Etwas Licht kommt ins Dunkel.


Und ein Plan wird gefasst.


»Mama!« Als Anna in das Büro auf der Polizeiwache tritt, springe ich von meinem Stuhl auf und werfe mich in ihre Arme. Gleichzeitig versuche ich, möglichst unauffällig an ihr vorbei auf den Flur zu linsen. Ob Kira mitgekommen ist? Tatsächlich! Sie sitzt direkt auf der Türschwelle und schwenkt ihren Schwanz nervös hin und her.

»Kira, was ist passiert?«, will Anna aufgeregt von mir wissen. »Wie konntest du nur auf so eine Idee kommen?«

»Genau, Winston, was hast du da angestellt?«, höre ich nun auch Kiras Gedanken.

»Also, im Wesentlichen habe ich versucht, deine Ehre zu retten«, erwidere ich.

»Bitte was? Und warum endete dieser Versuch auf einer Polizeiwache?« Kira schleicht vorsichtig in das Büro und setzt sich neben Anna, die mich immer noch im Arm hält.

»He, Sie«, spricht die Polizistin Anna daraufhin an, »haben Sie etwa ein Tier mitgebracht? Das ist hier aber nicht erlaubt!«

Anna lässt mich los und dreht sich zu der Polizistin um. »Ich weiß und es tut mir auch leid. Aber ich habe es nicht geschafft, das Haus ohne den Kater zu verlassen. Er hat sich wie verrückt aufgeführt und sich in meiner Kleidung festgekrallt. Wenn ich ihn nicht mitgenommen hätte, wäre ich jetzt noch nicht da.«

Die Polizistin zieht die Augenbrauen so hoch, dass sie fast ihren Haaransatz berühren. Man kann ihr deutlich ansehen, dass sie Anna kein Wort glaubt. Anna seufzt und versucht es mit einer anderen Erklärung.

»Na ja, und außerdem ist Winston Kiras bester Freund. Ich dachte, es wäre gut, wenn ich ihn dabeihätte. Sie klang am Telefon so aufgewühlt.«

Da hat Anna recht. Als mir die Polizistin eben kurz den Hörer reichte, habe ich mir die größte Mühe gegeben, möglichst dramatisch zu klingen. Ich dachte mir, wenn sich Anna Sorgen um mich macht, dann stimmt sie das vielleicht ein wenig gnädiger.

»Los, Winston, nimm mich auf den Arm!«, höre ich Kiras Gedanken. »Wenn Mama schon behauptet, dass sie mich zu deiner Beruhigung mitgenommen hat, musst du dich auch ein bisschen um mich kümmern. Außerdem würde sie das vielleicht ein wenig besänftigen. Sie ist nämlich echt sauer. Am besten, du lieferst eine gute Show!«

Richtig. Bevor die Polizistin Kira gleich wieder an die Luft setzt und es ein Donnerwetter von Anna gibt, sollte ich aktiv werden. Mit einem lauten Ja, wo ist denn meine Miez-Miez? bücke ich mich also zu Kira und nehme sie auf den Arm.

»Liebster Winston, ich habe dich sooo vermisst«, flöte ich dann, was das Zeug hält, und hoffe, dass meine plötzliche Tierliebe überzeugend wirkt. Ich drücke Kira ganz fest an meine Brust und vergrabe mein Gesicht in ihrem Fell.

»Ey, pass auf, ich krieg fast keine Luft mehr!« Kira faucht und ich lockere meinen Griff ein wenig. Im Schmusen mit Katzen habe ich als Mensch offenbar zu wenig Übung. Konnte ja nicht ahnen, dass Katzen so empfindlich sind!

Die Polizistin mustert mich.

»Na gut, wenn es Kira dann besser geht und sie nicht mehr weint, kann die Katze ausnahmsweise dableiben. Ich muss sowieso ein paar Formalien mit Ihnen erledigen, Frau Kovalenko. Also, Kira, dein Winston darf bleiben, wenn du ruhig hier sitzt und kein Theater machst, während ich mit deiner Mutter nebenan ein paar Sachen bespreche. Verstanden?«

Ich nicke, Anna und die Polizistin verlassen das Büro. Kira hüpft von meinem Arm und setzt sich vor mich auf die Schreibtischplatte.

»So, jetzt mal der Reihe nach: Anna war nach dem Anruf der Polizei total aufgeregt. Und deine Gedankenbotschaft habe ich überhaupt nicht richtig verstanden. Was ist eigentlich los?«

Ich gebe Kira eine kurze Zusammenfassung meines turbulenten Nachmittags. Dabei vergesse ich natürlich nicht zu erwähnen, dass ich das blöde T-Shirt nur für sie geklaut habe. Bevor ich diesen Punkt aber noch weiter erörtern kann, klappt die Tür auf und ein Polizist schaut ins Büro. Als er mich sieht, sagt er nur kurz »’tschuldigung« und verschwindet wieder. Allerdings schließt er die Tür nicht ganz, und so können Kira und ich hören, dass er sich mit einem Kollegen auf dem Flur unterhält.

»Wer ist denn das Kind?«, will er von ihm wissen.

»Kira Kovalenko. Ist beim Klauen erwischt worden. Na ja, das Übliche. Mutter ist schon da. Claudia unterhält sich gerade mit ihr.«

»Kovalenko? Der Name kommt mir bekannt vor. Und das Mädchen habe ich auch schon mal gesehen, als ich mit Dieter einen Hausbesuch gemacht habe. Das ist ja eine saubere Familie! Die Mutter von der Kleinen hatten wir neulich auf unserer Wache in Altona. Die haben wir nämlich …«

Was sie haben, kann ich leider nicht mehr hören, denn in diesem Moment klingelt das Telefon auf dem Schreibtisch vor mir und übertönt das Gespräch.

»Mist«, denke ich, »Kira, wir müssen unbedingt wissen, was sie über deine Mutter erzählen!«

»Genau. Das ist unsere Chance! Ich hefte mich jetzt an die Fersen der beiden Polizisten! Ich wette, sie werden sich noch weiter über Mama unterhalten, und dann wissen wir Bescheid.«

»Aber pass bloß auf! Nicht, dass du noch im Tierheim landest. Dort soll es gar nicht schön sein!«

Kira streckt sich und rollt sich danach einmal um die eigene Achse. Ich meine fast, sie kichern zu hören.

»Quatsch! Ich habe es dir doch gesagt: Wir sind Agenten, und zwar Top-Agenten! Uns erwischt so schnell keiner!«

Und zusch! ist sie von der Schreibtischplatte auf den Boden gesprungen und aus dem Büro verschwunden. Donnerwetter, dieses Mädchen ist wirklich mutig!

»Also, Moment.« Tom kratzt sich nachdenklich am Kopf, »Nur dass ich es richtig verstehe: Deine Mutter ist Zigarettenschmugglerin und hat deswegen Ärger mit Vadim.«

Ich schüttle den Kopf.

»Falsch. Genau so ist es eben nicht.«

Zu dritt sitzen wir auf einer Schulhofbank und ich versuche, Tom und Pauli zu erklären, was ich auf der Polizeiwache herausgefunden habe. Oder besser gesagt: was Kira herausgefunden hat. Aber dieses Detail behalte ich lieber für mich. Ich bin mir nämlich nicht sicher, ob mir Pauli und Tom die Tatsache, dass ich eigentlich ein Kater bin, so ohne Weiteres abkaufen würden. Falsch: Ich bin mir sicher, dass sie es nicht tun würden. Und nicht nur das: Falls mich Tom und Pauli dann für völlig durchgeknallt hielten, hätte ich in meiner Klasse überhaupt keine Freunde mehr. Das Versöhnungseisessen mit dem Zickenclub von Leonie und Emilia ist schließlich grandios in die Hose gegangen. Als ich denen heute früh vor der Schule begegnet bin, haben sie so breit gegrinst, dass sie eine Banane quer hätten essen können. Bei meinem nicht vorhandenen Schnurrbart – das tat weh!

So sicher ich mir bin, dass Tom und Pauli die Katzengeschichte nicht glauben würden, so sicher bin ich mir übrigens auch, dass die beiden gar kein Verständnis für meine T-Shirt-Aktion hätten. Sie sind sowieso keine großen Fans von der fiesen Leonie. Dass ich für die Zickenclique bei einer saudoofen Mutprobe mitgemacht habe, ist mir vor ihnen echt peinlich. Deswegen verschweige ich, warum ich wirklich auf der Polizeiwache war, und tue so, als ob das nur mit meiner Mutter zusammenhing.

»Also: Auf der Wache habe ich zwei Polizisten belauscht. Und die haben sich darüber unterhalten, dass meine Mama verdächtigt wird, Zigaretten geschmuggelt zu haben. Das hat jedenfalls Vadim behauptet, als sie in unserer alten Wohnung die vielen Zigarettenpackungen gefunden haben. Er hat behauptet, meine Mutter sei der Kopf eines Schmugglerrings und er habe ihr nur aus Liebe geholfen. Alle Kontakte habe aber meine Mutter gehabt. Sie hätte auch immer den Nachschub an Schmuggelware bestellt. Er, Vadim, habe die Zigaretten nur ab und zu für sie verteilt. Damit hat er elegant die Hauptschuld auf meine Mama geschoben und deswegen haben wir jetzt den ganzen Ärger.«

Pauli legt die Stirn in Falten.

»Aber eins verstehe ich daran nicht: Wieso denn überhaupt Zigarettenschmuggel? Man kann Zigaretten an jeder Tankstelle oder in der Kneipe kaufen. Die braucht man doch nicht schmuggeln.«

»Klar«, gebe ich Pauli recht, »das stimmt natürlich. Aber die Zigaretten, die du hier im Laden kaufst, sind viel teurer als Schmuggelzigaretten. Weil man für die Tabaksteuer bezahlen muss.«

»Hä?« Tom und Pauli gucken mich ratlos an und sehen dabei in etwa so aus, wie Kira geklungen hat, als sie mir von dem Gespräch der Polizisten berichtet hat. Die konnte mit dem Begriff »Schmuggelzigaretten« und »Tabaksteuer« auch gar nichts anfangen. Und was soll ich sagen: Wie gut, dass ich so ein schlauer Kater bin! Denn ich habe in meinen Jahren mit Werner natürlich schon so manches Erwachsenengespräch verfolgt und bin voll im Bild. Deswegen kann ich Pauli und Tom nun erklären, was Steuer bedeutet.

»Es ist so: Steuern sind das Geld, das alle Menschen, die hier leben, an den Staat, also Deutschland, abgeben müssen. So kann der Staat wiederum alle Sachen bezahlen, die wir hier so brauchen. Etwa die Lehrer an den Schulen und die Erzieher in den Kindergärten. Jeder von uns bezahlt Steuern, wenn er irgendwas einkauft. Dann geht nämlich ein Teil von dem Geld an Deutschland. Und bei den Zigaretten nennt man das Tabaksteuer. Wenn jemand also heimlich Zigaretten verkauft, dann sind die viel billiger als im Laden – weil nämlich Deutschland nichts von dem Geld abbekommt. Und das ist streng verboten und man kriegt richtig Ärger mit der Polizei, wenn man erwischt wird. Verstanden?«

»Puh«, seufzt Pauli, »so halbwegs. Also die Polizei verdächtigt deine Mutter, verbotenerweise mit Zigaretten zu handeln. Das stimmt aber nicht, sondern in Wirklichkeit ist allein Vadim der Böse.«

Ich nicke.

»Genau so ist es. Und er will nun nicht die Wahrheit sagen, weil er immer noch sauer ist, dass meine Mama ihn verlassen hat. Das ist das Problem.«

»Hm«, sagt Tom und kratzt sich dabei wieder am Kopf. »Vermutlich geht es nicht nur um Liebe, sondern auch um die spannende Frage, wie viel Zeit der gute Vadim im Knast verbringen muss. Wenn er deiner Mutter wirklich nur geholfen hätte, würde man ihn bestimmt nicht so streng bestrafen. Wir müssen also beweisen, dass Vadim der alleinige Schmuggler ist. Richtig?«

»Ja!«, kommt es von Pauli und mir im Chor.

»Pauli«, meine ich dann, »du hast doch gestern gesagt, dass wir Vadim eine Falle stellen müssten. Da wussten wir aber noch nicht, was genau er eigentlich verbrochen hat. Nun haben wir das herausgefunden. Kannst du jetzt nicht noch einmal über die Falle nachdenken?«

»Stimmt, das wolltest du gestern schon machen. Jetzt müsste es einfacher gehen!« In Toms Augen blitzt es unternehmungslustig.

»Ihr habt recht. Lasst mich mal nachdenken.«

Eine Weile sitzen wir schweigend nebeneinander auf der Bank. Dann springt Pauli auf.

»Ich hab’s!« Sie grinst, sagt aber nichts mehr.

»Och, Pauli, nun komm! Raus damit!« Tom knufft ihr in die Seite. »Wenn du schon unser superschnelles Detektiv-Brain bist, dann darfst du uns auch nicht unnötig auf die Folter spannen.«

»Na gut. Ich glaube, wir müssen dafür sorgen, dass Vadim wieder anfängt, Zigaretten zu schmuggeln. Dann machen wir Fotos davon und zeigen sie der Polizei. So beweisen wir, dass Anna nicht die Schmugglerchefin ist und Vadim gelogen hat. Ganz einfach!«

»Klar, ganz einfach!« Tom klingt spöttisch. So, als würde er nicht meinen, was er sagt. Wundert mich nicht. Ich habe auch meine Zweifel. Wie in aller Welt sollen wir Vadim dazu bringen, wieder zu schmuggeln?

»Nun guckt nicht so düster!« Pauli grinst immer noch. »Hört euch lieber an, was ich mir überlegt habe.«

»Na gut«, stimme ich zu, »dann leg mal los!«

»Also: Wenn Vadim so viel Geld mit Zigaretten verdient hat, wird er das wieder tun, wenn er denkt, dass ein gutes Geschäft winkt. Die alten Zigaretten hat die Polizei einkassiert. Er muss sich also erst mal neue besorgen. Und das macht er bestimmt, wenn er glaubt, dass er die ganz schnell loswerden kann. Wenn also jemand bei ihm schon welche bestellt hat, verstanden? Wir müssen so tun, als wollten wir Zigaretten bei ihm kaufen. Dann muss er sich welche besorgen und wir können das fotografieren.«

»Aber wie soll denn das mit der Bestellung gehen?« Diesmal bin ich es, der skeptisch klingt. »Wir können doch nicht einfach bei ihm klingeln. Ich sowieso nicht, weil er mich kennt. Und außerdem verkauft der doch keine Zigaretten an Kinder. Da merkt er doch gleich, dass irgendwas faul ist!«

Pauli lacht.

»Wer sagt denn, dass er uns sieht, wenn wir die Zigaretten bestellen? Wir rufen ihn an und verstellen unsere Stimmen. Wenn er sich bei uns meldet und sagt, dass die Zigaretten da sind, schleichen wir uns heimlich bei ihm rein. Bestimmt hat deine Mutter noch einen Wohnungsschlüssel.«

Ich zucke mit den Schultern.

»Weiß nicht. Kann natürlich sein. Muss ich mal gucken.«

»Und wir brauchen Vadims Telefonnummer. Kennst du die?«, will Pauli wissen.

»Nee, weiß ich nicht.«

»Aber du hast doch auch da gewohnt«, wundert sich Tom. »Du musst doch wissen, wie man den Typen erreicht.«

»Äh … ich … nee. Weiß ich eben nicht. Aber ich kümmere mich drum.« Puh, noch ein paar Fragen in die Richtung und ich komme richtig ins Schwitzen. Ich beschließe, die Sache abzukürzen.

»Pauli, deine Idee ist spitze. Ich werde mich zu Hause gleich um die Telefonnummer kümmern. Und nach dem Schlüssel schaue ich auch. Wenn ich die Sachen zusammenhabe, legen wir los. Einverstanden?«

Tom und Pauli nicken und sehen nun ziemlich begeistert aus. Ich hoffe, ich muss sie nicht enttäuschen und finde die Sachen wirklich. Das wird schwierig. Anna kann ich schließlich nicht fragen. Die ist außerdem noch stocksauer wegen der T-Shirt-Geschichte. Auch wenn mich Kira geschickt durch das Krisengespräch mit ihrer Mutter gelotst hat – Tochter des Monats werde ich bei Anna momentan nicht.

Ach, was für ein Schlamassel! Warum ist es nur so verdammt kompliziert, ein Kind zu sein?

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