Kapitel 10

Gegen Ende der vierten Woche verließ uns Reggie (über zu wenig Essen klagend) und wurde ein, zwei Tage später durch einen milchbärtigen Jungen ersetzt, der sich mit heller Stimme als Kenneth vorstellte.

Für Humber blieb ich allem Anschein nach ein nichtssagendes Gesicht in dieser endlosen Prozession menschlichen Treibguts, und da ich nur ungefährdet arbeiten konnte, solange es dabei blieb, vermied ich es tunlichst, seine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Er befahl, und ich gehorchte, und er bestrafte mich für meine Unterlassungen nicht mehr als jeden anderen auch.

Ich lernte seine Stimmungen auf einen Blick erkennen. An manchen Tagen verfolgte er mit finsterer Miene stumm die Arbeit des ersten und zweiten Lots und paßte auf, daß auch beim dritten keiner kniff, und dann war selbst Cass auf der Hut und redete nur, wenn er gefragt wurde. An anderen Tagen war Humber sehr gesprächig, übte sich aber in so giftigem Sarkasmus, daß jeder sein Schweigen vorzog. Hin und wieder wirkte er auch zerstreut und sah über unsere Fehler hinweg, und noch seltener waren die Tage, an denen er mit dem Leben zufrieden zu sein schien.

Seine äußere Erscheinung war stets makellos, als wollte er damit den Statusunterschied zwischen sich und uns betonen. Ich hielt ihn in puncto Kleidung für eitel, aber sein Reichtum zeigte sich auch an dem neuen großen

Bentley, der in seinem Hof stand. Fernseher im Fond, Teppiche, Funktelefon, Pelzdecken, Klimatisierung und eine eingebaute Bar mit sechs Flaschen, zwölf Gläsern und einer glitzernden Sammlung von verchromten Korkenziehern, Eispickeln, Rührstäbchen und ähnlichen Utensilien.

Ich kannte den Wagen gut, weil ich ihn jeden Montagnachmittag waschen mußte. Bert mußte ihn freitags waschen. Humber war stolz auf sein Auto. Auf langen Fahrten chauffierte ihn in diesem eine Nummer zu groß geratenen Statussymbol Jud Wilsons Schwester Grace, eine maskuline Kämpfernatur, die mit dem Schlitten sehr gut umgehen konnte, ihn aber nicht zu warten brauchte. Ich wechselte kein einziges Wort mit ihr: Sie kam mit dem Fahrrad, von wo auch immer, brachte Humber da- und dorthin und fuhr mit dem Rad wieder davon. Oft fand sie den Wagen nicht sauber genug, aber das ließ sie Bert und mir von Jud ausrichten.

Ich flöhte alles durch, wenn ich das Wageninnere säuberte, doch Humber war weder so nachlässig noch so entgegenkommend, Injektionsspritzen oder Fläschchen mit Aufputschtabletten im Handschuhfach liegenzulassen.

Den ganzen ersten Monat hindurch empfand ich die Kälte nicht nur als unangenehm, sondern auch als lästige Verzögerung. Gab es keine Rennen, konnte Humber nicht dopen, und ich konnte nicht feststellen, ob sich an seinem Tagesablauf etwas änderte, wenn eine Bahn mit langer Zielgeraden auf dem Plan stand.

Dazu kam, daß Jud Wilson, Cass und er sich andauernd bei den Stallungen herumtrieben. Ich hätte mich gern einmal in Humbers Büro, einem kleinen Ziegelbau am oberen Ende des Hofs, umgesehen, aber so war das zu riskant. An einem Renntag hingegen konnte ich die Abwesenheit Humbers und Jud Wilsons nutzen, um in der Mittagspause, wenn Cass heimgefahren war und die Jungs am Tisch saßen, das Büro zu durchsuchen.

Cass hatte einen Schlüssel dafür, und er schloß das Büro morgens auf und abends zu. Soweit ich wußte, sperrte er mittags, wenn er zum Essen heimfuhr, nicht extra ab, und außer sonntags war es normalerweise immer offen. Das konnte zwar bedeuten, daß Humber dort nichts Belastendes liegen hatte, vielleicht fanden sich aber auch Dinge, die harmlos aussahen, ihn jedoch belasteten, wenn man die Zusammenhänge kannte.

Dennoch war die Wahrscheinlichkeit, das ganze Rätsel mit der Blitzdurchsuchung eines unverschlossenen Büros zu lösen, zu gering, um eine Enttarnung dafür zu riskieren, und ich hielt es für besser, geduldig abzuwarten, bis meine Stunde kam.

Humbers Haus, ein weiß gestrichenes, umgebautes Bauernhaus, lag neben den Stallungen. Ein paar heimliche Sondierungen nachmittags, wenn ich auf seinem Gartenweg Schnee schaufeln mußte, zeigten mir, daß es sich dabei um ein ultrasauberes, seelenloses Gebäude mit Zimmern wie auf einer Möbelmesse handelte, unpersönlich, unbewohnt. Humber war nicht verheiratet, und zumindest im Parterre schien es keinen Raum zu geben, wo er es sich abends gemütlich machen konnte.

Durch die Fenster sah ich keinen zur Durchsicht einladenden Schreibtisch und keinen geheimnisträchtigen Tresor; dennoch konnte ich sein Haus nicht einfach ausklammern und nahm mir vor, ihm bei der ersten Gelegenheit einen Besuch abzustatten, falls ich bei der Durchsuchung des Büros nichts fand und nicht erwischt wurde.

Eines Mittwochabends fing es endlich an zu tauen, und es taute den ganzen Donnerstag und Freitag, so daß sich der Schneematsch Samstag früh in Pfützen auflöste und Jagden und Rennen wieder in greifbare Nähe rückten.

Cass sagte mir am Freitag abend, daß der Besitzer der beiden von mir betreuten Jagdpferde sie am Samstag abholen wollte, und nach dem zweiten Lot führte ich sie hinaus und lud sie in den wartenden Transporter.

Der Besitzer lehnte am Kotflügel eines blankpolierten Jaguars. Seine Stiefel blinkten wie Glas, die cremefarbene Reithose saß wie angegossen, die rote Jacke faltenlos, die Halsbinde war blütenweiß. Er hielt eine lange, dünne Hetzpeitsche in der Hand und schlug damit an seinen Stiefel. Ein großer, breitschultriger Mann, barhäuptig, um die Vierzig, nicht schlecht aussehend. Erst wenn man vor ihm stand, bemerkte man den unzufriedenen Zug in seinem Gesicht und sah ihm den ausschweifenden Lebenswandel an.

«Sie da!«Er deutete mit der Peitsche auf mich.»Kommen Sie mal her.«

Ich ging zu ihm. Er hatte schwerlidrige Augen, und auf seiner Nase und den Wangen zeichneten sich blaurote Äderchen ab. Gelangweilt und verächtlich sah er auf mich herunter. Ich bin einsfünfundsiebzig groß; er überragte mich um zehn Zentimeter und machte einen Meter daraus.

«Sie werden mir dafür büßen, wenn meine Pferde den Tag nicht durchstehen. Ich nehme sie hart ran. Die müssen fit sein.«

Seine Stimme hatte das gleiche teure Timbre wie die von October.

«Sie sind so fit, wie es der Schnee zugelassen hat«, sagte ich ruhig.

Er zog die Brauen hoch.

«Sir«, setzte ich hinzu.

«Mit Unverschämtheit«, sagte er,»Kommen Sie zu nichts.«

«Verzeihung, Sir, ich wollte nicht unverschämt sein.«

Er lachte unfreundlich.»Das kann ich mir denken. Stellen sind rar, was? Ich rate Ihnen, in Zukunft Ihre Zunge zu hüten, wenn Sie mit mir reden.«

«Ja, Sir.«

«Und sollten meine Pferde nicht fit sein, werden Sie den Tag verfluchen, an dem Sie auf die Welt gekommen sind.«

Cass erschien mit besorgter Miene links neben mir.

«Alles in Ordnung, Sir? Hat Roke irgend etwas falsch gemacht, Mr. Adams?«

Wie es mir gelang, die Fassung zu bewahren, weiß ich nicht genau. Mr. Adams. Mr. Paul James Adams, ehemaliger Besitzer von sieben später gedopten Pferden?

«Kann der Zigeuner überhaupt mit meinen Pferden umgehen?«fragte Adams kränkend.

«Er ist nicht schlechter als die anderen«, versicherte ihm Cass.

«Was noch nicht viel heißt. «Er warf mir einen abschätzigen Blick zu.»Während des Frosts haben Sie es leicht gehabt. Viel zu leicht. Jetzt jagen wir wieder, und Sie müssen sich am Riemen reißen. Ich sehe das nicht so lok-ker wie Ihr Chef, lassen Sie sich das gesagt sein.«

Ich schwieg. Er schlug knallend mit der Peitsche an seinen Stiefel.

«Haben Sie gehört? Mir kann man es nicht so leicht recht machen.«

«Ja, Sir«, sagte ich leise.

Er öffnete die Hand und ließ die Peitsche fallen.

«Aufheben«, sagte er.

Als ich mich bückte, setzte er mir den Fuß auf die Schulter und gab mir einen jähen Stoß, so daß ich die Balance verlor und der Länge nach in den Dreck fiel.

Er lächelte maliziös.

«Hoch mit Ihnen, Sie Tolpatsch. Sie wollten doch meine Peitsche aufheben.«

Ich stand auf, nahm die Peitsche und hielt sie ihm hin. Er riß sie mir aus der Hand und meinte zu Cass:»Denen muß man zeigen, daß man sich nichts bieten läßt. Immer drauf mit dem Daumen. Der hier«, er musterte mich kalt,»hat einen Denkzettel verdient. Was schlagen Sie vor?«

Cass sah mich unsicher an. Ich blickte zu Adams. Es wird ernst, dachte ich. Seine graublauen Augen waren seltsam verschleiert, wie wenn er getrunken hätte, doch er war stocknüchtern. Ich hatte diesen Augenausdruck schon einmal gesehen, bei einem Pfleger, der kurzzeitig bei mir beschäftigt war, und ich wußte, was er bedeutete. Jetzt mußte ich raten — und ich hatte nur einen Versuch —, ob er lieber starke oder schwache Gegner schikanierte. Mein Gefühl sagte mir, vielleicht wegen seiner Körpergröße und seiner augenscheinlichen Weitläufigkeit, daß es ihm zu billig wäre, einen Schwächling niederzutreten. In dem Fall durfte ich jetzt alles, bloß keine Zähne zeigen. Ich machte mich so krumm und klein, wie ich nur konnte.

«Ach Gott«, sagte Adams angewidert.»Sieh sich einer den an. Der vergeht ja vor Angst. «Er zuckte gereizt die Achseln.»Na gut, Cass, soll er ein paar Wege fegen oder irgend so ’nen Quatsch. Das bringt ja nichts. Wo kein Rückgrat ist, kann man keins brechen. Da jage ich doch lieber Füchse, die haben wenigstens ein bißchen Pep, ein bißchen Mumm.«

Sein Blick schweifte zu Humber, der hinten über den Hof ging.»Sagen Sie Mr. Humber, ich möchte ihn kurz sprechen«, wies er Cass an, und als der gegangen war, wandte er sich wieder an mich.

«Wo haben Sie vorher gearbeitet?«

«Bei Mr. Inskip, Sir.«

«Und er hat Sie rausgeworfen?«

«Ja, Sir.«

«Weshalb?«

«Ich, ehm…«Ich stockte. Es war ungemein ärgerlich, einem solchen Mann Rechenschaft geben zu müssen, aber wenn ich ihm ein paar Häppchen vorwarf, die er überprüfen konnte, würde er mir die faustdicken Lügen vielleicht unbesehen glauben.

«Antworten Sie, wenn ich Sie etwas frage«, sagte Adams kalt.»Weshalb hat Inskip Sie gefeuert?«

Ich schluckte.»Ich mußte gehen, weil ich, ehm… ich hab mit der Tochter vom Chef herumgemacht.«

«Mit der Tochter vom Chef. «, wiederholte er.»Du lieber Gott. «Süffisant fügte er eine obszöne Bemerkung an, die ihre Wirkung nicht verfehlte. Er sah mich zusammenzucken und weidete sich an meiner Verlegenheit. Cass und Humber kamen. Adams wandte sich lachend an Humber und sagte:»Weißt du, warum dieser Gockel bei Inskip geflogen ist?«

«Ja«, meinte Humber nur.»Er hat Octobers Tochter verführt. «Es interessierte ihn nicht.»Dazu kam ein Favorit, der Letzter wurde. Den er betreut hat.«

«Octobers Tochter!«sagte Adams überrascht, die Augen zusammenkneifend.»Ich dachte, er meint Inskips Tochter.«

Wie nebenbei gab er mir eine deftige Ohrfeige.»Lügen Sie mich nicht an.«

«Mr. Inskip hat keine Tochter«, wandte ich ein.

«Und keine Widerrede!«Er schlug noch einmal zu. Die Hand saß locker. Er hatte offensichtlich viel Übung.

«Hedley«, sagte er zu Humber, der das einseitige Geplänkel unbeteiligt mit angesehen hatte,»du kannst am Montag mit mir zum Pferderennen nach Nottingham fahren. Ich hole dich um zehn Uhr ab.«

«Gut«, sagte Humber.

Adams wandte sich an Cass.»Denken Sie an die Lektion für den feigen Don Juan da. Damit er sich ein bißchen abkühlt.«

Cass kicherte unterwürfig und machte mir eine Gänsehaut.

Adams stieg gelassen in seinen Jaguar, ließ den Motor an und fuhr hinter dem Transporter mit seinen beiden Huntern her.

Humber sagte:»Daß mir Roke nachher nicht auf dem Zahnfleisch geht, Cass. Der wird hier zum Arbeiten gebraucht. Schalten Sie Ihren Verstand ein.«

Er hinkte davon, um die Stallkontrolle fortzusetzen.

Cass schaute mich an, und ich sah entschieden an meinen feuchten, verschmutzten Kleidern hinunter in dem Bewußtsein, daß der Futtermeister auf der Gegenseite stand und nichts als Gefügigkeit in meinem Gesicht erkennen durfte.

Er sagte:»Mr. Adams läßt sich nicht gern ärgern.«

«Ich habe ihn nicht geärgert.«

«Und er duldet auch keine Widerrede. Merk dir das.«

«Hat er noch mehr Pferde hier?«fragte ich.

«Ja«, sagte Cass,»nur geht dich das nichts an. Er hat aber gesagt, daß ich dir einen Denkzettel verpassen soll, und das vergißt er nicht. Er kommt darauf zurück.«»Ich hab doch nichts getan«, sagte ich mürrisch, den Blick noch gesenkt. Was wohl mein Vorarbeiter dazu sagen würde? dachte ich und mußte bei der Vorstellung fast schmunzeln.

«Das ist auch nicht nötig«, meinte Cass.»Bei Mr. Adams kommt die Strafe vorher, damit man gar nicht erst Mist baut. Irgendwie logisch. «Er lachte schnaubend.

«Vorbeugung, gell?«

«Hat er nur Hunter?«fragte ich.

«Nein«, sagte Cass,»aber deine zwei sind Hunter, denk dran. Die reitet er selbst, und es ist besser, wenn jeder Bürstenstrich an denen stimmt.«

«Springt er mit den Pflegern seiner anderen Pferde auch so um?«

«Jerry hat sich noch nie beklagt. Und dich läßt er auch leben, wenn du spurst. Aber was geben wir dir denn jetzt zu tun…?«:

Ich hatte gehofft, er hätte es vergessen.

«Du kannst die Gehwege auf den Knien schrubben. Fang gleich an. Du ißt mit den anderen und machst dann weiter bis zur Abendstallzeit.«

Ich blieb mit niedergeschlagenen Augen wie ein begossener Pudel stehen, obwohl es mir gewaltig gegen den Strich ging. Was erwartete October eigentlich von mir? Wieviel mußte ich mir gefallen lassen? Gab es einen Punkt, an dem er sagen würde:»Schluß, bis hierher und nicht weiter. Steigen Sie aus«? Wenn ich bedachte, wie schlecht er auf mich zu sprechen war, wahrscheinlich nicht!

«Im Sattelkammerschrank ist eine Scheuerbürste. Also bitte. «Cass ging davon.

Die betonierten Wege waren fast zwei Meter breit und liefen an den Boxen entlang um den ganzen Hof. Sie wa-ren in den vier Wochen meiner Anwesenheit immer schneefrei gehalten worden, damit der Futterwagen zügig von Box zu Box kam, und wurden wie bei Inskip und bei mir und in den meisten modernen Ställen regelmäßig von Stroh und Staub gesäubert; aber sie an einem Tauwettertag Ende Januar beinah vier Stunden lang auf den Knien liegend zu scheuern, war eine elende, hirnverbrannte, sinnlose Schinderei. Und es war lächerlich.

Ich hatte die Wahl, entweder die Wege zu schrubben oder mich auf mein Motorrad zu schwingen und adieu zu sagen. Im Gedanken daran, daß es mir mindestens zehntausend Pfund einbrachte, schrubbte ich; und Cass lungerte den ganzen Tag im Hof herum, damit ich ja keine Pause einlegte.

Die Jungs, die mich am Nachmittag auf dem Weg zum Cafe und bei ihrer Rückkehr aus Posset schon schadenfroh verspottet hatten, sorgten am Abend dafür, daß die Wege schließlich schmutziger waren als am Morgen. Das kümmerte mich zwar nicht, aber Adams’ Pferde kamen so ver-dreckt und verschwitzt zurück, daß ich zwei Stunden brauchte, um sie zu putzen, da mir vor Müdigkeit die Finger kaum noch gehorchten.

Zur Krönung des Tages kam Adams dann noch einmal. Er parkte seinen Jaguar im Hof, stieg aus, wechselte ein paar Worte mit Cass, der nickte und auf die Gehwege wies, dann kam er ohne Eile zu der Box, in der ich mich noch mit seinem Rappen abmühte.

Er blieb in der Tür stehen, sah mich von oben runter an, und ich sah zu ihm hoch. Er war ausgesprochen elegant in dunkelblauen Nadelstreifen, mit weißem Hemd und silbergrauer Krawatte. Frische Gesichtsfarbe, gekämmtes Haar, saubere, gepflegte Hände. Wahrscheinlich hatte er nach der Jagd daheim ein schönes warmes Bad genommen, sich umgezogen, ein Glas getrunken… Ich hatte seit einem Monat nicht gebadet und würde, solange ich bei Humber blieb, wohl auch nicht dazu kommen. Ich war schmutzig, hungrig und erschöpft. Ich wünschte, er würde abhauen und mich in Ruhe lassen.

Von wegen.

Er trat in die Box und betrachtete den hartgewordenen Schlamm, der an den Hinterbeinen seines Pferdes klebte.

«Sie brauchen aber lange«, meinte er.

«Ja, Sir.«

«Das Pferd muß doch schon drei Stunden hier sein. Was haben Sie die ganze Zeit gemacht?«

«Meine drei anderen Pferde versorgt, Sir.«

«Meine gehen vor.«

«Der Schlamm mußte erst trocknen, Sir. Naß läßt er sich nicht ausbürsten.«

«Ich habe Ihnen doch heute früh gesagt, Sie sollen mir nicht widersprechen. «Er schlug mich wieder auf das Ohr vom Morgen. Dabei lächelte er ein wenig. Es machte ihm Spaß. Mir nicht.

Nachdem er sozusagen Blut geleckt hatte, packte er mich plötzlich vorn am Pullover, stieß mich gegen die Wand und ohrfeigte mich einmal mit der Innenhand, einmal mit dem Handrücken. Immer noch lächelnd.

Ich hatte Lust, ihm mein Knie zwischen die Beine und meine Faust in den Magen zu rammen, und davon abzusehen fiel mir nicht leicht. Um das Ganze überzeugender zu gestalten, hätte ich schreiend um Schonung bitten müssen, doch das brachte ich nicht über mich. Man kann aber auch den Körper sprechen lassen, und so nahm ich beide Arme hoch und schlang sie schützend um den Kopf.

Er lachte, ließ mich los, und ich ging auf ein Knie hinunter und drückte mich an die Wand.

«Was sind Sie doch für eine feige Seele, schöner Mann.«

Ich blieb, wo ich war, und schwieg. Plötzlich schien es, als hätte er kein Interesse mehr, mich zu malträtieren.

«Stehen Sie schon auf«, sagte er gereizt.»Ich habe Ihnen ja nichts getan. Das sind Sie gar nicht wert. Machen Sie mein Pferd fertig. Und zwar ordentlich, sonst schrubben Sie morgen gleich noch mal.«

Er verließ die Box und überquerte den Hof. Ich stand auf und sah, grimmig gegen den Türpfosten gelehnt, wie er zu Humbers Haus ging. Sicher wartete etwas Gutes zu essen auf ihn. Ein Sessel. Kaminfeuer. Kognak. Ein Gespräch unter Freunden. Ich seufzte schwer und ging wieder mit der Bürste an die Arbeit.

Kurz nach dem Abendessen, bei dem ich mir zu trockenem Brot und Käse derbe Witzeleien über meine Nachmittagsbeschäftigung und ausführliche Beschreibungen der leckeren Tagesküche in Posset anhören mußte, hatte ich von meinen Kollegen die Nase voll. Ich stieg die Leiter hoch und setzte mich aufs Bett. Kalt war’s da oben. Ich hatte genug von Humbers Rennstall. Ich hatte mich mehr als genug herumstoßen lassen. Ich brauchte nur der Versuchung vom Morgen nachzugeben, das Motorrad auszupacken und den Rückweg in die Zivilisation anzutreten. Zur Beruhigung meines Gewissens konnte ich October einen Großteil des Geldes zurückzahlen und betonen, daß zumindest die halbe Arbeit getan war.

Ich blieb auf dem Bett sitzen und überlegte, ob ich mit dem Motorrad davonfahren sollte. Ich fuhr nicht.

Nach einer Weile hörte ich mich seufzen. Mir war schon klar, daß sich mir die Frage, ob ich bleiben sollte, nicht ernsthaft stellte, selbst wenn ich jeden Tag die fürchterlichen Wege scheuern mußte. Ganz abgesehen davon, daß ich es mir kaum verzeihen würde, wenn ich wegen ein paar Schikanen davonlief, hatte ich die Gewißheit, daß der skrupellose Mr. P. J. Adams auf dem besten Weg war, mit seinen Machenschaften den Ruf des britischen Rennsports zu ruinieren. Damit ihm das nicht gelang, war ich hier. Das Weite zu suchen, weil ich den Umgang mit ihm unerfreulich fand, kam nicht in Frage.

Mr. P. J. Adams, bislang nur ein Name auf dem Papier, übertraf Humber an Gefährlichkeit bei weitem. Humber war lediglich grob, habgierig, übellaunig und eitel, und er schlug seine Pfleger einzig, um sie loszuwerden. Aber Adams fand offenbar Spaß daran, andere zu quälen. Hinter der eleganten, kultivierten Fassade, nur wenig unter der Oberfläche, steckte ein verantwortungsloser Barbar. Humber wußte, was er wollte, doch Adams schien mir der Kopf des Gespanns zu sein. Er war als Mensch vielschichtiger und als Gegner weitaus mehr zu fürchten. Humber hatte ich mich ebenbürtig gefühlt. Adams machte mir angst.

Jemand kam die Leiter herauf. Ich dachte, es sei Cecil, zurück vom Samstagabendtrunk, aber es war Jerry. Er setzte sich auf das Bett neben meinem. Er sah niedergeschlagen aus.

«Dan?«

«Ja?«

«Heute… heute war es blöd in Posset, wo du nicht dabei warst.«

«So?«

«Mhm. «Sein Gesicht hellte sich auf.»Einen Comic habe ich mir aber gekauft. Liest du mir daraus vor?«

«Morgen«, sagte ich müde.

Es war ein Weilchen still, während er sich bemühte, seine Gedanken zu ordnen.

«Dan?«»Hm?«

«Es tut mir leid.«

«Was denn?«

«Na ja, daß ich dich heute nachmittag ausgelacht hab.

Das war nicht gut… wo du mich doch immer auf dem Motorrad mitnimmst und so. Damit fahr ich doch so gern.«

«Schon gut, Jerry.«

«Alle haben dich gehänselt, da hab ich mitgemacht, weil ich… damit sie mich mitnehmen, verstehst du?«

«Versteh ich, Jerry. Es ist wirklich nicht schlimm.«

«Du lachst mich nie aus, wenn ich was falsch mache.«

«Schwamm drüber.«

«Ich habe nachgedacht«, sagte er und zog die Stirn kraus.»An meine Mama mußte ich denken. Die hat mal in so einem Büro geputzt. Die Böden geschrubbt. Da war sie immer ganz erschossen, wenn sie heimkam. Junge, das geht aufs Kreuz, hat sie gesagt.«

«So?«

«Tut dir das Kreuz weh, Dan?«

«Ein bißchen.«

Er nickte zufrieden.»Meine Mama kennt sich aus.«

Dann verfiel er in ein gedankenleeres Schweigen und wiegte sich sanft auf dem quietschenden Bett.

Seine Entschuldigung rührte mich.

«Ich les dir aus dem Comic vor«, sagte ich.

«Bist du nicht zu kaputt?«fragte er eifrig.

Ich schüttelte den Kopf.

Er holte das Heft aus dem Karton, in dem er seine Siebensachen aufbewahrte, und setzte sich neben mich. Ich las ihm von Mickey dem Affen, Beryl und Peril, den Bustom Boys, Julius Cheeser und all den anderen vor. Wir gingen das Ganze mindestens zweimal durch, und er lachte zufrieden und sprach mir die Sätze nach. Bis zum Ende der Woche würde er das meiste auswendig können.

Schließlich nahm ich ihm das Heft aus den Händen und legte es aufs Bett.

«Jerry«, sagte ich,»welches von den Pferden, die du betreust, gehört Mr. Adams?«

«Mr. Adams?«

«Der Mann, dessen Jagdpferde ich versorge. Der heute morgen da war, mit einem grauen Jaguar und einer roten Jacke.«

«Ach, der Mr. Adams.«

«Gibt es denn noch einen?«

«Nein, das ist schon der. «Jerry schauderte.

«Was weißt du über ihn?«fragte ich.

«Der Pfleger, der vor dir hier war, Dennis hieß er, den konnte Mr. Adams nicht leiden. Weil, er war frech zu Mr. Adams.«

«Hm«, sagte ich. Ich war mir nicht sicher, ob ich hören wollte, was mit Dennis passiert war.

«Er war höchstens drei Wochen da«, meinte Jerry nachdenklich.»Die letzten Tage ist er immer wieder hingefallen. War schon komisch.«

Ich unterbrach ihn.»Welches von deinen Pferden gehört Mr. Adams?«fragte ich noch einmal.

«Gar keins«, sagte er entschieden.

«Cass meinte, du hättest eins von ihm.«

Er sah überrascht — und erschrocken aus.»Ich will kein Pferd von Mr. Adams, Dan!«»Tja, wem gehören denn deine Pferde?«

«Das weiß ich nicht genau. Außer natürlich bei Pageant. Der gehört Mr. Byrd.«

«Pageant ist der, den du zu den Rennen begleitest?«

«Mhm, den meine ich.«

«Und die anderen?«

«Da ist einmal Mickey…«Er zog die Brauen zusammen.

«Mickey hat die Box neben dem schwarzen Hunter von Mr. Adams, den ich versorge?«

«Ja. «Er lächelte strahlend, als bewunderte er meinen Durchblick.

«Wem gehört Mickey?«

«Weiß ich nicht.«

«War sein Besitzer noch nie da?«

Er schüttelte unschlüssig den Kopf. Ich wußte nicht, wieweit er sich an Besuche von Besitzern überhaupt erinnerte.

«Und dein anderes Pferd?«Jerry hatte nur drei zu versorgen, da er langsamer als wir anderen war.

«Das ist Champ!«sagte Jerry triumphierend.

«Wem gehört er?«

«Er ist ein Hunter.«

«Ja, aber wem gehört er?«

«So einem Typ. «Er dachte scharf nach.»Einem Dicken. Mit so abstehenden Ohren. «Er klappte seine Ohren nach vorn, um es mir zu zeigen.

«Kennst du ihn gut?«

Er lächelte breit.»Zu Weihnachten hat er mir zehn Shilling geschenkt.«

Es war also Mickey, der Adams gehörte, doch weder Adams noch Humber noch Cass hatten Jerry etwas davon gesagt. Offenbar war es Cass nur so herausgerutscht.

«Jerry«, fragte ich,»wie lange arbeitest du schon hier?«

«Wie lange?«wiederholte er verständnislos.

«Wie lange vor Weihnachten hast du angefangen?«

Er legte den Kopf schräg und dachte nach. Sein Gesicht hellte sich auf.»Das war einen Tag nach dem Sieg der Rovers über die Gunners. Zu dem Spiel hat mein Pa mich mitgenommen. Der Heimplatz der Rovers ist bei uns in der Nähe.«

Ich stellte ihm noch mehr Fragen, aber genauer konnte er sich nicht erinnern, wann er zu Humber gekommen war.

«Und Mickey«, sagte ich,»war der damals schon hier?«

«Ich hatte von Anfang an dieselben Pferde«, antwortete er. Als ich keine weiteren Fragen stellte, griff er wieder zu dem Comicheft und schaute sich friedlich die Bilder an. Ich überlegte, wie es sein mochte, wenn man einen solchen Kopf wie mit Stroh gefüllt hatte, an dem das gesamte Wissen der Welt vorbeiging, in dem Vernunft, Gedächtnis und Bewußtsein auf ein Minimum beschränkt waren.

Er lächelte glücklich über die Comic Strips. Eigentlich war seine Einfalt kein großer Nachteil für ihn. Er hatte ein gutes Herz, und was er nicht wußte, konnte ihm nicht weh tun. Ein solches Leben hatte allerhand für sich. Wenn man nicht merkte, daß man der Gegenstand gezielter Demütigungen war, brauchte man sich nicht dagegen abzuhärten. Wenn ich so unbedarft wäre, dachte ich, käme ich bei Humber sehr viel leichter durch den Tag.

Plötzlich schaute er auf, sah, daß ich ihn beobachtete, und schenkte mir ein offenes, zufriedenes, vertrauensvolles Lächeln.

«Ich kann dich gut leiden«, sagte er und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Heft zu.

Großes Gepolter ertönte von unten, und die Jungs stürmten die Leiter herauf, wobei sie den kaum noch gehfähigen Cecil mit sich schleiften. Jerry huschte zu seinem Bett, um schnell den Comic zu verstecken, und wie die anderen wickelte ich mich in zwei graue Decken und legte mich mit Stiefeln und allem auf das ungastliche Segeltuch.

Ich versuchte eine bequeme Lage für meine unerhört müden Glieder zu finden, doch leider gelang es mir nicht.

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