Alles wieder beim Alten.
Oder doch nicht?
»Kira, bist du wach? Geht es dir gut?« Jemand rüttelt an der Liege. Der Stimme nach Pauli. Puh, überlebt habe ich es also schon mal!
»Ja, bei mir ist alles in Ordnung.«
Kiras Stimme! Obwohl ich nichts gesagt habe. Das kann nur eines bedeuten: Es hat tatsächlich geklappt! Hurra! Ich bin ich! Ein vorsichtiger Blick an mir entlang: Ja – ich habe ein schwarzes Fell und vier Pfoten. Bei meinem Lieblingskratzbaum! Da fallen aber ganze Wagenladungen von Steinen von meinem kleinen Katerherzen.
Langsam rappele ich mich von Kiras Bauch hoch und schaue mich um. Wie groß auf einmal alles um mich herum aussieht! Das hatte ich schon völlig vergessen – als Kater bin ich ziemlich klein. Ich springe auf den Boden und strecke und dehne mich kräftig. Dann setze ich mich vor das Gerät und warte darauf, dass auch Kira aufsteht. Sie hockt auf der Liege, baumelt mit den Beinen und sieht dabei gut gelaunt aus. Meine Güte, von hier unten ist das Teil nicht nur riesig, sondern gigantisch! Ich weiß nicht, ob ich mich in Katzenform in die Röhre getraut hätte – gut, dass Kira als Katze so mutig war. Aber wie es scheint, haben wir das waghalsige Experiment beide heil überstanden. Körperlich zumindest.
Ob wir uns wohl noch in Gedanken unterhalten können? Ich starte einen Versuch.
»Kira, kannst du mich hören?«, denke ich in ihre Richtung. »Steh doch mal auf und komm zu mir rüber!« Aber nichts passiert. Hm. Es scheint leider so zu sein, wie wir vorher vermutet haben: Unterhalten können wir uns in Gedanken nur, wenn wir vertauscht sind. Ich merke, dass mir diese Erkenntnis einen kleinen Stich versetzt.
Mittlerweile ist auch Tom aus dem Nebenraum gekommen und steht bei dem MRT-Gerät.
»Wie geht es dir?«, will er von Kira wissen.
»Eigentlich ganz gut. Mir ist nur noch ein kleines bisschen schwindelig. Aber ich glaube, es hat geklappt. Ich bin wieder Kira.«
»Guck mich mal an.« Dann langes Schweigen. Leider kann ich von hier unten nicht genau sehen, was Tom und Kira gerade machen, aber ich spüre eine gewisse Anspannung. Nun tritt Tom einen Schritt von der Liege zurück.
»Wahnsinn!«, ruft er laut. »Kira, du hast wirklich strahlend blaue Augen!« Er bückt sich zu mir herunter und schaut mich an. »Und Winston hat tatsächlich grüne! Ich fasse es nicht! Unglaublich!«
Warum die Aufregung? Wir haben ihm doch gesagt, dass es so ist? Hat der uns etwa doch nicht geglaubt? Das Gleiche denkt sich offenbar auch Kira.
»He, he – hast du uns etwa nicht vertraut? Winston hat doch gesagt, dass ich als Mensch blaue Augen habe.«
»Ich habe euch schon geglaubt. Hundert Prozent sicher war ich mir allerdings nicht«, antwortet Tom lachend.
»Ist nicht schlimm«, mischt sich Pauli ein. »Ich würde sogar sagen, das ist ziemlich normal. Oder hättest du uns umgekehrt sofort und ohne Zweifel geglaubt, wenn wir erzählt hätten, dass man Tom und mich vertauscht hat?«
»Nee!« An Kiras Stimme kann ich hören, dass sie gerade grinst.
»Na also«, sagt Tom. »Und nun sollten wir mal schnell die Biege machen. Bisher ist alles gut gegangen. Nicht, dass wir auf den letzten Metern noch von der Putzfrau erwischt werden. Die kommt nämlich irgendwann spätabends und würde bestimmt den Schreck ihres Lebens kriegen, wenn sie uns hier sieht.«
»Hast recht! Ab nach Hause!« Kira hüpft von der Liege und steht nun direkt neben mir. »Aber eine Sache muss ich noch ausprobieren: Winston, kannst du mich hören?«
Ah! Das Codewort! Ich schmeiße mich auf den Rücken und drehe mich einmal um mich selbst. Kira klatscht in die Hände.
»Klasse, Winston! Es funktioniert tatsächlich – wir haben also nicht geträumt!«
Nein, das haben wir wirklich nicht! Im Gegenteil: Wir haben ziemlich viel erlebt!
Am nächsten Tag wache ich als Kater in meinem eigenen Körbchen auf. Und das fühlt sich einfach großartig an! Ich habe so tief und fest geschlafen, dass ich nicht mal wach geworden bin, als Kira aufgestanden und zur Schule gegangen ist.
In der Wohnung herrscht himmlische Ruhe und ich beschließe, erst zu frühstücken und dann den restlichen Tag auf meinem Lieblingsplatz zu verbringen: dem Sofa im Wohnzimmer. HERRLICH!
Nach einem kleinen Nickerchen und einem weiteren Geflügellebersnack muss ich allerdings einräumen, dass es in der Wohnung nicht nur ruhig, sondern fast ein bisschen langweilig ist. Werner ist an der Uni, Anna bügelt und summt dabei vor sich hin – hm, will sich denn niemand mit mir unterhalten? Ich laufe von Zimmer zu Zimmer, aber natürlich ist hier keiner, mit dem ich ein kleines Schwätzchen halten könnte. Komisch, dass mir bis heute noch nie aufgefallen ist, wie still die Wohnung tagsüber ist und wie wenig hier passiert. Mit was habe ich mich denn früher die ganze Zeit beschäftigt?
Ob ich Anna davon überzeugen kann, mich mal aus der Wohnung zu lassen? Bestimmt. Als Kira noch Katze war, hat das schließlich auch geklappt. Wie hat sie das gemacht? Ich versuche es auf die platte Tour, laufe zu Anna, maunze laut und laufe dann weiter zur Wohnungstür. Dort bleibe ich sitzen und maunze weiter. Und tatsächlich: Anna folgt mir und öffnet die Tür.
»Na, du kleiner Streuner? Willst du wieder raus? Ich glaube, wir brauchen irgendwann mal eine Katzenklappe! Also, pass gut auf dich auf!«
Schwupp, schon stehe ich vor der Tür. Das war einfach. Nur: Wie geht es jetzt weiter? Als Kind war ich draußen schon viel unterwegs, als Kater allerdings kaum. Und allein war ich als Winston sowieso nie draußen. Aufregend! Ich beschließe, erst mal dem Hof einen Besuch abzustatten. Dort kenne ich mich schließlich am besten aus.
Als ich um die Ecke des Hofeingangs biege, sehe ich sie sofort: Odette! Mein Herz macht einen Sprung und ich überlege ernsthaft, den Rückwärtsgang einzulegen. Quatsch!, ermahne ich mich dann aber selbst, du hast doch die ganze Zeit gehofft, ihr endlich mal wieder als Kater zu begegnen! Also ran an die Frau! Ich atme tief durch und trabe weiter. Schon bin ich bei dem kleinen Unterstand, auf dem Odette sitzt. Leider ist sie nicht allein. Spike und Karamell hocken auch auf dem Dach. Und natürlich sehen sie mich sofort.
»Oh, hoher Besuch!«, macht sich Spike gleich wieder über mich lustig.
»Hallo, Jungs«, erwidere ich möglichst freundlich. Von diesem Möchtegern-Tiger lasse ich mich doch nicht provozieren! »Hallo, Odette!«
»He, Winston!« Täusche ich mich oder klingt Odette erfreut? Sie kommt an den Rand des Unterstands und guckt zu mir hinunter. »Das ist ja nett, dass du mal vorbeischaust!« Nein, ich täusche mich nicht. Odette freut sich offensichtlich, mich zu sehen. Mit einem Mal wird mir ganz warm ums Herz. Ein sehr schönes Gefühl!
»Ja, ich dachte, ich komme mal runter zu euch. Mir war oben so langweilig. Ein bisschen nette Gesellschaft kann schließlich nicht schaden.« Ich hoffe, Odette ist klar, dass mit netter Gesellschaft nur sie gemeint sein kann. Auf Spike und Karamell trifft diese Beschreibung ganz sicher nicht zu! Sie maunzt fröhlich.
»Ich wollte mich noch bedanken, dass du neulich das Mädchen mit dem Futter vorbeigeschickt hast. Das war wirklich sehr freundlich von dir! Und sehr lecker!«
»Och, das habe ich doch gern gemacht! Keine große Sache«, gebe ich mich bescheiden.
Odette springt zu mir herunter und setzt sich neben mich.
»Doch, schon eine große Sache. Ich glaube, ich war nicht immer besonders nett zu dir. Trotzdem gibst du mir etwas von deinem wertvollen Futter ab. Das war sehr großzügig! Ich habe dich mit ganz falschen Augen gesehen, das tut mir leid!« Sie reibt ihren Kopf kurz an meinem und mein Herz macht daraufhin einen riesigen Satz. Fast habe ich Angst, dass es aus meinem Hals herausspringen könnte!
»Kein Problem, Schwamm drüber!«, bringe ich gerade noch krächzend hervor.
»Weißt du, eigentlich wäre es doch schön, wenn du häufiger hier dabei wärst. Ich würde mich jedenfalls darüber freuen!« Odette strahlt mich an.
»Wir uns nicht!«, kommt es nun leider sehr energisch von oben. Spike lugt über die Ecke des Unterstands und funkelt uns böse an. Nein, falsch: Er funkelt mich böse an. »Wir würden uns überhaupt nicht freuen, wenn der aufgeblasene Wohnungstiger nun ständig hier aufkreuzt!«
Ich will gerade etwas Giftiges erwidern, da streicht Odette noch einmal an meinem Kopf entlang.
»Ach, beachte den gar nicht. So ist er immer, wenn jemand Neues zur Gruppe kommt. War bei Karamell nicht anders und heute sind sie beste Freunde. Lass uns lieber eine Runde spazieren gehen. Dann hat Spike Zeit, sich wieder abzuregen.«
Ein sehr guter Plan! Auf Dauer ist es mir im Hof sowieso zu dunkel und mit Odette an meiner Seite traue ich mir eine kleine Runde durch den Stadtteil durchaus zu.
Als wir auf dem Bürgersteig vor dem Haus angekommen sind, habe ich eine Idee.
»Odette, was hältst du davon, mit mir zu Kiras Schule zu laufen? Weißt du, das ist das Mädchen, das dir das Futter gebracht hat. Die Schule müsste jetzt irgendwann zu Ende sein, und ich glaube, sie würde sich freuen, uns zusammen zu sehen.«
»Klar, warum nicht? Kennst du den Weg?«
Ich nicke und trabe los. Hoffentlich treffen wir wirklich auf Kira. Ich möchte ihr so gern zeigen, dass ihre Taktik erfolgreich war und Odette mich nun nicht mehr doof und arrogant findet.
Zweimal rechts abbiegen, dann ein Stück geradeaus, dann wieder links – dann stehen wir vor dem Schulgebäude. Allerdings sind noch keine Kinder zu sehen. Enttäuscht maunzt Odette.
»Das ist aber schade! Wo ist denn das Mädchen? Hier ist ja niemand. Ich dachte immer, in einer Schule ist ganz viel Trubel!?«
»Ja, ist es auch. Wahrscheinlich müssen wir noch einen Moment warten. Du wirst sehen: Wenn die Schule vorbei ist, ist hier gleich die Hölle los.«
Dingdongding! In diesem Moment ertönt die Klingel. Danach dauert es tatsächlich keine zwei Minuten und wir sind von Schülern umringt.
»Ui, guck mal, wie süß! Eine weiße und eine schwarze Katze!«
»Wie niedlich!«
Die Kinder drängeln sich um uns herum. Einige wollen uns sogar streicheln. Hoffentlich hat Odette starke Nerven! Ich mustere sie von der Seite: Sie zuckt nicht mal mit der Wimper! Sehr gut! Odette ist wirklich eine coole Katze!
»Guck mal, Kira!«, ruft jemand. »Ist das nicht deine Katze hier drüben?«
»Moment! Ich komme!« Kiras Stimme, eindeutig. Mein Plan scheint aufzugehen. Kurz darauf steht sie neben uns.
»Oh, Winston! Was machst du denn hier? Und sogar mit Odette. Na, da freue ich mich aber!« Sie bückt sich und streichelt erst mich, dann Odette.
»Woher kennt die denn meinen Namen?«, wundert sich Odette.
»Öh … ähem … ich habe nicht die leiseste Ahnung«, flunkere ich. Die Wahrheit würde entschieden zu weit führen! Aus den Augenwinkeln kann ich sehen, dass auch Leonie und Emilia direkt auf uns zusteuern und schließlich neben uns stehen bleiben.
»Also, eins muss man der Russin lassen«, flötet Emilia. »Mit Tieren kann sie wirklich gut umgehen.«
»Ha!«, schnaubt Leonie. »Das kann ich auch!« Nee, war ja klar. Die blöde Kuh kann anderen einfach nichts gönnen. Und zum Beweis ihres unglaublich guten Drahts zu Tieren streckt sie die Hand nach mir aus.
Ich will schon fast zurückweichen, da bemerke ich plötzlich, dass auch Frau Rosenblatt auf dem Weg zu uns ist. Wahrscheinlich will sie Kira gleich wieder eine Standpauke zum Thema »Tiere auf dem Schulgelände« halten. Das bringt mich auf eine geniale Idee! Also – ich hoffe jedenfalls, dass sie genial ist!
Noch bevor Kira, Emilia und Leonie Frau Rosenblatt gesehen haben, springe ich auf Leonies Arme und kuschele mich richtig an sie. Ich reibe meinen Kopf an ihrer Brust und schnurre, was das Zeug hält. Kira guckt entsetzt, Leonie lacht triumphierend.
»Siehst du! Deine Katze mag mich lieber als dich! Sie hat nämlich gleich erkannt, dass ich der größere Katzenfreund bin. Ich LIEBE Katzen. Nicht war, Miezi?« Sie streichelt mich und ich schnurre weiter. »Ja, Miez, Miez, du hast es gut bei mir, nicht wahr? Vielleicht solltest du lieber bei mir bleiben, da hättest du es bestimmt besser.«
In diesem Moment fällt ein dunkler Schatten auf Leonie und mich und eine allzu bekannte Stimme donnert:
»Leonie Weichert! Hattest du nicht neulich noch eine ganz schlimme Katzenallergie?« Frau Rosenblatt steht direkt neben uns und guckt Leonie sehr, sehr böse an. Die zuckt erschrocken zusammen und lässt mich unsanft auf den Boden fallen.
»Äh, ja, habe ich ja auch! Ich … äh … die Katze hat mich angefallen. Ich kann nichts dafür!«
»Komisch, für mich sah das eher so aus, als würdet ihr euch blendend verstehen, du und die Katze. Sollte das also bedeuten, dass du mich neulich angelogen hast, nur um dich aufzuspielen und einer Mitschülerin eins auszuwischen?«
»Nein! Gar nicht, ich …« Weiter kommt Leonie mit ihren Rechtfertigungsversuchen nicht.
»Still, Leonie! Ich will nichts mehr hören. Du kommst jetzt mit in mein Büro und da werden wir mal ein ernstes Wort miteinander reden.« Frau Rosenblatt macht auf dem Absatz kehrt, Leonie trottet mit gesenktem Haupt hinterher. Tschakka! Winston, der Superagent, hat wieder zugeschlagen!
»Was war das denn?« Mittlerweile stehen auch Tom und Pauli neben uns und wundern sich, denn natürlich haben sie den Anfang meines genialen Schlachtplans verpasst.
»Och«, grinst Kira, »ich würde sagen, da hat sich gerade jemand selbst gaaanz tief reingeritten.« Die drei lachen. Ein sehr schönes Bild: Kira mit Tom und Pauli. Echte Freunde eben.
Aber halt, da fehlt doch noch was! Ich nehme einen kurzen Anlauf und springe auf Kiras Schultern. Dann lecke ich blitzschnell erst ihr linkes, dann ihr rechtes Ohr ab. Kira begreift sofort, nimmt mich auf ihren Arm und flüstert mir etwas zu:
»Genau, Winston. Unser Code. Beste Freunde für immer!«
Wer hätte das gedacht? Ich und ein Kind! Aber Kira hat recht: wir zwei. Beste Freunde für immer. Wer weiß, welche Abenteuer wir noch zusammen erleben werden!? Ich freue mich jedenfalls schon darauf!