeile ab. Für so etwas war ich wirklich viel zu müde, da mich nicht nur die Verletzungen schwächten, sondern mir auch der Schlaf der vergangenen Nacht fehlte. Gegen zwei Uhr konnte ich vor Erschöpfung kaum noch sprechen, und nachdem sie mich in einer halben Stunde dreimal aus tiefstem Dämmer geweckt hatten, gaben sie es auf.
Von Anfang an hatte ich gewußt, daß es für diesen Abend nur einen logischen Abschluß geben konnte, und ich hatte den Gedanken daran verdrängt, weil er mir unangenehm war. Es führte aber kein Weg daran vorbei.
Zwei uniformierte Polizisten, ein Sergeant und ein Wachtmeister, brachten mich zu einem Nachtquartier, gegen das Humbers Schlafraum direkt noch traumhaft war.
Eine würfelförmige Zelle, zweieinhalb mal zweieinhalb mal zweieinhalb Meter, die glasierten Ziegel bis in Schulterhöhe braun, darüber weiß. Ein zum Hinausschauen zu hoch angebrachtes kleines Gitterfenster, eine schmale Betonplatte als Bett, ein Deckeleimer in der Ecke, eine Hausordnung an der Wand. Das war’s. Beklemmungen inbegriffen, und ich hatte mir aus engen, geschlossenen Räumen noch nie etwas gemacht.
Die zwei Polizisten befahlen mir, mich auf das Betonbett zu setzen. Sie zogen mir die Stiefel und den Gürtel meiner Jeans aus. Auch den Geldgürtel fanden und entfernten sie. Dann nahmen sie mir die Handschellen ab. Sie gingen hinaus, warfen die Tür zu und sperrten mich ein. Die übrige Nacht war in jeder Beziehung das Letzte.