Erst Kater, dann Mädchen, dann Agent. Was passiert noch alles? Ach ja, Odette wird ertappt …


Fassen wir mal zusammen: Ich kann sprechen. Ich kann lesen. Und ich kann auch schreiben – haben wir gerade getestet. Ich kann Englisch, das große und das kleine Einmaleins. Und, jetzt kommt der Knaller: Ich kann sogar Russisch. Zumindest verstehe ich es. Um es kurz zu machen: Ich bin Super-Winston! Ich bin der schlauste Kater des Universums! Ich bin Weltklasse!

Das Blöde ist nur, dass ich meine Freude mit niemandem teilen kann, denn Kira ist gerade mit ganz anderen Sachen beschäftigt. Sie überlegt nämlich fieberhaft, wie wir das Geheimnis ihrer Mutter lüften und Vadim endgültig loswerden könnten. Jetzt, wo wir wissen, was ich alles kann, ist Kira davon überzeugt, dass wir das perfekte Ermittlerteam sind. Finde ich natürlich auch! Ermittlerteam – das hört sich großartig an! Wenn Kira mir jetzt noch erklärt, was das Wort bedeutet, bin ich dabei!

»Sag mal, dieses Ermittlerteam – was macht das eigentlich?«, schicke ich also meine Frage in Gedanken an Kira.

»Ganz einfach«, kommt die Antwort zurück, »das löst unseren Fall! Wir ergänzen uns nämlich super, Winston: Ich kann unauffällig alle Beweisstücke sichten, du kannst die Zeugen befragen. Und zwischendurch tauschen wir unsere Ermittlungsergebnisse aus, und dann wissen wir schon bald, womit Vadim meine Mutter erpresst.«

»Okay, so weit kann ich folgen. Aber was machen wir denn, wenn wir es wissen? Was ist, wenn deine Mutter wirklich was verbrochen hat?«

»Also echt!«, faucht Kira. »Natürlich hat Mama gar nichts verbrochen! Jede Wette, Vadim behauptet das nur! Wenn wir aber die Wahrheit kennen, können wir ihn als echten Bösewicht überführen. Ganz so, wie es die Polizei machen würde. Oder Geheimagenten. Ist doch sonnenklar, oder?«

Geheimagenten? Sofort muss ich an einen Film denken, den ich mit Werner zusammen geguckt habe. Da gab es auch einen Agenten. An den Namen kann ich mich nicht mehr erinnern, aber der Typ hatte irgendeine Nummer. 006 oder 7 oder so. Weiß nicht, ob das seine Telefonnummer war oder seine Klasse in der Agentenschule oder vielleicht seine Schuhgröße. Auf jeden Fall war der so, wie ich als Mensch auch gern wäre: sehr elegant und schlau, irgendwie witzig. Und egal, wie gefährlich es wurde, der hatte immer einen lässigen Spruch auf den Lippen. Alle Frauen haben ihn bewundert – ein Klassetyp. Tja, so könnte ich als Mensch auch sein – wenn ich nicht blöderweise im Körper eines zwölfjährigen Mädchens stecken würde. Aber man kann es sich eben nicht aussuchen … Der Gedanke, nun ein Agent zu sein, gefällt mir trotzdem.

Apropos alle Frauen haben ihn bewundert – was mich tatsächlich brennend interessiert: Kann ich mich mit Odette noch unterhalten? Oder habe ich diese Fähigkeit beim Körpertausch verloren? Das muss ich glatt mal testen, denn mit der Dame habe ich noch ein Hühnchen zu rupfen. Ich beschließe, diese Frage sofort zu klären. Ein klarer Vorteil, wenn man ein Mensch ist: Man kann einfach die Wohnung verlassen und gehen, wohin man will. Enorm praktisch.

Ich sehe mich im Hof um. Von den Katzen keine Spur. Hm. Wie ruft man als Mensch eine Katze? Ich versuche es mit dem Klassiker.

»Miez, miez, miez!«

Keine Reaktion. Gut, ich selbst würde natürlich auch nicht gleich losrennen, nur weil irgendein Kind im Hof steht und ruft. Oder haben sie es vielleicht nicht gehört? Ich probiere es noch mal lauter.

»Miez, miez, MIEZ!!!«

Immer noch nichts. Die drei sind wie vom Erdboden verschluckt. Einen Moment stehe ich ratlos herum, dann kommt mir eine Spitzenidee. Wie heißt es so schön? Mit Speck fängt man Mäuse. Und mit Geflügelleber bestimmt Katzen. Vor allem, wenn die drei es gewohnt sind, mit MEINEM Fressen gefüttert zu werden. Wenn ich mich nicht täusche, hat Anna gerade eine Portion Geflügelleber frisch gekocht …

Kurze Zeit später kehre ich mit einem Blechnapf voll leckerem Futter in den Hof zurück. Diesmal rufe ich nicht, sondern stelle den Napf einfach an die Stelle, wo ich die drei das letzte Mal getroffen habe. Dann gehe ich zum Mülltonnenunterstand, schwinge mich darauf und warte.

Tatsächlich dauert es nicht lange, da kommt Spike angeschlichen, dicht gefolgt von Karamell. Nur von Odette ist nichts zu sehen. Die beiden sind so gierig, dass sie mich nicht mal bemerken. Hastig schlingen sie das Futter hinunter. Ich höre genau hin, um zu verstehen, was sie sagen. Bei so einer leckeren Verpflegung müssten sie doch in Begeisterungsstürme ausbrechen! Aber ich höre gar nichts, nur Maunzen.

Langsam dämmert es mir: Ich kann die beiden nicht verstehen. Diese Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag. Ich, Winston Churchill, kann andere Katzen nicht mehr verstehen. Meine schlimmste Befürchtung ist also tatsächlich wahr geworden. Warmes Wasser läuft meine Wangen hinunter. Was ist das? Ich wische mit der Hand über mein Gesicht. Das Wasser kommt aus meinen Augen. Es müssen also Tränen sein. Ich weine. Und es fühlt sich ganz seltsam an. Irgendwie schrecklich. Aber auch erleichternd.

In diesem Moment streift etwas sehr Weiches meine Hand. Kurz darauf leckt eine raue Zunge die Tränen von meinen Fingern. Odette. Sie ist zu mir auf den Mülltonnenunterstand gesprungen. Ich betrachte sie und stelle wieder einmal fest, dass sie wunderschön aussieht. Odette guckt mich ebenfalls an, dann legt sie ihren Kopf auf meinen Schoß und fängt an zu schnurren. Okay, auch wenn ich mich nicht mehr mit ihr unterhalten kann, bin ich mir ganz sicher, was das heißt: Streichle mich!

Ich lasse meine Finger durch ihr Fell gleiten. Eigentlich wollte ich Odette gehörig zusammenfalten, so boshaft wie sie mich das letzte Mal behandelt hat. Schließlich bin ich nun ein Mensch und viel größer als sie. Da hätte eine Standpauke bestimmt gehörig Eindruck gemacht. Aber nun genieße ich einfach das Gefühl, sie so nah bei mir zu haben. Gleichzeitig vermisse ich in diesem Moment mein Leben als Katze so stark, dass ich fast maunzen könnte. Wenn ich gerade jetzt ein Kater wäre – und ich säße hier mit Odette so zusammen … Ich merke, wie mein Herz anfängt zu rasen und sich ein seltsames Gefühl in meinem Magen ausbreitet. Herzrasen und Magendrücken – ob ich wohl krank werde?

Kurz überlege ich, ob ich Odette einfach erzählen soll, dass ich eigentlich Winston bin. Vermutlich kann sie Menschen verstehen. Ich konnte es jedenfalls, als ich noch ein Kater war. Aber selbst wenn sie es kann, wird sie mir wahrscheinlich nicht glauben, sondern mich für völlig durchgedreht halten. Die Geschichte ist ja auch total verrückt.

»Ach, hier bist du! Ich habe dich schon überall gesucht. Aber ich komm ja nicht allein aus der Wohnung. Das ist vielleicht doof!«

Kira springt zu uns auf den Unterstand. Schade, jetzt ist es mit der Zweisamkeit natürlich vorbei! Odette zieht ihren Kopf weg und faucht kurz, dann legt sie sich wieder hin. Da kommt mir eine Idee.

»Kannst du hören, was sie gesagt hat?«, will ich von Kira in Gedanken wissen.

»Na klar. Ist aber nicht besonders schmeichelhaft für dich«, erwidert sie.

»Das habe ich mir schon gedacht. Ich will’s trotzdem wissen«, sage ich tapfer.

Kira kichert in Gedanken.

»Okay, du hast es nicht anders gewollt! Sie hat gesagt: Hallo, du Weichei, traust du dich auch wieder hierher? Beste Freunde seid ihr nicht, oder? Na ja, was sich liebt, das neckt sich.«

»Wie meinst du das denn?«, will ich wissen.

»Ach, das ist nur so ein Spruch. Wenn sich zwei Leute richtig gern haben, dann kann es sein, dass sie sich deswegen besonders häufig streiten. So ist das jedenfalls bei Menschen. Wie das bei Katzen ist, weiß ich nicht.«

Ich merke, wie mir warm wird. Verstohlen betrachte ich Odette, die immer noch entspannt auf meinen Beinen liegt.

»Also, ich glaube nicht, dass mich Odette mag. Sie hält mich für einen eitlen, verwöhnten Kater. Und für arrogant. Dabei stimmt das gar nicht.«

Kira legt den Kopf schief und mustert mich.

»Stimmt nicht?«

Ich schüttle heftig den Kopf.

»Nein! Das stimmt überhaupt nicht! Ich bin vielleicht gebildet. Aber eingebildet bin ich ganz sicher nicht. Und wenn, dann nur ein ganz kleines bisschen.« Dazu schweigt Kira. Vielsagend, wie mir scheint. Das ärgert mich.

»Überhaupt ist das alles nur Olgas Schuld«, füge ich deshalb trotzig hinzu.

»Was hat denn meine Tante damit zu tun?«, will Kira erstaunt wissen.

»Sie war es, die Odette erzählt hat, dass ich so verwöhnt sei. Richtig gemein ist das! Odette kennt mich gar nicht wirklich, ich war ja immer in der Wohnung. Das sind also alles nur Gerüchte und deine Tante hat sie in Umlauf gebracht.«

Jetzt ist es an Kira, trotzig zu reagieren.

»Das kann ich mir nicht vorstellen. Das sieht meiner Tante gar nicht ähnlich.«

»Hat sie aber gemacht. Und mein wertvolles Futter hat sie der Bande auch gegeben. Frag Odette!«

»Mach ich!«

Kira rückt ein bisschen näher an uns heran und maunzt. Odette hebt überrascht den Kopf und maunzt ebenfalls. Faszinierend. Die beiden unterhalten sich offenbar – und ich kann kein Wort verstehen. Eine Weile geht das so hin und her, dann rappelt sich Odette auf, springt vom Unterstand und verschwindet im hinteren Teil des Hofs.

»Was ist los?«, will ich von Kira wissen.

»Ich habe gerade was klargestellt,« lautet die Antwort. »Nämlich, dass meine Tante garantiert nie behauptet hat, dass du arrogant bist.«

»Hä? Aber wie hast du das Odette verklickert? Hast du ihr etwa von unserem Tausch erzählt?«

»Natürlich nicht. Das würde sie mir sowieso nicht glauben. Nein, ich habe ihr einfach gesagt, dass ich noch mal nachgedacht habe. Und dass ich inzwischen weiß, dass meine Olga nie so etwas Gemeines über mich erzählt hätte.«

»Und dann? Wie hat Odette reagiert?«, frage ich neugierig.

»Sie hat ziemlich schnell eingeknickt und zugegeben, dass ihre Geschichte nur eine Lüge war, um mich, also eigentlich dich, zu ärgern.«

»Na, dann bin ich ja beruhigt.« Zumindest wegen Olga. Die blöde Odette kann mir in Zukunft so was von gestohlen bleiben!

»Gefüttert hat meine Tante Odette und ihre Freunde allerdings wirklich. Sie liebt eben Katzen!«, fügt Kira hinzu.

Ich nicke und beim Gedanken an Olgas Freundlichkeit werde ich wieder ein bisschen traurig. Aber schon spricht Kira weiter.

»Jetzt vergiss mal die ganze Sache mit Olga und Odette, Winston! Wir müssen über etwas sehr viel Wichtigeres reden.«

»Ach ja, und über was?«

»Über unsere Ermittlungsstrategie. Wir müssen uns überlegen, wie wir Vadim am besten auf die Schliche kommen.«

»Aha.« Meine Begeisterung für das Thema hält sich momentan arg in Grenzen. Lieber würde ich ein wenig im Selbstmitleid schwelgen, weil ich so ein armer, von Odette unverstandener Kater bin. Gefangen im Körper einer Zwölfjährigen, die mich ebenfalls nicht versteht.

»Nun komm schon, Agent Winston. Ich habe da auch bereits eine gute Idee. Ach was – sie ist brillant!«

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