Besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen. Diese Regel gilt auch für Kater!


»Du bist Winston? Kiras Katze?«

»Falsch. Winston. Professor Hagedorns Kater.«

»Na gut, dann eben Hagedorns Kater. Aber ansonsten bist du echt dieses schwarze Viech, das du … äh … also Kira überall mit hinschleppt? Eine echte, eine richtige Katze? So mit allem Drum und Dran?«

Tom ist fassungslos. Wer könnte es ihm verdenken? Aber zumindest sind er und Pauli inzwischen so weit zu überlegen, ob ich vielleicht tatsächlich die Wahrheit sage. Der Weg dahin war allerdings lang: Erst haben sich die beiden königlich über meinen tollen Witz amüsiert. Dann haben sie mich gedrängt zu erzählen, was mir wirklich unter den Nägeln brennt. Und schließlich wurden sie ziemlich sauer, weil ich mich nicht von der Katzengeschichte abbringen ließ. Am Ende mussten sie aber zugeben, dass sie sich schon das eine oder andere Mal über die Fähigkeiten von Kiras Katze gewundert hatten. Stichwort: U-Bahn-Fahrt!

»Ja, ich bin eine echte Katze. Mit allem Drum und Dran. Genauer gesagt: Britisch Kurzhaar. Sehr edel. Deswegen auch mein Name. Ich bin alter englischer Adel. Nur momentan eben nicht. Da bin ich Kira. Aber das habe ich euch schon erklärt.«

Pauli beäugt mich, als habe ich zwei Köpfe. Dann will sie es genauer wissen.

»Nimm’s mir nicht übel, Kira, oder Winston, oder wie auch immer wir dich jetzt nennen sollen, aber gibt es irgendeinen Beweis für diese unglaubliche Geschichte? Ich meine, ihr werdet vom Blitz getroffen, während ihr auf einer Kabeltrommel sitzt, und als ihr aus einer Ohnmacht erwacht, habt ihr die Körper getauscht und könnt eure Gedanken lesen – das ist starker Tobak, weißt du?! Also, dafür brauche ich einen richtig harten Beweis. Und ich rede hier nicht von ungewöhnlichen Kunststückchen, die deine Katze aufführt. Klar war es krass, dass sie Werner wirklich gefunden hat, aber wer weiß? Vielleicht ist sie einfach gut trainiert!«

Das ist ein berechtigter Einwand. Ich würde an ihrer Stelle genauso zweifeln. Wenn mir Odette im Hof anvertraut hätte, dass sie in Wirklichkeit Klaus-Dieter, der bärtige Zahnarzt aus dem dritten Stock, sei, hätte ich bestimmt auch einen Beweis verlangt. Nur: Was sage ich jetzt dazu? Ich könnte natürlich Kira noch mal in Gedanken bitten hierherzukommen. Aber reicht das? Oder fällt das auch unter Zufall und Kunststückchen? Ich seufze. Vielleicht war es doch keine gute Idee, meinen Freunden dieses Geheimnis anzuvertrauen.

»Kannst du etwas, das eigentlich ganz ausgeschlossen für Menschen ist? Also, könntest du jetzt deine Krallen ausfahren?«, schlägt Tom vor.

Ich halte meine Hände vors Gesicht und betrachte meine Fingernägel. Nein, ausfahren kann ich die nicht. Ich schüttle also den Kopf.

»Nee, leider nicht.«

»Oder vielleicht aus dem zweiten Stock springen? Katzen können das doch. Die rotieren mit dem Schwanz so lange, bis die Pfoten wieder nach unten zeigen, und dann landen sie ganz sicher und unbeschadet.«

»Äh, natürlich kann ich das als Katze. Aber als Mensch probiere ich das bestimmt nicht aus.«

Tom grinst.

»Ja, war nicht ernst gemeint. Selbst wenn deine Geschichte nicht stimmt und du einfach nur ein bisschen gaga bist, will ich nicht, dass du dir den Hals brichst. Meine Freundin bist du ja trotzdem. Ich nenne dich dann einfach Gaga-Kira.« Er lacht, Pauli lächelt zumindest. Okay, sie sind wenigstens nicht böse. Trotzdem: Ich will, dass sie mir glauben! Nur dann könnten sie Kira und mir vielleicht beim Rücktausch helfen – auch wenn wir vorhin beim Thema Magnet noch nicht weitergekommen sind. Was also könnte ich den beiden zeigen?

Während ich noch nachdenke, werde ich zum zweiten Mal vom Blitz getroffen: vom Geistesblitz! Ich springe so heftig von meinem Platz hoch, dass das Tablett mit meinem Teller bedenklich wackelt und fast vom Tisch fällt.

»Ich hab’s! Die Augen!«

Pauli und Tom schauen mich erstaunt an.

»Na, Kira und ich haben nicht nur den Körper, sondern auch die Augenfarbe getauscht. Seht doch mal genauer hin!« Ich starre die beiden an.

»Äh, ja. Schöne grüne Augen«, sagt Pauli.

»Genau: Das ist es doch! Kira hat eigentlich blaue Augen.«

Tom zuckt mit den Schultern.

»Keine Ahnung. Du oder sie – ich sag jetzt mal: ihr – also, ihr seid erst seit Kurzem auf der Schule. Ich kenn euch noch nicht so lang. Über Kiras Augenfarbe habe ich mir vorher nie Gedanken gemacht oder genauer hingeguckt.«

Pauli nickt.

»Tom hat recht. Geht mir genauso. Selbst wenn Kira noch vor ein paar Wochen blaue Augen hatte, wäre mir das nicht aufgefallen.«

»Oh.« Enttäuscht setze ich mich wieder hin. »Aber es ist wirklich wahr. An unserer Augenfarbe kann man es sehen. Meine, also Winstons, sind grün. Die von Kira als Mädchen blau. Und wir haben unsere Augenfarbe beim Tausch behalten.«

»Aber ist das denn Kiras Mutter nie aufgefallen?«

»Nein. Kira und ich haben alles getan, um es geheim zu halten. Also habe ich in letzter Zeit zu Hause häufiger mal eine Sonnenbrille getragen oder mir den Pony in die Stirn fallen lassen. Wir haben auch schon über farbige Kontaktlinsen nachgedacht, aber die sind so teuer.«

»Okay. Das wäre dann also tatsächlich ein echter Beweis.« Tom schaut nachdenklich. »Dann müssten wir jetzt nur irgendwie feststellen, dass Kira früher wirklich blaue Augen hatte.«

»Aber es stimmt! Glaub’s mir doch!«

»Sorry, Kira oder Winston oder wer auch immer – die Geschichte ist so abgefahren, da brauche ich etwas Handfestes.«

Ich stöhne innerlich. Etwas Handfestes! Was könnte das sein? Ein Foto vielleicht? Aber auf Fotos kann man Augenfarben nur schwer unterscheiden. Und ich habe sowieso kein Foto von Kira griffbereit.

»Mir fällt gerade was ein! Warum rufen wir nicht einfach Anna an und fragen sie?«, schlägt Pauli vor.

»Ja, gute Idee!«, stimmt Tom zu.

»Wir rufen einfach an und fragen? Aber wird sie sich darüber nicht wundern? Sie denkt doch, ich sei ihre Tochter. Dann kenne ich doch meine Augenfarbe.«

»Mach dir mal keinen Kopf, Kira. Oder Winston. Ruf jetzt deine Mutter an und gib mir das Handy, okay?«

Ich nicke ergeben, ziehe mein Handy aus der Hosentasche und wähle die Nummer von Anna. Als es klingelt, gebe ich den Hörer weiter.

»Hallo, Frau Kovalenko! Nein, hier ist nicht Kira, sondern Pauli. Ich brauche mal kurz Ihre Hilfe! Wir sollen hier in der Schule gerade unseren Klassenkameraden genau beschreiben, ohne dass er im Raum ist. Ich sitze also in der Kantine und beschreibe Kira. Aber ehrlich gesagt bin ich mir bei ihrer Augenfarbe nicht sicher. Ist die grün oder blau?« Schweigen. Sie hört offenbar zu, was Anna sagt. »Okay. Danke. Das ist sehr nett. Ja, ich grüße sie. Danke! Tschüss.«

Pauli legt auf. Dann schaut sie uns an.

»Kiras Augen sind strahlend blau. Eine ganz tolle Farbe. Sagt ihre Mutter.«

»Ups«, macht Tom. Und mir fällt ein Stein vom Herzen.

Nach der Schule gehen wir alle in die Eisdiele. Und wenn ich alle sage, dann meine ich: Kira Katze ist auch dabei. Ich habe sie angemorst und ihr von den neusten Entwicklungen erzählt. Daraufhin hat sie uns von der Schule abgeholt und zum Eisessen begleitet. Also habe ich Kira auf dem Schoß, während ich mein Schokoeis schlecke. Begeistert ist sie allerdings nicht davon, dass ich unser Geheimnis gelüftet habe.

»Bestimmt denken die beiden jetzt, du hättest eine Vollklatsche. Damit bin ich dann auch die letzten beiden Freunde los, die ich noch in der Klasse hatte«, jammert sie vor sich hin, während sie gleichzeitig versucht, etwas von dem Eis zu erwischen, das gerade haarscharf an meinem Bein vorbeitropft. Schwierig, so ein Eis zu essen! Muss ich eindeutig noch üben.

»Nun beruhige dich mal, Kira! Sie glauben uns doch!« Dass Pauli sogar in meinen Augen rumgefummelt hat, um sicherzugehen, dass ich keine farbigen Kontaktlinsen trage, verschweige ich mal lieber. Kiras Laune ist sowieso schon auf dem Tiefpunkt. Kein Wunder. Schließlich sind wir mit unserem Rücktausch-Plan bisher noch überhaupt nicht weitergekommen. Ich nehme daher einen neuen Anlauf.

»Ich würde gern noch mal mit euch über die Sache mit dem Magneten sprechen. Kira und ich haben uns nämlich überlegt, dass uns ein Magnet beim Rücktausch helfen könnte. Ich habe schließlich nicht vor, für den Rest meiner neun Katzenleben ein Mädchen zu bleiben. Und ich glaube, Kira vermisst euch auch schon.« Wie zur Bestätigung miaut Kira laut auf. Tom und Pauli gucken sie beeindruckt an.

»Sie versteht uns. Wahnsinn!« Pauli schüttelt den Kopf.

»Wieso sollte euch ein Magnet beim Rücktausch helfen können?«, will Tom von mir wissen.

»Ganz einfach: Durch den Blitzeinschlag auf der Baustelle muss ein riesiges Magnetfeld entstanden sein. Der Blitz ist doch in eine Kabeltrommel eingeschlagen, die mit Kupferkabel umwickelt war. Wenn du aber eine Kupferspule an Strom anschließt, bekommst du einen Elektromagneten. Und da Kira und ich auf der Kabeltrommel saßen, waren wir mitten im Magnetfeld. Das muss den Tausch bewirkt haben. Anscheinend hat uns der Magnet irgendwie aus unseren Körpern rausgezogen. Und auf dem Rückweg vertauscht. Zumindest hoffe ich, dass es so war.«

»Wow!«, ruft Pauli beeindruckt. »Du bist mit weitem Abstand der schlauste Kater, den ich kenne.«

»Na ja«, gebe ich zu, »der Tipp mit dem Elektromagneten stammt von Werner. Der ist Physikprofessor. Von selbst wäre ich wahrscheinlich nicht draufgekommen. Leider hilft uns der Tipp allein aber nicht weiter. Wir brauchen jetzt ein Magnetfeld, das so groß ist, dass ein Mädchen und ein Kater gemeinsam reinpassen.«

In diesem Moment schlägt Tom so heftig mit seiner Faust auf den Tisch, dass die Eisbecher scheppernd aneinanderkrachen.

»Genau das ist es: ein großes Magnetfeld! Ich weiß, wo wir eins herkriegen!«

Miau! Kira springt auf seinen Schoß, Pauli und ich starren ihn an. Als er weiterspricht, hängen wir regelrecht an seinen Lippen.

»Ihr wisst doch, dass mein Vater Arzt ist.«

Wir nicken.

»Genau genommen ist er Radiologe«, fährt Tom fort.

»Äh, was ist das?«, will ich wissen.

»Na, ein Röntgenarzt. Er kann Leute quasi von innen fotografieren«, erklärt Tom.

»Das ist ja sehr schön, aber wir brauchen keinen Arzt, wir brauchen einen Magneten.« Heilige Ölsardine, hat der mir nicht richtig zugehört?

»Moment, Moment, das kommt ja gleich«, beschwichtigt Tom. »Also, mein Vater hat eine große radiologische Praxis. Und da stehen nicht nur Röntgengeräte rum, sondern auch MRTs.«

»Aha«, sagt Pauli, »vielen Dank für die Information. Ehrlich gesagt, interessiert mich die Praxisausstattung deines Alten jetzt eher weniger. Was hat das mit Kira und Winston zu tun?«

»Mensch, Pauli! Denk doch mal nach!«, ruft Tom laut. »MRT! Fällt der Groschen? Wofür steht das wohl?«

Pauli zuckt mit den Schultern.

»Keine Ahnung. Vielleicht für Multi-Risiko-Transporter oder so was in der Art?«

Tom lacht.

»Quatsch. MRT heißt Magnetresonanztomografie. Das Gerät dazu heißt Magnetresonanztomograf.«

Hä? Mir fallen gleich die Ohren ab. Was heißt das? Tom sieht unsere erstaunten Gesichter und wiederholt ganz langsam:

»Magnet-Resonanz-Tomograf. Das ist ein Apparat, der ähnlich wie ein Röntgengerät funktioniert: Du schiebst jemanden rein und kannst Fotos von seinem Körperinneren machen. Und zwar nicht mit Röntgenstrahlen, sondern mit Magnetwellen. Verstanden?«

Pauli und ich gucken uns kurz an.

»Na, so halbwegs«, sagt Pauli dann.

»Dieser Apparat sieht aus wie eine große Röhre und im Inneren dieser Röhre entsteht ein Magnetfeld, wenn man den MRT anschaltet. Die Magnetwellen gehen durch den Menschen, der in der Röhre liegt, und machen ein Bild von ihm. So ungefähr jedenfalls.«

»Mann, woher weißt du denn so was?«, frage ich Tom. Der grinst.

»Ich bin eben superschlau. Nee, mal im Ernst: Ich habe in den letzten Ferien in der Praxis meines Vater gejobbt. Telefondienst und so. Seine Assistentin hat mir den MRT und die anderen Geräte gezeigt, weil ich mich doch so für Computer und Technik interessiere.«

»Und du glaubst, wenn ich mich mit Kira in diese Röhre lege, dann entsteht auch ein Magnetfeld und wir können wieder tauschen?«

Tom nickt.

»Jepp. Das glaube ich.«

Jetzt mischt sich Kira ein.

»Frag ihn mal, ob das nicht gefährlich wäre. Röntgenstrahlen sind jedenfalls nicht ohne. Wer weiß, wie das mit Magnetwellen ist.«

Ich wiederhole Kiras Frage laut. Tom schüttelt den Kopf.

»Keine Sorge. Das MRT-Gerät verursacht keine gefährlichen Strahlen. Das ist ja gerade sein großer Vorteil im Vergleich zum Röntgen. Wir müssten euch beide also nur reinlegen und den MRT anschalten. Aber das traue ich mir zu. Das war gar nicht so schwer.«

»Äh, Moment mal – du willst das machen? Warum fragen wir nicht lieber deinen Vater?« Stimmt. Eine berechtigte Frage, die Pauli da aufwirft. Tom allerdings guckt, als läge Pauli total daneben.

»Mann, hast du eine Ahnung, wie teuer dieses Teil ist? Das ist doch kein Spielzeug. Wenn ich meinen Alten frage, ob wir da nicht mal ein Mädchen mit einer Katze reinlegen könnten, zeigt der mir garantiert einen Vogel. Nee, nee – wenn, dann müssten wir das heimlich machen.«

Okay, das leuchtet selbst mir ein. Ich hole tief Luft.

»Gut, dann sollten wir es probieren.«

Tom lacht und hebt die Hand zum High Five. Ich schlage ein, dann klatschen wir uns mit Pauli ab.

»Also abgemacht. Ich besorge heimlich den Praxisschlüssel, und sobald ich den habe, legen wir los. Vielleicht klappt es schon heute Nacht!«

Heute Nacht. Schluck! Hoffentlich weiß Tom wirklich, wie das Teil funktioniert!

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