Erste Gehversuche als Agent.


Wenn nur nicht so viel Mathe dafür nötig wäre!


»Also, wenn du diesen einfachen Text nicht auswendig lernen kannst, dann musst du ihn dir wohl oder übel aufschreiben.«

»Auswendig lernen? Was ist das denn?«

»Mann, Winston! Für einen Professorenkater könntest du schon etwas schlauer sein.«

Wie bitte? So eine Frechheit!

»Ich kenne keine Katze, die schlauer ist als ich!«, schnaube ich empört.

»Odette hat recht. Du bist echt ziemlich eingebildet. Umso seltsamer, dass du nicht weißt, was Auswendiglernen heißt. Aber was soll’s, ich erkläre es dir: Beim Auswendiglernen liest du einen Text so oft, bis du ohne nachzuschauen weißt, was du sagen willst. Und genau so machen wir es hier. Ich schreibe dir etwas auf, womit du meine Mutter eine Zeit lang ablenken kannst. Du lernst es auswendig, und sobald sie vom Einkaufen zurück ist, sprichst du mit ihr. Während sie mit dir Mathe übt, filze ich ihre Handtasche und suche nach Hinweisen. Irgendwo muss sie ihr Tagebuch doch haben. Im Zimmer habe ich es jedenfalls nicht gefunden. So weit alles klar?«

»Wie Kloßbrühe.« Das klingt wirklich einfach. Eine Sache fuchst mich allerdings sehr. Am besten, ich kläre sie gleich. Ich schicke ein paar böse Gedanken an Kira. Die zuckt zusammen.

»He, alles in Ordnung? Warum bist du plötzlich so fies zu mir? Ich will dir doch nur helfen!«

»Nein, es ist nicht alles in Ordnung, Kira«, antworte ich aufgebracht. »Dafür, dass du auch erst seit Kurzem in einem neuen Körper steckst, bist du nämlich ganz schön frech. Ich meine, du kannst zu Hause auf meinem Lieblingssofa rumliegen und musst die Wohnung überhaupt nicht verlassen, während ich in der Schule und sonst wo meinen Kopf für dich hinhalten soll. Beziehungsweise deinen Kopf. Na, du weißt schon, was ich meine. Wenn du mich fragst – ich habe von uns beiden den eindeutig schwereren Job. Deine Vorhaltungen, was ich schon alles wissen müsste, kannst du dir also echt sparen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass du zurzeit auch eine miserable Katze abgibst.« So. Zack. Ich hoffe, das hat jetzt mal gesessen. Kira guckt mich mit großen Augen an.

»Oh, Winston, das tut mir sehr leid! Ich wollte dich nicht bevormunden. Ich bin nur so aufgeregt, weil ich vielleicht meiner Mama helfen kann. Anscheinend bin ich dabei übers Ziel hinausgeschossen. Entschuldigung! War nicht so gemeint!«

Jetzt klingt Kira so traurig, wie man in Gedanken nur klingen kann. Vielleicht war ich auch ein bisschen zu empfindlich, weil ich es eben nicht gewohnt bin, nicht der schlauste Kater in der Wohnung zu sein. Okay, Werner ist natürlich noch schlauer, aber der ist immerhin kein Kind. Eventuell bin ich also tatsächlich ein bisschen eingebildet. Auf alle Fälle habe ich gerade das Gefühl, dass mir die ganze Geschichte über den Kopf wächst.

»Entschuldigung angenommen!«, beruhige ich Kira. »Aber sag mal, meinst du nicht, es wäre doch besser, wenn wir uns von den Erwachsenen Hilfe holen würden? Vielleicht ist das alles zu viel für uns. Werner könnte uns bestimmt helfen zurückzutauschen. Der ist nämlich richtig schlau! Ich kenne keinen Menschen, der klüger ist als er.«

Sofort macht Kira einen Buckel und faucht.

»Nein, Winston! Ich habe gerade die einmalige Chance, hinter das Geheimnis meiner Mama zu kommen. Wir können den Fall gemeinsam lösen – wenn ich erst wieder ein Mädchen und du eine Katze bist, schaffen wir das nicht.«

Ich seufze. »Na gut, versuchen wir es also. Aber wenn wir nicht weiterkommen, erzähle ich es Werner.«

»Wenn wir nicht weiterkommen. Aber ich schwöre dir: Wir werden weiterkommen!«, gibt sich Kira kämpferisch. »Jetzt schreiben wir erst mal auf, was du gleich zu meiner Mama sagen kannst. Und immer dran denken: Lass dir nicht in die Augen gucken, sonst merkt sie sicher, dass mit dir etwas nicht stimmt.«

»Aber Schatz, was verstehst du daran denn nicht? Es ist doch ganz einfach!« Anna schaut mich ratlos an.

»Na, ich versteh’s eben nicht. Nichts davon!« Und das ist nicht mal gelogen. Anna und ich sitzen am Küchentisch, vor uns ein Blatt Papier, auf dem 18/x = 6 steht. Was bedeutet das bloß? Das reinste Mysterium. Anna runzelt die Stirn.

»Also, Gleichungen mit einer Unbekannten sind leicht zu lösen. Du musst sie dir nur wie eine Waage vorstellen, die immer im Gleichgewicht bleiben soll, egal was du tust.«

»Aha.« Über Annas Schulter hinweg kann ich sehen, wie sich Kira an der großen Umhängetasche ihrer Mutter zu schaffen macht. Gerade hat sie sie geschickt vom Garderobenhaken geholt, um sie jetzt ins Gästezimmer zu schleifen.

»Kira, hörst du mir noch zu?«

»Äh … ich? Ja, klar.«

»Du musst dich schon ein bisschen konzentrieren, wenn ich dir helfen soll.«

»Natürlich. ’tschuldigung.«

»Außerdem musst du mal wieder dringend zum Friseur. Dein Pony fällt mittlerweile so in dein Gesicht, dass ich deine Augen gar nicht mehr erkennen kann. Bestimmt kannst du kaum noch etwas sehen. Vielleicht liegt dein Matheproblem daran, dass du langsam blind wirst!« Sie lacht, ich ringe mir ein Lächeln ab.

»Ja, vielleicht, Mama. Aber jetzt geht’s erst mal um Mathe«, wechsle ich schnell das Thema, bevor sie noch auf die Idee kommt, mir die Haare aus der Stirn zu streichen und in meine Augen zu gucken.

»Du hast recht. Wenn du also x vom Nenner zum Zähler machst, dann …«

In diesem Moment taucht Katzen-Kira wieder in der Küche auf und springt auf meinen Schoß. Irgendetwas will sie mir sagen.

»Winston, ich brauche deine Hilfe. Ich kriege die Tasche nicht allein auf. Sie hat einen Reißverschluss und den kann ich nicht öffnen.« Grrr, so wird das hier nie etwas! Wenn ich bei Annas Nachhilfeunterricht nicht gleich richtig mitmache, werde ich mächtig Ärger gekommen.

»… dann musst du es auf der anderen Seite natürlich auch machen, also mal x auf beiden Seiten der Gleichung, verstanden?«, erklärt Anna geduldig weiter.

»Äh, was?«

»Auf beiden Seiten, Kira. Du musst das auf beiden Seiten der Gleichung machen.«

»’tschuldigung, ich muss mal zur Toilette«, behaupte ich. Eine bessere Ausrede fällt mir auf die Schnelle nicht ein.

Anna verdreht die Augen.

»Wirklich, Kira, was ist denn bloß los mit dir? Du bist so unruhig.«

»Nein, ich muss nur mal ganz dringend.« Ich hüpfe von meinem Stuhl und laufe in den Flur. Hoffentlich folgt Anna mir nicht, denn in Wirklichkeit will ich doch ins Gästezimmer, um Kira die Tasche zu öffnen. Ein Blick über die Schulter: Nein, die Luft ist rein. Ich schlüpfe schnell ins Zimmer und ziehe den Reißverschluss auf. Kira stürzt sich auf den Tascheninhalt. Kurz darauf sitze ich wieder in der Küche und gebe mein Bestes, um Anna noch ein bisschen abzulenken.

»Also, der Nenner und der Zähler – wie war das noch mal?«, frage ich möglichst unschuldig.

»Du musst multiplizieren. Ganz einfach. Aber eben auf beiden Seiten. Verstanden?«

Ich nicke.

»Klar. Auf beiden Seiten. Logisch.« Auweia. Nenner. Zähler. Multiplizieren. Ich bin sehr froh, dass ich im wirklichen Leben ein Kater und keine Siebtklässlerin bin!

»Und? Hast du es gefunden?«, will ich von Kira wissen, als ich nach meiner kleinen Mathestunde ins Gästezimmer zurückkomme und mich auf Kiras Bett fallen lasse.

»Ja! Es war so, wie ich dachte: Sie hatte das Tagebuch in ihrer Handtasche. Ich habe es gelesen. Jetzt musst du es nur wieder dort verstauen, damit sie keinen Verdacht schöpft.«

»Mach ich gleich! Steht denn etwas drin, was uns weiterhilft?«

»Ich denke schon. Sie schreibt, dass sie mit der Sache von Vadim nichts zu tun hat und entsetzt ist, dass er sie da mit reingezogen hat. Er hat sogar behauptet, das alles sei ihre Idee gewesen und er habe ihr nur aus Liebe geholfen. Und nun macht sich meine Mutter Sorgen, dass die Polizei Vadim glauben könnte.«

»Aha. Aber um welche Sache geht es denn?«

Kiras Schwanzspitze zuckt hin und her.

»Das steht da leider nicht. Das Tagebuch ist ziemlich neu, es geht nur um die letzten beiden Wochen. Aber immerhin können wir nun sicher sein: Mama hat nichts Unrechtes getan.«

Ich strecke meine Arme nach Kira aus und nehme sie auf den Schoß.

»Gut, aber damit wissen wir immer noch nicht, was eigentlich geschehen ist. Wie sollen wir das herausfinden?«

Kira dreht sich vom Bauch auf den Rücken und guckt mir ins Gesicht.

»Vielleicht müssen wir zu Vadim gehen und ihm mal richtig auf den Zahn fühlen.«

Ich merke, wie sich mein Puls beschleunigt.

»Zu Vadim gehen und ihm auf den Zahn fühlen? Ist das eine gute Idee? Ich dachte, der Typ wird gern mal gewalttätig – sollte man nicht besser auf Abstand zu so jemandem bleiben?«

»Nein. Mit Abstand werden wir nicht herausfinden, was der Kerl verbrochen hat.«

Leuchtet mir zwar einerseits ein, macht mich aber immer noch nicht glücklich. Ich schlage einen Kompromiss vor.

»Sag mal, es gibt doch Menschen, die sich professionell mit Verbrechern beschäftigen. Wie hießen die doch gleich? Irgendetwas mit P, oder?« Ich mache eine kleine Kunstpause, aber Kira ignoriert meine Frage, also beantworte ich sie mir selbst. »Polizei, richtig? Also, warum gehen wir nicht zur Polizei und erzählen ihnen, was wir wissen?«

Kira schüttelt sich.

»Weil sie uns nicht glauben werden. Deswegen! Die waren doch schon hier und haben Mama befragt. Und die hat ihnen gesagt, dass sie nichts damit zu tun hat. Haben sie ihr aber nicht abgenommen, steht in ihrem Tagebuch. Und deshalb ermittelt die Polizei weiter gegen sie. Nein, nein, wir müssen selbst herauskriegen, was passiert ist.«

Heilige Ölsardine und verflixter Heringssalat! Dieses Kind ist wirklich stur! Ich sehe uns beide schon mit Betonklötzen an den Füßen in der Elbe landen, versenkt von einem Verbrecher namens Vadim. So etwas geschieht nach meinen Fernsehkenntnissen nämlich häufig mit Leuten, die Kriminellen in die Quere kommen. Ich starte einen letzten Anlauf, um Kira von ihrem Plan abzubringen.

»Also, wenn wir da schon hingehen, dann auf keinen Fall allein! Und wenn ich Werner nicht einweihen soll und deine Mutter nichts erfahren darf, dann müssen wir uns andere Unterstützung organisieren.« Vielleicht gibt Kira auf, wenn ich damit drohe, jemanden mitzunehmen.

»Feigling!«, ruft Kira. »Und wer soll diese Unterstützung denn sein? Du kennst doch hier überhaupt niemanden. Oder willst du Odette und Spike mitnehmen? Damit sich Vadim schlapplacht, wenn du da mit drei Katzen im Schlepptau aufkreuzt?«

»Natürlich kenne ich hier auch andere Menschen!«, behaupte ich einfach ins Blaue hinein. Bloß keine Schwäche zeigen.

»Ach ja?«

»Genau. Ich weiß schon, wen ich frage.«

»Okay, lass hören.«

»Ich frage … äh … ich frage … also, ich könnte …« Und in genau diesem Moment fallen mir tatsächlich zwei Menschen ein, die ich fragen könnte. Und die ich fragen werde. Ob es Kira nun passt oder nicht.

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