Kapitel 15

Ich nahm die Plastikplane vom Motorrad und fuhr ohne Eile zum Hof hinaus. Die Jungs waren geschlossen mit dem dritten Lot unterwegs und mußten, wenn sie wiederkamen, noch mal ran; als mir gerade durch den Kopf ging, wie sie zu fünft mit dreißig Pferden fertigwerden wollten, kam mir ein Junge mit Frettchenaugen und umgehängtem Seesack entgegen, der langsam in Richtung Humber latschte. Neues Treibgut. Hätte er geahnt, auf was er sich einließ, wäre er noch langsamer gegangen.

Ich fuhr nach Clavering, einer tristen Grubenstadt mit schäbigen Rücken an Rücken stehenden Reihenhäusern rund um ein mit Chrom und Glas aufgemotztes Einkaufszentrum und rief in Octobers Londoner Wohnung an.

Terence meldete sich. Lord October sei in Deutschland, sagte er, wo seine Firma eine neue Fabrik eröffne.

«Wann kommt er zurück?«

«Samstag morgen, nehme ich an. Er ist am Sonntag weg und wollte acht Tage bleiben.«

«Verbringt er das Wochenende in Slaw?«

«Wahrscheinlich. Der Rückflug geht nach Manchester, für London hat er mir keine Anweisungen hinterlassen.«

«Könnten Sie mir die Telefonnummern von Colonel Beckett und Sir Stuart Macclesfield heraussuchen?«

«Augenblick. «Ich hörte ihn blättern, dann gab er mir die Anschriften und Telefonnummern durch. Ich schrieb mit und dankte ihm.

«Ihre Kleider sind noch hier, Sir«, sagte er.

«Ich weiß«, sagte ich grinsend.»Die hole ich auch bald mal ab.«

Wir legten auf, und ich rief bei Beckett an. Eine stocktrockene Stimme sagte mir, Colonel Beckett sei nicht zu Hause, werde aber um neun in seinem Club essen und sei dann dort zu erreichen. Sir Stuart Macclesfield, so erfuhr ich, kurierte in einem Sanatorium eine Lungenentzündung aus. Ich hatte gehofft, Hilfe für die Beobachtung von Humbers Stall zu bekommen, damit wir Kanderstegs Weg verfolgen konnten, wenn er in den Transporter verfrachtet wurde. Aber wie es aussah, hatte ich nur mich, denn ich konnte mir nicht vorstellen, daß die Ortspolizei meine Geschichte glauben oder mir gar Leute zur Verfügung stellen würde.

Ausgerüstet mit einer Decke und einem guten, aus einem Leihhaus stammenden Fernglas, versorgt mit Schweinefleischpastete, Schokolade, einer Flasche Mineralwasser und ein paar Bogen Kanzleipapier, fuhr ich mit dem Motorrad wieder nach Posset und nahm am Ortsausgang die Straße, die oberhalb des Tals, in dem Humbers Stall lag, verlief. An der auf meiner Erkundungsfahrt markierten Stelle schob ich die Maschine ein paar Meter ins Gebüsch und suchte mir einen Platz unterhalb der Horizontlinie, so daß ich für Vorbeifahrende schwer auszumachen war, aber mit dem Fernglas direkt in Humbers Hof schauen konnte. Es war ein Uhr, und dort unten tat sich nichts.

Ich nahm den Koffer vom Gepäckträger, um ihn als Sitz zu benutzen, und richtete mich auf eine lange Wache ein. Selbst wenn ich Beckett um neun telefonisch erreichte, würde er vor morgen früh kaum Verstärkung herbeizaubern können.

In der Zwischenzeit konnte ich einen ausführlichen Bericht abfassen und die Gelegenheit nutzen, auf Dinge einzugehen, die ich in meinen schnell am Postschalter hingekritzelten Briefen ausgeklammert hatte. Ich nahm das Kanzleipapier hervor und schrieb mit Unterbrechungen fast den ganzen Nachmittag, ohne die Beobachtung durchs Fernglas zu vernachlässigen. Doch bei Humber lief nichts als der normale Stallbetrieb.

Ich begann.

An den Earl of October, Sir Stuart Macclesfield, Colonel Roderick Beckett

Sehr geehrte Herren,im folgenden fasse ich die bisherigen Ergebnisse — beobachtete Fakten und sich daraus ergebende Schlüsse — meiner in Ihrem Auftrag durchgeführten Ermittlungen zusammen.

Paul James Adams und Hedley Humber erzielen gemeinsam seit ungefähr vier Jahren, seit Adams das Schloß in Tellbridge, Northumberland, gekauft hat und dort wohnt, mit unlauteren Mitteln Rennerfolge.

Adams ist (soweit ich das als Laie beurteilen kann) eine psychopathische Persönlichkeit, ein Mensch, der leidenschaftlich seine Gelüste auslebt und seine Ziele verfolgt, ohne Rücksicht auf andere zu nehmen oder mögliche Folgen für die eigene Person zu bedenken. Er wirkt überdurchschnittlich intelligent, und er hat bei dem Gespann das Sagen. Psychopathen neigen meines Wissens oft zu riskanten Betrügereien; vielleicht wäre ein Blick in seine Lebensgeschichte aufschlußreich.

Humber hört zwar auf Adams, ist aber nicht ganz so verantwortungslos. Er ist kalt und stets beherrscht. Ich habe ihn nie wirklich wütend erlebt (er setzt Zorn als Waffe ein), und alles, was er tut, wirkt überlegt und berechnet. Während Adams möglicherweise psychisch gestört ist, scheint mir Humber einfach bösartig zu sein. Vielleicht hält sein vergleichsweise gesunder Verstand Adams in Schranken, so daß sie nicht schon früher aufgefallen sind.

Adams ’ und Humbers Methode basiert darauf, daß Pferde durch Assoziation lernen und Geräusche mit Geschehen in Verbindung bringen. Wie Pawlows Hunde auf das Klingelzeichen hören, weil es für sie heißt, daß es Fressen gibt, wissen Pferde, wenn der Futterwagen über den Hof rollt, genau, daß ihr Futter kommt.

Ist ein Pferd daran gewöhnt, daß auf ein bestimmtes Geräusch hin etwas Bestimmtes geschieht, dann rechnet es unwillkürlich mit diesem Geschehen, sobald es das Geräusch hört. Es reagiert auf das Geräusch in Erwartung des Geschehens.

Müßte es dieses Geschehen fürchten — gäbe es etwa nach dem Rattern des Futterwagens stets Prügel statt Futter —, dann würde das Pferd sehr bald das Geräusch als böses Vorzeichen fürchten lernen.

Das Reizmittel, das Adams und Humber verwenden, ist Furcht. Die verdrehten Augen, der starre Blick, die Schweißausbrüche der scheinbar >gedopten< Pferde nach ihrem Sieg lassen den Schluß zu, daß sie sich in einem Zustand großer Angst befunden haben.

Bei Furcht schütten die Nebennieren vermehrt Adrenalin in den Blutkreislauf aus, und diese Adrenalinstöße setzen bekanntlich Energien frei, damit möglichst schnell auf die Situation reagiert werden kann, sei es durch Abwehr oder Flucht. In unserem Fall durch Flucht. Schnellste Flucht, in panischem Schrecken.

Den Laborberichten zufolge wiesen die den elf Pferden entnommenen Proben durchweg einen hohen Adrenalingehalt auf, der allerdings nicht signifikant erschien, da der Adrenalinausstoß von Pferd zu Pferd stark variiert und einige mehr Adrenalin produzieren als andere. Ich halte es jedoch für entscheidend, daß die Adrenalinwerte der elf Pferde einheitlich über dem Durchschnitt lagen.

Das Geräusch, mit dem ihre Furcht ausgelöst wurde, ist der hohe Ton einer sogenannten lautlosen Hundepfeife. Pferde hören eine solche Pfeife sehr gut, das menschliche Ohr dagegen kaum, so daß sie für den Zweck hervorragend geeignet ist, denn etwas akustisch Auffälligeres (etwa eine Klapper) wäre sehr bald bemerkt worden. Humber hat eine Hundepfeife in der Bar seines Bentley.

Ich weiß noch nicht genau, wie Adams und Humber den Pferden Angst einjagen, aber ich kann es mir denken.

Zwei Wochen lang habe ich ein Pferd mit dem Rufnamen Mickey (eingetragener Name: Starlamp) betreut, das der Behandlung unterzogen worden war. Und das sie nicht verkraftet hat. Mickey kam nach dreitägiger Abwesenheit mit großen, offenen Wunden an den Vorderbeinen zurück und war völlig aus dem Lot gebracht.

Nach Angabe des Futtermeisters stammten die Beinwunden von einer scharfen Einreibung. Von einem Einreibemittel war jedoch nichts zu sehen, und für mich waren es eindeutig von einer offenen Flamme herrührende Verbrennungen. Pferde fürchten Feuer mehr als alles andere, und ich halte es für wahrscheinlich, daß Adams und Humber die Erwartung des Pferdes, durch Feuer verletzt zu werden, mit dem Klang der Hundepfeife verknüpfen.

Ich habe auf einer Hundepfeife geblasen, um die Wirkung auf Mickey zu beobachten. Das war knapp drei Wochen nach der Konditionierung, und er hat deutlich und überaus heftig reagiert. Wenn Sie wollen, können Sie die Probe auch bei Six-Ply machen, aber dann lassen Sie ihm Platz genug zum Ausbrechen.

Adams und Humber haben Pferde ausgewählt, die in ihrer Rennlaufbahn stets eine gute Figur gemacht, aber nie gesiegt haben, weil sie nach dem letzten Hindernis nicht mehr wollten oder konnten, und an solchen Pferden herrscht natürlich kein Mangel. Sie haben eines nach dem anderen günstig auf Auktionen oder bei Verkaufsrennen erstanden, ihnen die Furcht-Assoziation eingeimpft und sie weiterverkauft. Schon dabei haben sie häufig nicht Verluste, sondern Gewinne gemacht (vgl. die Dossiers der Offiziersanwärter).

War ein Pferd mit diesem eingebauten Beschleuniger verkauft, warteten Adams und Humber ab, bis es in einem Verkaufsrennen auf einer von fünf ausgewählten Rennbahnen lief, nämlich Sedgefield, Haydock, Ludlow, Kelso oder Stafford. Sie waren offenbar bereit, beliebig lange auf dieses Zusammentreffen von Ort und Austragung zu warten, und in der Tat ist es seit dem ersten Fall vor zwanzig Monaten erst zwölfmal (elf Sieger und Superman) dazu gekommen.

Die Rennbahnen wurden wahrscheinlich ausgewählt, weil die Panikreaktion auf ihren überlangen Zielgeraden am besten zur Wirkung kommen konnte. Nach dem letzten Sprung lagen die Pferde oft an vierter oder fünfter Position und brauchten Zeit, um an den Führenden vorbeizugehen. Wenn ein Pferd hoffnungslos abgeschlagen war, konnten Adams/Humber die Pfeife einfach steckenlassen, ihre Einsätze abschreiben und auf die nächste Gelegenheit warten.

Verkaufsrennen sind vermutlich deshalb bevorzugt worden, weil es da selten zu Stürzen kommt und weil man damit rechnen kann, daß die Sieger gleich danach den Besitzer wechseln.

Auf den ersten Blick könnte man meinen, die beschriebene Methode sei eher für Flachrennen geeignet, aber Flachpferde wechseln anscheinend nicht so oft den Besitzer, und das Ganze wäre überschaubarer. Außerdem hat Humber keine Lizenz für Flachrennen und kann wohl auch keine bekommen.

Keines der Pferde ist zweimal auf Trab gebracht worden, vermutlich, weil sie trotz des Pfeiftons unversehrt aus dem Rennen hervorgegangen waren und ihn deshalb nicht mehr zwingend mit Verletzung durch Feuer verbunden hätten. Ihre Reaktion war also nicht mehr so sicher vorauszusagen, daß man darauf wetten konnte.

Alle elf Pferde zahlten bei ihren Siegen hohe Quoten, von 110 zu 10 bis 510 zu 10, und Adams/Humber werden ihre Wetteinsätze gut verteilt haben, um nicht aufzufliegen. Ich weiß nicht, was Adams bei den einzelnen Rennen gewonnen hat, aber Humber kam auf Zahlen zwischen siebzehnhundert und viereinhalb tausend Pfund.

Die Daten sämtlicher konditionierter Pferde, ob erfolgreich oder nicht, sind in einem blauen Geschäftsbuch festgehalten, das sich gegenwärtig im dritten Fach des mittleren der drei grünen Aktenschränke in Humbers Büro befindet.

Wie Sie sehen, ist das Prinzip denkbar einfach. Die Pferde werden dazu gebracht, den Ton einer Hundepfeife mit Feuer in Verbindung zu bringen, und eingangs der Zielgeraden kommt der Pfiff.

Keine Medikamente, keine Mechanik, keine Mithilfe seitens der Besitzer, Trainer oder Jockeys. Die Gefahr, entdeckt zu werden, war gering, weil Adams und Humber mit den Pferden nur entfernt in Verbindung standen.

Stapleton hatte sie jedoch in Verdacht, und ich bin überzeugt, daß sie ihn umgebracht haben, auch wenn es dafür keine Beweise gibt.

Jetzt wiegen sie sich in Sicherheit, ahnen nicht, daß sie entdeckt sind, und wollen in den nächsten Tagen ein Pferd namens Kandersteg das Fürchten lehren. Ich arbeite nicht mehr bei Humber und schreibe diesen Bericht, während ich seinen Hof beobachte. Wenn Kandersteg fortgebracht wird, will ich dem Transporter folgen, um festzustellen, wo und wie man ihn dem Feuer aussetzt.

Ich hörte auf zu schreiben und griff zum Fernglas. Abendstallzeit. Die Pfleger hatten alle Hände voll zu tun, und ich war froh, nicht mehr dabeizusein.

Noch würde sich Humber nicht mit Kandersteg befassen, dachte ich, auch wenn es ihm und Adams eilte. Sie hatten nicht wissen können, ob ich vor Mittag oder überhaupt an diesem Tag schon verschwinden würde, und sie hakten mich sicher erst einmal in Ruhe ab, bevor sie weitersahen. Andererseits durfte ich nicht riskieren, den Zeitpunkt zu verpassen. Schon wegen der dreieinhalb Kilometer Fahrt nach Posset schien es mir heikel, Beckett anzurufen. Bis sie ihn in seinem Club an den Apparat geholt hatten, konnte Kandersteg hier längst verladen und abtransportiert worden sein. Mickey-Starlamp war zwar tagsüber weg-und auch zurückgebracht worden, und es konnte sein, daß Humber nachts keine Pferde transportierte, aber ich wußte es nicht. Unentschlossen kaute ich an meinem Kuli. Letztlich beschloß ich dann, nicht zu telefonieren, und fügte meinem Bericht eine Nachschrift an.

Ich wäre sehr dankbar, wenn ich die Stellung hier nicht allein halten müßte, denn wenn die Beobachtung über mehrere Tage geht, kann es leicht passieren, daß ich den Transport verschlafe. Ich bin dreieinhalb Kilometer außerhalb von Posset an der Straße nach Hexham zu finden, oberhalb des Tals, in dem Humbers Rennstall liegt.

Ich fügte Datum und Uhrzeit hinzu und setzte meine Unterschrift darunter. Dann steckte ich den Bericht in einen Umschlag, adressiert an Colonel Beckett. Ich raste nach Posset, um den Brief am Postamt einzuwerfen. Sieben Kilometer. Knapp sechs Minuten Fahrt. Zum Glück hatte ich weder auf dem Hin- noch auf dem Rückweg Gegenverkehr. Ich bremste besorgt auf der Anhöhe, doch im Stall unten sah alles normal aus. Ich schob das Motorrad wieder in sein Versteck unterhalb der Straße und schaute aufmerksam durchs Fernglas.

Es begann dunkel zu werden, und aus fast allen Boxen fiel Licht auf den Hof. Die dunklen Mauern von Humbers Haus, das am nächsten zu mir lag, verdeckten sein Büro und den ganzen oberen Teil des Hofs, aber an der Seite sah ich die geschlossenen Türen der Boxenreihe, in der als vierter von links Kandersteg stand.

Und da war er auch schon, ein heller Fuchs, der direkt ins Licht trat, als Bert sein Stroh für die Nacht erneuerte. Ich seufzte erleichtert und führte die Wache im Sitzen fort.

Der Trott ging unverändert weiter. Ich beobachtete Humber, wie er langsam, auf den Stock gestützt, seinen Kontrollgang machte, und rieb mir geistesabwesend die blauen Flecken, die er mir am Morgen verpaßt hatte. Eine Stalltür nach der anderen wurde verriegelt, und die Lichter gingen aus, bis nur ein einziges Fenster noch erhellt war, das letzte in der Boxenreihe rechts, die Gemeinschaftsküche der Pfleger. Ich legte das Fernglas hin, stand auf und vertrat mir die Beine.

Wie immer im Heidemoor war die Luft in Bewegung. Es war kein Wind, keine Brise, mehr ein alles umfließender Kältestrom. Um den Luftzug abzuhalten, stellte ich das Motorrad, zur Straße und zum Moor hin durch Reisig verdeckt, als Barrikade auf. Dahinter saß ich dann windgeschützt auf dem Koffer, wickelte mich in die Decke und hatte es halbwegs warm und gemütlich.

Ich sah auf die Uhr. Kurz vor acht. Es war eine schöne, klare, sternenhelle Nacht. Den nördlichen Sternenhimmel hatte ich, abgesehen vom Polarstern und vom Großen Bären, noch immer nicht im Kopf. Und nach West-Südwest zu blitzte die Venus. Schade, daß ich mir nicht zum Zeitvertreib eine Sternkarte gekauft hatte.

Im Hof unten öffnete sich die Küchentür, und ein Lichtstreifen drang heraus. Cecils Gestalt stand sekundenlang als Schattenriß darin, dann schloß er die Tür hinter sich, und ich konnte ihn im Dunkeln nicht mehr sehen. Sicher auf dem Weg zur Flasche.

Ich aß von der Pastete und danach eine Tafel Schokolade.

Zeit verging. Bei Humber tat sich nichts. Ab und zu rauschte auf der Straße hinter mir ein Auto vorbei, aber keines hielt an. Neun Uhr und später. Colonel Beckett würde jetzt in seinem Club zu Abend essen, und wie es aussah, hätte ich ihn getrost anrufen können. Ich zuckte die Achseln. Morgen früh bekam er ja meinen Brief.

Die Küchentür öffnete sich wieder, zwei oder drei Pfleger kamen heraus und gingen mit der Taschenlampe zum Abort. Oben im Heuboden schimmerte mattes Licht durch die nicht mit Packpapier verklebte Fensterhälfte. Schlafenszeit. Cecil wankte in die Stube, umarmte den Türpfosten, um nicht hinzufallen. Unten ging das Licht aus, und oben schließlich auch.

Tiefe Nacht. Die Stunden vergingen. Der Mond schien hell. Ich blickte über die urtümliche Heide hin und hegte wenig originelle Gedanken, zum Beispiel, wie schön doch die Erde war und wie bös das Affentier, das sie beherrschte. Der nimmersatte, fiese, machthungrige, zerstörerische alte Homo sapiens. Sapiens gleich weise, klug, vernunftbegabt. Ein Witz. Auf einem so schönen Planeten hätte sich eigentlich ein netteres, vernünftigeres Wesen entwik-keln sollen. Eine Gattung, die Leute wie Adams und Humber hervorbrachte, konnte man nicht als vollauf gelungen betrachten.

Um vier aß ich noch etwas Schokolade, trank Mineralwasser und dachte ein Weilchen an mein in der Nachmittagssonne schmachtendes Gestüt daheim, zwanzigtausend Kilometer entfernt. Dort wartete ein normales, geregeltes Leben auf mich, wenn ich lange genug zu nachtschlafener Zeit auf winterkalten Hängen herumgesessen hatte.

Die Kälte drang nach und nach durch meine Decke, aber mehr als in Humbers Schlafraum fror ich auch nicht. Ich gähnte, rieb mir die Augen und begann auszurechnen, wie viele Sekunden noch bis zum Morgengrauen vergehen würden. Wenn die Sonne, wie ich annahm, um zehn vor sieben aufging, dann waren es hundertdreizehn mal sechzig, gleich sechstausendsiebenhundertachtzig Sekunden bis Donnerstag. Ja, und bis Freitag? Ich gab es auf. Es konnte zwar sein, daß ich dann immer noch hier am Hang saß, aber vielleicht hatte ich Glück und ein von Beckett gesandter Mitbeobachter kniff mich wach, wenn es ernst wurde.

Um Viertel nach sechs ging bei den Pflegern das Licht wieder an, und der Stall erwachte zum Leben. Eine halbe Stunde später verließ das erste Lot mit sechs Pferden den Hof und zog die Straße entlang nach Posset. Donnerstags ging es nicht zum Galoppieren aufs Moor. Arbeit auf dem Asphalt.

Kaum waren sie außer Sicht, kam Jud Wilson mit seinem dicken Ford in den Hof gefahren und hielt neben der Transportergarage. Cass ging über den Hof zu ihm, und sie unterhielten sich eine Weile. Dann sah ich durchs

Fernglas, wie Jud Wilson zur Garage ging und die großen Torflügel öffnete, während Cass geradewegs zu Kander-stegs Box marschierte, der vierten von links.

Es ging los.

Und es ging wie am Schnürchen. Jud Wilson fuhr den Transporter rückwärts in die Hofmitte und ließ die Rampe herunter. Cass führte das Pferd direkt zum Wagen, lud es ein und war binnen einer Minute wieder draußen, um mit Jud die Rampe hochzuklappen und zu verriegeln. Sie blickten kurz zum Haus, und prompt kam Humber angehinkt.

Cass sah zu, wie Humber und Jud Wilson ins Fahrerhaus stiegen. Der Transporter fuhr zum Hof hinaus. Das ganze Verladen hatte keine fünf Minuten gedauert.

Ich hatte unterdessen die Decke über den Koffer geworfen und das Motorrad unterm Reisig hervorgeholt. Das Fernglas umgehängt und unter die Lederjacke gesteckt. Ich setzte Sturzhelm und Motorradbrille auf und zog die Handschuhe an.

Obwohl ich davon ausgegangen war, daß sie Kandersteg nach Norden oder Westen schaffen würden, war ich doch erleichtert, daß sich das nun bewahrheitete. Der Transporter bog scharf nach Westen ab und fuhr auf der anderen Talseite die Straße entlang, die quer zu derjenigen verlief, an der ich wartete.

Ich schob die Maschine auf die Straße, ließ (mit Vergnügen diesmal) meine dritte Ladung Kleider hinter mir, warf den Motor an und schaute, daß ich zu der Kreuzung kam. Dort sah ich aus einem sicheren Abstand von vierhundert Metern, wie der Pferdetransporter langsamer wurde, rechts abbog und wieder Gas gab.

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