Am Freitag abend war ich wieder in Slaw in der Kneipe und glotzte den zurückglotzenden Soupy an.
Am Sonntag hatte das halbe Personal ab Mittag frei, um zu dem Fußballspiel und dem Dartturnier nach Burndale zu fahren, und da wir beides gewannen, wurde anschließend kräftig gefeiert und Bier getrunken. Die Jungs aus Burndale meinten lediglich, daß ich neu sei und Gift für ihre Chancen in der Dartliga, schenkten mir sonst aber kaum Beachtung. Bei ihnen gab es keinen Soupy, auch wenn October von Dopingfällen in dem Ort gesprochen hatte, und kein Mensch interessierte sich dafür, ob ich ein krummer Hund war.
In der Woche darauf versorgte ich meine drei Pferde, las die Rennberichte, strengte meinen Kopf an und kam zu nichts. Paddy blieb kühl und ebenso Wally, dem Paddy offensichtlich von meinem Draht zu Soupy erzählt hatte. Wally zeigte sein Mißfallen, indem er mir zusätzliche Nachmittagsarbeit aufbrummte, so daß ich jeden Tag in den eigentlich zur Entspannung gedachten freien Stunden zwischen Mittagessen und der Abendstallzeit um vier den Hof fegen, Sattelzeug putzen, Hafer quetschen, Stroh häckseln, Inskips Wagen waschen oder die Fenster der Boxen reinigen mußte. Ich erledigte das alles klaglos und dachte bei mir, daß ich mich bei elf Stunden täglich mit Recht über zuviel Arbeit beschweren konnte, wenn ich einmal einen Grund brauchte, Krach zu schlagen und abzuhauen.
Freitag mittag reiste ich jedoch wieder mit Sparking Plug, diesmal nach Cheltenham, und es war nicht nur der Transportfahrer dabei, sondern auch Grits mit seinem Pferd und der Reisefuttermeister.
In den Rennbahnstallungen erfuhr ich, daß an diesem Abend ein Essen zu Ehren des Champion-Jockeys der vergangenen Saison gegeben wurde, und die Pfleger, die über Nacht dort blieben, wollten zur Feier des Tages auf ein Tanzfest gehen. Grits und ich fuhren also, nachdem wir unsere Pferde versorgt, Abendbrot gegessen und uns feingemacht hatten, mit dem Bus in die Stadt und bezahlten unseren Eintritt zu dem Tanz. Der Saal war groß, die Band war laut und heiß, aber noch tanzten nicht viele Leute. Die Mädels standen in kleinen Gruppen da und sahen zu den größeren Gruppen junger Männer hinüber, und gerade noch rechtzeitig unterdrückte ich die Bemerkung, wie seltsam ich das fand; Grits dachte sicher, ich hielte es für normal. Ich ging mit ihm in die Bar, wo Pfleger von der Rennbahn bereits mit den Einheimischen ins Gespräch kamen, und gab ihm ein Bier aus, obwohl es mir leid tat, daß er mit ansehen würde, wie ich den Abend zu nutzen gedachte. Der arme Grits war hin- und hergerissen zwischen Treue zu Paddy und augenscheinlicher Sympathie für mich, und ich würde ihn schwer enttäuschen. Am liebsten hätte ich ihm alles erklärt. Ich war versucht, den Abend harmlos zu gestalten. Aber wie konnte ich es rechtfertigen, eine einmalige Gelegenheit verstreichen zu lassen, nur um mir vorübergehend die Achtung eines unbedarften Pferdepflegers zu erhalten, so sympathisch er mir auch sein mochte? Ich mußte mir zehntausend Pfund verdienen.
«Grits, geh und such dir ein Mädchen zum Tanzen.«
Er lächelte zaghaft.»Ich kenne die doch gar nicht.«
«Na und? Mit einem netten Kerl wie dir tanzt jede gern. Du brauchst nur eine aufzufordern.«»Nein. Ich bleib lieber bei dir.«
«Also gut. Dann trink noch was.«
«Wenn ich leer habe.«
Ich drehte mich zur Theke um, an der wir lehnten, und knallte mein kaum angerührtes Glas auf den Tresen.»Der Seich hängt mir zum Hals raus. He, Bedienung, einen doppelten Whisky.«
«Dan!«Grits’ Verwirrung zeigte mir, daß ich den richtigen Ton getroffen hatte. Der Barmann goß den Whisky ein und nahm mein Geld.
«Bleiben Sie gleich da«, sagte ich laut zu ihm.»Dasselbe noch mal.«
Ich spürte eher, als ich sah, daß die Pfleger weiter oben am Tresen sich nach mir umdrehten, also kippte ich den ersten Whisky mit zwei Schlucken hinunter und wischte mir mit dem Handrücken den Mund. Dann schob ich das leere Glas dem Barmann hin und zahlte für das zweite.
«Dan«, Grits zupfte mich am Ärmel,»mußt du so rangehen?«
«Ja«, sagte ich grimmig.»Such du dir ein Mädchen zum Tanzen.«
Aber er ging nicht. Er sah zu, wie ich den zweiten Whisky trank und noch einen bestellte. Kummer stand in seinen Augen.
Die anderen Pfleger rückten näher heran.
«He, Mann, du schluckst ganz schön«, meinte einer von ihnen, ein Langer in meinem Alter, mit einem knalligen blauen Anzug.
«Kümmre dich um deinen Kram«, sagte ich grob.
«Bist du nicht bei Inskip?«fragte er.
«Doch… Inskip… Prost Mahlzeit. «Ich griff zum dritten Glas. Whisky vertrug ich eine Menge, außerdem hatte ich besonders gut gegessen. Ich würde mit Sicherheit noch klar im Kopf sein, wenn man mich längst für betrunken hielt; aber ich mußte meine Schau abziehen, solange das Publikum selbst noch nüchtern genug war, um sich nachher genau daran zu erinnern.
«Elf lumpige Pfund«, tönte ich,»mehr kriegst du nicht dafür, daß du dich die ganze Woche krummlegst.«
Einigen sprach ich aus der Seele, aber der im blauen Anzug sagte:»Warum gibst du es dann für Whisky aus?«
«Wofür denn sonst? Schmeckt gut, dröhnt gut. Irgendwas braucht man doch bei der Schufterei.«
Blauer Anzug meinte zu Grits:»Ist ziemlich schlecht drauf, dein Partner.«
«Tja«, sagte Grits unruhig,»diese Woche hat er sich aber auch wirklich ranhalten müssen.«
«Du kümmerst dich um Pferde, für die sie Tausende hinblättern, und du weißt, wie du sie pflegst und reitest und versorgst, ist mitentscheidend dafür, ob sie siegen oder nicht, aber du kriegst keinen anständigen Lohn dafür.«
Ich trank den dritten Whisky aus, machte hick und sagte:
«Verdammt ungerecht.«
Die Bar füllte sich, und ihrem Äußeren und ihren hin und her gehenden Begrüßungen nach hatte wenigstens die Hälfte der Gäste etwas mit dem Rennsport zu tun. Buchmachergehilfen, Turfspione, Pfleger — die Stadt war voll von ihnen, und für sie wurde der Tanz veranstaltet. Die Alkoholnachfrage stieg, und ich mußte mich mit beiden Händen bemerkbar machen, um meinen vierten doppelten Whisky innerhalb einer Viertelstunde zu bekommen.
Ein wenig schwankend, das Glas in der Hand, wandte ich mich dem wachsenden Kreis meiner Zuhörer zu.
«Ich wollte, ich hätte«, begann ich. Was zum Teufel wollte ich?» Ich wollte, ich hätte… ein Motorrad. Ich wollte, ich könnte meiner Mieze was bieten. Könnte Urlaub im Ausland machen… in einem feinen Hotel wohnen und die Lakaien scheuchen… Trinken möchte ich, soviel ich will, und eines Tages genug gespart haben für ein Haus. Und kann ich hoffen, daß daraus was wird? Denkste! Wißt ihr, was ich heute morgen in meiner Lohntüte gefunden habe? Sieben Pfund und vier Pence…«
Ich maulte und meckerte weiter, den ganzen Abend lang. Neue Zuhörer kamen, alte gingen, und ich zog meinen Auftritt durch, bis ich ziemlich sicher war, allen aus der Szene vermittelt zu haben, daß einer von Inskips Leuten nach Geld lechzte, je mehr, je lieber. Aber nicht einmal Grits, der mit unglücklicher Miene die ganze Zeit dabeistand und völlig nüchtern blieb, schien aufzufallen, daß ich mich immer betrunkener gebärdete, obwohl ich von Glas zu Glas langsamer trank.
Nachdem ich schließlich kunstvoll gegen einen Pfeiler getaumelt war und mich daran wieder hochgezogen hatte, rief Grits mir ins Ohr:»Dan, ich gehe jetzt, und du kommst am besten mit, sonst verpaßt du den letzten Bus, und in deinem Zustand kannst du schlecht zu Fuß gehen.«
«Hm?«Ich schielte ihn an. Blauer Anzug, direkt hinter ihm, war auch wieder zur Stelle.
«Soll ich dir helfen, ihn rauszuschaffen?«fragte er Grits.
Grits sah mich angewidert an, und ich schmiß mich gegen ihn und umschlang seine Schultern: Auf die Hilfe, die von Blauem Anzug zu erwarten war, verzichtete ich lieber.
«Grits, alter Freund, wenn du sagst, wir gehen, dann gehen wir.«
Gefolgt von Blauem Anzug, strebten wir zur Tür, wobei ich so stark schwankte, daß Grits sich gegen mich stemmen mußte. Inzwischen hatten aber auch viele andere Schwierigkeiten, gerade zu gehen, und die Abordnung an der Bushaltestelle schaukelte sanft wie Meereswellen. Ich grinste im Schutz der Dunkelheit, blickte zum Himmel und dachte, wenn die Saat, die ich heute ausgestreut habe, keine Früchte trägt, kann es im britischen Rennsport nicht viel Doping geben.
Ich war vielleicht nicht betrunken gewesen, wachte aber am nächsten Morgen dennoch mit fürchterlichen Kopfschmerzen auf; alles für einen guten Zweck, dachte ich und gab mir Mühe, den Schmiedehammer hinter meinen Augen zu ignorieren.
Sparking Plug lief sein Rennen und verlor mit einer halben Länge. Ich nutzte die Gelegenheit, um auf der Tribüne fürs Stallpersonal zu verkünden, daß damit auch der Rest meines Wochenlohns hinüber sei.
Colonel Beckett klopfte im vollen Absattelring den Hals seines Pferdes und sagte beiläufig zu mir:»Klappt’s eben nächstes Mal, hm? Was Sie angefordert haben, geht Ihnen mit der Post zu. «Er drehte sich um und redete wieder mit Inskip und seinem Jockey über das Rennen.
Am Abend fuhren wir alle zurück nach Yorkshire; Grits und ich schliefen die meiste Zeit auf den Bänken im Transporter.
Als er sich hinlegte, meinte er vorwurfsvoll:»Ich wußte nicht, daß du so ungern bei Inskip bist… und betrunken kannte ich dich auch noch nicht.«
«Es ist nicht die Arbeit, Grits, nur der Lohn. «Ich mußte meine Rolle beibehalten.
«Aber andere haben Frau und Kinder zu ernähren und kriegen auch nicht mehr. «Er sagte das mißbilligend, und mein Verhalten mußte ihn wirklich verstört haben, denn er redete nur noch wenig mit mir.
Am nächsten Nachmittag hatte ich October nichts Neues zu berichten, und unser Treffen am Bach war kurz. Er sagte mir jedoch, daß die Informationen, die Beckett abgeschickt hatte, von elf eifrigen jungen Offiziersanwärtern gesammelt worden waren, die auf diesem Weg ihre Tatkraft unter Beweis stellen und im Wettstreit miteinander herausfinden sollten, wer den lückenlosesten Bericht über das ihm zugeteilte Pferd liefern konnte. Bestimmte Frage die von mir angeregten — waren dabei vorgegeben. Alles andere war ihrer Phantasie und ihrer Spürnase überlassen worden, und Beckett hatte October erzählt, das habe sich voll ausgezahlt.
Ich ging den Berg wieder hinunter, mehr denn je beeindruckt von der Stabsarbeit des Colonels, und doch setzte mich die Sendung, die am nächsten Tag eintraf, in Erstaunen. Wally fand wieder eine extra Nachmittagsbeschäftigung für mich, so daß ich erst nach dem Abendessen, als die Hälfte der Leute nach Slaw gefahren war, das Päckchen in den Schlafsaal hinaufbringen und öffnen konnte. Es enthielt einen Schnellhefter mit 237 paginierten Schreibmaschinenseiten, wie ein Buchmanuskript, und so etwas innerhalb einer Woche auf die Beine zu stellen, war nicht nur für die Offiziersanwärter, sondern auch für die Schreibkräfte eine Leistung. Die Berichte bestanden weitgehend aus Stichwörtern und Notizen, auf griffige, aber platzschluckende Formulierungen hatte niemand Wert gelegt — es war kompakte Information von A bis Z.
Mrs. Almuts Stimme tönte durch das Treppenhaus:
«Dan, würden Sie mir bitte einen Eimer Kohlen holen?«
Ich versteckte das Manuskript zwischen den Laken in meinem Bett und ging in die gemütliche Gemeinschaftsküche hinunter, in der wir aßen und den größten Teil unserer Freizeit verbrachten. Was man dort las, bekamen alle mit, und überhaupt war mein Leben praktisch vom Aufstehen bis zum Schlafengehen überwacht; für eine ungestörte Beschäftigung mit dem Manuskript blieb nur das Bad. An diesem Abend wartete ich also, bis alle schliefen, dann ging ich über den Flur und sperrte mich ein, bereit, mich auf eine Magenverstimmung herauszureden, falls jemand neugierig wurde.
Es ging sehr langsam; nach vier Stunden hatte ich erst die Hälfte gelesen. Steif stand ich auf, reckte mich, gähnte und ging in den Schlafsaal zurück. Niemand muckste sich. In der folgenden Nacht, als ich darauf wartete, daß die anderen einschliefen, damit ich wieder an die Arbeit gehen konnte, hörte ich, wie sie sich über die Kneipe in Slaw unterhielten, wo vier von ihnen den Abend verbracht hatten.
«Wer war denn der Typ bei Soupy?«fragte Grits.»Den hab ich noch nie gesehen.«
«Gestern abend war der auch da«, sagte ein anderer.
«Komischer Vogel.«
«Was war denn an dem komisch?«fragte ein Junge, der daheim geblieben war und ferngesehen hatte, während ich in einem Sessel etwas Schlaf nachholte.
«Weiß nicht«, sagte Grits.»Der hat sich dauernd umgesehen.«
«Als hätte er jemand gesucht«, warf ein anderer ein.
Paddy sagte mit fester Stimme rechts von mir:»Haltet euch von dem mal schön fern, und auch von Soupy. Ich sag’s euch, solche Leute taugen nichts.«
«Ja, aber der mit dem scharfen goldenen Schlips hat uns doch eine Runde spendiert. Da kann er doch so verkehrt nicht sein.«
Paddy seufzte über dieses Ausmaß an Naivität.»Wärst du Eva im Paradies gewesen, du hättest den Apfel gleich verdrückt, auch ohne Schlange.«
«Ach, na ja«, gähnte Grits.»Morgen kreuzt der wahrscheinlich nicht mehr auf. Die Zeit wird knapp oder so, hat er zu Soupy gesagt.«
Sie wurden immer leiser und schliefen ein, und ich lag wach im Dunkeln und dachte, ich könnte gerade etwas wirklich Interessantes gehört haben. Für den nächsten Abend war jedenfalls ein Kneipenbesuch angezeigt.
Bevor mir endgültig die Augen zufielen, gab ich mir einen Ruck, stieg aus dem warmen Bett, zog mich ins Bad zurück und las noch einmal vier Stunden lang, bis ich das Manuskript durchhatte. Ich saß auf dem Boden, den Rük-ken an die Wand gelehnt, und starrte ohne zu sehen auf die Badezimmereinrichtung. Es gab nicht einen einzigen Faktor, der übereinstimmend in den mikroskopisch genau dokumentierten Lebensläufen aller elf Pferde auftrat. Keinen gemeinsamen Nenner. Dabei kam es schon vor, daß bei vier oder fünf Pferden das eine oder andere übereinstimmte — etwa die Marke der von ihren Jockeys verwendeten Sättel, das Futterwürfelfabrikat oder der Ort, wo sie zur Versteigerung gekommen waren —, aber meine Hoffnungen auf einen greifbaren Hinweis in dieser Datenfülle hatten sich in Luft aufgelöst. Fröstelnd, steif und deprimiert kroch ich wieder ins Bett.
Am nächsten Abend um acht ging ich allein nach Slaw, da alle anderen abgebrannt waren und sich sowieso lieber Z Cars im Fernsehen anschauen wollten.
«Ich denke, du hast dein ganzes Geld in Cheltenham auf Sparks verwettet«, bemerkte Grits.
«So zwei Shilling hab ich noch«, sagte ich und klimperte mit ein paar Münzen.»Für ein Bier reicht’s.«
Die Kneipe war wie so oft am Mittwoch leer. Von Soupy oder seinem geheimnisvollen Freund war nichts zu sehen, und nachdem ich ein Bier bestellt hatte, vertrieb ich mir die Zeit, indem ich mehrere Runden von eins bis zwanzig auf der Dartscheibe warf und dasselbe in Trebles versuchte. Schließlich zog ich die Pfeile aus der Scheibe, sah auf die Uhr und sagte mir, ich sei umsonst hergekommen — da erschien, nicht von draußen, sondern aus der Bar nebenan, ein Mann am Eingang. Er hatte ein Glas mit einer leicht sprudelnden, bernsteinfarbenen Flüssigkeit und eine schlanke Zigarre in der Linken, während er mit der Rechten die Tür aufhielt. Er musterte mich und sagte:»Sind Sie Pferdepfleger?«
«Ja.«
«Bei Granger oder bei Inskip?«
«Inskip.«
«Hmm. «Er kam herein und ließ die Tür hinter sich zufallen.»Sie können sich zehn Shilling verdienen, wenn Sie morgen abend einen Ihrer Kollegen mit hierherbringen… und es gibt Freibier für Sie beide.«
Ich sah ihn interessiert an.»Wer soll’s denn sein?«fragte ich.»Ein bestimmter? Am Freitag kommen viele her.«
«Also, morgen wär’s mir lieber. Je früher, desto besser, sag ich immer. Und wen Sie mitbringen, ehm… sagen Sie mir doch mal ein paar Namen, dann picke ich einen raus, hm?«
Schwachsinn, dachte ich, denn es kam mir vor, als wollte er bloß nicht direkt, nicht ausdrücklich nach mir fragen.
«Na gut. Paddy, Grits, Wally, Steve, Ron…«Ich hielt inne.
«Weiter«, sagte er.
«Reg, Norman, Dave, Jeff, Dan, Mike.«
Seine Augen blitzten auf.»Dan«, sagte er.»Der Name läßt sich hören. Bringen Sie Dan mit.«
«Der bin ich selber«, sagte ich.
Einen Moment lang furchte sich die Stirn unter der Halbglatze, und seine Augen verengten sich vor Unmut.
«Lassen Sie die Spielchen«, sagte er scharf.
«Sie haben damit angefangen«, erwiderte ich sanft.
Er setzte sich auf eine Bank und stellte behutsam sein Glas ab.
«Warum sind Sie heute abend allein hergekommen?«fragte er.
«Ich hatte Durst.«
Eine kurze Stille trat ein, während er sich einen Schlachtplan zurechtlegte. Er war von gedrungener Gestalt, sein dunkler Anzug eine Nummer zu klein, unter dem offenen Jackett trug er ein cremefarbenes Hemd mit Monogramm und eine goldseidene Krawatte. Seine Finger waren kurz und dick, dick auch sein aus dem Hemdkragen quellender Hals, und der Blick, mit dem er mich ansah, hatte nichts Freundliches.
Schließlich sagte er:»Es gibt doch bei Ihnen ein Pferd namens Sparking Plug?«
«Ja.«
«Und das startet am Montag in Leicester.«
«Soviel ich weiß, ja.«
«Wie schätzen Sie seine Chancen ein?«fragte er.
«Wollen Sie einen Tip, Mister, oder was? Den können Sie haben. Sparking Plug wird von mir betreut, und keiner, der am Montag mitläuft, reicht an ihn heran.«
«Sie glauben also, daß er siegt.«
«Aber sicher.«»Und Sie setzen auf ihn?«
«Natürlich.«
«Ihren halben Lohn? Vier Pfund oder so?«
«Kann sein.«
«Aber er wird als Favorit starten. Mit Sicherheit. Dann gewinnen Sie bestenfalls soviel, wie Sie einsetzen — noch mal vier Pfund. Doll hört sich das nicht an, wenn man bedenkt, daß Sie über mich auf… runde hundert Pfund kommen können.«
«Quatsch«, tönte ich, aber mit einem schrägen Blick, der ihm sagte, daß ich mehr hören wollte.
Seiner Sache sicher, beugte er sich vor.»Sie können nein sagen, wenn Sie wollen. Sie können nein sagen, und weg bin ich, und wir haben uns nie gesehen, aber wenn Sie schlau sind und mitspielen, kann ich Ihnen vielleicht etwas Gutes tun.«
«Was müßte ich für den Hunderter machen?«fragte ich rundheraus.
Er sah sich vorsichtig um und redete noch leiser.»Sie brauchen Sparking Plug am Sonntag abend nur etwas ins Futter zu tun. Weiter nichts. Das ist ein Klacks.«
«Ein Klacks«, wiederholte ich; und das war es auch.
«Machen Sie mit?«fragte er gespannt.
«Ich weiß Ihren Namen nicht.«
«Den brauchen Sie auch nicht. «Entschiedenes Kopfschütteln.
«Sind Sie Buchmacher?«
«Nein«, sagte er.»Und jetzt haben wir mal genug gefragt. Machen Sie mit?«
«Wenn Sie kein Buchmacher sind«, überlegte ich laut,»und Sie wollen es sich hundert Pfund kosten lassen, daß ein bestimmter Favorit nicht gewinnt, dann wollen Sie vermutlich nicht nur absahnen, indem Sie auf die anderen Starter setzen, sondern indem Sie einigen Buchmachern flüstern, daß das Rennen manipuliert ist, und die werden Ihnen dafür so dankbar sein, daß Ihnen jeder mindestens einen Fünfziger zusteckt. Es gibt elftausend Buchmacher im Land. Eine ganze Menge. Aber Sie gehen sicher immer wieder zu den gleichen. Wo Sie immer wieder gern gesehen sind.«
Sein Gesicht war ein solches Bild der Bestürzung und Ungläubigkeit, daß ich wußte, ich hatte ins Schwarze getroffen.
«Woher haben Sie das…?«fragte er schwach.
«Ich bin doch nicht von gestern«, sagte ich mit einem boshaften Lächeln.»Regen Sie sich ab. Niemand hat mir was erzählt. «Ich schwieg.»Sparking Plug bekommt seinen Futterzusatz, aber ich will mehr. Zweihundert.«
«Nein. Dann lassen wir’s. «Er wischte sich die Stirn.
«In Ordnung. «Ich zuckte die Achseln.
«Also gut, hundertfünfzig«, sagte er widerstrebend.
«Hundertfünfzig«, willigte ich ein.»Im voraus.«
«Eine Hälfte vorher, die andere danach«, sagte er automatisch. Es war keinesfalls das erste Mal, daß er einen derartigen Handel abschloß.
Ich erklärte mich einverstanden. Er sagte, wenn ich Samstag abend in die Kneipe käme, würde ich ein Päckchen für Sparking Plug und fünfundsiebzig Pfund für mich erhalten, worauf ich nickte und ging, während er noch mürrisch in sein Glas starrte.
Auf dem Heimweg strich ich Soupy von meiner Liste eventuell nützlicher Verbindungsleute. Er hatte mir zwar einen Dopingauftrag verschafft, aber ich war gebeten worden, einen Favoriten in einem Sieglosenrennen zurückzuhalten, nicht etwa ein müdes, lang stehendes Pferd in einem Verkaufsrennen anzutreiben. Daß ein- und dieselben Betrüger mit beiden Maschen arbeiteten, war äußerst unwahrscheinlich.
In dieser und den beiden folgenden Nächten widmete ich mich wieder Colonel Becketts Manuskript und las es sorgfältig noch einmal. Das einzige nennenswerte Ergebnis war, daß mich die endlose Arbeit im Stall schlauchte, weil ich fünf Nächte hintereinander nur drei Stunden geschlafen hatte. Aber mir graute einfach davor, October am Sonntag sagen zu müssen, daß die elf jungen Männer ihre Mammutuntersuchung umsonst veranstaltet hatten, und ich wurde das dunkle Gefühl nicht los, diesen vollgepackten Seiten doch noch etwas Wesentliches entnehmen zu können, wenn ich nur dranblieb.
Am Sonntag morgen ritten Octobers Töchter mit dem ersten Lot hinaus, obwohl es ungemütlich kalt und windig war. Elinor sagte mir nur im Vorübergehen höflich guten Morgen, aber Patty, die wieder eins von meinen Pferden ritt, ließ, als ich sie raufwarf, ihre Wimpern klimpern und drängte sich unnötigerweise an mich.
«Sie sind vorige Woche nicht hiergewesen, Danny«, sagte sie, die Bügel fassend.»Wo waren Sie?«
«In Cheltenham. Miss.«
«Aha. Und nächsten Samstag?«
«Da bin ich hier.«
Sie sagte betont von oben herab:»Dann denken Sie nächsten Sonnabend bitte daran, die Bügel kürzer zu schnallen, bevor ich aufsitze. So sind sie viel zu lang.«
Anstatt sie selbst anzupassen, bedeutete sie mir, ihr das abzunehmen, und sah mir belustigt dabei zu. Als ich den zweiten Bügel schnallte, ließ sie ihr Knie über meine Hände streichen und stieß es mir unsanft in die Rippen.
«Was du dir alles gefallen läßt, Danny«, meinte sie leise und beugte sich vor.»Ein flotter Kerl wie du sollte sich ein bißchen wehren, hm?«
«Ich will nicht rausfliegen«, sagte ich mit unbewegtem Gesicht.
«Was für ein Feigling«, spöttelte sie und lenkte ihr Pferd weg.
Wenn sie so weitermacht, bringt sie sich noch mal bös in Schwierigkeiten, dachte ich. Sie war zu aufreizend. Ihr tolles Aussehen allein machte es nicht, und ihre schmerzhaften kleinen Tricks waren bloß ärgerlich. Irritierend und provozierend war die versteckte Aufforderung in ihrem Verhalten.
Ich vergaß sie, holte Sparking Plug, schwang mich auf seinen Rücken und ritt aufs Moor hinaus, um ihm die übliche Bewegung zu verschaffen.
Das Wetter wurde an diesem Tag zusehends schlechter, und als wir mit dem zweiten Lot draußen waren, goß es in Strömen, so heftig, daß wir völlig durchnäßt und mit brennenden Gesichtern zurückkehrten. Vielleicht, weil der Regen anhielt, vielleicht auch, weil es immerhin Samstag war, gab mir Wally ausnahmsweise keine Nachmittagsbeschäftigung, und ich verbrachte die drei Stunden mit neun oder zehn anderen Pflegern in der Gemeinschaftsküche, wo wir dem um die Ecke pfeifenden Wind lauschten und uns die Chepstower Rennen im Fernsehen anschauten, während unsere nassen Pullover, Reithosen und Socken in der Ofenwärme dampften.
Ich legte die Rennberichte der vorigen Saison auf den Küchentisch, stützte den Kopf in die linke Hand und blätterte mit der rechten die Seiten um. Deprimiert darüber, daß ich mit den Dossiers der elf Pferde so wenig anfangen konnte und daß ich mich bei den anderen hier so unbeliebt machen mußte, bedrückt wohl auch, weil mir der Sonnenschein fehlte, den ich sonst um diese Jahreszeit genoß, fragte ich mich, ob die ganze Maskerade nicht von Anfang an ein fürchterlicher Mißgriff gewesen war. Aber ich hatte Octobers Geld genommen und konnte nicht aussteigen, noch Monate nicht. Ein alles andere als tröstlicher Gedanke. Ich überließ mich meinem Trübsinn und vergeudete die dringend benötigte Freizeit.
Heute glaube ich, es war eher das Gefühl drohenden Versagens als bloße Müdigkeit, was mir an jenem Nachmittag zusetzte, denn obwohl noch einige Härten auf mich zukamen, bereute ich nur damals ernstlich, auf October gehört zu haben, und wünschte mir von Herzen, wieder in meinem gemütlichen australischen Käfig zu sein.
Die Jungs vorm Fernseher machten abfällige Bemerkungen über die Jockeys und schlossen untereinander Wetten auf das Rennergebnis ab.
«Das entscheidet sich wieder, wenn’s die Zielgerade raufgeht«, meinte Paddy.»Ein langes Ende… das steht nur Aladdin durch.«
«Unsinn«, widersprach ihm Grits.»Da kannst du Lobster Cocktail fliegen sehen.«
Mürrisch blätterte ich in den Rennberichten, sah sie planlos vielleicht zum hundertsten Mal durch und stieß durch Zufall in der allgemeinen Einführung auf einen Lageplan der Rennbahn von Chepstow. Alle großen Rennbahnen waren dort mit Kursverlauf, Tribünen, Hindernissen, Start und Ziel schematisch dargestellt, und die Bahnen von Ludlow, Stafford und Haydock hatte ich mir ergebnislos bereits angesehen. Von Kelso und Sedgefield gab es keinen Plan. Auf den Abbildungsteil folgten ein paar Seiten Kurzinformation mit Angaben zur Kurslänge, Rennvereinsadressen, Bahnrekorden und so weiter.
Spaßeshalber schlug ich Chepstow nach. Paddys» langes Ende «war dort in Zahlen angegeben: zweihundertfünfzig Meter. Ich sah Kelso, Sedgefield, Ludlow, Stafford und Haydock nach. Sie hatten viel längere Schlußgeraden als Chepstow. Ich schlug die Einlaufgeraden sämtlicher Bahnen nach. Die vom Grand-National-Kurs in Aintree war die zweitlängste. Die längste überhaupt war Sedgefield; an dritter, vierter, fünfter und sechster Stelle kamen Ludlow, Haydock, Kelso und Stafford. Sie alle hatten Zielgeraden von über vierhundert Metern. Die geographische Lage tat nichts zur Sache: Die Doper hatten diese fünf Bahnen fast mit Sicherheit herausgegriffen, weil dort vom letzten Hindernis zum Ziel gut vierhundert Meter zu laufen waren.
Es war ein erster, wenn auch kleiner Fortschritt, diese Gesetzmäßigkeit in dem Allerlei erkannt zu haben. Nicht mehr ganz so niedergedrückt legte ich die Rennberichte weg und ging um vier wohl oder übel mit den anderen auf den vom Regen überschwemmten Hof hinaus, um mich je eine Stunde meinen drei Schützlingen zu widmen, ihr Fell zu striegeln, damit es einen gesunden Glanz bekam, ihre Streu zu erneuern, ihnen Wasser zu holen, während Inskips Rundgang ihre Köpfe zu halten, ihnen die Stalldecke aufzulegen und schließlich noch ihr Futter zu bringen. Wie üblich wurde es sieben, bis wir alle fertig waren, und acht, bis wir gegessen und uns umgezogen hatten und hinunter nach Slaw brettern konnten, sieben Mann in einem klapprigen alten Austin.
Billard, Dart, Domino, endlose, harmlose Aufschneidereien, alles wie gehabt. Geduldig saß ich da und wartete. Es war fast zehn, die Zeit, um die Pferdepfleger und andere Frühaufsteher allmählich austrinken, da schlenderte
Soupy in Richtung Ausgang, sah, daß ich ihn beobachtete, und bedeutete mir mit dem Kopf, ihm zu folgen. Ich stand auf, ging hinter ihm hinaus und fand ihn auf der Toilette.
«Das ist für dich. Der Rest am Dienstag«, sagte er knapp, zog die Lippe hoch, glotzte mich zum Zeichen seiner Härte eisig an und gab mir ein dickes braunes Kuvert. Ich steckte es in meine schwarze Lederjacke und nickte ihm zu. Wortlos, ohne zu lächeln, eisigen Blickes drehte ich mich auf dem Absatz um und kehrte in die Bar zurück.Minuten später kam auch er wieder herein, als wäre nichts gewesen.
So zwängte ich mich dann zur holprigen Rückfahrt in den Austin und trug, als ich mich in unserem kleinen Schlafsaal hinlegte, fünfundsiebzig Pfund und ein Päckchen weißes Pulver direkt über dem Herzen.