«Bajonett pflanzt auf!»
Herrick knirschte mit den Zähnen, um seine Ungeduld zu unterdrücken, als Prideaux seine Marinesoldaten in einer Reihe antreten ließ. Ein Stück entfernt auf dem unebenen Abhang folgte Finneys Miliz diesem Beispiel mit angespannten Gesichtern.
Die Luft wurde plötzlich von dumpfem Kanonendonner erschüttert, und Herrick wußte, daß die versteckte Batterie das Feuer eröffnet hatte. Die Kanoniere mußten die Tempest jenseits der Landzunge sehen können, die sie jetzt noch für Herrick bis auf ihre Mastspitzen verdeckte. Prideaux befahl schneidig:»Vorwärts!«Sein schlanker Degen glänzte in der Sonne, fuhr von Seite zu Seite wie eine stählerne Zunge, als er durch das Gestrüpp und über das von der Sonne gedörrte Gestein vorging. Weitere Schüsse, und ehe er dem Hauptteil seiner Leute in Richtung auf die brennenden Hütten folgte, drehte Herrick sich noch einmal um und sah Wasserfontänen wie Gespenster im Schatten der Fregatte aufsteigen, die weiter in die Bucht vordrang.
In Gedanken wiederholte er Warnungen und Befürchtungen, so daß er kostbare Sekunden lang nur stehenbleiben und sich durch das, was er sah, selbst bestrafen konnte. Die Bucht war zu schmal. Das Schiff würde auflaufen. Es konnte bis zur Unterwerfung zerschlagen werden, ohne seine Henker auch nur zu sehen.
Er fluchte wild. Er war hier, nicht auf dem Achterdeck, wo er hingehörte.
Er schrie:»Vorwärts, so schnell ihr könnt!»
Dann rannte er mit den anderen, stolperte den Abhang hinab. Die Seesoldaten jubelten wie die Wilden, während sie in treibendem Rauch und Funkenregen vordrangen.
Wenn sie nur eines dieser Geschütze eroberten, konnten sie es auf die anderen richten. Der Schock über den Angriff von hinten mochte genug Verwirrung auslösen, um Bolithp die
Ablenkung zu bringen, die er verzweifelt brauchte.
Ein Matrose stürzte zuckend, preßte die Hände an den Kopf,
Blut strömte über sein Haar und seine Schultern. Herrick starrte ihn an, während die Matrosen und Marinesoldaten zögerten oder in dem erstickenden Rauch gegeneinander taumelten.
Dann, wie auf Signal, wurde die Luft von fliegenden Felsbrocken und scharfkantigen Steinen erfüllt. Herrick hörte, wie sie auf Fleisch und Knochen trafen. Die Männer fluchten und stolperten und versuchten, ihre Angreifer zu entdecken.
Prideaux rief:»Dort drüben! Hinter der Lichtung!«Er hob seine Pistole und feuerte.»Die Eingeborenen!»
Mehr Steine kamen durch den Rauch geflogen, und zwei
Männer fielen besinnungslos zu Boden.
Midshipman Pyper kauerte mit gebleckten Zähnen neben
Herrick.»Weshalb greifen sie uns an? Wir sind doch hier,
um ihnen zu helfen!«Es klang eher wütend als verängstigt.
Herrick hob seine Pistole und drückte ab. Er empfand nichts,
als eine dunkle Gestalt kopfüber den Abhang hinunterrollte und die verkohlte Wand einer Hütte durchschlug.
«Sie halten uns alle für das gleiche!»
Er fluchte gotteslästerlich, als ein Stein seine Schulter traf,
seinen Arm lahmte, so daß er die Pistole verlor.
«Kommen Sie, Prideaux!»
Der Hauptmann der Marinesoldaten spähte mit brennenden Augen durch den wirbelnden Rauch. Schemenhafte, nackte Gestalten wurden drohende Wirklichkeit, während sie den Abhang heraufgestürmt kamen.
«Achtung!«Sein Degen schwankte nicht, als ein Seesoldat stöhnend neben ihm zusammenbrach. Ein Stein hatte ihm den Kiefer zerschmettert.»Zielen!«Herrick wischte sich den Schweiß aus den Augen, ergriff seinen Degen mit der linken Hand. Er konnte die Angreifer jetzt hören. Wie bellende Hunde, Laute, die sich zu einem
Crescendo des Hasses und der Verzweiflung steigerten. Besser zu sterben, als ihnen in die Hände zu fallen, dachte er.
«Feuer!»
Die Musketen krachten gleichzeitig. Ihr Mündungsfeuer trieben Rauch über den grimmigen Gesichtern der Marinesoldaten nach oben.»Laden! Takt einhalten!»
Etwas oberhalb am Abhang begannen nun auch Finneys
Milizen zu schießen, ohne Ordnung, ohne Vorbereitung.
Herrick hörte die Geschosse in Bäume einschlagen und auf
Steine treffen. Wilde Aufschreie sprachen für sich selbst.
Aber sie stürmten weiter.
Herrick räusperte sich. Seine Kehle war rauh.
«Auf, Leute!«Ein Speer flog über seinen Kopf. Er sah es,
war aber so sehr mit seinen rasenden Gedanken beschäftigt,
daß es ihm nichts bedeutete. Mühsam bewahrte er das
Gleichgewicht auf den lockeren Steinen.»Haltet euch zusammen!»
Er nahm wahr, wie die Marinesoldaten mit eingeübten, ruckartigen Bewegungen ihre Musketen luden. Wie rote Marionetten rissen sie gleichzeitig die Arme hoch, und wie ein Mann stießen sie sie herunter, als sie mit dem Ladestock die Ladung für die nächste Salve feststampften.»Ziel nehmen!»
Einer der Soldaten schrie auf und fiel, versuchte mit blutigen Händen, einen Speer aus seinem Leib zu ziehen.»Feuer!»
Wieder fegte die tödliche Welle der Musketenkugeln in die geduckt anstürmenden Reihen. Gezielt, aber weniger wirksam, da zwei weitere Seesoldaten unter dem ununterbrochenen Bombardement von Steinen und Speeren gefallen waren.
Wilde und laute Schreie der Milizen ließ Prideaux seine äußerliche Ruhe verlieren. Er sah zu Herrick hinüber.»Finney wird von der anderen Seite angegriffen. «Der Degen sank an seiner Seite herab, und mit enttäuschter Erbitterung fügte er hinzu:»Mein Gott, die Feiglinge reißen aus!»
Herrick riß die Muskete eines gefallenen Seesoldaten an sich, spannte sie und, ohne auf die Schmerzen in seiner Schulter zu achten, überzeugte er sich, daß sie schußbereit war.
Zwischen den Zähnen sagte er:»Schicken Sie noch einmal jemanden auf den Gipfel. Er soll feststellen, ob das Schiff in Sicherheit ist. So schnell es geht.»
Prideaux nickte.»Mr. Pyper, gehen Sie. «Er duckte sich, als ein Speer zwischen ihnen hindurchflog. Von seiner Ordonnanz nahm er eine frischgeladene Pistole entgegen.»Da kommen sie wieder.»
Er lächelte verkrampft.»Geben Sie mir eine Kugel, ehe Sie mich zurücklassen, ja?«Er kehrte zu seinen Leuten zurück.»Ich werde das gleiche für Sie tun. «Herrick sah ihm nach. Ein paar Sekunden lang war der Mann ihm beinahe sympathisch.
Dann schossen sie wieder, luden und hasteten weiter, schossen und drängten sich zusammen wie die letzten Menschen auf der Welt. Herrick hörte regellose Schüsse aus einiger Entfernung und vermutete, daß sie von Finneys Leuten kamen, die sich auf den Schoner zurückzogen und jeden Gedanken an Widerstand aufgegeben hatten. Er drückte ab. Ein Versager. Er stand mit gespreizten Beinen da und benutzte die Muskete als Keule, spürte Schmerzen in den Handgelenken, als er einen kreischenden Wilden niederschlug und nach zwei anderen ausholte. Ringsum tobte lärmend der Kampf. Die Musketen wurden nur noch mit den Bajonetten eingesetzt oder als Krücken von den Verwundeten.
Herrick schleuderte die Muskete einem Mann ins Gesicht,
nahm flüchtig wahr, daß dessen Augen beinahe rot vor Wut und Mordlust waren. Dann zog er wieder seinen Degen,
parierte damit einen Speer und hackte mit der gleichen
Bewegung tief in eine braune Schulter.
Von oben vernahm er über all dem Getöse Pyper, der seinen
Namen rief, und dann:»Das Schiff hat gewendet! Es verläßt jetzt die Einfahrt!«Dann verstummte er entsetzt, vielleicht sogar für immer, Herrick wußte es nicht.
Er rief:»Zurück! Nehmt die Verwundeten mit!»
Mit dem Degen stieß Herrick nach einer Gestalt, die irgendwie zwischen den keuchenden Marinesoldaten hindurchgelangt war. Er glitt aus und fiel beinahe, tastete wild nach seinem Degen, wußte, daß er den Mann damit aufgehalten hatte, der sich jetzt gegen ihn wandte, die Stimme in einem schrecklichen Wutschrei erhoben. Eine andere Gestalt rannte durch den Rauch heran, hielt in beiden Händen eine Pistole hoch erhoben, als ob sie dazu ihre ganze Kraft brauche.
Das schwere Geschoß riß dem Eingeborenen die ganze Stirn fort und schleuderte ihn blutüberströmt und mit zuckenden Gliedern auf Herrick. Er hatte ein langes Messer getragen, das Herrick jetzt auf den Fuß fiel und nur durch sein Gewicht ihm den Schuh aufschlitzte. Herrick hob es auf und fand auch seinen Degen wieder.»Danke, Mr. Pyper.»
Er winkte mit beiden Armen, entdeckte, daß die Angreifer sich in den Rauch zurückzogen und ihre Toten und Verletzten samt ihren Waffen zurückgelassen hatten. Prideaux sagte besorgt:»Verdammt, sie werden versuchen, uns den Rückweg abzuschneiden. «Er überwachte seine Marinesoldaten, die ihre Musketen und die ihrer toten und verletzten Kameraden neu luden. Herrick nickte.»Dadurch gewinnen wir etwas Zeit. «Prideaux musterte ihn kühl.»Für was? Zum Beten?«Er drehte sich ärgerlich um.»Paß auf, du Tölpel. Beinahe hättest du sie fallen lassen!«Seine Ordonnanz hatte ihm seine Pistole neugeladen und zitterte so heftig, daß er kaum aufrecht stehen konnte.»Geh und hilf den Verwundeten, Mann. In deinem Zustand bist du eher eine Gefahr als eine
Hilfe.»
Herrick wischte sich über das Gesicht und blickte zum Himmel auf. So klar über dem ziehenden Rauch, spottete er über ihr Ameisendurcheinander.
Ein Matrose meldete:»Vier Mann von Steinen verwundet oder betäubt, Sir. Fünf getötet. Ich weiß nicht, wie viele von der Miliz noch bei uns sind, aber auf dem Berg kann ich mehrere Tote erkennen.»
Prideaux fuhr wütend auf:»Zum Teufel mit ihnen, sage ich.
Wenn ich diesem Mr. Finney jemals wieder begegne, wird er es bedauern, daß er am Leben geblieben ist. «Herrick fragte:»Sind wir marschbereit?«Er hatte es schon früher erlebt: Die Wildheit des Kampfes verschwand mit der Plötzlichkeit einer Sturmbö, ließ Kämpfer wie gefällte Bäume zurück. Nutzlos. Zerschlagen.»Ja. «Prideaux winkte mit seinem Degen.»Zwei Kundschafter an die Spitze!«Er sah Pyper an.»Sie kümmern sich um die Verwundeten. «Sein Kopf schoß vor.»Ist das klar?«Pyper nickte mit glasigen Augen. Wahrscheinlich dachte er daran, wie er beinahe abgeschnitten worden wäre. Wie er die schwere Pistole hochgehoben hatte, spürte, wie sie mit jeder Sekunde schwerer wurde, während er versuchte, trotz Schweiß und Furcht klar zu sehen, wie der nackte, gellende Wilde auf den Ersten Offizier losgestürmt war.»Ja, Sir.»
«Welch eine Erleichterung.»
Prideaux schritt davon. Seine Hacken wirbelten Staub auf, als er seinen Seesoldaten nacheilte. Herrick sah sich auf der Lichtung um. Es war ungerecht, die toten Seesoldaten zurückzulassen, aber was konnte er tun? Er mußte die Überlebenden zusammenhalten und führen. Auch die Piraten konnten sie noch angreifen, obwohl es unwahrscheinlich schien, daß sie sich mit Eingeborenen in einen Kampf einlassen würden, deren Dorf sie gerade erst niedergebrannt hatten.
Er wartete, bis Pyper und die schwankende Gruppe der Verletzten an ihm vorbeigezogen war, und folgte ihnen dann auf die gleiche runde Anhöhe zu, die er vor Stunden zu Gesicht bekommen hatte. Und er hatte aus eigener Initiative gehandelt. Der Gedanke beunruhigte ihn, und er suchte nach einer Bestätigung und Rechtfertigung für sein Handeln. Die Tempest war entkommen, wenn sie auch durch diese schweren Geschütze starke Beschädigungen erlitten haben mußte. Sein Angriff, um die Geschützbedienungen abzulenken, mochte kaum eine Wirkung gehabt haben, obwohl die Piraten den Lärm ihres Kampfes mit den Insulanern gehört haben mußten.
Aber Bolitho konnte es nicht wissen: daß sie versucht hatten zu helfen, die Zerstörung des Schiffes unter Einsatz des einzigen Mittels zu verhindern, das sie besaßen: ihres Lebens.
Ein Seesoldat drehte sich um und sah zu seinem Kameraden zurück, der von einem Speer ins Bein getroffen worden war. Er stützte sich auf Pypers Schulter, mit fiebrig glänzenden Augen starrte er den anderen Männern nach. Der Marinesoldat rief:»Komm weiter, Billy! Es ist nicht mehr weit. Du bekommst bestimmt eine Doppelration Rum, da bin ich ganz sicher.»
Herrick schluckte hart. Sie waren noch nicht am Ende. Nicht mit diesen Männern.
Als Prideauxs Kundschafter schließlich signalisierten, daß der Landeplatz in Sicht kam, mußte Herrick sich eingestehen, daß auch seine letzte schwache Hoffnung zunichte gemacht worden war.
Als sie sich, so gut es ging Deckung suchend, zusammenkauerten und die Augen mit der Hand gegen den grellen Glanz von der See her schützten, sah Herrick, daß Finneys Leute jetzt sogar von noch mehr Eingeborenen umzingelt waren, als sie ursprünglich bei dem Dorf angegriffen hatten. Die herrschende Stille verschlimmerte alles noch, die hilflose Haltung der Milizmänner, die einem Kranz feindseliger Gesichter entgegenstarrten. Finney hatte seinen Degen fortgeworfen, wahrscheinlich, weil er schon früher hier gewesen oder manchem dieser Eingeborenen während seines Dienstes bei Hardacre begegnet war. Der andere Leutnant stand weit zurück bei seinen Männern; sein Entsetzen war selbst aus dieser weiten Entfernung zu erkennen.
Und hinter diesem Bild unerträglicher Spannung segelte sich der Schoner von den Felsen frei, das Großsegel war schon gesetzt und blähte sich, während das Schiff sich vom Ufer entfernte. Die kleine Besatzung aus Eingeborenen mußte annehmen, daß der Angriff völlig gescheitert war und warum auch nicht? Sie würden versuchen, sich zu retten. Nach Hause segeln.
Ein Matrose murmelte:»Eins der Boote ist noch da, Sir. «Herrick gab keine Antwort. Er hatte es bereits gesehen und wußte, daß sein Rumpf eingeschlagen war. Ob von den Felsen oder den Eingeborenen, spielte keine Rolle. Dann stürzten sich unten am Strand die stummen Gestalten wie eine geschlossene nackte Wand auf die Milizen. Geschwungene und zuschlagende Waffen blitzten im scharfen Licht auf, drangen unerbittlich auf Finneys zusammengedrängte Männer ein, und Herrick und seine Leute lauschten dem aufsteigenden Jubelgebrüll. Sie konnten nichts tun. Sie waren zu weit fort, und wahrscheinlich hätten die Männer sich geweigert, vorzugehen, wenn man es ihnen befohlen hätte. Jetzt, am Ende, wollten sie zusammenbleiben. Nicht weil sie sich fürchteten. Darüber waren sie hinaus. Auch nicht, weil sie sich irgendwie dafür an den Männern, die jetzt dort unten zu Stücken zerhackt wurden, rächen wollten, weil sie von ihnen im Stich gelassen worden waren.
Seeleute waren nun einmal so, ob an Land oder auf See. Sie kannten einfach nichts anderes.
Die Menge auf dem zerwühlten Strand begann sich aufzulösen. Nur Finney war übrig geblieben. Ihm wurde die Kleidung vom Körper gerissen, und er wurde an einen Pfahl gefesselt. Aufbewahrt für etwas, das noch grausiger war. Einer der Marinesoldaten sagte heiser:»Mit einem Weitschuß könnte ich ihn treffen, Sir.«»Nein.»
Herrick wandte sich ab. Alle diese Leute, um einen zu retten. Er würde das nicht einmal für sich selbst erwarten. Aber es fiel ihm schwer, das Wort auszusprechen. Er sagte:»Dazu ist noch Zeit, wenn sie entdecken, was aus uns übrigen geworden ist.»
Er wälzte sich auf den Rücken und blickte zum Himmel. Er erinnerte sich mit aller Klarheit an die Zeit, als er ein kleiner Junge gewesen war und mit einem Freund am Ufer des Medway gespielt hatte. Er hatte einen Stein durch die Binsen geworfen. Es war als Scherz gemeint, wie sie es schon oft getan hatten, aber er hatte seinen Freund ins Auge getroffen und ihn beinahe geblendet. Herrick hatte das Gesicht in die Hände gepreßt, gewünscht, daß es nur ein Traum wäre. Wenn er wieder hinsehen würde, würde alles in Ordnung und so wie vorher sein. Doch damals wie jetzt blieb es Wirklichkeit. Wenn er wieder hinunterblickte, würden die verstümmelten Leichen und die zerhackten Gliedmaßen nach wie vor da sein. Und der Schoner wäre verschwunden.
Prideaux sagte zu seinem Korporal:»Holen Sie alle Musketen zusammen, und inspizieren Sie das Pulver und die Ladung. Die Verwundeten können das Laden übernehmen.
Klar?»
«Jawohl, Sir. «Selbst jetzt noch respektvoll.
Pyper fragte leise:»Wird es bald sein, Sir?»
Herrick sah ihn nicht an, sondern beobachtete einen Vogel mit säbelschmalen Schwingen in der Ferne kreisen, weit oben vor dem verblichenen, blauen Himmel.
«Ich rechne damit. «Er fügte hinzu:»Aber keine
Kapitulation. Wir ergeben uns nicht.»
«Ich verstehe.»
Dann wendete Herrick den Kopf, um den Midshipman anzusehen. Du verstehst? Der Junge fing an, ein Mann zu werden. Er fragte nicht, warum er sterben sollte, ausgerechnet hier.
Jemand sagte:»Die Schufte suchen die andere Seite des Berges ab, Sir.»
Prideauxs Antwort klang gereizt.»Ja. Aber man braucht keine Bluthunde, um unsere Spur zu finden, oder?«Herrick erhob sich vorsichtig aus dem stachligen Gestrüpp und sah auf die See hinaus. Der Schoner zeigte jetzt sein Heck und stand bereits weit ab vom Ankerplatz. Wir könnten ein Feuer anzünden, eine Explosion machen, aber das würde die Wilden nur noch schneller zu uns führen. In jedem Fall würde der Schoner nicht wagen, zur Küste zurückzukommen.
Er sah wieder zu dem Schoner hinaus, sein Kopf war plötzlich klar. Der Wind. Er hatte sich gedreht. Ziemlich stark sogar. Er blickte über die Büsche und das Gestrüpp den Abhang hinunter, versuchte, seine Richtung zu erkennen. Prideaux fragte:»Was gibt es?»
Er versuchte, so uninteressiert wie immer zu klingen, und die Tatsache, daß es ihm nicht gelang, gab Herrick plötzlich eine verzweifelte neue Hoffnung.
Er antwortete ruhig:»Der Kapitän wird kommen und nach uns suchen. Der Wind könnte entscheidend sein, ihm einen Tag Vorsprung geben. «Er sah in Pypers angespanntes Gesicht.»Einen ganzen Tag. Wenn wir uns hier so lange halten können.»
Der Marinesoldat, der von einem Speer ins Bein getroffen worden war, sagte mit belegter Stimme:»Das wäre prima,
Sir.»
Sein Freund grinste.»Was habe ich dir gesagt, Billyboy?«Prideaux knurrte ungehalten:»Machen Sie den Leuten keine falschen Hoffnungen. Der Wind, was bedeutet das schon? Entscheidend ist die Zeit, und woher sollen wir das erfahren?»
Herrick blickte ihn an.»Er wird kommen. Glauben Sie mir, Prideaux. «Erblickte zur Seite.»Er muß.»
Bolitho saß in seiner Kajüte und überlas noch einmal sein Logbuch, während über ihm eine Laterne hin und her schwankte.
Gestern den ganzen Tag über und während der langen Nacht waren sie unter so viel Leinwand gesegelt, wie sie setzen konnten. Niemand hatte diesmal von Risiko oder Vorsicht gesprochen, und er hatte Männer bemerkt, die zur Seite sahen, wenn sein Blick sie streifte.
Er sah zu den Heckfenstern und erkannte verwundert, daß hinter ihnen bereits der Morgen zu dämmern begann. Plötzlich fühlte er sich leer und entmutigt. Noddall hätte ihn aufmerksam gemacht. Wäre um ihn herum geschäftig gewesen.
Er dachte an die gesichtslosen Bündel, in Hängematten eingenäht, die im Meer versenkt worden waren, während er zugesehen hatte. Es hätte zehnmal schlimmer sein können, aber es half ihm nichts, sich daran zu erinnern. Wayth, der für den Großmast zuständige Deckoffizier, Sloper, einer der Zimmerleute, der mehr als jeder andere dazu beigetragen hatte, daß die selbstgebaute Jolle so gut gelungen war. Marinesoldat Kisbee vom Großmast. Der alte
Vollmatrose Fisher. William Goalen, zweiter Steuermannsmaat, Noddall, Kajütensteward, und außerdem zu viele andere. Im ganzen waren fünfzehn getötet worden und ebenso viele verwundet. Und wozu? Tod für manche, Entlassung für andere, und Beförderung für die Glücklichen, die ihre Posten übernahmen.
Er rieb sich wieder die Augen und versuchte, seine Trauer zu überwinden.
Es klopfte an der Tür, und Midshipman Swift trat in die Kajüte.
«Mit Mr. Keens Hochachtung, Sir, wir haben gerade im Norden ein Licht gesichtet.»
«Ein Schiff?«Er fluchte im stillen auf sich selbst, daß er die Meldung als Frage zurückgab. Er stand auf und brachte das dicke Buch in seinem Schreibtisch unter.»Ich komme hinauf.»
Er hatte sich dem Anschein nach auch in Herrick geirrt. Das Licht mußte der Schoner sein. Trotz des Umspringens des Windes war es merkwürdig, daß er schon so weit gekommen sein sollte. Er dachte an den Wind, und wie oft sie ihn in der Vergangenheit schon verwünscht hatten. Als Lakey ihm die plötzliche Richtungsänderung gemeldet hatte, war es ihm schwergefallen, seine Gefühle zu verbergen. Auf dem Achterdeck war die Luft beinahe kühl nach der Hitze des Tages und der muffigen Enge unten. Ein rascher Blick auf den Kompaß, das flatternde Großsegel und den Besan zeigte ihm, daß der Wind unverändert anhielt und das Schiff nach Norden lief. Die Insel lag irgendwo querab an Backbord. Wenn dieser Wind nicht gewesen wäre, hätten sie vielleicht zwei Tage oder noch länger gebraucht, hin- und herkreuzend, um das Südende der Insel zu umfahren, ehe sie die Suche nach dem Landeplatz des Schoners aufnehmen konnten.
Er nahm von Swift ein Glas entgegen und war sich bewußt, daß mehr Leute als die diensthabende Wache an Deck waren, beobachteten und warteten.
Er fand das Fahrzeug auf der Stelle, und schon in den wenigen Augenblicken, seit Swift ihm das Schiff gemeldet hatte, war das Licht so viel stärker geworden, daß er den dunkleren Flecken wahrnehmen konnte, welcher der Großmast des Schoners sein mußte.»Wie schnell die Dämmerung kommt. «Das war Mackay, der Erste Steuermannsmaat. Es klang völlig gelassen. Vielleicht war er froh, daß sein Maat Goalen und nicht er selbst in eine Hängematte eingenäht, an den Füßen mit einer Kanonen-kugel beschwert, ein paar hundert Faden in die Tiefe gesunken war.
«Ja. «Lakeys Mantel knisterte am Kompaßgehäuse, als er sich im Dämmerlicht wie ein unruhiger Hund schüttelte.»Und in zehn Minuten wird dir die Heiligheit die Augen blenden.»
Ganz wie der Steuermann vorausgesagt hatte, fegte das Tageslicht bald über die Inseln wie beim Öffnen eines Vorhangs.
Bolitho beobachtete den Schoner, spürte dessen Unsicherheit, als er über Stag ging, dann zögerte, als ob er abdrehen wollte.
Midshipman Swift rief vom Mastkorb, wohin Keen ihn geschickt hatte:»Keine Rotröcke an Bord zu entdecken,
Sir.»
«Zum Teufel!«Borlase war aufgetaucht.»Sie müssen sie zurückgelassen haben. Oder…«Er beendete den Satz nicht.»Signalisieren Sie ihm, beizudrehen. «Bolithos Stimme schnitt alle Spekulationen wie mit einem Beil ab.»Machen Sie das Boot klar, Mr. Borlase.»
Bolitho beobachtete, wie die Wellentäler sich von Schwarz zu Tiefblau veränderten, von finsterer Bedrohung zu freundlicher Täuschung.
Er spürte, wie seine Besorgnis einer unvernünftigen Ungeduld wich.»Und alarmieren Sie Mr. Brass. Er soll einen Schuß vor den Bug sofort vorbereiten. Wenn der Schoner nicht reagiert, wünsche ich einen Treffer dicht an der Wasserlinie.»
Beim Niedergang stand Allday, die starken Arme untergeschlagen, und beobachtete die Wirkung von Bolithos Worten. Er sah Jack Brass, den Stückmeister der Tempest, mit seinen Leuten nach vorn stürmen und wußte, daß auch ihm Bolithos Stimmung nur zu bekannt war.
«Sie drehen bei, Sir.»
«Sehr gut. «Bolitho überließ sich seinen Gedanken.»Wir laufen bis auf Rufweite heran. Das spart Zeit. «Er sah Allday an.»Wahrscheinlich brauchen wir die Barkasse. Suchen Sie die besten Leute aus, die wir haben. «Er kniff die Augen zusammen, um den rollenden Schoner zu beobachten, dem die Fregatte immer näher kam. Leer, oder so gut wie leer. Vielleicht hatten sie keine Zeit mehr. Das würde die Niederlage noch vollständiger machen, ein Abfinden damit unmöglich. Er sah zur Reling des Achterdecks hinüber, dachte an Herrick. Schroff befahl er:»Sorgen Sie dafür, daß die Leute gut bewaffnet sind. Sergeant Quare soll zwei Drehbassen auf die Barkasse bringen, und setzen Sie auch auf dem anderen Boot ein paar gute Schützen ein.»
Wie verlängerte Arme folgten sie ihm, verwirklichten seine Wünsche, seine Ideen.
Der Schoner war jetzt sehr viel näher. Er setzte das Fernrohr ab und sagte:»Rufen Sie sie an, Mr. Keen. «Er hatte den Skipper des Schoners erkannt, einen großen, kräftigen Mann, ein Mischling, der vermutlich hier auf den Inseln zur Welt gekommen war.
Keens Stimme hallte über das Wasser, verzerrt durch das Sprachrohr.
Bolitho hörte die zögernd kommenden Antworten, manche kaum zu verstehen. Aber ihr Inhalt war unmißverständlich genug. Der Schoner war ohne Herricks Landekommando abgesegelt. Sie mochten alle tot sein, ebenso die Milizen. Abgeschlachtet.
Bolitho sah die Männer um sich der Reihe nach an. Die Besatzung war schon durch die Toten und Verwundeten geschwächt, nach dem Verlust durch Herricks Landekommando und die Marinesoldaten würden ihr noch mehr Kräfte fehlen.
Er faßte einen Entschluß. Es war unabänderlich. Er sagte:»Befehlen Sie dem Schoner, beigedreht zu bleiben und ein Prisenkommando an Bord zu nehmen. «Er sah Borlase an.»Sie übernehmen den Befehl bis zu unserer Rück-kehr. «Er schnauzte:»Also los! Warten wir nicht länger!»
Midshipman Pyper sagte heiser:»Ich glaube, wir sind sicher, Sir.»
Die Sonne brannte auf die flache, tellerförmige Mulde herunter, in der Herrick seine Truppe aus Matrosen und Marinesoldaten gesammelt hatte. Er fühlte sich ebenso ausgedörrt wie der Sand und das felsige Gestein, die wie erhitztes Metall durch den Stoff seiner Uniform brannten, und er mußte sich gewaltsam dazu zwingen, nicht ständig an Wasser zu denken. Es war jämmerlich wenig übrig geblieben, und dieses wenige wurde für die Verwundeten gebraucht. Besonders für Watt, einen der Seesoldaten. Er war entweder durch einen Pfeil oder einen Speer an der Schulter getroffen worden, keiner wußte es genau, keiner konnte sich daran erinnern.
Er lag mit dem Kopf auf den Knien des Korporals der
Marinesoldaten, keuchte und zog in schmerzvollen
Krämpfen die Beine an den Körper.
Herrick antwortete Pyper:»Es ist noch zu früh, um das zu sagen.»
Er lauschte auf das Stöhnen des Marinesoldaten. Er lag im Todeskampf. Vielleicht war seine Wunde vergiftet; er hatte davon gehört, daß es vergiftete Waffen gab. Pfeile, die Menschen oder Tiere einem grauenhaften Tod auslieferten. Der Korporal hatte einmal versucht, den primitiven Verband zurechtzurücken, und Herrick hatte den Blick von der Wunde abwenden müssen, trotz allem, was er in seinen Jahren auf See schon gesehen hatte. Sie sah aus wie eine überreife, obszöne Frucht.
Prideaux saß mit ausgestreckten Beinen da und zog einen von der Sonne gebleichten Grashalm durch seine Zähne. Sein Blick war in eine unbestimmte Ferne gerichtet, als er sagte:»Wir müssen dafür sorgen, daß Watt ruhig bleibt. Diese Teufel sind nicht weit von uns. Das spüre ich in den Knochen. Watt wird sie heranlocken. «Herrick wandte sich von ihm ab. Prideaux versuchte es schon wieder: legte einen Gedanken nahe, wie einen Wink. Überließ ihm die Entscheidung.
Herrick sagte:»Korporal Morrison, geben Sie dem Mann etwas Wasser.»
Der Korporal schüttelte den Kopf.»Nicht mehr viel in der Flasche, Sir. «Er hob die Schultern und hielt die Flasche Watt an die Lippen.»Trotzdem, ich nehme an… «Einer der Matrosen, die Wache hielten, rief:»Da kommen jetzt welche, Sir.»
Die stumpfe Lethargie und die Trägheit verschwanden, als sich jeder an seinen ihm vorausbestimmten Platz begab, mit angespanntem Gesicht seine Waffe bereithielt. Herrick beobachtete die Eingeborenen, die im Gänsemarsch, einer hinter dem anderen, durch eine schmale Rinne auf der anderen Seite des Berges schnell zum Wasser hinunterstapften. Sie verschwendeten nicht einen Blick an ihre verstümmelten Opfer, die in der glühenden Sonne verrotteten, sondern eilten weiter in das seichte Wasser bei den Felsen, wo Herrick mit seinen Leuten ans Land gekommen war.
Pyper sagte:»Sie suchen nach dem Boot.»
Herrick nickte. Pyper hatte recht. Er erinnerte sich an den
Anblick der verbrannten Boote des Dorfes, ihre einzige
Möglichkeit, andere Inseln zu erreichen, Handel zu treiben.
Sich zu rächen. Oder um zu entkommen.
«Sie müssen wieder in ihrem Dorf gewesen sein. Das bedeutet, daß die Piraten fort sind. Wahrscheinlich lag die ganze Zeit über ein Boot für sie vor der Küste.»
Herrick konnte seine Erbitterung nicht verbergen. Während die Tempest um die Landzunge gekreuzt und in die Falle gegangen war und er und seine Leute um ihr Leben gekämpft hatten, führten die Piraten ihren wohldurchdachten
Plan aus. Zwar war es ihnen nicht gelungen, die Fregatte zu versenken, aber sie hatten gezeigt, was sie mit nur einer
Handvoll Männer ausrichten konnten.
Er sah, wie sich das Langboot in der Brandung träge hob und senkte, wie das Wasser seine Bodenbretter überflutete,
während die Eingeborenen es in das seichte Wasser zogen und schoben.
Herrick versuchte nicht hinzuhören, wie einem anderen Mann Wasser gegeben wurde. Er beobachtete die Eingeborenen, wußte, daß er etwas unternehmen mußte, und zwar bald. Die Nacht war, von den Insekten abgesehen, erträglich verlaufen. Nach den Schrecken des Tages, dem hemmungslosen Abschlachten von Finneys Männern, ihrer eigenen verzweifelten Lage, war der einzige, alles beherrschende Wunsch, in einen erschöpften Schlaf zu versinken.
Aber wie die Erinnerung an den Freund aus seiner Kindheit am Ufer des Medway kamen Bedrohung und Gefahr mit der Morgendämmerung wieder. Sie hatten keine Verpflegung mehr und nicht genug Wasser für einen weiteren Tag. Wenn sie die Mulde verließen, um nach einem Tümpel zu suchen, würden sie entdeckt werden.
Im Verlauf der Nacht hatte Prideaux bemerkt:»Die Tempest wird nicht kommen. Der Kapitän wird glauben, daß wir tot sind. Und wir werden sterben.»
Herrick hatte sich so heftig von ihm abgewendet, daß sie seither kaum noch miteinander gesprochen hatten. Und als sich ihre Blicke im ersten Morgenlicht begegneten, nachdem sie die leere See abgesucht hatten, fand Herrick bei Prideaux den gleichen Vorwurf, die gleiche Verachtung. Er hörte den Korporal sagen:»Es ist alle, Kamerad. Siehst du? Leer!»
«Barmherzige Mutter Gottes! Die Schmerzen! Helft mir!«Herrick verdrängte die Worte aus seinem Bewußtsein und beobachtete die geschäftigen Gestalten um das auf den Strand gezogene Langboot. Er glaubte, durch die Bordwand Wasser zu sehen. Das war nicht allzu schlimm. Nicht so, wie wenn der Boden eingedrückt wäre. Er wälzte sich herum und stützte sich auf einen Ellbogen, ignorierte seine ausgedörrte Kehle, seine aufgesprungenen Lippen. Gestern morgen war er von diesem Strand mit neunundzwanzig anderen, ohne Finneys Leute zu zählen, abmarschiert. Fünf waren tot, vier schwer verwundet. Kaum einer hatte ohne eine Schramme oder Prellung, die an den Kampf erinnerte, den Tag überlebt.
Er nahm sich der Reihe nach jeden einzelnen vor. Manche waren fast am Ende, kaum noch fähig, eine Muskete zu halten. Andere lagen hohläugig und verzweifelt an ihren Plätzen, betrachteten den Himmel über dem Rand ihres heißen Gefängnisses. Pyper sah erschöpft aus. Aber er war jung, kräftig wie ein Löwe. Prideaux schien als einziger von allen unberührt zu sein.
Herrick seufzte und richtete seine Aufmerksamkeit auf das Boot. Bis dorthin war es eine halbe Kabellänge über offenes Gelände. Wenn sie bis zur Nacht warteten, war das Boot wahrscheinlich fort, besonders wenn die Eingeborenen beabsichtigten, die anderen Inseln zu alarmieren. Er stellte sich vor, wie sie den Abhang hinunterstürmten, den Vorteil ihrer günstigeren Position nutzten und sich den Weg zum Boot freischossen und freischlugen. Dann dachte er an die anderen, die zu geschwächt oder zu schwer verletzt waren, um sich aus eigener Kraft zu bewegen. Prideaux sagte sehr leise:»Wir könnten zum Boot stürmen und dafür sorgen, daß keiner dieser Wilden lebend davonkommt. Wie viele sind es? Höchstens zehn. «Er schlug die Augen nicht nieder, als Herrick ihn ansah.»Der Rest des Dorfes wird meinen, wir wären entkommen. Sobald wir in Sicherheit sind, könnten wir den Verwundeten Hilfe schicken.»
Herrick musterte ihn, verabscheute ihn, weil er seine Gedanken gelesen hatte und wegen der Gleichgültigkeit, mit der er die zurückgelassenen Sterbenden preisgab. Und weil er fähig war, klar und ohne Sentimentalität zu denken. Hitzig entgegnete er:»Oder wir könnten sie gleich selbst umbringen, was? Würde alles leichter machen.«»Ach, um Gottes willen«, erwiderte Prideaux. Herricks Kopf wurde plötzlich leicht. Er fühlte sich verwegen. Er wandte sich den anderen zu.»Mal herhören, Leute. Ich beabsichtige Folgendes. «Sobald er angefangen hatte, stellte er fest, daß er nicht mehr aufhören konnte.»Wir warten noch kurze Zeit, bis sie das Boot repariert haben. Unser Boot. «Er spürte einen Kloß in der Kehle, als der Marinesoldat mit der Schulterwunde versuchte, über seinen dürftigen Scherz zu grinsen.»Dann brechen wir auf. Alle zusammen. «Seine letzten Worten schienen über allen hängen zu bleiben.
Er fuhr fort:»Die eine Hälfte von uns wird kämpfen, die andere wird den Verwundeten helfen.»
Er versuchte, nicht an den langen kahlen Abhang zu denken. Eine halbe Kabellänge. Über hundert lange, verzweifelte Schritte.
«Und was dann, Sir?«Das war der Korporal.
«Wir suchen nach der nächstgelegenen Insel, wo wir uns ausruhen können. Wo wir — «, er versuchte, sich nicht über die ausgedörrten Lippen zu lecken —,»Wasser finden.»
Pyper warf ein:»Sie versuchen wieder, das Boot zu bewegen.»
Sie spähten wieder über den Rand der Mulde, und Herrick sah das Boot auf den Brandungswellen tanzen. Drei der Eingeborenen arbeiteten innen, während die übrigen es, so gut sie konnten, ruhig hielten und die Suche nach weiteren Lecks weiterging.
Sie müssen das Boot dringender brauchen, als ich angenommen habe, dachte Herrick.
Nachdem er jetzt eine Entscheidung getroffen hatte, fühlte Herrick sich besser. Er hatte keine Vorstellung davon, wie vielen von ihnen es gelingen würde, zu entkommen, aber man konnte alles wagen, solange die einzige Alternative darin bestand, zusammengetrieben und wie wilde Tiere abgeschlachtet zu werden.
«In Deckung!«Prideaux kroch hinauf zu einem seiner Leute, der landeinwärts deutete. Eine weitere Gruppe Eingeborener kam aus der Richtung vom Dorf, und diesmal waren es sehr viele mehr.
Prideaux sah Herrick an. Er sagte nichts, aber in seinen Augen stand es so deutlich, als ob er es ausgesprochen hätte: Jetzt haben wir unsere letzte Chance. Herrick stand auf.»Nehmt eure Waffen auf. Ganz ruhig, Leute. «Er überprüfte seine Pistolen und lockerte seinen Degen. Dachte an Bolitho, an all die vielen ähnlichen Male.»Korporal, wählen Sie die besten Schützen aus. «Er sah Pyper an.»Sie bleiben bei Korporal Morrison und sorgen dafür, daß er geeignete Männer zurückläßt, um die Verwundeten zu tragen. «Er griff nach seinem Handgelenk.»Wir haben nicht viel Zeit.»
Herrick schwirrte der Kopf von der raschen Folge der Ereignisse. Er versuchte, sich auf das Boot zu konzentrieren, auf die Entfernung bis dorthin. Wenn sie die Neuankommenden aufhielten, würden die Verwundeten und ihre Helfer von den Eingeborenen am Strand unten getötet werden. Wenn sie nach unten stürmten, mußten sie die Verwundeten zurücklassen.
Er blickte in die schmalen Gesichtszüge Prideauxs.»Nun?
Sie sind der Marinesoldat. Was soll ich tun?»
Prideaux sah ihn überrascht an.»Jetzt angreifen. Lassen Sie zwei Scharfschützen bei den Verwundeten. Wenn wir das
Boot genommen haben, kann der Rest von uns den Rückzug der Verwundeten decken. Die Angreifer vom Dorf bieten ideale Ziele, wenn sie den Abhang herunterkommen. «Seine
Lippen verzogen sich zu einem knappen Lächeln.»So würde es ein Marinesoldat machen.»
Herrick rieb sich das Kinn.»Das ist einleuchtend. «Er sah
Pyper an. Sie alle.»Fertig, Leute.»
Er musterte die blinkenden Bajonette, die gekreuzten
Brustriemen mit dem Pulver und den Geschossen; die zusätzlichen Musketen, die geladen an jeder Schulter hingen, die noch eine tragen konnte.
Er zog seinen Degen und sah den getrockneten Blutflecken auf der Klinge.
«Mir nach!»
In dem Augenblick, als zwei Männer den verwundeten Marinesoldaten Watt aufhoben, stieß er einen entsetzlichen Schmerzensschrei aus, der alle regungslos erstarren ließ. Selbst die Eingeborenen bei dem Boot standen stocksteif und zeigten das Weiße ihrer Augen, als sie den Abhang heraufstarrten.
Einer rief:»Mein Gott, die Wunde ist aufgebrochen. «Watt schrie wieder gellend und trat von Schmerz gepeinigt wild um sich.
Dann war ein kurzer Aufschlag zu hören, und Watts Kopf wurden von der Faust des Korporals nach hinten gerissen. Morrison keuchte:»Tut mir leid, Kamerad, aber wir haben Wichtiges zu tun.»
Prideaux rief:»Vorwärts!«Und die Handvoll Marinesoldaten stürmte den Abhang hinab und schrie dabei so laut wie ein ganzer Zug. Herrick, Pyper und zwei
Matrosen stürmten mit ihnen, blind für alles außer dem Boot und den überrascht auseinanderflüchtenden Gestalten der Eingeborenen.
Speere wurden gepackt und blindlings geschleudert, und einer der Matrosen brach keuchend auf dem Sand zusammen. Der abgebrochene Schaft eines Speers ragte aus seiner Brust.
Dann hatten sie den Strand erreicht, und ihre wilde Angriffswut trieb sie bis in die Brandung hinaus. Pistolen knallten und Bajonette stießen in ungehemmter Mordlust durch den Pulverqualm. Drei der Eingeborenen rannten den Strand entlang, aber einer fiel einem Musketenschuß zum Opfer. Die anderen lagen tot oder verletzt um das Boot. Herrick schrie:»Hier kommen sie, Jungs!«Er deutete mit dem Degen auf die schwankende Gruppe mit den Verwundeten und den beiden Marinesoldaten, die etwas zurückblieben, um sie zu decken. Prideauxs Männer begannen, über Köpfe hinweg auf die anrollende Welle der Angreifer auf der Höhe des Abhangs zu schießen. Und wieder ein Hagel von Steinen und Speeren und rasendes Gebrüll.
Herrick, Pyper und die übriggebliebenen Matrosen drängten sich um den Vordersteven des Boots und schoben mit aller Kraft, spürten den Widerstand, der ihnen mit jedem um die vorgelagerten Felsen anrollenden Brecher entgegendrängte.»Es ist zwecklos. «Pyper schluchzte beinahe.»Wir schaffen es nicht. Es ist zu schwer.»
Herrick knurrte:»Schieben! Stärker, verdammt noch mal. «Er schrie zu Prideaux hinüber:»Noch zwei Mann her!«Er drehte sich um, das Wasser wirbelte und zerrte an seiner Uniform, und sah die kleine Prozession an der Leiche des von dem Speer getroffenen Matrosen vorbeischwanken. Sie kamen zu langsam, die nächsten Eingeborenen waren schon weniger als fünfzig Schritte an sie heran. Prideaux rief:»Bemannen Sie das Boot! Das ist unsere einzige Chance. Wir sterben alle, wenn wir länger warten!«Herrick watete auf den Strand, den Degen über dem Kopf erhoben. Er war halb wahnsinnig vor Wut und Enttäuschung, aber er wollte diese Männer nicht zurücklassen.
«Gehen Sie zum Teufel!»
Er rannte dem Korporal entgegen, der Watt wie einen Sack auf den Schultern trug. Die anderen, auch der Mann mit dem verletzten Bein, stolperten und hoppelten hinter Morrison her. Herrick sah, daß ein Stück entfernt schon zwei Männer gemeinsam gestürzt waren, und noch ehe sie sich wieder aufrichten konnten, wurden sie niedergeschlagen und brutal in Stücke gehackt, trotz des sporadischen Musketenfeuers vom Strand her.
Herrick rannte an den taumelnden Männern vorbei, ohne zu wissen, worauf er noch hoffte.
Die beiden Marinesoldaten der Nachhut sahen ihn und riefen ihm zu:»Es hat keinen Zweck. Zu spät!»
Der eine warf seinen leeren Munitionsbeutel fort und hob seine Muskete mit dem aufgepflanzten Bajonett.
«Kommt nur, ihr Schweinehunde! Ich werd's euch zeigen!»
Der andere fiel und spuckte Blut, als ihn ein Speer traf, der aus der blendenden Sonne gekommen war.
Herrick sah und hörte sie, erkannte sogar ihre Gesichter, als sie auf ihn zustürmten.
Das Boot konnte er jetzt nicht sehen, aber das war gleichgültig. Keiner würde entkommen. Langsam bewegte er seinen Degen, sah die geduckten Gestalten, die nach beiden Seiten ausschwärmten. Er spürte ihre Übermacht, konnte sie riechen.
Die Sonne schien ihm beinahe in die Augen. Ihm und dem einsamen Marinesoldaten bot sich nirgends Schatten. Es war, als ob sie bereits tot wären.
Auf der einen Seite der jetzt langsam vordringenden Menge bemerkte er einen Speer, der sorgfältig Ziel nehmend gehoben wurde. Jetzt!
Der Knall, der die plötzlich herrschende, schreckliche Stille durchbrach, war ohrenbetäubend.
Herrick hörte überraschte Ausrufe hinter sich und dann ein einzelnes würgendes Hurra, als ob der Mann, der es ausbrachte, es sich vom Herzen reißen müßte.
Herrick sagte rauh:»Bleiben Sie stehen, Mann! Nicht umdrehen!»
Der Marinesoldat, von Schweiß geblendet, die Muskete mit dem aufgepflanzten Bajonett starr vor sich gerichtet, antwortete aus dem Mundwinkel:»Verlassen Sie sich auf mich, Sir.»
Zögernd, unsicher zuerst, begann die vorderste Reihe der Eingeborenen zurückzuweichen. Als ein weiterer Knall die Luft erschütterte, machten alle kehrt und rannten anscheinend mühelos den Abhang hinauf. Erst dann drehte Herrick sich um.
Dicht bei den vorgelagerten Felsen lag die Barkasse der Tempest mit einer rauchenden Drehbasse in ihrem Bug. Wo die Kartätschenladung eingeschlagen hatte, wußte Herrick nicht, aber es war ihm auch gleichgültig. Sie mußte in die Luft abgefeuert worden sein, denn hätten sie auf den Abhang gezielt, wären mehr von seinen Leuten als von den Angreifern getroffen worden. Vielleicht hatten der Knall und der Anblick der Barkasse, in deren Kielwasser das große Boot der Tempest folgte, genügt. Herrick ging zu dem Marinesoldaten und klopfte ihm auf die Schulter.»Das war sehr tapfer.»
Zusammen liefen sie zum Wasser hinunter, wo Leute aus den Booten sprangen, um die anderen zu stützen und ihnen durch das seichte Wasser zu helfen. Bolitho stand ganz ruhig am Strand, die Hände an den Seiten, und wartete, bis sein Freund ihn erreichte. Doch im Innern sah er Herrick noch wie Augenblicke zuvor, als die Barkasse um die Felsen gebogen war, nachdem der Schoner sie mit größter Geschwindigkeit hierher geschleppt hatte: Herrick, den Degen in der Hand, den Rücken der See zugekehrt, einen einzelnen Marinesoldaten an seiner Seite, so stand er und blickte dem Mob und dem sicheren Tod entgegen.
Das war etwas, das er nie vergessen würde. Und nie vergessen wollte.
Er packte Herricks Arm und sagte einfach:»Sie haben zu viel Mut, Thomas.»
Herrick versuchte zu grinsen, aber seine Erschöpfung verhinderte es.»Sie sind gekommen, Sir. Ich habe es gewußt. «Er ließ den Kopf sinken.»Ich habe es ihnen gesagt.»
Bolitho blickte ihn an, fühlte sich unfähig, ihm zu helfen, war schockiert, als er sah, daß Herricks Schultern bebten. Das habe ich ihm angetan. Er sah sich auf dem Strand um, der jetzt, von den Toten abgesehen, leer war. Für nichts und wieder nichts.
Pyper kam den Strand herauf. Er zögerte.»Alle in den Booten, Sir«, meldete er.
Bolitho sagte zu Herrick:»Kommen Sie, Thomas. Hier können wir nichts mehr tun.»
Sie fuhren an dem verlassenen Langboot vorbei, und nun endlich schien Herrick aus seinem Schock zu erwachen. Das Boot fing wieder an zu sinken. Die primitiven Reparaturen waren von den rauhen Wellen schon wieder zerschlagen. Heiser sagte er:»Das verdammte Ding wäre ohnehin gesunken. «Er sah Bolitho fest an.»Das wäre dem verdammten Prideaux nur recht geschehen. «Bolitho war der letzte, der in die Barkasse kletterte. Er hielt inne, die Wellen umspülten seine Hüften, klatschten den alten Degen gegen seinen Schenkel. Eines Tages würde er Tuke stellen. Kein Trick, keine Hinterlist konnten ihn dann retten.
Er ließ es zu, daß Allday ihn an Bord zog. Aber diesmal war es eine Niederlage gewesen.